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Folter Terrorverdächtiger in RusslandMoskaus fatale Hetze

Kommentar von Barbara Oertel

Mit der unverhüllten Folter erteilte Russland einen Freifahrtschein zur Gewalt. Nun richtet sich der Zorn gegen Ta­dschi­k*in­nen und Kir­gi­s*in­nen.

Offensichtlich schwer misshandelt: Saidakrami Murodali Rachabalizoda, ein Verdächtiger des Angriffs auf den Konzertort Crocus City Hall, vor Gericht Foto: Yulia Morozova/reuters

V ier mutmaßliche Attentäter in Glaskäfigen, die offensichtlich massiv gefoltert wurden: Viele sind geschockt von diesen Bildern aus einem Moskauer Gericht. Warum eigentlich? Folter, Vergewaltigungen und schwere Misshandlungen waren und sind in Russland gängige Methode, um aus Beschuldigten Geständnisse herauszuprügeln, so absurd diese mitunter auch sein mögen. Manchmal quälen Sicherheitskräfte auch diskreter, damit die Betroffenen noch halbwegs vorzeigbar sind.

Doch damit scheint es, zumindest in diesem Fall, vorbei zu sein. Die Botschaft lautet im Gegenteil: Seht her, wir greifen durch und machen unseren Job, was man im Hinblick auf Sicherheitsvorkehrungen für die Konzerthalle Crocus City Hall in der Region Moskau am vergangenen Freitag nicht gerade behaupten kann. Auf diese Weise ein Exempel zu statuieren, fällt in einer zunehmend verrohten und xenophob grundierten Gesellschaft auf fruchtbaren Boden.

Die Menschen aus den Staaten Zentralasiens und des Kaukasus gelten seit jeher als Hassobjekt und „Abschaum“ – eine Erzählung, die von führenden Politiker*innen, aber auch dem Moskauer Patriarchen Kirill massiv befeuert wird. Seit Jahren sind sie bevorzugtes Ziel von willkürlichen Festnahmen, Razzien und Schikanen aller Art. Gleichzeitig sind die Männer jedoch gut genug, um sich – geködert mit der Aussicht auf einen russischen Pass – an der Front in der Ukraine verheizen und töten zu lassen.

Daher kann es kaum überraschen, dass sich jetzt, nach dem barbarischen Attentat mit knapp 140 Toten, der Volkszorn Bahn bricht und eine weitere Runde der Hetzjagd eröffnet ist. Warum das Recht nicht in die eigene Hand und gleich alle Ta­dschi­k*in­nen oder Kir­gi­s*in­nen in Kollektivhaft nehmen? Der Staat zeigt schließlich, wie das geht.

Diese Selbstjustiz könnte fatale Folgen haben: Die Gewalt in Russland dürfte zunehmen und Tendenzen der Destabilisierung in der Gesellschaft könnten sich weiter verstärken. ­Fraglich, ob das wirklich im Sinne des Kreml ist.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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40 Kommentare

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  • Russland ist vermutlich nicht rassistischer als andere Staaten Osteuropas, aber bei Russland kommt etwas dazu das andere Staaten nicht haben in der Region, imperialer Chauvinismus. Viele Russen schauen auf Balten, Ukrainer, Bealrussen, Georgier und insbesondere muslimische Minderheiten herab aus einem imperialen Mindset. Da erscheint Folter dann als probates Mittel weil es sind ja Zentralasiaten die es gewagt haben Russen zu töten und damit die imperiale Ordnung von unten und oben in Frage zu stellen. Ein wenig wie die Franzosen mit den Algeriern umgesprungen sind in den 50er und 60er Jahren. Nur wird die öffentliche Tolerierung/Zelebrierung von Folter von vielen Russen jetzt als Freifahrschein gesehen werden mit Zentralasiaten und Kaukasieren noch rassistischer umspringen zu können. Das wird die Spannungen in Russland erhöhen, zu mehr Terror führen und der russischen Wirtschaft massiv schaden, der fehlen jetzt schon Millionen Arbeitskräfte und Zentralasien ist der einzige Ort wo man die herbekommt. Außer Russland baut massiv Sprachschulen in Afrika, droht Russland der stille Untergang durch fehlende Geburten.

