Die Klimasabotage der Union: Verhindern, verzögern, unterlassen
Die CDU ist eng mit der fossilen Industrie verbandelt. 20 Jahre lang blockierten Partei und Lobbyisten gemeinsam die Klimapolitik. Eine taz-Recherche.
E s ist ein Dienstag Ende Mai, der Wirtschaftsrat der CDU hat zu seinem alljährlichen Höhepunkt geladen: dem „Wirtschaftstag“. Getagt wird unter riesigen Kronleuchtern im Hotel Marriott, am Rande des Tiergartens im Berliner Regierungsviertel. Vorstandschef*innen, Verbandsfunktionäre, Politiker:innen und Unternehmer*innen sind der Einladung gefolgt.
Empfohlener externer Inhalt
Gemeinsam mit Astrid Hamker, der Präsidentin des Vereins, zieht der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck in den Saal ein. Die Bild wütet in diesen Tagen fast täglich gegen Habecks „Heiz-Hammer“ – und die Union auch.
Der Applaus der über 2.000 Gäste für Habeck verebbt schnell, es ist ruhig im Saal – und der Weg bis zur Bühne weit. „Sie dürfen auch klatschen“, sagt die Moderatorin beschwörend in die Stille hinein. Dann steht Astrid Hamker, langes blondes Haar, Brille, blaues Kleid, am Redepult, links von ihr sitzt Habeck auf dem Podium, ziemlich einsam an einem langen Tisch.
Hamker ist Gesellschafterin der Osnabrücker Piepenbrock-Gruppe, einem Unternehmen mit über 27.000 MitarbeiterInnen und mehr als 600 Millionen Euro Jahresumsatz. Und sie ist Präsidentin des Wirtschaftsrats. Auf der Bühne holt sie jetzt den Holzhammer raus. Spricht von „Ernüchterung, Enttäuschung, Verärgerung“. Die Ampel, vor allem aber Habeck, würde „die Grundlagen unseres Wohlstands demontieren“. Eine „ideologiegetriebene Politik“ betreiben, „die sich einzig und allein dem Klimaschutz, aber nicht dem Wohl der deutschen Wirtschaft verpflichtet fühlt.“ Applaus. So geht es weiter: Atomausstieg, Verbrenner-Aus, Heizungstausch – aus ihrer Sicht macht Habeck alles falsch. Dass 16 Jahre lang die CDU an der Spitze der Regierung stand und manches davon zu verantworten hat – dazu kein Wort.
Die Akteure
Das Wissen über die Klimakrise ist da, das gesellschaftliche Bewusstsein auch. Was fehlt, sind Konsequenzen: Politische Entscheidungen, die die nötigen Veränderungen zügig vorantreiben. Für diese Blockade sind nicht „die Verhältnisse“ verantwortlich, es gibt konkret Verantwortliche. Das sind Akteure, die die Interessen klimaschädlicher Industrien vertreten, an diesen verdienen und nötige Veränderungen verhindern oder verschleppen.
Die Serie
In der vom Weltklimastreik am 3. März bis Ende 2023 laufenden Serie „Klimasabotage“ fragt die taz: Wer sabotiert die Entscheidungen, die das Klima und unsere Lebensgrundlagen retten? Wer blockiert, was nötig ist – und warum? Wer führt uns in die Krise?
Der Schwerpunkt
Die Schwerpunktseite Klimasabotage auf taz.de versammelt bereits zahlreiche Texte zum Thema. Zuletzt haben wir uns unter anderem der fossilen SPD gewidmet: Das Blockieren von Klimaschutz ist schon in der Struktur der Partei angelegt – durch Verflechtungen mit der Wirtschaft, durch Gewerkschaftsnähe und durch Traditionen.
Während Hamker im Saal des Marriott-Hotels verbal auf ihn eintrümmert, macht sich Habeck Notizen. Als er das Wort erhält, outet Habeck sich als Fan der sozialen Marktwirtschaft, zitiert Norbert Blüm. Die Stärke der sozialen Marktwirtschaft sei die Fähigkeit, Widersprüche zu vereinen. Es ist ein rhetorischer Ritt, der den Wirtschaftsrat bei seinen Wurzeln packt. Habeck fordert „Lauterkeit der Argumente“ und sagt, in der Kritik der letzten Tage, Wochen und Monate sei einiges nicht durchdacht worden – was auch für die Worte der Präsidentin gelte.
Habeck wird mit Applaus verabschiedet. Doch an diesem Tag treffen Welten aufeinander.
