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Streiks in Deutschland und FrankreichDen Kapitalismus umkippen

Streiks machen Schlagzeilen in Deutschland wie in Frankreich. Doch Tradition, Funktion und die Ziele könnten kaum unterschiedlicher sein.

Der revolutionäre Geist von Streiks: ein Mythos Illustration: Katja Gendikova

S eit Anfang März sind die Straßen in mehreren Städten Frankreichs mit Müll übersät, Berge von Müllsäcken türmen sich mit ihrem Gestank auf, nach Angaben der Pariser Stadtverwaltung liegen mittlerweile fast 10.000 Tonnen nicht abgeholter Müll in der französischen Hauptstadt. Der Streik bei der Müllabfuhr ist Teil der aktuellen Proteste gegen die Rentenreform. In Deutschland höre ich häufig, dass Frankreich bei sozialen Protesten einen Vorsprung hätte und dass in meiner alten Heimat der Geist der Revolution noch herrschen würde.

Nun möchte ich mit diesem Mythos aufräumen. Um zu verstehen, warum Streiks und Demonstrationen in Frankreich nicht wirklich einem „revolutionären Geist“ folgen, müssen wir uns anschauen, wie Gewerkschaften im Unterschied zu Deutschland funktionieren und wie außerdem das präsidentiell-parlamentarische Regierungssystem in Frankreich mitunter einer „präsidentiellen Monarchie“ ähnelt.

Jayrôme C. Robinet

geb. 1977 in Frankreich, Autor und Doktorand an der UdK Berlin. Zuletzt erschien: „Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund.“

Zweifellos sind sowohl in Deutschland als in Frankreich Gewerkschaften legitime Organe zur Vertretung der Interessen von Ar­beit­neh­me­r:in­nen. Hinsichtlich der Organisationsformen wie auch der Ziele und Vorgehensweisen unterscheidet sich die Gewerkschaftsarbeit in den zwei Ländern. Der Politologe René Lasserre beschreibt in einer Essaysammlung die Entstehung und Methoden der Gewerkschaften auf beiden Seiten des Rheins. Der Kontrast sei so groß, dass man in vielerlei Hinsicht sagen könnte, dass es sich eigentlich um zwei gegensätzliche Modelle handelt.

Seit ihren Ursprüngen am Ende des 19. Jahrhunderts steht die französische Gewerkschaftsbewegung unter dem Zeichen des Pluralismus: zum einen der Organisationsformen, darunter Berufssyndikalismus und Industriesyndikalismus; zum anderen der Ideologien, darunter Anar­chis­t:in­nen, Mar­xis­t:in­nen, So­zia­lis­t:in­nen und Chris­t:in­nen. Die Folge der Zerstrittenheit unter den Gruppen waren zahlenmäßig schwache Organisationen.

Wenig kompromissbereit

Laut einer vom französischen Arbeitsministerium veröffentlichten Studie lag im Jahr 2019 der gewerkschaftliche Organisationsgrad insgesamt – im öffentlichen und privaten Sektor zusammen – bei 10,3 Prozent. In gewisser Weise sind französische Gewerkschaften eine Minderheitsbewegung.

Dazu kommt nun der vielleicht wichtigste Punkt: Der Syndikalismus in Frankreich ist stark geprägt von einer Tradition des Protests gegen die soziale Ordnung. Im Grunde sind französische Gewerkschaften nicht so sehr ein Mittel zur Verteidigung der Interessen der Arbeiter:innen, sondern sie verstehen sich vielmehr als Instrument zur Umgestaltung des kapitalistischen Systems.

Obwohl sich heute die Gewerkschaften in der Grande Nation nicht mehr auf den revolutionären Syndikalismus der direkten Aktion berufen würden, sondern sich in vielfältiger Form am wirtschaftlichen und sozialen Leben beteiligen, bleiben sie dem sozialen Dialog gegenüber misstrauisch. Sie sind weitgehend auf Konfrontation eingestellt, anstatt auf Engagement oder Teilhabe, die ihre Autonomie einschränken könnte.

Insbesondere lehnen sie jede Form der Zusammenarbeit mit den Ar­beit­ge­be­r:in­nen oder dem Staat ab, auch wenn diese Zusammenarbeit konstruktiv sein könnte. Das zeigt sich auch darin, dass in Frankreich die meisten Be­am­t:in­nen streiken dürfen. Im Gegensatz dazu haben sich die deutschen Gewerkschaften im Zuge der Sozialdemokratie von Anfang an als eine relativ homogene Massenbewegung entwickelt.

Fatale Rivalitäten

Nach der Aufhebung des Bismarck’schen Verbots im Jahr 1890 und infolge der Industrialisierung Deutschlands bevorzugte man die moderne Form der Industriegewerkschaft. Ab 1914 wurden mächtige und effiziente Organisationen gegründet. Und nun kommt der vielleicht wichtigste Punkt: Am Ende der Weimarer Republik und während der großen Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre führten Meinungsverschiedenheiten zwischen So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen und Kom­mu­nis­t:in­nen sowie die Rivalitäten mit den christlichen Gewerkschaften zu einer Schwächung der Gewerkschaftsbewegung und schließlich zu ihrer Kapitulation vor den Nazis.

Wie so oft zog Deutschland dann die Lehre aus der Geschichte: Nie wieder schwache Gewerkschaften, die vor dem Staat kapitulieren. So wurde in der Nachkriegszeit die Gewerkschaftsbewegung auf der Grundlage der parteipolitischen Neutralität wiederaufgebaut. Es entstand eine quasi einheitliche Gewerkschaftsbewegung, in der ein großer Mehrheitsverband, der DGB, heute knapp 6 Mil­lionen Mitglieder vereint. Die Tendenz ist sinkend, trotzdem liegt der gewerkschaftliche Organisa­tions­grad insgesamt in Deutschland entscheidend höher als in Frankreich.

Während deutsche Gewerkschaften nun versuchen, die unmittelbare Lage der Ar­bei­te­r:in­nen durch Tarifverhandlungen im Rahmen der bestehenden Gesellschaft zu verbessern, lehnen die französischen Gewerkschaften Kompromisse im Namen einer utopischen Zukunft ab. Wer will, mag hier den revolutionären Geist Frankreichs spüren, in der Sache ist das aber eher kontraproduktiv.