    • @Machiavelli:

      naja, ich teile ja prinzipiell die Hoffnung, dass Russland diesen Krieg verliert und alle Arten an Schwierigkeiten, die dieses Ziel fördern sind da willkommen. Andererseits erscheint mir da ziemlich viel Wunschdenken drin. Die Geburtenrate Russlands ist aktuell höher als die deutsche. Für die Zentralasiaten ist Russland nach wie vor erste Anlaufstelle zur Arbeitsmigration, von den Tadjiken sind wohl allein über 1,4 Mio in Russland. Russisch ist nach wie vor Lingua Franca in Zentralasien, da bietet sich das an. Europa ist ziemlich weit weg. Und die Staaten Zentralasiens sind wirtschaftlich von Russland abhängig

      • @ingrid werner:

        Das die russische Geburtenrate bei 1.4 liegt liegt an den muslimischen Kolonien, Tschetschenien liegt über 2 Kinder pro Frau, Leningrader Distrikt liegt wenn ich es richtig im Kopf habe bei 0.8. Aber ob das noch lange gut geht wenn die bettelarme Peripherie wächst und das reiche Zentrum schrumpft?

  • Was Gewaltexzesse angeht, mag es sein, dass unsere Gesellschaft der russischen ein klitzekleines zivilisatorisches Schrittchen voraus ist.



    Aber vielleicht sollte man sich vorstellen, ein solches Attentat durch Islamisten hätte in Deutschland stattgefunden. Herr Rüdiger wäre schon gestern nicht mehr Profifussballer in Deutschland und die ersten Rechtsradikalen ständen mit Mistgabeln und Fackeln vor seiner Tür. Ein zweiter Anschlag solcher Art würde dann auch Dämme brechen, die die deutsche Gesellschaft seit Jahren simuliert hat.

    • @Karl Heinz:

      In der realen Welt hat es in D diverse Anschläge (u.a. islamistische) gegeben, ohne dass hierzulande Zivilisation und Kultur ad acta gelegt wurden.



      In westlichen Demokratien ist das nämlich nicht nur ein Mäntelchen.

  • Klaus-Helge Donath schrieb in der taz vor mehreren Jahren zur Xenophobie in Russland anlässlich des G8-Gipfels in St. Petersburg:



    "Der Kreml kennt mehrere Methoden, der Gewalt und Ausländerfeindlichkeit zu begegnen. Gar nicht erst wahrnehmen ist die eine, Totschweigen eine andere. Infam wird die Abwehr, wenn die Gewalt mit Hinweisen auf vermeintliche Verbrechen gegen Russen in anderen Ländern relativiert wird. Dahinter blitzt die totalitäre Sozialisation derjenigen auf, die in Russland wieder das Sagen haben."



    Das Ganze hat offensichtlich "System", nach der Vorgeschichte.



    Unsystematisch war offenbar die westliche Wahrnehmung vieler Vorzeichen des Totalitarismus.



    taz.de/Das-Totschl...schweigen/!437240/

  • Putin macht eben das Einzige, was er kann: Angst verbreiten, Streit sähen, zersetzen, zerstören. Das hat er beim KGB gelernt, gemeinsam mit der sich immer weiter verstärkenden Paranoia, die einmal als Misstrauen angefangen hat. Das hat mit einer guten Staatsführung nichts zu tun. Dadurch wird das Land früher oder später vor die Hunde gehen, verroht, verarmt, isoliert und abgehängt. Hass ist eben weder eine Meinung noch ein Regierungsprogramm.

  • "Die Menschen aus den Staaten Zentralasiens und des Kaukasus gelten seit jeher als Hassobjekt und „Abschaum“ "

    Man sollte in diesem Zusammenhang vielleicht für Westler erwähnen, dass wenn man im Russischen von "Schwarzen" spricht, Zentralasiaten und Kaukasier gemeint sind...

