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Perspektiven der KlimabewegungPraktisch rau, theoretisch mau

„Letzte Generation“ und „Extinction Rebellion“ setzen auf Gesellschaftsräte gegen die Klimakrise. Über den Kapitalismus wollen sie nicht reden.

Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen bei der Eröffnung des „Extinction Rebellion“- Camps in Berlin Foto: Florian Boillot

Am frühen Mittwochabend wirkt das Protestcamp im Berliner Invalidenpark noch nicht besonders voll. „Eine bessere Welt ist möglich“ steht auf einem riesigen Transparent, das von einer Rampe in der Mitte der Grünfläche hängt. Daneben das markante X im Kreis, das eine Sanduhr darstellen soll, die Botschaft ist: Uns läuft die Zeit davon.

In den kommenden Tagen soll es sich hier füllen. Das gesamte Wochenende über sind Demos und Aktionen des zivilen Ungehorsams von Extinction Rebellion angekündigt. Ab nächster Woche übernimmt dann die Letzte Generation die Protestchoreografie und ruft zu zahlreichen Aktionen in ganz Berlin auf, um auf die Klimakrise aufmerksam machen.

In den letzten eineinhalb Jahren hat es die Letzte Generation geschafft, sich mit einer hohen Taktung von Straßenblockaden in die Schlagzeilen zu katapultieren. In der Öffentlichkeit wird die Gruppe als radikale Sperrspitze der Klimabewegung wahrgenommen. Doch wie radikal ist ihr Programm wirklich?

Eine der zentralen Forderungen ist die Einberufung eines sogenannten Gesellschaftsrats. Auch Extinction Rebellion setzt maßgeblich auf ein solches Gremium, bei ihnen heißt es Bürger*innenrat. Das Konzept ist bei beiden Organisationen das gleiche: Per Losverfahren ausgewählte Bür­ge­r*in­nen sollen zusammenkommen, um über effektive Maßnahmen zum Klimaschutz zu beraten. Die erarbeiteten Vorschläge werden dann dem Parlament vorgelegt. Anhand von Kriterien wie Alter, Geschlecht, Bildungsgrad oder „Migrationshintergrund“ soll sichergestellt werden, dass die Bevölkerung repräsentativ abgebildet wird. „Deutschland in klein“, wie die Letzte Generation auf ihrer Website schreibt.

Pariser Klimaziele

Wi­ssen­schaft­le­r*in­nen sollen den Gesellschaftsrat mit ihrer Expertise unterstützen. Schon bestehende Forderungen der Letzten Generation dürften nicht fehlen, so etwa ein Tempolimit von 100 Stundenkilometer, ein dauerhaftes 9-Euro-Ticktet sowie die Analyse, dass die Nutzung von fossilen Rohstoffen bis 2030 beendet werden muss, will man die Pariser Klimaziele noch einhalten.

Ob Maßnahmen zum Klimaschutz von gesellschaftlichen Mehrheiten getragen werden, wenn diese mit der Änderung alltäglicher Lebensgewohnheit oder dem Verlust eigener Privilegien einhergehen, ist allerdings fraglich. Dass die Mehrheitsmeinung keineswegs per se fortschrittlich ist, verdeutlichen soziologische Studien sowie Wahlergebnisse immer wieder aufs Neue. Die bloße Beratung durch Ex­per­t*in­nen wird dieses Problem nicht lösen.

Doch die Forderung nach Gesellschaftsräten hat noch ein weiteres grundlegendes Problem: Sie klammert die strukturellen Ursachen der Klimakrise aus. Der Kapitalismus ist auf dauerhaftes Wachstum angewiesen. Dieses Wachstum zu gewährleisten, ist der zentrale Auftrag von Regierungen im Kapitalismus.

Ob das gelingt, entscheidet über Erfolg oder Scheitern in der globalen Staatenkonkurrenz, über politische Einflusssphären und über die Möglichkeit, die eigenen Gesellschaften mit sozialstaatlichen Mitteln zu befrieden. Der Zwang zu permanentem Wachstum und der damit steigende Ressourcenverbrauch treibt die Klimakrise aber immer weiter an. Die kapitalistische Profit­logik steht in einem grundlegenden Widerspruch zum Schutz der ökologischen Lebensgrundlagen des Menschen.

Enteignung? Von wegen!