Die Schwäche der Gewerkschaften in Frankreich, ihr Widerwille, Kompromisse einzugehen und damit einhergehende Verpflichtungen anzunehmen, hindert sie daran, eine reale soziale Aufgabe zu übernehmen. Dem Dialog abgeneigt, stellen sie den Konflikt in den Vordergrund: Mit Demonstrationen und Generalstreiks wollen sie den Kapitalismus zum Kippen bringen. Die deutschen Gewerkschaften sind da realistischer. So ist es kein Zufall, dass die wirtschaftliche und industrielle Situation Frankreichs heute so miserabel ausschaut.

Streik als letztes Mittel

Während die deutsche Wirtschaft ihr Wachstumsmodell auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und den Export stützt, setzt die Wirtschaftspolitik in Frankreich auf den Konsum und die Kaufkraft der Haushalte. Der Politikwissenschaftler Felix Syrovatka hält das für den Grund, warum die Deutschen die Rentenreformen besser akzeptiert hätten. Weil für eine Wirtschaft, die auf der Wettbewerbsfähigkeit von Exporten beruht, die Senkung der Lohnkosten wichtiger sei als der Erhalt der Kaufkraft der Rentner:innen.

Aber könnte der starke Rückgang der Industrie in den letzten zwanzig Jahren in Frankreich auch auf die Vorgehensweise der Gewerkschaften zurückzuführen sein? Regelmäßig wird das Land ja für Tage, Wochen oder Monate buchstäblich blockiert. Wir erinnern uns an die Gelbwesten-Bewegung: Drei Jahre später ist es wieder so weit. Wieder wird das öffentliche Leben in Frankreich durch landesweite Proteste eingeschränkt – diesmal gegen die Rentenreform.

Stilllegung der wichtigsten Raffinerien, Streik der Müllabfuhr, Ausfälle im Zug- und Flugverkehr, Streik an Schulen, Demonstrationen mit Ausschreitungen und Zusammenstößen mit der Polizei, Bushaltestellen verwüstet und Mülltonnen angezündet – womit das erwähnte Abfallproblem teilweise gelöst ist. Die Kehrseite der Medaille ist, dass die französischen Gewerkschaftsführungen in Wirklichkeit wenig Gestaltungsfreiraum haben.

In Deutschland ist ein Streik nur das letzte Mittel – in Frankreich ist er gewissermaßen eine Vorstufe zu jeglichen Verhandlungen. Gemäß René Lasserre ist die Abneigung gegen den sozialen Dialog in Frankreich nicht nur auf die Gewerkschaften zurückzuführen, sondern sie wird auch von einem nicht unerheblichen Teil der Ar­beit­ge­be­r:in­nen geteilt, insbesondere in den kleinen und mittleren Unternehmen. Dies bleibt nicht ohne Folgen. Denn das erfordert das ständige Eingreifen des Staates, der in der Tat der eigentliche Regulierer und Schiedsrichter der gesellschaftlichen Verhältnisse ist.

Am Parlament vorbei

Anders als in Deutschland, wo sich der Staat auf die Festlegung von Mindestarbeitsbedingungen beschränkt, greift der Staat in Frankreich in vielfältiger Weise in die vertraglichen Beziehungen ein und verabschiedet Gesetze zu allen wesentlichen Bereichen des Arbeitslebens. Ironischerweise führt der sogenannte revolutionäre Geist in Frankreich also dazu, dass Gewerkschaften und Unternehmen auf den Staat angewiesen sind, um den sozialen Fortschritt zu sichern.

Schließlich kommt ein letzter, wichtiger Punkt dazu: Die französische Regierung kann Gesetzestexte am Parlament vorbei verabschieden. Wenn sie nicht über eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verfügt, kann die Regierung den Absatz 49.3 der Verfassung herausholen, ihren Joker, um die direkte Verabschiedung des Gesetzesvorhabens ohne parlamentarisch Abstimmung durchzubringen. Genau das tut Emmanuel Macron, um die Rentenreform durchzusetzen.

Wenn der Regierungschef dieses Verfahren einleitet, haben die Abgeordneten nur noch die Möglichkeit, innerhalb von 24 Stunden ein Misstrauensvotum zu beantragen. Ein solcher Vorstoß des rechtsnationalen Rassemblement National (RN) scheiterte in der Nationalversammlung knapp. Elf Mal schon kam im Kabinett von Élisabeth Borne der Artikel 49.3 zur Anwendung, in nicht einmal einem Jahr – und hundert Mal seit Beginn der Fünften Republik.

Einige sagen sarkastisch, dass in Marseille die Mülltonnen auch ohne Streik überlaufen. Die sozialen Proteste in Frankreich sind nicht nur eine revolutionäre Form der demokratischen Teilhabe. Sie sind auch und vor allem eine unglückliche und erzwungene Form aufgrund der gewerkschaftlichen Tradition des Protests gegen die soziale Ordnung auf der einen Seite und des Regierungssystems auf der anderen Seite, in dem der Präsident Gesetze am Parlament vorbei durchsetzen kann, womit er allerdings stets den Zorn der Bevölkerung riskiert. Schon rufen die Gewerkschaften für den 6. April erneut zum großen Streiktag auf.

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62 Kommentare

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  • "Am Ende der Weimarer Republik und während der großen Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre führten Meinungsverschiedenheiten zwischen So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen und Kom­mu­nis­t:in­nen ..."

    Meinungsverschiedenheiten?

    Die Sozialdemokraten wurden von der KPD ganz offiziell bis 1935 noch als Sozialfaschisten angesehen (de.wikipedia.org/w...alfaschismusthese).



    Zusammen mit der NSDAP wollte die KPD 1931 im Volksentscheid zur Auflösung des preußischen Landtages die SPD geführte Regierung in Preußen kippen ( de.wikipedia.org/w...9Fischen_Landtages ).



    Die KPD war sicher kein Freund der Weimarer Republik.

    Das sind tiefe Gräben, nicht nur "Meinungsverschiedenheiten"

  • Spannender Artikel.

  • Zwischen Theorie und Praxis gewinnt immer die Praxis (jetzt mal ganz einfach in meinen theoretischen Worten ausgedrückt).



    Jegliche Theorie über einen vermeintlichen besseren Staat die dann auch irgendwie umgesetzt wird, landet immer in einer Art Diktatur.



    Deshalb lobe ich unsere parlamentarische Demokratie mit allen Schwächen.

    • @Der Cleo Patra:

      Die, welche glauben, sie bewahrten die Demokratie, zerstören sie. Dies liegt an inhaltlich fehlübersetzten Fachausdrücken mit handlungspolitischer Reichweite. Das fängt bereits bei "Kapitalismus" an. So werden Denkräume verschlossen, um uns daran zu hindern, sie zu betreten. Einer dieser Denkräume ist, dass man die Demokratie verbessern kann und dass unsere heutige Demokratie eben nicht stabil ist. So wird durch das Verschließen u.a. unterdrückt, dass es u.a. Gesetze wie dasBGB bestimmen, dass und zu welchen Bedingungen für Mensch und Natur sich Dritte das Ergebnis von Arbeit aneignen. Hier Mal eine Kurzform: Reich sein war auch in den Verhältnissen unter Dr. Helmut Kohl schön. .. Das sage ich Ihnen als Ökonom.