In weniger als 22 Jahren soll Deutschland klimaneutral sein, die Auseinandersetzungen darum nehmen an Schärfe zu. Die Grünen verweisen auf „16 Jahre Stillstand“ – die Klimabilanz der Union sei der Grund, dass heute alles schwieriger ist, als es sein könnte.
Die Bewahrung der Schöpfung sei ein „urkonservatives Thema, das sich die Union seit je auf die Fahne geschrieben hat“, heißt es bei der Union gern. Doch der Parteivorsitzende Friedrich Merz findet, Klimaschutz dürfe „nicht verabsolutiert“ werden, während in Kanada die Wälder brennen und Südfrankreich kein Wasser mehr hat. Und das zieht: In der Sonntagsfrage kommt die Union mit 29 Prozent auf Platz 1.
Die Partei verweist gern darauf, dass es die CDUlerin Angela Merkel war, die 1997 als Umweltministerin den Verhandlungen für das Kyoto-Protokoll zum Durchbruch verhalf. Und es war die von ihr geführte Große Koalition, die das Pariser Klimaschutzabkommen 2015 vorantrieb und beschloss – ebenso wie das Klimaschutzgesetz, das CO2-Neutralität bis 2045 vorsieht.
Doch die Bilanz ist eine andere. Ob Kohleausstieg, Verkehrswende, Erneuerbare, Landwirtschaft: Die Union stellte seit 2005 viele der zuständigen Minister *innen – und blockierte den Klimaschutz, verschleppte ihn oder blieb untätig. Und das kommt nicht von ungefähr. Ihre Politik wird seit Jahrzehnten von Menschen mitbestimmt, die Klimaschutz aus wirtschaftlichen Interessen oder ideologischen Gründen sabotieren.
Der Wirtschaftsrat
Der Wirtschaftsrat ist dabei ein wichtiger Akteur. Seine Präsidentin Hamker und Friedrich Merz kennen sich gut. Bevor Merz Parteichef wurde, war er Hamkers Stellvertreter im Wirtschaftsrat und saß im Präsidium. Das aktuelle Ziel der Lobbyorganisation steht ganz im Einklang mit jenem der CDU: das Gebäudeenergiegesetz zu verhindern. „Das Gesetz muss komplett neu geschrieben werden“, sagt Hamker.
Sie betont, dass sich der Wirtschaftsrat zu den Klimazielen bekenne. Doch Klimaschutz und das Wohl der Wirtschaft – aus ihrer Sicht scheinen das gegensätzliche Pole zu sein. Was wohl heißt, dass man die Wirtschaft vor dem Klimaschutz schützen muss. Und genau daran arbeitet der Wirtschaftsrat seit Langem.
Er ist eine einflussreiche Lobbyorganisation, mit 12.000 Unternehmer*innen als Mitgliedern und in einer merkwürdigen Zwitterposition. Der Wirtschaftsrat trägt die CDU im Namen, ist aber keine Parteiorganisation. Doch Präsidentin Hamker gehört qua Amt dem CDU-Bundesvorstand an. Sie nimmt an dessen Sitzungen teil, hat Rederecht – und kann die Partei direkt beeinflussen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Der Wirtschaftsrat, ein eingetragener Verein, ist also nicht an das Parteiengesetz und dessen Transparenzregeln gebunden. Er vermeidet gleichzeitig durch seine Parteinähe das negative Image einer Lobbyorganisation. „Eine problematische Doppelrolle,“ sagt Christina Deckwirth von der NGO Lobbycontrol. Sie hat eine Studie zur Klimapolitik des Wirtschaftsrats erstellt. Ihr Urteil: Der Verein sei ein „besonders starker und einflussreicher Klimaschutz-Bremser“.
Der Rat warnt vor „Aktionismus beim Klimaschutz“. Im September 2021 forderte er gar ein „Verbot von Klimaklagen“ gegen Großkonzerne. Umweltschutzorganisationen versuchen mit solchen Klagen, Konzerne zur Einhaltung der Klimaschutzziele zu zwingen.
Die Fachkommission Energiepolitik des Wirtschaftsrates leitet das Eon-Vorstandsmitglied Patrick Lammers. Im Präsidium und Bundesvorstand sitzen die Auto-, Flugzeug- und Braunkohleindustrie.