Was passiert, wenn sich Mehrheiten für Forderungen gewinnen lassen, die am Prinzip der Profitmaximierung etwas ändern wollen, zeigte nicht zuletzt der Volksentscheid über die Enteignung von großen Immobilienkonzernen in Berlin. Eine deutliche Mehrheit stimmten für Enteignungen. Passiert ist bis heute nichts. Zu groß die Angst, In­ves­to­r*in­nen zu verschrecken und Berlin als Wirtschaftsstandort zu gefährden.

„Die bisherige Politik der Bundesregierung hat gezeigt, dass sie keinen Weg findet, uns aus dem Pfad der Zerstörung herauszuführen.“, stellt die Letzte Generation in ihren FAQs zum Gesellschaftsrat fest. Die Frage, warum das so ist, wird nicht beantwortet. Der Gruppe gelingt es, hunderte Menschen zu Aktionen zivilen Ungehorsams zu bewegen. Doch wenn die vermeintlich radikalen Aktionen auf eine diffuse Politikberatung mit unklaren Inhalten abzielen, wird sich am Fortschreiten der Klimakrise nichts ändern.

Eine Sprecherin von Fridays for Future (FFF) warf der Letzten Generation kürzlich vor, die Gesellschaft zu spalten. Die Grünen stimmten in die Distanzierung mit ein, nannten die Ak­tio­nen „elitär und selbstgerecht“. Stattdessen sucht die Basis von FFF den Schulterschluss mit Beschäftigten des öffentlichen Nahverkehrs. Andere Teile der Bewegung wollen mit Besetzungen von Schulen und Universitäten Druck aufbauen. Gruppen wie Ende Gelände versuchen mit Sabotagen und Blockaden der Infrastruktur fossiler Energieträger Wege für die Klimabewegung aufzuzeigen und nehmen dabei eine antikapitalistische Haltung ein.

So begrüßenswert eine Vielfalt an Aktionsformen ist: Ohne eine klare Analyse der Verhältnisse wird die bessere Welt, die Extinction Rebellion fordert, nicht kommen.

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41 Kommentare

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  • Wie wahr: "Der Zwang zu permanentem Wachstum und der damit steigende Ressourcenverbrauch treibt die Klimakrise aber immer weiter an. Die kapitalistische Profit­logik steht in einem grundlegenden Widerspruch zum Schutz der ökologischen Lebensgrundlagen des Menschen."

    Und was für ein Armutszeugnis, dass alle ökonomischen Lehrmodelle an den Universitäten nach dem Standardwachstumsmodell funktionieren, dem die Grünen lediglich einen technokratischen und grünen Anstrich verpasst haben.

    Es bräuchte einen demokratischen Ökonomen vom Format eines Karl Marx, um den Kapitalismus vom Kopf auf die Beine zu stellen. Da ein solcher Ökonom im demokratischen Westen nicht in Sicht ist, und die Klimabewegung in dem Zusammenhang eine absolute theoretische Leerstelle ist, ist das Endspiel zum Klimakollaps im Gang.



    Selbst der ehemalige Klimaschutzvorreiter Deutschland ist auf einem 3 bis 4 Grad-Pfad.



    Wie soll das demnächst bevölkerungsreichste Land der Welt, Indien, jemals Fortschritte im Klimaschutz machen, wenn das Land auf ein viel mehr an Konsum und Produkten setzt? Deutschland könnte kleinere Brötchen backen. Doch das wird nicht geschehen, denn ohne Wachstum kollabiert das zugrunde liegende ökonomische Modell.



    Ohne eine Postwachstumsmodell wird es weder theoretisch noch praktisch beim Klimaschutz gehen.

    Zitat

    In ihren Artikeln zu den Ursachen der mit der Nutzung fossiler Brennstoffe verbundenen Probleme argumentieren Brett Clark und Richard York, dass es ohne fundamentale Änderung der gesellschaftlichen Beziehungen keine Lösung für diese Probleme gibt. Mit Technologie allein sind sie nicht zu bewältigen. Denn im Kapitalismus führen Effizienzgewinne zwangsläufig zur Expansion der Produktion, einem damit einhergehendem Anstieg in der Vernutzung von natürlichen Ressourcen und Energie. Daraus folgen höhere Belastungen der Biosphäre. Dies ist als das Jevons’ Paradoxon bekannt.

    Mehr Nachhaltigkeit von Marx hier:

    www.marx21.de/marx...ogie-umwelt-natur/

    • @Lindenberg:

      Industrielles Wachstum und die Verbesserung der Lebensverhältnisse (=Wachstum) waren Dogmen des (Real)Sozialismus.