  • Das Positive, wenn Putin Stalin immer ähnlicher wird: Am Ende wird der Kommunismus noch rehabilitiert werden können, denn nicht er hat die Sovietunion zu dem gemacht, was sie war. Höre ich da einen Seufzer aus Marx' Grab?

  • Das sind natürlich abstoßende Schrecklichkeiten.

    Und dennoch kann man nicht anders, als hier whataboutistisch zu denken: Guantanamo ist noch in Betrieb, oder? Und gegen Abu Ghraib haben sich die westlichen Protestnoten auch in Grenzen gehalten.

    Das macht nichts besser an diesen Bildern - aber eingedenk der Fotos aus dem "Situation Room" oder Merkels allerschlimmstem Satz („Ich freue mich, dass es gelungen ist, Osama bin Laden zu töten.“) gilt es doch festzuhalten: So ist das halt. Wenn die vermeintlich Zivilisierten die Zivilisations-Standards fallen lassen, dann schlachten die Schlächter auch deutlich entspannter.

  • dass das zarenreich, die sowjetunion oder russland sich in irgendeiner hinsicht durch ein von einem humanistischen geist getriebenen handeln hervorgetan hätte. lässt sich geschichtlich wohl nicht beweisen. insofern finde ich es relativ sinnlos, sich über moskaus schauprozesse 3.0 zu echauffieren. kopfschüttelnd dieses unmenschliche theater wahrzunehmen, finde ich passender. wenn man den blick dann noch über den rest der welt schweifen lässt, kann man eigentlich nur noch feststellen: wir sind es echt nicht wert, diesen planeten so zahlreich in großen strukturen besiedeln zu dürfen. die destruktivität von so genannten zivilisationen ist einfach zu mächtig.

  • "Fraglich, ob das wirklich im Sinne des Kreml ist."

    Oh ja, ist es. Teile und herrsche.

  • Wenigstens zeigt sich die wahre Natur des Mafia und Terrorstaats nun. Eigentlich müssten jetzt auch einem Mützenich oder einer Wagenknecht die Augen aufgehen. Putin und seine Bande sind keine zuverlässigen Verhandlungspartner.

  • "Diese Selbstjustiz könnte fatale Folgen haben: Die Gewalt in Russland dürfte zunehmen und Tendenzen der Destabilisierung in der Gesellschaft könnten sich weiter verstärken..."



    So werden sie den Terror in Russland niemals besiegen, eher ganz im Gegenteil, zumal sie sich selbst noch sichtbar ins Unrecht setzen, sicher nicht folgenlos.



    ExpertInnen haben immer vor den falschen Methoden in der Bekämpfung des Terrorismus gewarnt, einer darunter hat ein interessantes Schriftenverzeichnis und ist uns aus den Medien gut bekannt:



    /



    www.kcl.ac.uk/peop...ssor-peter-neumann

  • "fällt in einer zunehmend verrohten und xenophob grundierten Gesellschaft auf fruchtbaren Boden."

    Ich denke nicht, dass dieses Pauschalurteil auf die russische Gesellschaft zutrifft. Aussagen von Exilrussen geben eher das Bild einer "müden" und resignierten Gesellschaft wieder, der eine Vision für die Zukunft fehlt. Zudem ist die russische Gesellschaft nicht homogen. Es bestehen nur wenige Schnittmengen zwischen einem Moskauer oder St. Petersburger mit der Bevölkerung von Nowosibirsk oder Wladiwostok.

    Generell ist es von außen schwierig sich ein Bild zu machen oder objektiv über die Zustände der russischen Gesellschaft zu berichten, denn sie ist einfach zu verschlossen und abgeschottet und es besteht dabei auch bei jeder Analyse die Gefahr, dass dabei ungewollt Narrative des Kreml übernommen werden. Wie es auch in der Berichterstattung der westlichen Medien des öfteren vorgekommen ist. Wie beispielsweise in der Berichterstattung über die Zustimmung der russischen Bevölkerung zum Ukrainekrieg.