2013 nahm der Wirtschaftsrat das Erneuerbare-Energien-Gesetz unter Beschuss und forderte eine Kürzung der Einspeisevergütung für Photovoltaik. 2019, während die schwarz-rote Bundesregierung über das Klimapaket stritt, konnte der Wirtschaftsrat seine Forderung nach „bezahlbarer Energie“ im CDU/CSU-Konzept ‚Klimaeffizientes Deutschland‘ festschreiben. „Der Einsatz des Wirtschaftsrats, dass Unternehmen möglichst wenig für die Energiewende zahlen sollen, kam bei der Union an“, urteilt Lobbycontrol.
Während laut Lobbycontrol andere Verbände Anfang 2020 ihre offiziellen Stellungnahmen zum Kohleausstieg beim Wirtschaftsministerium einreichten, drohte der Wirtschaftsrat direkt beim Minister, bei zu schnellem Ausstieg käme es zu kostspieligen Klagen. Die Ministeriumsspitzen trafen sich mit den Kohlekraftwerks-Betreibern EnBW, RWE, Uniper, Vattenfall, Steag. Laut Lobbycontrol hatten drei der fünf anwesenden Unternehmen im Jahr 2020 Veranstaltungen des Wirtschaftsrats gesponsert, an denen auch der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier und sein Staatssekretär Andreas Feicht teilnahmen. Am Ende, so Lobbycontrol, wurde ein Kohleausstiegsgesetz beschlossen, das „deutliche Zugeständnisse“ für neuere Steinkohlekraftwerke enthielt – unter anderem eine „Härtefallregelung“.
Doch was Sabotage wirksamen Klimaschutzes angeht, ist der Wirtschaftsrat bei Weitem nicht der einzige Akteur in der Union.
Das Bermudadreieck
Als Bermudadreieck der Energiewende in der Welt der CDU galten lange drei Politiker, die teils eng mit dem Wirtschaftsrat verbunden sind: Carsten Linnemann, Thomas Bareiß und Joachim Pfeiffer. Jede klimapolitische Idee, jedes Bemühen um substanziellen Klimaschutz, das in der Vergangenheit zwischen diese einflussreichen Unionspolitiker geriet, ging dort irgendwie verloren. Eine CO2-Steuer, Sektoren-Einsparziele, die Klimaabgabe für die Braunkohle, ein deutsches Klimaschutzgesetz – die drei CDUler wussten die Vorschläge stets zu verhindern oder zumindest zu verzögern.
Da ist zunächst Carsten Linnemann, der von 2013 bis 2021 Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), des Wirtschaftsflügels der CDU, war: Diese zählt 25.000 Mitglieder und bezeichnet sich selbst als „einflussreichster parteipolitischer Wirtschaftsverband in Deutschland“. Im Grundsatzprogramm der MIT, das Linnemann mitformulierte, heißt es: „Das Fördersystem für erneuerbare Energien gefährdet die Netzstabilität und verteuert den Strom in unzumutbarem Maße.“ Wegen der hohen Strompreise drohe die De-Industrialisierung Deutschlands nicht, „sie findet statt“.
Carsten Linnemann war aber nicht nur Chef dieser Parteivereinigung, seit 2009 ist er auch Abgeordneter und seit 2013 Bundesvorstand der CDU. Das ist praktisch, denn dadurch konnte er in die Politik der Union das einspeisen, was seine Organisation fordert: weniger erneuerbare Energie. Als Bundestagsabgeordneter hat sich Linnemann jahrelang für Abstandsregeln in der Windkraft starkgemacht. 2020 sagte er: „Ich sehe die Abstandsregeln als Chance, das Thema zu befrieden.“ Ein Kilometer zwischen Windrad und nächstem Haus sorgte vielerorts dafür, dass Projekte nicht gebaut werden konnten. Es war eine der wirksamsten Bremsen für den Ausbau der Windenergie in Deutschland. Linnemann hatte im MIT-Grundsatzprogramm argumentiert, dass Klimaschutz „nicht durch Planwirtschaft, Dirigismus und Verbote“ zu erreichen sei. 2022 wurde er stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU. Aktuell leitet er die Kommission für ein neues Grundsatzprogramm der Partei.
Der zweite im christdemokratischen Bermudadreieck ist Thomas Bareiß, von 2010 bis 2018 zuständig für Energiepolitik in der Unionsfraktion. Danach war er bis 2021 parlamentarischer Staatssekretär bei Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und auch dort zuständig für die Energiepolitik. Greenpeace listet im „Schwarzbuch Klimabremser“ Bareiß’ politisches Wirken seit 2005 auf und kommt zu dem Schluss, er habe „maßgeblich dafür sorgt, dass die Erneuerbaren Energien ausgebremst werden und die Bundesregierung ihre Klimaziele verpasst“.