  • Die Räterepublik kommt immer dann als (vermeintliche) Ideallösung um die Ecke, wenn Jemand nicht wahrhaben will, dass nur weil ER etwas für einzig richtig hält, das der Rest der Menschheit nicht automatisch auch tun muss. Tatsächlich wäre jeder Rat, wenn er wirklich repräsentativ gewählt würde, eben nicht auf einemal schlauer, einheitlicher und entscheidungskräftiger gestimmt als der demokratische Souverän als ganzes, sondern genau so pluralistisch, bequem und "kurzsichtig".

    Hinzu kommt noch, dass gerade so eine unanfechtbare, vom demokratischen Prozess losgelöste Entscheidungsmacht nur die wenigsten Menschen NICHT korrumpiert. Wer meint, "die Politiker" in Berlin und anderswo wären ja in ihrer eigenen Sphäre unterwegs und würden nur auf ihr persönliches Wohlergehen achten, der macht sich keine Begriffe, was passiert, wenn man diesen oder anderen Politikern den moralischen Druck nimmt, den die Aussicht/Notwendigkeit mit sich bringt, wiedergewählt zu werden.

    • @Normalo:

      Nur fordern weder XR noch die LG eine Räterepublik.

      So wie ich das Prinzip Rätedemokratie verstehe, geht es nicht darum, Mandate repräsentativ zu wählen (wie das ja bereits in demokratischen Staaten der Fall ist), sondern um die Entsendung von Delegierten mit Imperativmandat, die die unteren Organisationseinheiten vertreten.



      Hier besteht dann tatsächlich kein Druck, wiedergewählt zu werden. Dafür wird schon eine Form sozialen Drucks auf die Leute ausgeübt, ihre Organisationseinheiten vernünftig zu vertreten.

  • In dem Artikel „Perspektiven der Klimabewegung: Praktisch rau, theoretisch mau“ von T. Döpke vom 16.4.23 wird behauptet, dass Extinction Rebellion nicht über Kapitalismus reden möchte. Bei Klick auf die Webseite von XR ist allerdings zu lesen, dass die zweite Forderung folgendermaßen lautet: „[…] Dazu muss auf eine sozial gerechte Wirtschaftsweise umgestellt werden, die sich an den Konzepten Postwachstum und Planetare Grenzen orientiert. Die Regierung muss global Verantwortung für die wachstumsgetriebene und ausbeuterische Zerstörung unserer Lebensgrundlagen übernehmen, diese stoppen und soweit wie möglich rückgängig machen.“ Es liegt damit (anders als in dem Artikel dargestellt) eine „klare Analyse der Verhältnisse“ als Grundlage für eine bessere Welt vor – auch wenn diese einer Forderung entsprechend kurz ausfällt.

    • @Marie-Marie:

      Ist dann Schluss mit Wohnungsbau? Schließlich ist dieser mit einer der Hauptfaktoren für die Co2-Emissionen in DE.

      Die Analyse von XR ist so kurz, weil keine durchgeführt wurde. Das sind nur populistische Sprachfetzen, die sich um nichts Gedanken machen.

  • Klar sind Extinction Rebellion und Letzte Generation schwach auf der Brust, was Kapitalismuskritik und Kritik an dem dem Kapitalismus innewohnenden Zwang zum Wachstum angeht. Sie treten lieber mit spektakulären Aktionen und zwar richtigen, aber auch etwas plakativen Forderungen in Erscheinung. Dennoch finde ich die Forderung nach Einsetzung von Gesellschaftsräten, die tatsächlich einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung abbilden und per Losverfahren gezogen werden, nicht schlecht. Die Chance besteht nämlich, dass diese Räte viel stärker Soziales und Ökologisches zusammendenken, als es die gewählten Parlamentarier:innen tun, die schon lange nicht mehr den Bevölkerungsquerschnitt darstellen, was Bildung und Einkommenssituation angeht, und die deshalb bestimmte Problemlagen immer wieder nicht ausreichend im Blick haben. Dabei ist mir klar, dass die Gesellschaftsräte nicht eine gründliche kapitalismuskritische Analyse ersetzen können, aber sie können eine sinnvolle Ergänzung sein, gerade wenn es um die praktische Umsetzung von sozial ausgerichteten Klimaschutzmaßnahmen geht.