    • @Der Cleo Patra:

      "Jegliche Theorie über einen vermeintlichen besseren Staat..." war erst mal notwendig, dass das entstand, was Ihnen jetzt so lieb ist - Und fertig ist es nie, weil besser geht immer!

    • @Der Cleo Patra:

      Einverstanden. Dennoch beharre ich als hoffnungsloser Idealist und “Frühsozialist” auf die Notwendigkeit der Formulierung gesellschaftlicher Utopie als Bezugsgröße linker Theorie und Praxis.



      Ohne diese gäbe es keine Hoffnung auf besseres Leben (in dieser Welt), behaupte ich mal frech.



      Es stimmt eben nicht das Verdikt Helmut Schmidts, dass zum Arzt gehen solle, wer Visionen habe.



      Übrigens: die parlamentarische Demokratie beinhaltet ebenfalls eine politische Theorie über einen besseren Staat … da wäre Ihre Annahme (“Jegliche Theorie …”) dann wohl eher eine Schreckensvision, oder?

      • @Abdurchdiemitte:

        Ob politische Theorie oder nicht. Deutschland hat schon einige „praktische“ Demokratien verschiedener Art durchgemacht mit dem Erfolg von Kriegen. Die jetzige parlamentarische Demokratie gibt’s schon über 70 Jahre und sie ist ziemlich stabil.

        • @Der Cleo Patra:

          Waren denn der NS und das SED-Regime in der DDR “praktische” Demokratien? Wohl eher nicht.

          • @Abdurchdiemitte:

            Vor dem NS-Regime war nach dem 1.WK eine unstabile Demokratie. Und DDR, diesen Unrechtsstaat, spare ich mir aus.

  • Auch wenn die CGT mich beeinflusst, bleibe ich lieber bei der IG Metall und einer Einheitsgewerkschaft. Immerhin haben die französischen Kollegen aber Strategien und Vorgehensweisen, die auf einer guten Mobilisierung beruhen. Ansonsten beschreibt der Artikel ziemlich gut, wo in Frankreich die Probleme liegen. Es ist übrigens auch Augenwischerei zu sagen, in Deutschland gibt es die 67, in Frankreich die 62 bzw. bald die 64, in Deutschland kann man mit 63 in Renten gehen. Und das machen viele Leute aus harten Berufen auch, weil sie früh anfangen. Macron ist deutlich härter als Kohl, Schröder, Merkel oder Scholz - das ist die bittere Erkenntnis und es gibt momentan kaum zwingende Gründe für die Reform. Die massive Schieflage existiert in Frankreich momentan nicht, sie ist sogar fragwürdig, ob sie jemals so kommt. Zudem haben die französischen Ministerien errechnet, dass mit der 64 auch deutlich höhere Arbeitslosen- und Armutszahlen bei älteren Menschen kommen werden. Das bedeutet, dass evtl. neue Sozialleistungen geschaffen werden müsse, um dieses Renteneintrittsalter 64 zu schaffen.



    Kurz: Ich bin solidarisch mit den französischen Kolleginnen und Kollegen.

  • In stark fragmentierten und individualisierten modernen Gesellschaften wie eben Frankreich und Deutschland gilt eben nicht mehr der gute alte marxistische Klassengegensatz zwischen der Mehrheit der proletarischen Ausgebeuteten und der Minderheit der bourgeoisen Ausbeuter. Längst ist er von anderen gesellschaftlichen Konfliktlinien überlagert, die hierzulande etwa in Debatten wie Linkskonservative vs. “Lifestyle-Linke” (Wagenknecht), Identitätspolitik etc. ausgetragen und von Soziologen beispielsweise als Gegensatz Kosmopolitismus vs. Kommunitarismus (Reckwitz) beschrieben werden. (Es würde mich übrigens interessieren, wie diese Diskussionen in Frankreich geführt werden, vielleicht gibt es in der Kommune Experten dafür.).



    Weil aber nur überlagert und nicht abgelöst, “blitzen” die traditionellen Klassengegensätze jedoch gelegentlich noch auf … insofern haben selbst dogmatisch-marxistische Erklärungsansätze durchaus noch ihre Berechtigung. Nur geht es hier nicht mehr um Klassenkampf im Sinne einer Mehrheit gegen eine Minderheit.



    Und damals wie heute fällt es Nationalisten und Rassisten nicht schwer, diese gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in ihrem Sinne zu instrumentalisieren. Das hatte schon August Bebel erkannt, der vom Antisemitismus als den “Sozialismus der dummen Kerle” sprach, womit er ja bis heute recht hat.



    Aber genau aus diesen Gründen habe ich mich auch in einer anderen taz-Debatte zur linken Ukraine-Solidarität dagegen gewandt, diesen Krieg als Kampf der ukrainischen “Arbeiterklasse” gegen russischen Kapitalismus und Imperialismus zu deuten, wie es Right to Resist in ihrem Aufruf tut.



    taz.de/Krieg-in-de...bb_message_4501047

  • Die wollen doch nicht den Kapitalismus kippen in FR. Die wollen nur früh in Rente und ein effektives Wirtschaftsystem, dass ihnen dieses ermöglicht.

  • Kennen sie eine real existente bessere Staats- und Wirtschaftsform?

    Ich bin hier, in dieser Demokratie und diesem Kapitalismus geboren.



    Als Kind damals armer Eltern, hat mir dieser Staat Schule und Ausbildung ermöglicht.



    Da es fürs Gymnasium und studieren der Situation meiner Eltern wegen finanziell nicht gereicht hat, habe ich es halt über Lehre und Meister gemacht. Der "Kapitalismus" hat mir gut bezahlte Arbeit ermöglicht. Ich konnte mich im "Kapitalismus" selbstständig machen und habe auch als Nicht studierter richtig gut Geld verdient. Viele Jahre hatte ich den höchst möglichen Steuersatz und somit dieser "kapitalistischen Demokratie" sehr viel Geld abgegeben für ihre soziale Aufgaben, teilweise 52%.



    Diese Abzüge habe ich nie bereut oder verflucht, wer hat soll geben.

