Linksliberale und die Hamas: Welche Linke?

Die Sympathie linker Intellektueller mit der Hamas hat mit Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wenig zu tun. Nicht alle lassen sich blenden.

Eine mit einer Fahne der Palestinenser vermummte Person

Pro-Palästina-Protest am 26. Oktober in New York Foto: Eduardo Munoz/reuters

Anlässlich der kaum erträglichen Solidaritätsbekundungen von Intellektuellen, die in der öffentlichen Debatte links verortet werden, heißt es, „die Linke“ habe kollektiv versagt. Einspruch: Da muss man schon genauer sagen, wer damit gemeint ist. Die organisierte Parteilinke, die sich in Deutschland gerade selbst abschafft. Die sozial-emanzipatorischen Bewegungen, die ganz diverse Ziele verfolgen.

Eine diffuse „linksliberale Öffentlichkeit“, für die dann prominente Sprecher wie Slavoj Žižek oder Judith Butler stehen sollen, die eine antisemitisch und genozidal ausgerichtete Terrorgruppe mehr oder weniger in ihren Kampf gegen das Empire einschließt. Was bitte soll daran links sein? Die Linke steht in der parlamentarischen Sitzordnung seit dem frühen 19. Jahrhundert für Freiheit, Gleichheit und Solidarität und gegen alle Verhältnisse, „in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (Karl Marx).

Das tat die als Partei, Gewerkschaft und Genossenschaft organisierte Arbeiterbewegung im Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung. Das ergänzten neue soziale Bewegungen um andere, im linken Mainstream vernachlässigte emanzipatorische Ziele, darunter die Gleichstellung der Frauen und ethnisch-kulturellen Minderheiten sowie heute vor allem die sexuelle Selbstbestimmung.

Auf diesen Fundamenten machten diverse Strömungen der Linken, deren Hauptunterschiede die legitime Anwendung von Gewalt und die Zulassung innerer Demokratie waren, Politik. Hier hat sich schon in der Sozialdemokratie des 19. Jahrhunderts und vor allem in den kommunistischen Flügeln ein autoritäres Kommando­muster durchgesetzt, das den proklamierten emanzipatorischen Zielen völlig entgegenstand. Stalinismus und Maoismus an der Macht waren die logischen Endstufen dieses totalitären Umschlags.

Blankoscheck für Antiamerikanismus

Dagegen hat sich im 20. Jahrhundert eine „zweite Linke“ gebildet, die antiautoritär und antitotalitär gesinnt war und die Grundpfeiler pluralistischer Demokratie anerkannte. Und mit Blick auf die ökologische Problematik sagte man einem idealisierten Proletariat Adieu. Die aktuelle Verwirrung und Verirrung, die in der Hamas-Freundlichkeit zum Ausdruck kommt, hat ihre Vorgeschichte.

Der Geburtsfehler der nach 1945 unter dem Motto „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ versammelten Linken bestand in der Negation der „westlichen Werte“ von Demokratie und Menschenrechten, die es dem Sowjetkommunismus leicht machte, politische und soziale Proteste im Westen zu kapern. Gewiss waren die westlichen Bündnisse – Nato, EWG – gerade im Hinblick auf den fortbestehenden Kolonialismus, das Wettrüsten und eine neoliberale Wirtschaftspolitik problematisch.

Aber das hätte kein Blankoscheck für einen kruden Antiamerikanismus und nationalneutralistische „Dritte Wege“ sein dürfen, die im organisierten Pazifismus von den 1950er bis in die 1990er Jahre (und heute wieder in Hinsicht auf die Aggression gegen die Ukraine) zur faktischen Allianz mit (sowjet)russischen Zielen führte – ganz abgesehen vom unsäglichen Schulterschluss westlicher K-Gruppen mit der maoistischen Diktatur in China und Terrorregimen in Südostasien.

Dahin führte die problematische Auslegung der faschistischen Vergangenheit, die in den 1990er Jahren ethnische Säuberungen in Bosnien geschehen ließ, weil einmal die Wehrmacht in Serbien Unheil angerichtet hatte. Zwar hieß die Parole „Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz!“, aber eine aktive Verhinderung genozidaler Vernichtung war darin nicht einmal eingeschlossen, als nach 1990 wieder Juden deren bevorzugte Ziele wurden.

Wende vom Klassen- zum Kulturkampf

Hier wirkt die Erbschaft des „Tiersmondisme“ fort, der uneingeschränkten Parteinahme für antikoloniale Bewegungen, die auch nicht zerfiel, als sich diese Befreiungsbewegungen mit Russland und China verbündeten und in Staatsklassen verwandelten, die ihre Völker ausplünderten und malträtierten.

So haben viele linke „Antiimperialisten“, die aus nachvollziehbaren Gründen Solidarität mit dem palästinensischen Volk bekunden wollten, die Augen verschlossen vor einem anfangs in der PLO und dann vor allem in ihren radikalen Abspaltungen weit verbreiteten, letztlich exterministischen Judenhass. Diese Verirrung hat wiederum mit der verhängnisvollen Wende vom Klassen- zum Kulturkampf zu tun, die Linke seit den 1970er Jahren vollzogen haben.

Vom überfälligen „Adieu au Prolétariat“ (André Gorz) war schon die Rede, aber die Konsequenz hätte nicht sein dürfen, soziale Ungleichheitsverhältnisse „intersektional“ aufzuspalten, womit Identitätsfragen – bekanntlich die Domäne des Ethno-Nationalismus der Neuen Rechten! – ins Zentrum rückten. Die diversen Anliegen des „Patchworks der Minderheiten“ sind durchaus berechtigt, aber dass (identitär gesprochen) nur noch Betroffene für sich sprechen sollen, hat der übergreifenden Solidarität der Bürger- und Menschenrechtsbewegungen die Basis entzogen.

Das Durchschlagen linken Antisemitismus in der BDS-Bewegung gegen den „Apartheidstaat“ Israel, im in der französischen Linken sehr verbreiteten „Islamo-Gauchisme“, der die Irrtümer des Tiersmondisme fortsetzt und nun zur verdrucksten oder ganz offenen Sympathie mit der Hamas steigert, ist eine moralische Bankrott-Erklärung. Aber nicht pauschal „der Linken“, die sich von der genozidalen Politik Russlands und der Islamisten nicht durchweg täuschen lässt.

Putin und die Hamas verfolgen ähnliche exterministische Ziele und machen sich die Naivität eines abstrakten Antifaschismus und Antiimperialismus zunutze. Sie verraten sämtliche Grundprinzipien von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit und wollen dafür sorgen, dass die Ukraine und Israel von der Landkarte verschwinden und die dort leben­den Menschen erniedrigt, geknechtet, verlassen und verächtlich gemacht werden.

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ist Politologe und war Ludwig-Börne-Professor an der Universität Gießen. Von 2007 bis 2015 leitete er das Kulturwissenschaftliche Institut in Essen.

wurde 1945 in Frankreich geboren. Er ist Publizist und Politiker der Grünen und lebt in Paris und Frankfurt am Main.

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