    • @Annette Frölich:

      "Die Chance besteht nämlich, dass diese Räte viel stärker Soziales und Ökologisches zusammendenken, als es die gewählten Parlamentarier:innen tun"

      Nö. Dafür gibt es null Indizien. Das ist pure Behauptung.

  • übrigens gibt es in dem Buch von



    "Wohnkonzerne enteignen! wie Deutsche Wohnen & Co. ein Grundbedürfnis zu Profit machen" 2021 von Metzger, Prütz, Kalle Kunkel u.a. auch ein Schaubild über eine rätedemokratische Form der Gebäude-Selbstverwaltung. Die Commons-Diskussion behandelt seit Jahren die Frage Eigentum-Profit durch gemeinsame Verwaltung zu ersetzen.



    Ich sehe da als erstes die Frage des Rechts: dürfen die Berliner/innen Räte einführen, wenn dies in anderen Bundesländern abgelehnt wird? - gleiche Formen in allen Gebieten?



    Welche Macht haben Beschlüsse?



    Das stellt sich ja schon beim Bundestag.



    Heute werden Kandidaten v.a. in den Parteien bei der Listenaufstellung auf ihre Eignung geprüft. Das Parteienprivileg ist vom GG her formal die mächtigste Institution in Deutschland für den Bereich der Entscheidungsprozedur. Alles läuft über Parteien. Alles andere sei Spielwiese.



    Zum Thema Erderhitzung: welche Gremien auch immer - es müsste beschlossen und eisern eingehalten werden sich zu begrenzen: keine PKws herstellen, kaufen, keine Urlaubsflüge, keine Privatjets, Jachten. Die ZEIT bietet ja so Kreuzfahrtschiffsreisen an...



    Bald stehen vor meiner Tür nicht nur Jeeps, sondern auch fünfachsige Trucks... Riesige Bildschirme quillen aus den Wohnzimmern... Der O2-Shop-Typ geht gar nicht auf meine Frage ein, sondern will mir riesige Pakete aufdrängen. Wieviele Features eines Smart-Phones nutzen Sie eigentlich? Ich hatte noch nie ein Auto.



    Von allem zu viel.



    Selbstdisziplin?

    • @Land of plenty:

      "Die Commons-Diskussion behandelt seit Jahren die Frage Eigentum-Profit durch gemeinsame Verwaltung zu ersetzen."

      Die Commons Diskussion hat sich NULL mit den klimapolitischen Auswirkungen von von in DE beschäftigt. Nicht mit den extraordinären Zuwachs von Wohnraum pro Einwohner, nicht mit der Notwendigkeit des Bauens in die Höhe, null mit dem Leerstand von Wohnungen, insb. in Ostdeutschland und nich mit den Ursachen der Binnenmigration in DE.

      Da ist null Analyse. Nur gefälliger Linkspopulismus.

      • @Rudolf Fissner:

        Nich "von von" sonder "von Wohnen "

  • Damit in einer Demokratie die Mehrheit den Austausch der Marktwirtschaft gegen „was auch immer, aber es wird schon besser werden“ beschließt, braucht es wirklich gute Argumente.



    Mangelt es diesen, dann steigt häufig die Versuchung am Prinzip der Demokratie zu sägen…

  • Man kann Kapitalismus-Analyse natürlich auf hohem Niveau betreiben. Ich freue mich über jede/n, die Bücher liest.



    Es gibt auch einen Zusammenhang zwischen Repräsentation, Parteiendemokratie und kapitalist. Unternehmen, doch der ist verwickelter als die Bewegungen behaupten.



    Linke hängen auch kruden Theorien an (z.B. Gleichschaltung der bürgerlichen Medien).



    So eine Bewegung braucht griffige Slogans und ein klares Programm.



    Das ist bei XR/ LG eben sehr schwach. Die einzige Message ist "letzte", "schnell". Analysen dauern länger.



    Linke Gruppen die ich kenne, bauen v.a. auf langsames Wachstum der Gruppe und Vertrauen untereinander. Viel Kennenlernen.



    Bewegungen sind aber auch flüchtig.



    Zu den Details: große Moral mobilisieren steht einer Sicht auf Standortkonkurrenz entgegen. Da sind die Leerstellen. Und wie genau eine Profitlogik z.B. bei den Immobilien zu überwinden wäre, sollte genauer ausformuliert werden.