    Wer dieses System hier schlechtredet, sollte erst mal zeigen wo auf dieser Welt es viel gerechter und besser ist. Die diversen Ausflüge mancher Staaten in versuchten Sozialismus oder Kommunismus haben alle das Volk in Armut geführt.



    Mir ist dieser bei uns praktizierter Kapitalismus trotz aller Fehler immer noch lieber, als jeder versuchte und immer misslungene Sozialismus.



    Klar, wir müssen die extremen Geschwüre beseitigen und noch mehr "geregelte Marktwirtschaft" praktizieren, aber alles was ich kenne ist schlechter als das was wir haben.



    Dass man auch als Kind "armer" Eltern es zu etwas bringen kann, habe ich an/mit mir selbst erlebt. Ich stehe zu dieser deutschen sozialen Marktwirtschaft und lasse sie mir nicht schlecht reden.



    Was mich aber stört: Ich habe zu Recht Höchstsätze an Steuern bezahlt, ein paar Reiche und Superreiche können aber unser Steuersystem immer noch austricksen, das gehört endlich abgeschafft.

    Zu Gewerkschaften und Streikrecht sage ich als ehemaliger Arbeitgeber: Gott sei Dank gibt es sie um geizig/gierigen Arbeitgebern etwas entgegen setzen zu können. Kämpft für eure Rechte!

    • @Rudi Hamm:

      Ganz meine Meinung. Das schwadronieren von einer besseren sozialistischen Welt ist aber erlaubt.



      Komischerweise sind es meist Akademiker, vorwiegend Geisteswissenschaftler, in öffentlichen Diensten oder Unis beschäftigt, die von der sozialen Marktwirtschaft wenig halten und für eine ferne, bessere Welt werben.



      Auswüchse ungezügelter Marktmacht müssen selbstverständlich bekämpft werden , Anpassungen und Veresserungen sind notwendig und richtig.

    • @Rudi Hamm:

      “Als Kind damals armer Eltern, hat mir dieser Staat Schule und Ausbildung ermöglicht.”



      Ja, da haben wir beide durchaus biografische Ähnlichkeiten. Müssten wir da der deutschen Sozialdemokratie nicht noch heute auf den Knien rutschend dankbar sein statt, wie manche Linke, permanent an deren Reformismus und Opportunismus herumzunörgeln.😉



      Aber im Ernst: das wäre doch alles nicht möglich gewesen, hätte die historische Arbeiterbewegung nicht gewisse politische Rechte erkämpft. (Was den Schulbesuch angeht, könnten wir uns - genau genommen - sogar bei deren Gegenspieler, damaligen Reichskanzler Bismarck bedanken.)

    • @Rudi Hamm:

      Es ist eben immer die Frage was man für "besser" hält. Wenn man die hier im Kommentar gestreiften Kriterien eines staatlichen Schulsystems und eines möglichst hohen materiellen Wohlstands anlegt, wären neben westlich demokratischen Systemen wie Luxemburg, vor allem die politischen Systeme Singapurs, Katars, Macaus sowie der VAE zu favorisieren. Von freier und repressiver Demokratie über Kommunismus bis Absolutismus ist also alles dabei. Und dass die Bildungschancen von Kindern in DE noch immer extrem vom sozialen Status des Elternhauses abhängen wird seit Jahrzehnten kritisiert aber eben nicht geändert.



      "Die diversen Ausflüge mancher Staaten in versuchten Sozialismus oder Kommunismus haben alle das Volk in Armut geführt."



      Man sollte aber auch nicht glauben, dass unser Wohlstand eine Leistung des Kapitalismus ist die einfach so passiert. Sie basiert ausschließlich auf der brutalen Ausbeutung von Mensch und Natur anderswo. Aber zurück zur Ausgangsfrage "Kennen sie eine real existente bessere Staats- und Wirtschaftsform?", die ist in dieser Formulierung nämlich mE selbst Teil des Problems. Es wird erwartet, dass jemand in der Lage wäre ein theoretisches oder noch besser reales System zu präsentieren, dass sämtliche Probleme löst und dabei bestenfalls auch noch widerspruchsfrei sein soll (was kein hinreichend komplexes System sein kann). Damit wird die Frage zu einer rein rhetorischen die ledliglich noch dazu dient sich selbst zu vergewissern, dass das aktuelle System eben bereits das bestmögliche ist. Damit wird jede Veränderung daran zur Gefahr die es abzuwehren gilt weil es ja nur schlechter werden kann.

      • @Ingo Bernable:

        Stattdessen könnte man allerdings auch anfangen wirkliche Fragen zu stellen. Etwa die danach wie weit die mehr oder weniger implizieten Prämissen eigentlich gerechtfertigt sind nach denen Demokratie immer kapitalistisch sein müsse und wie weit es sich eigentlich mit einem demokratischen Geist verträgt sehr große Teile des täglichen Lebens der Menschen vom demokratischen Grundprinzip auszunehmen. Oder die danach ob es eigentlich stimmt, dass Kommunismus zwangsläufig immer Ein-Parteien-Diktatur bedeuten müsse. Oder die ob die angemessene Reaktion auf die Defizite des bestehenden Systems - etwa die akut voranschreitende Zerstörung unserer Lebensgrundlage - nicht eher darin bestehen müsste ein besseres System zu bauen, selbst wenn man kein definitives Rezept für den neuen Staat und den neuen Menschen hat, als untätig auf die Erleuchtung zu warten? Oder die, ob sich in einer solchen beweusst reflektierten Unwissenheit und Unfertigkeit der Pläne nicht gerade partizipatives Potential und demokratisches Korrektiv begründen?

        • @Ingo Bernable:

          "... ein besseres System zu bauen, selbst wenn man kein definitives Rezept für den neuen Staat und den neuen Menschen hat, als untätig auf die Erleuchtung zu warten?"

          Wenn Sie eine Mehrheit dafür gewinnen wollen, müssten Sie die Frage schon beantworten können, wie dieses "bessere System" aussehen soll. Denn die historisch bekannten Alternativen, die alle mit dem gleichen Anspruch auftraten, waren ausnahmslos diktatorisch, ökonomisch ineffizient und ökologisch destaströs.

          • @Schalamow:

            "Wenn Sie eine Mehrheit dafür gewinnen wollen, müssten Sie die Frage schon beantworten können, wie dieses "bessere System" aussehen soll."