Ohne Erdgas sei die Energieversorgung „nicht denkbar“, Gas „unverzichtbar“, sagte Bareiß 2019 in einer Publikation des Lobbyverbands „Zukunft Gas“, in dem Energiekonzerne wie Shell, Total, Wintershall Dea oder die Gazprom-Tochter Wingas Mitglied sind. Bareiß saß bis zu seiner Berufung als Staatssekretär 2018 dort im Beirat. Und bis 2021 war er Vorsitzender des „Beirats Energie“ der Lobbyorganisation „Gesellschaft zum Studium strukturpolitischer Fragen“, in dem die Gas- und Braunkohleindustrie sitzt. Heute unterstützt Bareiß als verkehrspolitischer Sprecher der Union die Bemühungen der FDP gegen das Verbrenner-Aus.
Joachim Pfeiffer ist die dritte Koordinate im Bermudadreieck der Energiewende. Wie kaum ein anderer prägte der Betriebswirt aus dem schwäbischen Waiblingen die Klimapolitik der Union, zuletzt bis 2021 als wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Als Mitglied des Wirtschaftsausschusses schrieb der heute 56-Jährige die energiepolitische Gesetzgebung im Bundestag mit. Pfeiffer nannte Klimaschutz „Ersatzreligion“, die Debatte über die Erderhitzung „alarmistisch“, die Photovoltaikbranche bezeichnete er als „Solarmafia“, Klimaschützer wie die Deutsche Umwelthilfe als „semi-kriminelle Vereinigung“. Die Umsetzung der EU-Richtlinie zum Kyoto-Protokoll war für ihn eine „gezielte Deindustrialisierung Deutschlands“.
Deutsche Technologie zur Kohleverstromung hingegen könne „helfen, das Klima zu schützen“ – wer sich über solche Aussagen wundert, muss wissen, dass Pfeiffer langjähriges Mitglied im Beirat der Hitachi Power Europe GmbH saß. Der japanische Kraftwerkkonzern Hitachi lieferte 2009 unter anderem Kessel und Dampfturbine für das neue Kohlekraftwerk in Duisburg-Walsum. Pfeiffer war auch bis Ende 2014 Mitglied im Aufsichtsrat des Kraftwerk-Dienstleisters Kofler Energies Power AG und verdiente dort bis zu 30.000 Euro jährlich hinzu. Zudem war Pfeiffer Mitglied im Aufsichtsrat eines kanadischen Ölmultis. Dieses Mandat legte er Ende 2020 nieder.
In Groko-Zeiten waren fast alle klimapolitisch wichtigen Posten „vom Wirtschaftsflügel besetzt“, schreibt Greenpeace: „Wirtschaftsliberale, die im Klimaschutz vor allem Wettbewerbsnachteile sehen.“
Das hatte Folgen.
Die Merkeljahre
Die skandinavischen Länder fingen an, Wärmepumpen zu installieren, als Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde. Heute heizen dort bis zu 60 Prozent aller Haushalte mit einer Wärmepumpe – in Deutschland sind es 2,8 Prozent. Zu Beginn von Merkels Amtszeit stieß der deutsche Verkehr etwa 150 Millionen Tonnen CO2 im Jahr aus – 2021 war es fast exakt genauso viel. Japan drückte die Verkehrsemissionen in derselben Zeit um ein Drittel. In Merkels Amtszeit ging der jährliche Zubau der Solarenergie-Leistung von 46 Prozent im Jahr 2005 auf 9,6 Prozent im Jahr 2021 zurück. Dazwischen lag ein einzigartiger Abbau der Förderung erneuerbarer Energien, inklusive massenhafter Firmenpleiten.
Er „gebe zu, dass wir in den letzten Jahren auch Fehler gemacht und zu spät gehandelt haben“, sagte der Ex-Wirtschaftsminister Peter Altmaier in einem Interview zur Klimabilanz schon im Jahr 2020. Doch viele andere in der Partei wollen diese Verantwortung bis heute nicht anerkennen. Lieber giften sie gegen das Heizungsgesetz der Ampel. Die Union verspricht den Menschen, ihnen die vermeintlichen Zumutungen des Klimaschutzes zu ersparen – und hat damit Erfolg. In Berlin stellt sie nach einem Anti-Verkehrswende-Wahlkampf den Bürgermeister – und der will Präventivhaft für Klimakleber und hält den Ausbau der Autobahn A 100 mitten durch die Stadt für „ganz entscheidend“.
