„Palästina-Kongress“ in Berlin: Einreiseverbot für Varoufakis
Deutschland wollte Griechenlands Ex-Finanzminister daran hindern, an der umstrittenen Veranstaltung teilzunehmen. Wie, war zunächst unklar.
Deutschland hat ein Einreiseverbot gegen den ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis verhängt. Das erfuhr die Nachrichtenagentur AFP am Sonntag aus Sicherheitskreisen. Varoufakis, Generalsekretär der linken paneuropäischen Partei „Democracy in Europe Movement 2025“ (Diem25), sollte am Freitag auf dem umstrittenen „Palästina-Kongress“ in Berlin sprechen, der kurz nach Beginn von der Polizei aufgelöst und verboten wurde.
Wer „islamistische Propaganda und Hass gegen Jüdinnen und Juden“ verbreite, müsse wissen, dass solche Straftaten schnell und konsequent verfolgt würden, erklärte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums am Montag gegenüber der taz. „Antisemitische und islamistische Straftaten werden nicht geduldet.“ Was dem 63-jährigen griechischen Wirtschaftswissenschaftler, Politiker und Ex-Finanzminister konkret vorgeworfen wird, wollte das BMI nicht sagen. Eine Auskunft zu „Einzelfällen“ sei „nicht möglich“.
Varoufakis ist kein Einzelfall. Gegen zwei weitere Teilnehmer des verhinderten „Palästina-Kongresses“, den 86-jährigen palästinensischen Autor Salman Abu Sitta und den Arzt Ghassan Abu Sittah (55), Rektor der Universität Glasgow, hat das Innenministerium jeweils „Betätigungsverbote“ ausgesprochen. Ghassan Abu Sittah wurde am Freitag am Flughafen in Berlin die Einreise verwehrt, er musste nach einem dreistündigen Gespräch den Rückflug antreten. Varoufakis war nicht der einzige prominente Gast, der nicht bei der Konferenz sprechen konnte. Angekündigt war auch die frühere spanische Gleichstellungsministerin Irene Montero von der linken Partei Podemos.
Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden
Die taz hatte am Samstag berichtet, dass gegen Varoufakis möglicherweise ein „Betätigungsverbot“ ausgesprochen worden sei. Varoufakis selbst hatte am Samstag im Online-Netzwerk X geschrieben, das deutsche Innenministerium habe ein „Betätigungsverbot“ gegen ihn erlassen, also „ein Verbot jeglicher politischer Betätigung“. Dieses gelte sogar für die Teilnahme an Online-Veranstaltungen, etwa über das Netzwerk Zoom. Die Polizei hatte das am Freitag seinen Anwälten mitgeteilt. Das Bundesinnenministerium wollte das am Samstag gegenüber der taz aber nicht bestätigen. Gegen EU-Bürger wäre ein „Betätigungsverbot“ rechtlich auch gar nicht möglich.
Aus Sicherheitskreisen erfuhr am Sonntag dann das Handelsblatt, dass es sich um ein Einreiseverbot handeln soll. Die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder hätten „schon im Vorfeld des sogenannten Palästina-Kongresses im engen Austausch“ gestanden und „notwendige Maßnahmen ergriffen“, erklärte die Sprecherin des BMI gegenüber der taz. Über Einreisen werde jeweils vor Ort entschieden.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte im November 2023 die Hamas und das Gefangenennetzwerk Samidoun verboten. „Das bedeutet: Jedwede Betätigung ist untersagt und eine Straftat. Dazu gehören auch Propagandareden für die Hamas“, erklärte das BMI im Zusammenhang mit der Anfrage der taz. „Die Sicherheitsbehörden beobachten sehr aufmerksam, dass die Verbote eingehalten werden. Wir behalten die islamistische Szene eng im Visier.“
Proteste gegen Versammlungsverbot
Die Berliner Polizei hatte den umstrittenen „Palästina-Kongress“ am Freitag kurz nach Beginn abgebrochen. Die Veranstalter hatten gerade den Autor Salman Abu Sitta als Redner zugeschaltet. Dieser habe ein politisches Betätigungsverbot, erklärte die Polizei zur Begründung, warum sie den Saal stürmte, den Strom abschaltete und bald darauf die Versammlung auflöste. Sie sprach auch für Samstag und Sonntag ein komplettes Verbot der Veranstaltung aus. Am Samstag kamen deshalb im Stadtzentrum von Berlin nach Angaben der Polizei bis zu 1.900 Menschen zusammen, um gegen die gewaltsame Auflösung der Konferenz zu protestieren.
Die Veranstalter kritisierten das Vorgehen der Polizei scharf. Demokratische Rechte seien ausgehebelt worden, hieß es. Die Rechtsanwältin Nadija Samour sagte am Samstag auf einer Pressekonferenz, die Polizei habe „völlig unverhältnismäßig“ entschieden. Geringere Maßnahmen seien möglich gewesen. Jeglicher Versuch, die Versammlung zu schützen, sei von der Polizei torpediert worden. Es habe keine strafbaren Äußerungen gegeben, was die Polizei auch eingeräumt habe.
Das Betätigungsverbot sei dem Veranstalter nicht bekannt gewesen und erst kurz vorher mitgeteilt worden. Aus Sicht der Veranstalter war die Polizeimaßnahme rechtswidrig. Es sei bei der Polizei Widerspruch eingelegt worden, um die eigentlich bis Sonntag geplante Versammlung fortsetzen zu können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Resolution gegen Antisemitismus
Nicht komplex genug
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Strategien gegen Fake-News
Das Dilemma der freien Rede