            Sie haben den wesentlichen Punkt nicht verstanden. Ich halte bereits diese Grundkonfiguration, die Erwartung man könnte für etwas so komplexes wie eine menschliche Gesellschaft ein System, gar ein perfektes System, schaffen für problematisch und für etwas von dem man sich nach einigen Jahrtausenden immerwährender Fehlversuche verabschieden sollte und sich stattdessen lieber mal die eigene Begrenztheit und Fehlbarkeit eingestehen sollte und entsprechend mit einem lebendigem Provisorium arbeiten sollte und wie dieses aussehen sollte, sollte ebenfalls nicht der Vision einer charismatischen Führungsgestalt entspringen.



            "waren ausnahmslos diktatorisch, ökonomisch ineffizient und ökologisch destaströs."



            Interessante Sichtweise bei der Verteidigung eines Systems das wohl das erste (und auch das letzte) in der Menschheitsgeschichte sein wird dem es gelingt die Bewohnbarkeit des kompletten Planeten in die Tonne zu treten.

            • @Ingo Bernable:

              "Interessante Sichtweise bei der Verteidigung eines Systems das wohl das erste (und auch das letzte) in der Menschheitsgeschichte sein wird dem es gelingt die Bewohnbarkeit des kompletten Planeten in die Tonne zu treten."



              Wir wollen hier allerdings die tatkräftige Unterstützung aller anderen System nicht totschweigen, gell?

            • @Ingo Bernable:

              "Sozialistische Systeme" sind genauso auf Wachstum ausgelegt, das ist kein Argument.Und im Zusammenspiel mit einem totalitären politischen System zudem selten ökologisch.

            • @Ingo Bernable:

              Doch, den Punkt habe ich sehr wohl verstanden. Sie verteidigen das Recht auf eine Utopie.



              Sie machen es sich aber entschieden zu einfach, wenn Sie die Frage nach deren Umsetzung einfach ausklammern. Gerade nach dem Berliner Volksentscheid, der überdeutlich gemacht hat, dass Utopien ohne echte Realisierungschancen, aber mit erheblichen Risiken schlicht nicht mehrheitsfähig sind.



              Im übrigen scheint mir eine ökologisch argumentierende Kapitalismuskritik etwas durcheinanderzubringen: Was sie kritisiert, ist nämlich weniger die Folge des Kapitalismus als die der Industriegesellschaft.

              Es bedarf keiner allzu prophetischen Gabe, um zu sehen, dass die Aussicht auf ein "lebendiges Provisorium" nicht mehrheits- und damit auch nicht politikfähig ist. Beim Aufbruch in eine ungewisse Zukunft werden Ihnen nur die Wenigsten folgen.

              • @Schalamow:

                Mehrheitsfähig ist demnach einzig und allein ein System das auf der entgrenzten Ausbeutung von Mensch und Natur beruht, dem es bis heute nicht gelingt Kinderarbeit und Sklaverei zu überwinden, das im Begriff ist unsere Lebensgrundlage und die der komenden Generationen zu zerstören, das selbst hier in einem der reichsten Länder des Planten zu einer immer größeren Lücke zwischen Arm und Reich führt und dazu, dass Etliche überhaupt keine Chance haben jemals dem Niedrigstlohnprekariat zu entkommen. Nicht mehrheitsfähig ist demnach jeder Versuch an diesen Zuständen etwas zu ändern, wenn er nicht absolut lückenlos und widerspruchsfrei erklären kann wie das funktionieren sollte. Das aber muss bereits daran scheitern, dass eben kein System auch das bestehende nicht widerspruchsfrei sein kann, weiter muss es daran scheitern, dass für allzu viele schlicht einfach nichts anderes vorstellbar ist als der status quo, und ebenfalls muss es daran scheitern, dass mit einer solchen Erklärung ein geschlossenes und damit eben potentiell gleich wieder autoritäres System erzeugt. Fällt ihnen gar nicht auf, dass die Kriterien die sie hier für eine Änderung des Bestehenden fordern für das Bestehende selbst nicht mal ansatzweise greifen? Wenn etwa der Kern der Erzählung wie das System Kapitalismus funktionieren soll im Wesentlichen "freier Wettbewerb" lautet, stellen wir in der Praxis fest, dass der allzuoft ganz und gar nicht stattfindet, etwa bei den Bankenrettungen - mal wieder - oder einer komplett von Subventionen abhängigen Landwirtschaft, bei diversen Mono- und Oligopolen im Tech-Sektor, ...

        • @Ingo Bernable:

          Der Kapitalismus ist die schlechteste aller Wirtschaftsformen einer Demokratie, mit Ausnahme aller anderen die mach schon versucht hat.



          Weitere "Versuche" gehen auf Risiko des Volkes, könnten aber möglicherweise fatal ausgehen.

          • @Rudi Hamm:

            Der Versuch des Kapitalismus ist gerade ziemlich akut dabei fatal, im buchstäblichen Sinne, auszugehen. Die Versuche die Katastrophe aufzuhalten kann man bislang allerdings nicht allzu ambitioniert nennen.

          • @Rudi Hamm:

            Ich habe aber gerade das Gefühl, dass der Kapitalismus in seiner jetzigen Form fatal ausgehen wird. Weder hat er Antworten auf die globalen sozialen Missstände noch auf dem Klimawandel. Im Gegenteil, er ist die Ursache.

            • @Andreas J:

              "Weder hat er Antworten auf die globalen sozialen Missstände noch auf dem Klimawandel. Im Gegenteil, er ist die Ursache."



              Inwieweit z. B. sozialistischere Ansätze (Sowjetunion, China) bezüglich sozialer Missstände und Klimawandel (bzw. allgemein Umweltschäden) überzeugende Antworten liefern oder lieferten und damit _nicht_ ebenfalls Ursache sind, müsste allerdings noch dargelegt werden.

              • @Encantado:

                Fehlende Demokratie, fehlende Menschenrechte, keinen Bock seine Macht abgegen zu wollen. Oder kurz: Diktatur. Da kommt der Umweltschutz natürlich immer zu kurz und soziale Verwürfnisse sind an der Tagesordnung.

                Ist aber beim Kapitalismus nicht anders. Der Profit hat Vorrang. Im Sozialismus die Partei.

              • @Encantado:

                Ich habe ganz bewusst geschrieben" Kapitalismus in seiner jetzigen Form". Kapitalismus muss nicht zwangsläufig auf Ausbeutung beruhen. Er kann auch gemeinwohlorientiert und ökologisch Nachhaltig sein. Kapitalismuskritik immer mit Sowjetunion oder China zu kontern ist schon arg billig.

                • @Andreas J:

                  "...kann man sich über die Einordnung von UdSSR und VRC bestens streiten."



                  Kann man, zweifellos. Aber eine Einordnung, ob ein sozialistisches Land nun jeweils den 'echten Sozialismus' implementiert hat, ist ein Streit um des Kaisers Bart.