  • Ich dachte immer "Gott würfelt nicht" (Einstein)

    Und nun meint man ausgerechnet mit einem Lottosystem den Kapitalismus abschaffen zu können!? Wird so lange geloost bis die Zusammensetzung passt?

    • @Rudolf Fissner:

      Die LG will den Kapitalismus gar nicht abschaffen. Die haben gar keine Analyse zum Zusammenhang zwischen Kapitalismus, bürgerlichem Nationalstaat und dem anthropogenen Klimawandel.



      Dafür muss man andere Gruppen fragen.

    • @Rudolf Fissner:

      Die Zusammensetzung der Teilnehmer ist doch völlig egal. In so einem Konstrukt entscheidet doch ausschließlich die Zusammensetzung des beratenden Expertengremiums und da soll meines Wissens nach ja eher nicht gelost werden. Der Rest ist demokratische Folklore um den Anschein zu erwecken hier handele es sich noch um eine Form der Demokratie.

  • Über den Kapitalismus kann man natürlich immer reden.

    Nur ist jede Form industriellen Wirtschaftens klimaschädlich und zwar völlig unabhängig von der Produktions- oder Eigentumsfrage: die DDR-Wirtschaft war (pro Kopf) deutlich klima- und umweltschädlicher als die der BRD. Und das lag nicht nur an der Braunkohle.

    Das Problem ist der Materialismus und letztlich die Motivation, die Lebensverhältnisse der Menschen verbessern zu wollen. Solange keine technologische Lösung aus dem Hut gezaubert wird, kann unter den jetzigen demografischen Bedingungen (8 Mrd. Menschen) nur die Subsistenzwirtschaft auf vorindustriellem Niveau das Klima retten.



    Das wird aber niemand fordern weil keiner den Mut hat, die sozialen Konsequenzen zu benennen.

  • Die Idee Klimaräte (oder andere Außerparlamentarische Gremien) einzuführen, ist nicht von der Hand zu weisen. Denn die engen Verflechtungen und das eingespielte System aus kapitalistischer Wirtschaft und Politik ist von innen her kaum reformierbar (im Artikel heißt es dazu: "Der Kapitalismus ist auf dauerhaftes Wachstum angewiesen. Dieses Wachstum zu gewährleisten, ist der zentrale Auftrag von Regierungen im Kapitalismus".)..

    Und da die Zeit drängt und bisher keine Partei auf einen tiefgreifenden Systemwechsel hinaus will/kann ist der Klimarat eine sinnvolle Option..

    Der notwendige Paradigmenwechsel bringt die Gesellschaft bei all dem in eine Situation die durchaus den Geschehnissen in den 60er ähnelt. Auch damals gab es eine neue Generation, die auf eine eingefahrene alte Generation traf, die in ihren Werten nicht grundlegend reformierbar war. Das erleben wir heute aufs Neue...nur dass die Disruption, die uns die Klima Krise aufzwingt noch weitaus dramatischer ist...

    • @Wunderwelt:

      Frankreich hat das mit den Gesellschaftsräten durchgezogen. Die Lösungsvorschläge lagen alle im Rahmen der kapitalistischen Logik. Macrons Regierung hat selbst diese Vorschläge weiter eingedampft bevor sie in die Nationalversammlung gegangen sind. Übrig geblieben ist fast nichts.



      ein schönes Beispiel für die fehlende Effektivität von Gesellschaftsräten.

    • 3G
      32051 (Profil gelöscht)
      @Wunderwelt:

      Der Denkfehler ist, dass sie einfach ein zusätzliches Instrument wollen, aber nur, solange es un ihrem Sinne ist.

      Unser Grundgesetz hat aus gutem Grund einige Sicherungsbolzen, und ehe man die löst, sollte man sehr genau wissen, was man macht.

      Was, wenn der Gesellschaftsrat den Wiedereinstieg in die Atomkraft fordert?

      Was, wenn er die Aussetzung des Asylrechts fordert?

      Ist er dann immer noch "okay?"

      Das Problem hat auch die AfD. Die denken auch, ihre "Volksabstimmung" heißt, sie kriegen ihren Willen durch.

      Fragen Sie mal einen AfDler, was er davon hält, dass das Volk über ein AfD Verbot abstimmt.

      Da werden sie ganz schnell schmallippig.

      Und die LG sollte sich auch wirklich gut überlegen, ob sie mit einem "Gesellschaftsrat" klarkommt.