    Aber dem System Putin ist alles zuzutrauen vielleicht auch eine orchestrierte Hetzjagd auf die Menschen aus Zentralasien oder dem Kaukasus.

    • @Sam Spade:

      "Wie beispielsweise in der Berichterstattung über die Zustimmung der russischen Bevölkerung zum Ukrainekrieg."

      Das scheint wirklich so zu sein. Es ist nicht mehr nur Putins Krieg, sondern inzwischen Russlands Krieg.

      www.zdf.de/nachric...lny-angst-100.html

      Wenn man die Möglichkeit hat sich mit gebildeten Russen zu unterhalten fällt auf, dass dort nur ein Motiv zieht, nämlich "Nato" und Bedrohung durch Westen. Es wird dann gerne auf Nulands 5 Milliarden Dollar Aussage (die natürlich keinen Putsch beweist) und das abgehörte Telefon verwiesen wo Nuland und der US Botschafter in der Ukraine schon frühzeitig darüber "spekulieren" wer die neue Regierung anführen soll und wer nicht.

      www.deutschlandfun...nd-hinter-100.html

      Auch auf die Rede von Senator McCain in Kiew wird gerne verwiesen:

      www.dw.com/de/hund...gierung/a-17298283

      Es gibt, auch wenn uns das absurd erscheinen mag, erstaunlich viele gebildete Menschen in Russland die ernsthaft Angst vor der Nato und dem Westen habe.



      Vielleicht hätte man solche Feindbilder früher angehen müssen.

      • @Alexander Schulz:

        "Vielleicht hätte man solche Feindbilder früher angehen müssen."

        In Putin-Russland werden solche Feindbilder gezielt geschürt, sie dienen dem Machterhalt des Regimes. In dessen Hand sind alle wesentlichen Medien, kritische Journalisten werden drangsaliert, sind im Exil oder werden einfach umgebracht, wie etwa Anna Politkowskaja.

        Insofern ist aber auch Ihr anekdotisch unterfüttertes und damit nicht nachprüfbares Geraune, mit der Sie mal wieder eine angebliche Bedrohung durch die Nato als vermeintliches Movens russischer Politik insinuieren wollen, reichlich überflüssig. Dieses Feld wird ja nun seit Jahren schon agitatorisch von Frau Wagenknecht beackert, die sich für die Putin-Propaganda immer wieder bereitwillig als Resonanzboden zur Verfügung stellt. Welche Rolle antiwestliche Feindbilder in Putins grossrussischer Ideologie tatsächlich spielen, übersieht man bei den Wagenknechten aber geflissentlich.

      • @Alexander Schulz:

        „Wenn man die Möglichkeit hat sich mit gebildeten Russen zu unterhalten fällt auf, dass dort nur ein Motiv zieht, nämlich "Nato" und Bedrohung durch Westen. „



        Ich habe dazu eine völlig ernst gemeinte Nachfrage: Wann haben Sie sich mit gebildeten Russen über die Bedrohung Russlands durch die NATO und den Westen unterhalten, wo fanden die Gespräche statt und vor allem, in welcher Sprache?

        • @Barbara Falk:

          Darf ich auch antworten? - Ich habe mich noch vor Corona mehrfach mit gebildeten, in Russland lebenden Russen unterhalten, wenn sie hier zu Besuch waren. Wir haben Deutsch und Russisch gesprochen. Meine Gesprächspartner waren keine Putin-Anhänger (bzw. ehemalige Putin-Anhänger, die so um 2012 herum abgeschworen hatten).

          Die NATO kam wohl nur am Rande vor. Was mir allerdings mehrfach - und m.E. zu Recht - vorgehalten wurde, war die völlig einseitige antirussische Berichterstattung in fast allen deutschen Medien nach 2014 (teils auch zuvor).

