Bürgergeld und Lohnabstand: Neid muss ernst genommen werden

Wer arbeitet, hat deutlich mehr Geld als Bürgergeldempfänger:innen, sagen neue Zahlen. Die Politik muss dennoch mit wachsender Missgunst umgehen.

Menschen in einer Einkaufstraße

Mit der Inflation steigt auch die Unzufriedenheit Foto: Michael Gstettenbauer/imago

Die neueste Rechnung kommt vom WSI-Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung: Ein Single, der in Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, hat ab 2024 im Monat 532 Euro mehr zur Verfügung als ein Mensch in vergleichbarer Konstellation, der nur vom Bürgergeld lebt. Eine vierköpfige Familie mit einem Vollzeitverdiener zum Mindestlohn hat bis zu 634 Euro mehr als ein vergleichbarer Haushalt im Bürgergeldbezug.

Arbeit lohnt sich, auch noch 2024, auch noch zum Mindestlohn – das ist die Botschaft, die einige So­zi­al­po­li­ti­ker:in­nen der Ampelregierung erst mal aufatmen lässt. Denn die relativ deutliche Anhebung der Regelsätze im Bürgergeld zum Jahr 2024, eine Folge der Inflation, hat vielerorts die Befürchtung geweckt, jetzt könne sie wieder so richtig losgehen, die Debatte über die zu hohen Sozialleistungen, die angeblich Menschen zur Faulheit verleiten und Mindestlöhner mit Vollzeitjob als Trottel dastehen lassen. Dabei steigen mit dem Anheben der Regelsätze auch die Ansprüche von Erwerbstätigen auf aufstockendes Bürgergeld.

Allerdings gibt es bestimmte Kon­stel­la­tio­nen, in denen die Einkommensunterschiede zwischen den Be­zie­he­r:in­nen von Sozialleistungen einerseits und den Erwerbstätigen andererseits nahezu wegfallen. Das kann etwa der Fall sein, wenn man Vergünstigungen wie kostenloses Schulessen, Beitragsfreiheit in der Kita und andere Erleichterungen verliert, sofern man bestimmte Einkommensgrenzen für Bürgergeld oder Kinderzuschlag knapp überschreitet. Diese Einzelfälle fördern die toxische Erzählung über die angeblich privilegierten Bürgergeldbezieher:innen.

Mit solchen Narrativen werden wir uns künftig mehr herumschlagen müssen. Denn die Inflation triggert die Unzufriedenheit gerade auch der geringer verdienenden Mittelschicht­milieus über eine schwindende Kaufkraft, und das kann einen Sozialstaat zersetzen. Mit der Anhebung des Bürgergelds steigt daher auch der Druck, Löhne zu erhöhen und soziale Angebote breit zugänglich zu machen. Wie die Politik mit diesem Druck umgeht und die Unzufriedenen mitnimmt, ist die Frage der Zukunft.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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