                  Historisch gesehen ist jedoch der Sozialismus als Staatsform bislang den Beweis schuldig geblieben, besser oder erfolgreicher zu sein als sein Gegenpart Kapitalismus (den man ebenfalls facettenreich aufgefaltet vorfindet).

                • @Andreas J:

                  Wenn Sie schreiben 'der Kapitalismus' ist DIE Ursache, um dann bei einem entsprechenden Hinweis auf Konkurrenzsysteme argumentativ schlagartig herumzulavieren und zu differenzieren - bei gleichzeitiger persönlicher Herabsetzung des Gegenparts -, dann ist _das_ billig.



                  Kann man natürlich machen. Zielt aber nicht auf eine faire Debatte.

              • @Encantado:

                Wenn man nicht darauf schaut welche Lable sich diese Regime aufkleben, sondern auf harte Kriterien wie die Fragen nach der Expropriation der Mehrwertproduktion oder den Produktionsmitteln in Hand der Arbeiter*innen kann man sich über die Einordnung von UdSSR und VRC bestens streiten.

                • @Ingo Bernable:

                  Und immer wieder endet es dabei, daß der Realsozialismus ja bisher immer und ausnahmslos nicht real Sozialismus war. No true Scotsman.



                  Möglicherweise ist es vielleicht so, daß "echter" Sozialismus leider nur irreal denkbar ist...

            • @Andreas J:

              Ob er die alleinige Ursache ist weiß ich nicht, ganz sicher aber hat er großen Anteil. Insofern gebe ich ihnen recht.



              Auf der anderen Seite ist der Haupterzeuger von CO2 China, nicht gerade das was man Kapitalismus nennt.



              Macht und Gier sind das Hauptproblem, und ich glaube die gibt es auch außerhalb des Kapitalismus.

              • @Rudi Hamm:

                China ist kapitalistische Staatsdiktatur mit (wieder) maoistischem Legitimationsanstrich. Es werden Märkte zugelassen und die Planwirtschaft reduziert, weil dies wirtschaftlich effizient ist. Gleichzeitig werden Entrechtung und Unterdrückung immer weiter vorangetrieben. Der Unterschied zum "abendländischen" Kapitalismus liegt unter anderem darin, daß der Terror der Staatspartei gegen alle richtet - Milliardäre können ebenso "verschwinden" wie Wanderarbeiter und Aktivist_innen, während sich die insgesamt unvergleichlich mildere Répression bei uns durch eine Unwucht nach "unten" auszeichnet

              • @Rudi Hamm:

                Was China macht ist nicht relevant um unser Wirtschaftssystem zu entschuldigen. China ist auch kapitalistisch egal was sie sich für ein Label geben. Der Kapitalismus muss nicht abgeschafft sondern reformiert werden. Hin zu Umweltverträglichkeit und Gemeinwohlorientierung. Schon aus reiner Selbsterhaltung.

                • @Andreas J:

                  "Der Kapitalismus muss nicht abgeschafft sondern reformiert werden."



                  Worum doch eigentlich gehen sollte: nicht 'der Kapitalismus' muss reformiert werden, sondern ganz allgemein das menschliche Zusammenleben. Eine Fokussierung auf die Wirtschaftsform geht da doch am Thema vorbei, zumal die existierenden und historischen Alternativsysteme nicht erfolgreicher waren.

  • @ Jayrôme Robinet: Vielen Dank für den interessanten und aufschlussreichen Artikel. Das erklärt ja einiges.

    • @Links gewinnt:

      Hallo Ingo, also ich stimme dir voll zu. Aber, sieh mal, es ist halt so: der Rudi hat, wie eben viele andere auch, für seine Verhältnisse und für sich selbst genug zusammengerafft, wie er ja schön schildert, dank dieses existierenden Systems des Kapitalismus; ihm geht's gut, und das reicht ihm. Deswegen geht er davon aus, daß es in diesem System allen anderen auch gut gehen KÖNNTE – das ist die Logik, nach der Arbeitslose ja selbst schuld sind. Dieses "könnte" ist dann auch alles an Solidarität, was mit dieser Einstellung verbunden ist. Wie es dem Planeten dabei geht, oder Menschen in fernen Ländern, ist den meisten ja völlig egal. Und andere Maßstäbe anzulegen, als die Frage nach finanziellem Reichtum, würde bei vielen dazu führen, da sie ihr gesamtes Leben in Frage stellen müßten, da sich selbiges nur an diesem Ziel orientierte.

      Aber nett, daß du immerhin immer weiter versuchst, den glühenden Anhänger der Möglichkeiten der Erwirtschaftung privaten Wohlstands im Kapitalismus von dessen schlechten Seiten zu überzeugen ;-)

      • @Altmärker:

        Ich möchte zustimmen und noch ergänzen: jede/r von uns (auch der Rudi, davon bin ich überzeugt!) hat - jenseits seiner/ihrer materiellen ökonomischen und sozialen Verhältnisse, in denen er/sie sich tatsächlich gerade befindet - eine Vorstellung davon, ja, vielleicht sogar eine Sehnsucht (mal pathetisch formuliert), wie ein “besseres” Leben für sich selbst und auch alle anderen Menschen aussehen könnte … auch wenn er/sie in Geld schwimmt, weiß er/sie doch um - oder er/sie ahnt es zumindest - um die banale Weisheit, dass Geld alleine nicht glücklich macht.



        Die Diskussion zwischen @Ingo Bernable, @Rudi Hamm und allen anderen Beteiligten hier dreht sich m.E. im Kern darum, welche Bedeutung wir der Utopie in unseren Welt- und Menschenbildern beimessen, welchen Stellenwert bzw. Gewichtung Materialismus und Spiritualität darin haben, welche individuellen biografischen Verläufe, unterschiedliche Lebenserfahrungen darin einfliessen etc.pp.



        Und ja, ich würde behaupten, dass eine rein materialistisch-(vulgär)marxistische Sozialismus-Rezeption genau so in die humanitäre (und ökologische) Sackgasse führt wie der real existierende, angeblich alternativlose Kapitalismus (Kaputtalismus).

  • Ironisch ist es so zu tun als wären Unternehmen und die Arbeiter_innen zwei Objekte die unabhängig miteinander verhandeln und ihre gesellschaftliche Einbettung- und das meint in einen kapitalistisch bürgerlichen Staat in dem Dogmen des Neoliberalismus, als auch Austerity Politikern mit nationalen Standortinteressen eingebettet sind - keine Rolle spielen würde.