          Es gab in Russland keine vergleichbare antideutsche Stimmungsmache, im übrigen auch keine antiamerikanische. Da meine Gesprächsparter im Netz auch deutsche Zeitungen lesen konnten, ich aber auch russische, hatten wir den Vergleich. Es ist so: Trotz des 2. Weltkrieges hat es nach 2014 in Russland - mit ganz wenigen Ausnahmen - keine antideutsche Hetze gegeben. Umgekehrt dagegen schon ...

          Das war der Punkt: Die grundsätzlich einseitige und negative Haltung hierzulande gegenüber Russland. Und das trotz der großen Deutschfreundlichkeit in der russischen Bevölkerung, die sich auch in der Rolle von Deutsch als Fremdsprache ausdrückt.

          Konstantin Remtschukow, Herausgeber der "Nezavisimaia gazeta" ist gewiss ein Putin-Gegner, gleichzeitig aber auch ein Kritiker der westlichen ausgrenzenden Politik gegenüber Russland. Der ist nun nicht germanophil, aber sonst schien mir seine Sicht (vor der erzwungenen Selbstzensur der NG ab 2022) in vielem der Sicht meiner Ex-Kollegen zu entsprechen.

          Es scheint mir hier leider ignoriert zu werden, dass es in Russland viele ursprünglich "prowestliche" Leute gibt, die anfangs "Putinisten" waren, weil sie ihn für einen Modernisierer hielten. Die jetzt aber an Putin genauso verzweifeln wie an der Haltung des Westens gegenüber Russland. Die sich zwischen zwei Übeln sehen.

          • @Kohlrabi:

            "Was mir allerdings mehrfach - und m.E. zu Recht - vorgehalten wurde, war die völlig einseitige antirussische Berichterstattung in fast allen deutschen Medien nach 2014 (teils auch zuvor)."

            Jaja, "antirussisch". Russland hatte ja auch "nur" den Euromaidan blutig beendet, einen unerklärten Angriffskrieg in der Ukraine begonnen, die Krim okkupiert, diverse Putin-Gegner ermordet (oder dies versucht), etc. pp.



            Da kann man Berichterstattung mit Kritik an Russland natürlich nicht anders als "antirussisch" nennen, gell?

            Achja, fragen Sie die "ursprünglich prowestlichen Leute" doch mal, wie sie sich die Rolle Russlands in einer friedlichen Welt vorstellen.



            Ein Land mit der Wirtschaftskraft Italiens kann nämlich in o.g. Situation nicht "bei den Großen" mitspielen. Und DAS ist IMHO der Kern des gesamten Problems.

          • @Kohlrabi:

            Was verstehen Sie unter "antirussischer Berichterstattung" oder gar antirussischer Hetze?

            Dass es nach 2014 massive Kritik an der russischen Politik und ihrer Führung gegeben hat: ja, was denn sonst?

            Ich kenne keine auch nur halbwegs seriöse Medien, die gegen Russen gehetzt hätten. Wohl aber das Gekläffe von AfD-Anhängern und Putin-Fans, die Kritik an ihrem Idol gerne als "antirussisch" labeln wollten.

    • @Sam Spade:

      Das mit der "verrohten und xenophob grundierten Gesellschaft" halte ich auch für falsch. "Müdigkeit und Resignation" trifft es sicher besser. Das ist zumindest mein Eindruck aus der sporadischen Kommunikation mit früheren Freunden und Kollegen in Russland. Die fühlen sich irgendwie von der eigenen Führung verraten, aber auch vom Westen verraten wegen der jahrzehntelangen antirussischen Haltung hierzulande.

      Und "xenophob" ist die russländische Gesellschaft wohl nicht mehr und nicht weniger als die anderen europäischen Gesellschaften.

      Es gibt im Russischen - anders als im Deutschen - übrigens ein klare sprachliche Unterscheidung zwischen Ethnos und Demos.

      "russkij" meint die Ethnie und die Sprache. "rossiiskij" dagegen meint den Staat und die Staatsbürgerschaft. Ein russländischer Baschkire z.B. ist ein "rossianin", auch wenn er sich nicht ethnisch als "russkij" versteht.