      • @32051 (Profil gelöscht):

        Ganz richtig, was Sie schreiben. Das GG ist auch eine Konsequenz aus Weimar und hat bestimmte Teile sogar mit "Ewigekeitsgarantie" versehen. Es ist fahrlässig, wie man die Demokratie in Form freier Wahlen hier in Frage stellen will. Das kann auch leicht nach hinten los gehen.

  • Die Analyse müsste noch klarer werden als "den Kapitalismus" quasi mit Monopoly gleichzusetzen.

    Erstens ist das BSP/BIP etc. ungeeignet, Wachstum sozialökologisch zu bewerten. Die Grünen (unter anderen) vertreten schon lange, dass es neue, andere Indikatoren brauche, die etwa Care nicht ignorieren und Umweltverschmutzung internalisieren statt ihre Beseitigung "positiv" einfließen zu lassen.

    Zweitens muss insbesondere das Axiom der Pareto-Optimalität (ein Zustand sei optimal, wenn er nicht verbessert werden könne ohne einen Einzelnen schlechter zu stellen) konsequent um Opportunitätskosten ergänzt werden, d.h. niemand wird "schlechter gestellt", wenn demokratisch legitimiert positive äußere Veränderungen von Steuergeldern bezahlt werden.

    Ob unter den veränderten Bewertungsmaßstäben tatsächlich kein "grünes Wachstum" möglich ist, wäre erst noch zu zeigen! Und ob nicht vielleicht trotzdem die Politik einen höheren Lebensstandard im Allgemeinen damit ermöglicht?

    • @Zangler:

      "...niemand wird "schlechter gestellt", wenn demokratisch legitimiert positive äußere Veränderungen von Steuergeldern bezahlt werden."



      Bei Schuldenbremse und Budgetgrenzen eine ziemlich steile These, finde ich. Ließe sich das ausführen?

      • @Encantado:

        Nehmen wir mal das Tempolimit: Es kostet jeden einzelnen Steuerzahler ein bisschen was, das zu beschließen, zu verkünden und zu vollziehen. Trotzdem dürfte es günstiger sein als wenn der einzelne für sich alleine dafür sorgen wollte, dass das Klima um so vieles kühler, die Luft um so vieles sauberer, die Zahl der Unfälle um so vieles geringer und damit für den einzelnen unwahrscheinlicher ist wie mit dieser Maßnahme. Opportunitätskosten eingerechnet, Pareto-Optimalität quasi trivial erfüllt. Vielleicht möchte der Wirtschaftsliberalismus angesichts einer Vielzahl möglicher Gesetze entlang dieser Linie von der Pareto-Optimalität abrücken?!

      • @Encantado:

        Nehmen wir mal das Tempolimit: Es kostet jeden einzelnen Steuerzahler ein bisschen was, das zu beschließen, zu verkünden und zu vollziehen. Trotzdem dürfte es günstiger sein als wenn der einzelne für sich alleine dafür sorgen wollte, dass das Klima um so vieles kühler, die Luft um so vieles sauberer, die Zahl der Unfälle um so vieles geringer und damit für den einzelnen unwahrscheinlicher ist wie mit dieser Maßnahme. Opportunitätskosten eingerechnet, Pareto-Optimalität quasi trivial erfüllt. Vielleicht möchte der Wirtschaftsliberalismus angesichts einer Vielzahl möglicher Gesetze entlang dieser Linie von der Pareto-Optimalität abrücken?!

  • "Eine Sprecherin von Fridays for Future (FFF) warf der Letzten Generation kürzlich vor, die Gesellschaft zu spalten. "

    Die Gegenpositionen kommen viel zu spät. Das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen.

  • Die Forderung nach Gesellschaftsräten erkennt das grundlegende strukturelle Problem für die zentralen Aufträge der Regierung: Diese Aufträge für die Regierung müssen auch im Kapitalismus von den Wahlberechtigten erteilt werden; im BRD-Parteienstaat mit seiner Parteien-“demokratie“ erteilen die Parteien bzw. deren Abgeordnete die Regierungsaufträge. Demokratische Alternative: Abgeordnete des Bundestages werden aus dem Kreis der Wahlberechtigten ausgelost.

    • @Michael Köhler:

      Spätestens, wenn es um Abstimmungen geht, werden sich ja doch wieder Gemeinsamkeiten zwischen den Abgeordneten zeigen - und natürlich auch Taktik, Strategie und Händel.