    Ein Feiern nationaler Standortinteressen ist für Länder des imperialen Kerns ein Schulterschluss mit jenen die gegen Internationalismus stehen.

    • @KonservativBürgerlich:

      Ironisch ist, dass man meint die Gesellschaftsordnung verstanden zu haben und gleichzeitig zu glauben, dass es in "anderen" ökonomischen Ordnungen nicht die exakt die selben Bestrebungen, insbesondere in der Abeiterschaft, gäben würde.

      Die "Länder des imperialer Kerns" befinden sich wohl kaum in Europa.



      Die 1920er Jahre sind schon lange vorbei.

  • Jeder weiß, der Kapitalismus ist schlecht. Doch nur wenige wissen um die Fülle, was möglich wäre, lange, zu lange wurde uns erzählt, die Welt sei dualistisch Kapitalismus oder Kommunismus oder interpoliert irgendwie dazwischen. Tatsächlich wären wir frei,



    'Cause there's a million ways to go You know that there are



    in Frankreich geht es um die Renten. Trick der Wirtschaft - die Menschen werden älter - da sollen sie auch länger arbeiten. Doch die Gesellschaft leidet an zu vielen, zu kurzlebigen Produkten, die immer mehr automatisiert produziert werden. ChatGPT ist nur die letzte Entwicklung bis jetzt. Sobald wir uns darauf eingestellt haben, werden Produktion und Gewinne weiter monopolisiert.



    Sicher hierzulande wurde das Rentenalter schon auf 67 heraufgesetzt. Hat es geholfen? - In welcher Hinsicht sollte es geholfen haben? Sind die Arbeitgeber, die Rententräger zufrieden? Nein. Sind die Renten sicherer geworden, sind die Renten sicher? Nein. Hat das höhere Renteneintrittsalter zu mehr Beschäftigung geführt? Nein, eher im Gegenteil, immer mehr nutzen den Vorruhestand.



    Das Problem ist der Kapitalismus an sich, das Rennen nach mehr, immer mehr. Es soll kein Wachstum geben, nein das reicht nicht, es muss steigendes Wachstum geben. Hatten wir letztes Jahr 0,5% Wachstum, müssen es jetzt 2% sein, nächstes Jahr 7% und Ziel ist natürlich zweistelliges Wachstum. Vermutlich weil wir zu wenige Autos haben. Bei nur 580 Autos pro 1 000 Einwohner:innen besteht noch Nachholbedarf, bei Flachbildfernsehern sind es immerhin schon 920 plus 720 Smartphones. Dafür bieten Marken wie Primark Kleidung zum einmaligen Tagen - Vorteil, sie brauchen (können?) nicht gewaschen werden. Doch dafür muss man halt arbeiten, bis man umfällt. Endgültig zum Feindbild hat sich Greta Thunberg gemacht: Capitalism and market economics a 'terrible idea'. Wie war es in der Bibel? Dort hat man Propheten verprügelt oder getötet. - Hat aber nichts geholfen. Als würden wir den Wettermann für Regen verurteilen.

    • @mdarge:

      "Jeder weiß, der Kapitalismus ist schlecht."



      Bis auf die, die anderer Meinung sind.



      Filterblase anybody?

    • @mdarge:

      Was außer dem "Kapitalismus" schlagen Sie als praktisch machbar vor?



      Bitte kommen sie nicht Sozialismus oder Kommunismus, die funktionieren nur in der Theorie sind in der Praxis aber krachend gescheitert.

      • @Rudi Hamm:

        Auch der Kapitalismus ist "krachend gescheitert", hat diesen Planeten schon recht weit ruiniert, wie wir ja alle (hoffentlich allmählich dann doch) merken, und macht fleißig weiter damit.

        Das eigentliche Problem ist, daß das keiner wahr haben will vor lauter GIER, seinen/ihren Anteil daran zusammenzuraffen.

        So lange alle eventuellen Alternativen ausschließlich finanziell und am kapitalistischen System gemessen werden, wird sich daran auch nichts ändern.

        Mit sozialen, oder gar sozialistischen Maßstäben gemessen, ist der Kapitalismus erst recht "krachend gescheitert". Nur kommt offenbar nichtmal jemand aus dem (alternativen / linken) Lager auf die Idee, das zu tun.

        • @Altmärker:

          "Mit sozialen, oder gar sozialistischen Maßstäben gemessen, ist der Kapitalismus erst recht "krachend gescheitert"."



          Eine Bewertung des Kapitalismus nach sozialistischen Maßstäben ist natürlich schon per se Unsinn und mit 'voreingenommen' nur unzureichend beschrieben.

    • @mdarge:

      "Jeder weiß, der Kapitalismus ist schlecht."

      Um es noch banaler zu sagen: Jeder weiß Menschen sind schlecht.

      Die Kunst besteht dariin, unter den jeweils schlechten Banalitäten die Beste auszuwählen.

      Das Problem der Kapitalismuskritik ist, dass die Kritiker sich scheuen, eine Alternative aufzuzeigen. Wahrscheinlich haben sie auch keine.

      • @Rudolf Fissner:

        Ideen gibt es genug. Soziale Marktwirtschaft (eine die den Namen auch verdient), Gemeinwohlökonomie, Solidarische Ökonomie, Partizipativer Sozialismus usw. Nur das Kapital und seine politischen Jünger haben da keinen Bock drauf und diffamieren solche Ideen wo sie nur können.

      • @Rudolf Fissner:

        Da muss man nur in die Geschichte schauen: Am Anfang war die Kooperation. Am Anfang waren starke Frauen. Am Anfang war Respekt vor der Natur. .. Es kann alles hergestellt werden, inkl. Medizin, was wir benötigen. Im Prinzip nur die Maschine anstellen und wieder nach Hause gehen. Dank Technik. Es braucht zwar Organisieren und Organisation, aber keinen "Oberkellner", wie Henkel, Schwarz oder Rossmann.

        • @Gerhard Krause:

          "Da muss man nur in die Geschichte schauen: Am Anfang war die Kooperation. Am Anfang waren starke Frauen. Am Anfang war Respekt vor der Natur."



          Und dann kam der Fortschritt und die Menschen lebten gesünder und länger.



          Worauf wollen Sie hinaus?

        • @Gerhard Krause:

          "Am Anfang ..."

          Könnten Sie bitte den Zeitraum bitte etwas konkreter aus dem Stein meißeln?😜

          Und was wollen Sie Merkwürdiges über die heutigen Frauen mit ihrem Satz "Am Anfang waren starke Frauen" aussagen

      • @Rudolf Fissner:

        Nein Menschen sind nicht perse schlecht, das ist kompletter Blödsinn.