      Um diese Differenz in Deutschland aufzumachen, müsste man zwischen (ethnischen) "Deutschen" und (staatlichen) "Deutschländern" unterscheiden. Das ist hier unüblich, in Russland aber eine selbstverständliche Unterscheidung, der nichts Diskriminierendes innewohnt.

      Es ist eben ein Vielvölkerstaat, wo in den einzelnen Regionen neben dem Russischen immer auch die Sprache der Titularnation als Amtssprache anerkannt ist (Tatarisch, Burjatisch, Udmurtisch etc.)

    • @Sam Spade:

      "Aussagen von Exilrussen geben eher das Bild einer 'müden' und resignierten Gesellschaft wieder, der eine Vision für die Zukunft fehlt."

      Der russische Schriftsteller Sergei Lebedew

      de.wikipedia.org/w...gejewitsch_Lebedew

      über den auch schon mehrfach in der taz berichtet wurde, hat das kürzlich (noch vor dem Anschlag) in einem Beitrag für die NZZ so formuliert:

      "Es ist zu befürchten, dass die Bevölkerung Russlands durch die Sprache der Propaganda mittlerweile völlig korrumpiert ist. Die Menschen treibt nicht allein die Angst, für das Aussprechen der Wahrheit bestraft zu werden. Sie sind auch dabei, ihre unmerkliche Gewöhnung an das Böse und an die Lügen vor sich selber zu verleugnen. So folgt dem allmählichen Erlöschen von Kritik und Selbstkritik am Ende die moralische Apathie."

  • Klar vertreibt noch die verbliebenen Arbeitskräfte, dann wird ganz toll in Russland. Und die Instabilität die man in Zentralasien erzeugt wird natürlich auch kein Problem für Russland. Das Land hat so fertig.

  • Russland wie es wirklich ist. Ein Land in dem Gewalt, Folter und Rassismus zur Tagesordnung gehört und von Putin auf eine neue Stufe gehoben wird.



    Und es gibt tatsächlich noch Leute wie Wagenknecht, die Russlands tagtägliche Kriegsverbrechen mit „Kriegsverbrechen gibt es leider in jedem Krieg“ abtun. Bei Russland ist es aber die Regel und nicht die Ausnahme.



    In der russischen Armee und den Sicherheitskräften wird man dazu erzogen Kriegsverbrechen und Folter offensiv anzuwenden.

    • @DocSnyder:

      Diese Melodie tönt jetzt seit zwei Jahren. Ich finde sie nicht überzeugend. Krieg ist fürchterlich. Kriege sind fürchterlich. Dieser Krieg ist fürchterlich -- aber was diesen Krieg jetzt so viel brutaler und verbrecherischer machen soll als andere Kriege ist unklar. Mir scheint dieser Eindruck eher der sehr professionellen Arbeit der Ukr im Informationsfeld geschuldet. D.h. ich sehe nicht wo dieser Krieg jetzt qualitativ schlimmer sein soll, als Afghanistan 1 (1-2 Mio Tote), Afghanistan 2 (ca 200000 Tote), Irak (ca 1 Mio Tote)..... Ich finde auch die Verwendung von Vokabeln wie "Vernichtungskrieg" unpassend, weil diese Worte für etwas sehr spezifisches geprägt wurden, was hier eben einfach nicht der Fall ist. So schrecklich der Krieg ist -- ich höre aus dem Kreml keine Wünsche der Vernichtung aller Ukrainer*innen und das Geschehen auf dem Gefechtsfeld gibt das auch nicht her. Es gibt Kriegsverbrechen - aber ich habe nicht den Eindruck, dass diese systematischer sind, als in den meisten anderen Kriegen. Der 2. WK ist eine dieser Ausnahmen.



      Ich denke es wäre ein Anfang zu begreifen, dass Kriege eigene Dynamiken hervor bringen, die zu Gräuel führen. Kriegsverbrechen alleine auf die "bösartige" Natur des Gegners zurückzuführen, ist Teil einer unanalytischen, aber emotional nachvollziehbaren, Sichtweise, die nicht hilfreich ist, zur Lösung des Problems beizutragen, weil sie dämonisiert und damit zusätzliche Gesprächshürden errichtet.