Aus alldem ergibt sich das Bild einer Partei, die nie Programm-, sondern immer in erster Linie Machtpartei war. Deshalb hat sie bis heute statt einem echten Klimaschutzprogramm vor allem technokratische Luftschlösser und einen unerschütterlichen Glauben an den Markt, der das Klima schon retten werde, wenn man nur die richtigen Anreize setze.
Und deshalb kann sie auch der Versuchung nicht widerstehen, mit populistischem Klimaschutzbashing die Macht zurückzuerlangen. Nicht einfacher macht es der CDU ihr rechter Rand, für den Klimaschutz vor allem ein weiteres Feld im Kulturkampf ist. Dass aus den Reihen der Partei Habecks Heizungsgesetz als „Energie-Stasi“ attackiert wird, ist da nur folgerichtig.
Die grüne Union
Dabei gibt es innerhalb der Union auch Stimmen, die sich für den Klimaschutz einsetzen: Marlon Bröhr etwa, Bundestagsabgeordneter und Aufsichtsratsvorsitzender der „HunsrückSonne Kastellaun eG“, einer Bürgerenergiegenossenschaft mit fast 150 Mitgliedern. Oder Andreas Jung, der viele Jahre als Umweltpolitiker in der Fraktion arbeitete und heute stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU und klima- und energiepolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist.
Und es gibt Wiebke Winter.
Die zögert, als es darum geht, einen Interviewtermin zu machen, gar nicht mal aus ideologischen Gründen. Eher wegen der Zeit. Die 27-Jährige ist in den vergangenen vier Jahren das klimapolitische Gesicht der Union gewesen, bundesweit. Nach dem Bremer Wahlkampf, in dem Winter neben dem Landwirt Frank Imhoff das Spitzenduo für die Bürgerschaftswahl gebildet hatte, büffelt Winter jetzt wieder Jura. Das zweite Staatsexamen fehlt ihr noch.
Ihr bislang größter Coup war die Gründung des Vereins „KlimaUnion“ – da ist sie stellvertretende Vorsitzende. Und, ja doch, mindestens solange Armin Laschet im Wahlkampf 2021 Frontmann der Partei war, konnte es auf Außenstehende so wirken, als würde Winter für voll genommen. Das Klimathema hatte in Laschets Wahlprogramm Raum erhalten.
Wiebke Winter, Klimapolitikerin der CDU
Sie nennt den „Zukunftskongress“ im Berliner Tempodrom Ende April als Beleg für den klimapolitischen Aufbruch ihrer Partei. Ihr Vorsitzender Friedrich Merz hatte zwar zeitgleich im Zeit-Interview mit der Einschätzung für Aufsehen gesorgt, Klimaschutz werde überbewertet. Aber das ist eine Wahrnehmung, die Winter falsch findet: „Manchmal habe ich den Eindruck, dass die CDU in eine Ecke geschoben wird, in die sie aus meiner Sicht in gar keinem Fall hingehört“, sagt sie. Klar gebe es Diskussionen um den richtigen Weg zur Klimaneutralität, man sei schließlich Volkspartei. Aber „für uns ist ganz klar, Deutschland muss bis 2045 klimaneutral werden“.
Es passt, das kann man als vorbildlich diszipliniert loben, kein Blatt zwischen Winter und ihre Partei. Sie lobt die von ihrem Parteikollegen Peter Liese federführend ausgehandelte Reform des Zertifikatehandels in Brüssel und den „Green Deal“ von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Im Bundestagswahlkampf forderte Winter, „dass der Einbau von Wärmepumpen schnellstmöglich an Fahrt aufnimmt“, zudem „eine ambitionierte Novelle des Gebäudeenergiegesetzes“. An der aggressiven Kampagne, mit der die Union jetzt Stimmung dagegen gemacht hat, mag Winter trotzdem nichts falsch finden. „Die Wärmewende kann nur funktionieren, wenn unsere Bevölkerung das mitträgt und richtig findet“. Niemand sage ja, dass wir die Wärmewende nicht brauchen, sagt Winter. Das Gesetze habe eben „handwerkliche Fehler“. Diese zu benennen fällt der Juristin allerdings schwer. Es sei „viel zu früh kommuniziert worden, es fehlten Einigungen zum sozialen Ausgleich und es hat dadurch für Verunsicherung gesorgt“, das ist der einzige substanzielle Vorwurf, der bleibt.