        Wenn aber "schlechtes" Verhalten nicht sanktioniert sondern gefördert wird braucht man sich nicht wundern.

        Hier das Werk einer Nobelpreisträgering welche Vorraussetzungen gelten müssen, damit öffentliche Ressourcen schonend genutzt werden:

        www.actu-environne...df/ostrom_1990.pdf

        Es gibt "Alternativen". (=

        Kopf aus dem Sand!

      • @Rudolf Fissner:

        „Um es banaler zu sagen: jeder weiß Menschen sind schlecht.“



        Nein, DAS eben nicht! Es sind immer noch die Verhältnisse, in denen Menschen leben müssen, nicht die Menschen selbst.



        Obwohl man natürlich mit Brecht sagen könnte: der Mensch ist gar nicht gut, drum hau’ ihm auf den Hut. Hast du ihm auf den Hut gehau‘n, vielleicht wird er dann gut (Dreigroschenoper, Lied von der menschlichen Unzulänglichkeit.)



        Aber ich persönlich glaube, in diesem Punkt hat Brecht geirrt und es gilt eine andere seiner Aussagen, nämlich: Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum hat er Stiefel im Gesicht nicht gern. Er möchte unter sich keinen Sklaven sehn‘ und über sich keinen Herrn (Einheitsfrontlied).

        • @Abdurchdiemitte:

          Das Einheitsfrontlied beinhaltet ja zwei Aspekte aus der Zeit der "Einheitsfront". Den Kampf gegen den Faschismus jauch gegen die SPD als "Sozialfaschisten" vor 33 und die KPD als Betreiber der Einheitsfront. Und letztere unterstand der Führung der KPDSU, dem Stalinismus also.

          Bei den Nazen werden wir uns sicherlich sofort ohne wenn und aber einig.

          Welche Bedeutung haben aber die Ziele der Einheitsparteibetreiber von annodunemals und der Kampf gegen die SPD vor 33 für Sie als Alternative zur Sozialen Marktwirtschaft?

          • @Rudolf Fissner:

            Ach ja, Sie haben sich in Ihrem Post natürlich nicht auf die SED bezogen, sondern auf die KPD vor 1933 mit ihrem Sozialfaschismus-Vorwurf gegen die SPD … das habe ich im Eifer des Gefechts wohl … äh, überlesen.



            Falsch wird meine Erwiderung deshalb aber auch nicht.😉

          • @Rudolf Fissner:

            Mir ging es bei der Zitation des Einheitsfrontliedes allerdings weder um einen Wettstreit der Systeme noch um eine Legitimation jener sozialistischen Einheitspartei, die Sie im Sinn hatten. Überhaupt nicht. Nicht nur hinsichtlich des NS, auch in der Beurteilung des historischen real existierenden Sozialismus stimme ich mit Ihnen überein.



            Ich halte das Zitat aus dem Einheitsfrontlied jedoch für eine zutreffende Aussage über die “Bestimmung” des Menschen, deshalb habe ich es zitiert … diese wird bisher leider von allen Ideologien und Religionen - auch denen, die postulieren, nur das “Gute“ für die Menschheit zu wollen - mit Füßen getreten, sobald sie selbst die Macht erlangt haben. Oder die Menschheitsbeglücker starten mit hehren Idealen, erstarren dann aber im Lauf der Zeit zu autoritären, autokratischen und diktatorischen Systemen. Dafür gibt es ja Beispiele zuhauf.



            Am ehesten entspricht unter den politischen Ideologien aus meiner Sicht noch der Anarchismus dem Ideal des autonomen, freien und dennoch solidarisch handelnden Menschen … jedoch musste/konnte er historisch nie den Beweis antreten, dass er (im Gegensatz zu allen anderen Heilslehren) tatsächlich das Versprechen auf besseres Leben einlösen kann.



            Man kann natürlich auch sagen, der Mensch müsse auch in seiner ganzen Widersprüchlichkeit, Gier, Korrumpiertheit und Grausamkeit so akzeptiert werden wie er ist, als menschlich halt … aber kann das eine Akzeptanz schlechter oder gewaltförmiger Verhältnisse („so ist das eben, da kannste nix machen“) für einen Großteil der Menschen rechtfertigen? Oder die Aussage, dass der Mensch von Grund auf schlecht sei? Da sind wir wieder bei der Utopie.



            Auch die Sozialdemokratie steht übrigens grundsätzlich immer im Widerspruch zwischen Pragmatismus und Utopie … sie verliert ihre politische Seele immer dann, wenn sie versucht, diesen Konflikt einseitig aufzulösen.

        • @Abdurchdiemitte:

          Die Verhältnisse werden aber von Menschen verursacht.Gesellschafts- /Wirtschaftssysteme sind keine unveränderlichen Naturgesetze.

          • @Mustardmaster:

            Das ist aber keine Aussage über die „Natur“ des Menschen im philosophischen Sinn. Natürlich werden die Verhältnisse von Menschen gemacht und sie tragen jeweils auch die Verantwortung dafür … allerdings gibt es viele historische Beispiele dafür, dass beispielsweise Revolutionäre mit hehren Zielen gestartet sind (und diese Ziele tatsächlich nur lauteren Motiven entsprachen), ihre Herrschaft dann aber doch in Gewalt und Unterdrückung gegenüber Andersdenkenden endete („die Revolution frisst ihre Kinder“).



            Woran das wohl liegt? Bestimmt nicht an der „bösen“ Natur des Menschen. Ich persönlich “glaube” da auch nicht an umveränderliche Naturgesetze, sondern beispielsweise eher an die Erkenntnisse der Sozialpsychologie über Vorurteile, Feindbilder und (gesellschaftliche) Gruppenprozesse.

  • Danke für den sehr einsichtsreichen Artikel.

    Einen blinden Fleck meine ich allerdings im liebevollen Blick outre-Rhin zu sehen: die "starken deutschen Gewerkschaften" sorgen für eine Hypertrophie des nicht gewerkschaftlich vertretenen Prekariats, so dass es "in" und "out" Arbeiterinnen gibt. So wird der gut bezahlte VW-Arbeiter letztlich auch zum trägen, wandlungsunwilligen Gartenzwerg.

    Hat alles so seine Vor- und Nachteile.

    In einem jedenfalls sind wir uns einig: 49.3 kann getrost weg (alternativ: bei jeder Anwendung sollte der Präsident 2/3 seines Jahressolds an die Staatskasse zurückzahlen).

    • @tomás zerolo:

      Nein ich finde es gut dass Macron es durchgesetzt hat egal wie