    • @DocSnyder:

      "In der russischen Armee und den Sicherheitskräften wird man dazu erzogen Kriegsverbrechen und Folter offensiv anzuwenden."

      Wie kommen Sie darauf?



      Das wird von Vorgesetzten angeordnet und in einigen Einheiten der Sicherheitskräfte gibt es Spezialisten für derartige" Perversitäten". Sie gehören aber bestimmt nicht zum militärischen Ausbildungsprogramm.

      • @Sam Spade:

        Die Einheiten, die in Butscha zig Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hatten, wurden von Putin mit Orden überhäuft. Ich nenne das Erziehung zu Kriegsverbrechen.

        www.spiegel.de/aus...-a81f-67254ff02de2

      • @Sam Spade:

        Wikipedia so;

        "Jedes Jahr werden Soldaten als Invaliden aufgrund von Misshandlungen, Vergewaltigungen und psychischen Peinigungen aus der russischen Armee entlassen. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums gab es im Jahr 2010 bis Anfang September mehr als 1700 Dedowschtschina-Opfer. Im Jahr 2005 starben 16 Soldaten an den Folgen von Misshandlungen, 276 begingen nach Quälereien und Erniedrigungen durch Vorgesetzte Suizid, andere Quellen sprechen von über 500 Opfern."

        de.wikipedia.org/w...schina?wprov=sfla1

        • @Jim Hawkins:

          Ein erschreckender Bericht, der aber nichts darüber aussagt, dass Folter zur Militärdoktrin gehört. Die brutalen Methoden innerhalb der Truppe sind ja hinlänglich bekannt. Es ging jedoch darum, ob systematisch vermittelt wird und die Soldaten darauf gedrillt werden, in Konfliktsituationen Folter und Missbrauch anzuwenden oder ob es situationsabhängig von Vorgesetzten angeordnet wird.

          • @Sam Spade:

            Wie feinsinnig angesichts solcher barbarischen Methoden.

            Es mag keine Anweisungen geben, aber wohl einen Konsens.

            • @Jim Hawkins:

              Bin für Sensibilität bekannt, übernehme meist den Long John Silver Part. Ist facettenreicher.

              • @Sam Spade:

                Oha, scheint, ich habe einen neuen Verehrer.

      • @Sam Spade:

        Leider wenn man so will doch. In der russischen Armee hat Misshandlung und Gewalt von Soldaten (zur Erzeugung machistischer Härte) untereinander eine lange Tradition. Stichwort dafür wäre etwa „Dedowschtschina“. Wenn diese Brutalität schon untereinander herrscht, kann man sich vorstellen wie das erst nach außen gewendet wirkt...

      • @Sam Spade:

        Danke für Ihren sachlichen Kommentar.

      • @Sam Spade:

        "In der russischen Armee und den Sicherheitskräften wird man dazu erzogen Kriegsverbrechen und Folter offensiv anzuwenden."

        Wie kommen Sie darauf?"

        Dedovshchina, die Herrschaft der Großväter. In der russischen Armee wird so den Soldaten die Menschlichkeit ausgetrieben. Findet sich auch in anderen Teilen.

        Klar gibt es in Russland nicht für jeden Soldaten einen Folterkurs, aber es wird institutionell Grausamkeit normalisiert.

  • "Folter, Vergewaltigungen und schwere Misshandlungen waren und sind in Russland gängige Methode, um aus Beschuldigten Geständnisse herauszuprügeln"

    Leider wahr. Und nicht nur im Bereich Strafverfolgung und Beschuldigte. Ukrainer, Georgier, Tschetschenen, Balten,... können da einiges berichten.

    • @Bussard:

      Es betrifft genauso eigene Landsleute, besonders beim Militär.



      Dort gehören Misshandlungen zur Ausbildung. Sie sollen verdeutlichen, was von den Soldaten gegenüber ihren "Feinden" erwartet wird, und es funktioniert.