„Viele machen sich bei uns Gedanken, wie können wir klimaneutral werden“, versichert Winter. Es sei wichtig, dass es in der Frage nicht nur den Ansatz von Fridays for Future gebe, die glaubten, das kapitalistische System überwinden zu müssen, um die Klimakatastrophe zu stoppen. „Wir sagen dagegen: Nein, wir brauchen die soziale Marktwirtschaft, um klimaneutrale Technologien auch zu exportieren.“
Eine klimaneutrale Welt, dank Marktwirtschaft und neuer Technologien, weitgehend ohne Einbußen. Was Winter andeutet, sagt Friedrich Merz deutlicher: Das Klimaproblem löse man „vor allem mit technischen Innovationen“ und schlug die – in Deutschland bislang verbotene – CO2-Abscheidung und -Verwertung vor.
Es sind solche Antworten, die CDUler gern geben: Kernfusion, E-Fuels, negative Emissionen, Fracking. Technologieoffenheit statt „ideologischer Denkverbote“. Die Vorschläge sind meist entweder nicht verfügbar oder bringen dem Klima nichts. E-Fuels nennt die Fraunhofer-Gesellschaft „nicht sinnvoll“, Kernfusion könnte frühestens in Jahrzehnten verfügbar sein, Anlagen zur Entnahme von Treibhausgasen aus der Atmosphäre ebenfalls. Solche Vorschläge halten aber die Illusion aufrecht, dass die Menschen ihren Lebensstil nicht ändern müssten. Es ist ein Konservatismus, der dem Subjekt nichts zumuten mag – und damit die Natur zerstört.
Seit Jahren kündigt die Union ein neues Grundsatzprogramm an, um zu klären, was genau ihr Kern heute sein soll – und was das für den Schutz des Klimas heißt. Die Partei ist zerrissen zwischen halbwegs fortschrittlichen Geistern wie Andreas Jung und Wiebke Winter und einem rechten Flügel, der auf Kulturkampf setzt und in Richtung AfD abzurutschen droht.
Es fehlt: eine Idee
Dirk van Laak ist Historiker an der Universität Leipzig. Er erforscht die Geschichte der Technik und hat sich dabei mit technokratischen Fortschrittsversprechen beschäftigt. Laak sagt, die Technokratie habe in der Vergangenheit davon gelebt, der Gesellschaft Verbesserung durch Effizienz und technische Rationalisierung zu verschaffen.
Heute lebt die Idee in dem Versprechen fort, die Rettung des Klimas durch Technologie mit dem Erhalt des Wohlstandes vereinen zu können – eine vor allem bei Konservativen beliebte Antwort auf die Krise. Deren Wurzeln reichen zurück zum „technokratischen Konservatismus“ der 1960er Jahre. Und so stecken Konservative „ganz natürlich in den Gedankenspuren der Wachstumsgesellschaft und wollen davon ungern lassen“, sagt van Laak. Diese Haltung ziehe eine starke Überzeugungskraft daraus, dass die Technologie 200 Jahre lang so erfolgreich war, dass sie alle anderen Lebensmodelle beiseitegeräumt habe.
Das Beharren auf Wachstum und der Glaube an die Technik sticht im modernen Konservatismus den Gedanken an die Bewahrung der Schöpfung aus. Dabei sei der Grundgedanke des Konservatismus, dass sich das „Neue gegenüber dem Alten zu rechtfertigen hat“, sagt van Laak. Doch im technokratischen Konservatismus jüngerer Spielart stecke die utopische Erwartung, die Dinge schon irgendwie mit neuer Technik lösen zu können. Es sei „ein Optimismus, der dem Konservatismus nicht zu eigen sei“, sagt van Laak.
Was der Union fehlt, ist jede Idee für eine postfossile Gesellschaft. Deshalb hält sie an Verbrennermotoren fest, die Deutschlands Wirtschaft groß machten, die aber in der Welt von morgen niemand fahren wird. Und darin ist sie ein Spiegel weiter Teile der Gesellschaft, die sich ebenso schwer damit tun, eine neue Wirtschafts- und vielleicht auch Lebensweise anzunehmen.
Transparenzhinweis: Wiebke Winter hat 2021 das Buch „Deutschland 2050. Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird“ von taz-Autor Nick Reimer vorgestellt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Die Brennelementefabrik und Rosatom
Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?