      Ihre Vorstellung von Politik ist utopisch und verkennt gleichzeitig, dass Parteien durchaus legitim sind: u.a. weil es sich um Gemeinschaften echter Menschen handelt und nicht bloß um legale Konstrukte.

    • @Michael Köhler:

      Was hätte das mit Demokratie zu tun, Wahlen abzuschaffen?

      • @QuerBeetLeser:

        Demokratie heißt Herrschaft des Volkes. Wenn die Parlamente also gelost wären, würden sie tatsächlich mal aus dem "Volk" bestehen und keiner "politischen Elite".



        Außerdem: wo steht geschrieben, dass für eine Demokratie Wahlen notwendig sind?

        • @Florian Henig:

          Das Los als göttliche Auswahl.

        • @Florian Henig:

          Wo steht geschrieben, dass irgendein alter Nazi, den der Zufall in den Bundestag gespült hat (oder wer auch immer sonst) irgendwen repräsentiert außer sich selbst?

          Wahlen haben den Sinn, jedem Bürger gleichermaßne die Chance zu geben, seine Meinung nicht nur zu sagen, sondern proportional in die Entscheidungsprozesse einzubringen. Und sie haben den zweiten Sinn darin, dass sie die Leute, die aus ihnen siegreich hervorgehen, zumindest so weit dieziplinieren, dass sie sich nicht absichtlich ihre Wiederwahl vergeigen.

          Meinen Sie wirklich, dass zufällig ausgewählte 600 Menschen tatsächlich repräsentativ für ihre 80 Mio. Mitbürger sein können - und nicht etwa für jene verachtete Politikerkaste, die, einmal an der Macht, nur schaut, wie sie das beste für SICH daraus machen kann? Von was für Altruisten glauben Sie eigentlich, dass Sie jeden Tag umgeben sind??

          • @Normalo:

            Das lustige ist, dass durch ein reines Losverfahren ja durchaus auch mal 600 Nazis Abgeordnete werden könnten.

        • @Florian Henig:

          Artikel 20 GG:

          (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

        • @Florian Henig:

          Was ist denn, wenn ich gar nicht ausgelost werden will?

  • Der ach so gerecht, also gesellschaftsabbildende Gesellschaftsrat wird aber schon die erste Hürde. Alle Schichten, Klassen und Gruppen abzubilden, auch mit dem hohen Anteil an Autobesitz, wird nicht einfach.



    Die zufällige Gerechtigkeit hört aber an einem Punkt auf: "Wi­ssen­schaft­le­r*in­nen sollen den Gesellschaftsrat mit ihrer Expertise unterstützen." Deren Zusammenstzung wird nirgendwo, auch nicht auf der Seite von LG, diskutiert. Diese Experten bestimmen aber ganz entscheidend die Informationen, die dem Rat zur Beratung vorgelegt werden. Dabei wird immer davon ausgegangen, dass der Rat nicht genügend Eigeninformation hat.



    Es wird also eine Expertenregierung mit einem Alibirat angestrebt.



    Sollte man so klar sagen.

    • @fly:

      Sie haben völlig recht. In der Realität hatten alle bislang in Deutschland durchgeführten Bürgerräte das Problem, das Menschen mit niedrigerem Bildungsabschluss, also die "Arbeiterklasse" fast gar nicht daran teilnahmen. Nun ist die Mittelschicht in Deutschland aber ja ohnehin in Staat, Medien, Kultur und Wirtschaft dominant. Warum also noch ein Extragremium für sie schaffen?

      Zumal so ein Rat ja auch ganz anders entscheiden kann als gewünscht. Nach neuesten Umfragen ist die Mehrheit der Leute ja nun gegen den Atomausstieg - nach Fukushima war sie noch dafür. Die Hoffnung, nach ein paar Impulsvorträgen von Experten würden die Leute schon "richtig" entscheiden, ist vorsichtig formuliert optimistisch.

    • @fly:

      Ich kann mir gut vorstellen, dass ein solcher Bürgerrat zu Ergebnissen kommt, die den Aktivisten nicht schmecken werden. Und was dann?

  • Was soll an einem Losverfahren besser sein als die geheime Wahl durch alle Wahlberechtigten?

    • @Rudolf Fissner:

      Man hat vielleicht Losglück und kann etwas durchsetzen, dass niemals mehrheitsfähig wäre.

    • @Rudolf Fissner:

      Im Endeffekt bedeutet dies, es gibt keinen Wählerwillen mehr, über den man diskutieren müsste. Kann ganz praktisch sein.