Russische Propaganda: Moskauer Geschichtsfälscher
Der russische Außenminister Lawrow relativiert in seinen jüngsten Kriegsäußerungen den Holocaust. Er reißt damit die Brücken zur zivilisierten Welt ein.
V iel Feind, viel Ehr: Wenn es in einem Krieg nicht so richtig läuft, muss der Gegner als übermächtig böse dargestellt werden, als ein Feind, der die eigene Nation zu verschlingen droht. Denn wenn die Nation in Gefahr ist, muss die innere Einheit gewahrt bleiben. Dann ist für jedwede Opposition kein Platz, sind Zweifler Vaterlandsverräter. Leichenberge hin oder her – jetzt gilt es den Patriotismus zu stärken.
Nichts anderes als dieses altbewährte Mittel hat der russische Außenminister Sergei Lawrow aus der Schublade gefischt. Es lohnte nicht, sich über derart platte Propaganda aufzuregen, wäre Lawrow bei den üblichen Versatzstücken solcher Durchhalteparolen geblieben. Doch in seiner Rede sprach er nicht nur über die Nation und die Feinde, sondern auch über die „Endlösung“, also die physische Vernichtung des jüdischen Volkes und den Mord an sechs Millionen Menschen.
Darum ginge es dem Westen in Wahrheit – nur dass anstelle der Juden dieses Mal die Russen gemeint seien, so Lawrow. Ein drohender Holocaust also, der furchtbarste Völkermord der Weltgeschichte. Diese Behauptung ist nicht nur grundfalsch. Sie beleidigt die Opfer und ihre Nachkommen. Sie relativiert den Holocaust zu einer x-beliebigen Episode in der Geschichte. Sie ist eine maßlose Geschichtsfälschung. Sie stünde deshalb jedem gestandenen Neonazi gut an.
Es läuft überhaupt nicht gut für Russland im Krieg gegen die Ukraine. Wenn Lawrow, der alles andere als ein diplomatischer Anfänger ist, zu derartigen Analogien greift, enthüllt er nicht nur eine erschreckende Verkommenheit in der Wahl seiner Mittel. Der Außenminister offenbart auch ungewollt, was für ein Regime da in Moskau an der Macht ist und in welch geistigem Umfeld es sich bewegt.
Ein Umfeld, das Lüge zur Wahrheit erklärt, Krieg zur „Operation“ und Mord zur „Befreiung“. Wer so argumentiert, weiß, dass er die Brücken zur zivilisierten Welt einreißt. Wie soll man mit so jemandem Frieden schließen?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein