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Russische PropagandaMoskauer Geschichtsfälscher

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Der russische Außenminister Lawrow relativiert in seinen jüngsten Kriegsäußerungen den Holocaust. Er reißt damit die Brücken zur zivilisierten Welt ein.

Sergei Lawrow, Außenminister von Russland, bei seiner jährlichen Pressekonferenz Foto: Alexander Zemlianichenko/ap

V iel Feind, viel Ehr: Wenn es in einem Krieg nicht so richtig läuft, muss der Gegner als übermächtig böse dargestellt werden, als ein Feind, der die eigene Nation zu verschlingen droht. Denn wenn die Nation in Gefahr ist, muss die innere Einheit gewahrt bleiben. Dann ist für jedwede Opposition kein Platz, sind Zweifler Vaterlandsverräter. Leichenberge hin oder her – jetzt gilt es den Patriotismus zu stärken.

Nichts anderes als dieses altbewährte Mittel hat der russische Außenminister Sergei Lawrow aus der Schublade gefischt. Es lohnte nicht, sich über derart platte Propaganda aufzuregen, wäre Lawrow bei den üblichen Versatzstücken solcher Durchhalteparolen geblieben. Doch in seiner Rede sprach er nicht nur über die Nation und die Feinde, sondern auch über die „Endlösung“, also die physische Vernichtung des jüdischen Volkes und den Mord an sechs Millionen Menschen.

Darum ginge es dem Westen in Wahrheit – nur dass anstelle der Juden dieses Mal die Russen gemeint seien, so Lawrow. Ein drohender Holocaust also, der furchtbarste Völkermord der Weltgeschichte. Diese Behauptung ist nicht nur grundfalsch. Sie beleidigt die Opfer und ihre Nachkommen. Sie relativiert den Holocaust zu einer x-beliebigen Episode in der Geschichte. Sie ist eine maßlose Geschichtsfälschung. Sie stünde deshalb jedem gestandenen Neonazi gut an.

Es läuft überhaupt nicht gut für Russland im Krieg gegen die Ukraine. Wenn Lawrow, der alles andere als ein diplomatischer Anfänger ist, zu derartigen Analogien greift, enthüllt er nicht nur eine erschreckende Verkommenheit in der Wahl seiner Mittel. Der Außenminister offenbart auch ungewollt, was für ein Regime da in Moskau an der Macht ist und in welch geistigem Umfeld es sich bewegt.

Ein Umfeld, das Lüge zur Wahrheit erklärt, Krieg zur „Operation“ und Mord zur „Befreiung“. Wer so argumentiert, weiß, dass er die Brücken zur zivilisierten Welt einreißt. Wie soll man mit so jemandem Frieden schließen?

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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45 Kommentare

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  • Was ist daran neu?



    Die Frage ist nur, wie der Kreml besiegt wird.



    Denn eine innerrussische Opposition gibt es jetzt noch weniger, da so viele vernünftige Menschen emigriert sind.



    Das Ziel des Krieges: eine dauernde Zerstörung der Ukraine, nur aus lauter Mißgunst. Egal wie.

  • Es ist schon etwas belustigend, wie der Spruch, dass man häufig zu dem wird, was man eigentlich hasst, hier so treffend zutrifft.

    Die Russen haben seit Kriegsbeginn die Ukrainer als Nazis, Dämonen, Untermenschen, etc. diffamiert, und gleichzeitig immer wieder davon geschwafelt, dass sie ja eigentlich gegen die NATO und den Westen kämpfen, und dass amerikanische und britische Soldaten in der Ukraine im Einsatz sind, um einen Stellvertreterkrieg gegen das arme, gebeutelte Russland zu führen.

    Aber, wenn man sich die Art des Krieges, die Glorifizierung des Z, die Filtration und Deportation von Unmengen an Zivilisten, die Propagandamaschinerie, die Repressalien in Russland, etc. pp. anschaut, kann man eigentlich nur feststellen, dass das Putin'sche Russland ein durch und durch faschistisches Regime ist.

  • Nuja, eine RELATIVIERUNG des Holocaust ist das eigentlich nicht. Lawrow behauptet ja sogar, dass die angeblichen völkermörderischen Absichten des Westens noch um einige Größenordnungen weiter gingen. "Holocaust" wäre(!) also für das, was er da zusammenfabuliert, schon ein ganz und gar nicht übertriebener Begriff. Aber es ist ein unzweifeliger Missbrauch des historischen Fanals für Propagandazwecke (der als solcher freilich außerhalb Deutschlands nichts soo außergewöhnliches ist) und natürlich eine maßlose Verfälschung der realen Verhältnisse und Intentionen.

  • Man täte ja gern verhandeln ... Drum die Frage an Lawrow: Was wär das Minimum, das der Aggressor als Beute behalten will? Was wär das russische Angebot?

    Das Ende der Ukraine, die Übernahme durch Russland? Dieses Ziel hat Putin zu Anfang klar benannt - und es bisher nicht revidiert.

    Möglich, dass Putin&Co jetzt auch mit etwas weniger zufrieden wären, etwa mit den vier (vollständigen?) Oblasten, die schon mal formell und voreilig annektiert worden sind?

    Auf welcher rechtlichen Grundlage soll so eine Annexion geschehen? Präzedenzfall: Russland darf also fremdes Territorium annektieren. Demnächst den Rest der Ukraine, Moldawien, die baltischen Staaten, ev. auch noch Finnland und Polen? (Hat ja alles mal zum Heiligen Russland gehört!)

  • Antisemitismus ist in Deutschland nicht nur ein Phänomen am gesellschaftlichen Rand, sondern diene als "Bindeglied zwischen gesellschaftlichen Diskursen und extremistischen Ideologien", sagte Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Dazu den Lagebericht lesen. In Deutschland wird Antisemitismus gelebt. "Der III Weg" schreibt zu "Warum wir uns keinen „Guten Rutsch“ wünschen…ungehemmter Antisemitismus in reinst Form für jedermann online zugänglich. Es ist mal wieder soweit...wie schreibt Hugo Ball:



    "...verdrehten die Werte, suchten ihren Stolz im Widerspruch und spielten einen Heroismus aus, vor dessen hochtrabender und auf Schrauben ruhender Pose die übrige Welt in Gelächter ausbrach. Sie rühmten alle ihre Schwächen, ja ihre Laster und Verbrechen als Vorzüge und Tugenden und travestierten damit die Moralität der andern, denen sie sich überlegen fühlten. Sie fanden nie die freundliche, höfliche Einstellung zu den Dingen, sie identifizierten sich nicht mit den eigenen Gedanken."

  • "Sie ist eine maßlose Geschichtsfälschung. Sie stünde deshalb jedem gestandenen Neonazi gut an."

    Sorry, aber: Quatsch. Der Neonazi hätte ja den Holocaust geleugnet. Aber das macht Lawrow nicht, er behauptet nur irrsinnigerweise, dass es jetzt einen Holocaust gegen die Russen gäbe.

    Immer schön genau bleiben, gelle?

    • @Jalella:

      Nee, es gibt auch Neonazis die den Holocaust nicht leugnen sondern sagen, daß auch andere Nationen während des Kriegsgeschehens andere Völker versucht haben gezielt auszulöschen.

  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    "Wie soll man mit so jemandem Frieden schließen?"



    Garnicht.



    Das ist ja das schlimme, das Dilemma.



    Man kann mit Leuten wie Lawrow oder Putin keinen Frieden schließen.



    1. Weil ihnen Zusagen Versprechen und Verträge nichts bedeuten. Versprechen werden gebrochen, noch bevor das letzte Wort ausgesprochen ist. Und Lawrow (ebenso wie Putin) hat bei allen möglichen Gelegenheiten so oft die Unwahrheit verbreitet, dass ihm nicht mehr zu glauben ist.



    Man könnte einen Friedensvertrag schließen. Aber es brächte nichts.



    2. Wie soll man mit Leuten wie Putin und Lawrow Frieden schließen angesichts der monströsen Untaten, für die sie verantwortlich sind?



    Untaten am eigenen Volk; den in den Krieg gezwungenen Soldaten, die nur für die Eitelkeit der Regierenden sterben und versehrt werden; Untaten für deren Angehörige, die mitleiden; Untaten an den Kriegsgegner in Russland, die in Gefängnissen und Lagern eingekerkert werden und deren Angehörigen; Untaten an den Menschen in der Ukraine.

    Es ist schlimm, aber es ist wohl so: Erst muss sich Russland, müssen sich die Russen von diesen Leuten selbst befreien, bevor Frieden möglich wird.

  • Das russische Volk muss doch bemerken, dass von Seiten des "Westens" niemals Angriffsdrohungen oder - szenarien gegen Russland gemacht wurden, und dass die offizielle russischer Darstellung nicht mit der Realität übereinstimmt. Wo sollen denn die Angriffe gegen Russland stattfinden, woran könnte man dies festmachen?



    Es muss doch auch in Russland bekannt sein, dass sich westliche Politiker umfänglich um eine diplomatische Lösung bemühen!



    Der, der sich nicht rührt und sich über die Bemühungen des Westens sogar noch amüsiert ist Putin!



    Das muss doch auch das russische Volk bemerken!



    Es ist natürlich leicht sich als weißrussischer Bürger als Hardliner aufzuführen, wenn ausschließlich Männer aus benachteiligten, abgelegenen Gebieten eingezogen werden. Offenbar wird sich daran erst etwas ändern, wenn in Weißrussland Männer und Söhne zum Kriegsdienst eingezogen werden. Insofern ändert sich erst etwas, wenn diese Bevölkerungsschichten ihre bequeme Lage verlieren, und auch dann nicht mehr in den ach so schlimmen "Westen" fliehen können.

    Was ist eigentlich mit den Sanktionen gegen die russischen Banken auf Grund des Überfalls auf die Ukraine, sind denn mittlerweile alle russischen Banken vom SWIFT- System ausgeschlossen worden?

    Sind denn nun alle Immobilienwerte russischer Oligarchen in Deutschland eingefroren worden?

    • @Privatkundig:

      Naja nach den letzen Umfragen (insofern sie als halbwegs verlässlich zu bewerten sind) mekt das allemal die Hälfte des russischen Volks, zumindest in den größeren Städten (das Landvolk spielt politisch eh keine aktive Rolle). Von den jungen Erwachsenen sogar roundabout 70%.

      Aber was bringt es, wenn die das offen aussprechen? Mehrere Jahre Knast wegen Verunglimpfung der Armee. Also schweigen die allermeisten.

    • @Privatkundig:

      Die meisten in Russland werden wohl ausschließlich die staatlichen Propagandakanäle konsumieren, und dann muss man die Sicht der Welt auf Russland überhaupt nicht bemerken.

    • @Privatkundig:

      Es "merken" ja noch nicht einmal so einige aus unserem Leserkreis, dass der Westen Russland nicht angegriffen hat, etwas ähnliches auch nicht plant oder sonst irgendeine Bedrohung für Russlands Integrität darstellt. Wer einmal im "der Westen will den Krieg"-Narrativ drinsteckt, wird sich sein Gesinnungsgerüst durch Fakten nicht mehr trüben lassen wollen. Und wenn es dieses Phänomen schon hierzulande gibt, brauchen wir uns bei der russischen Öffentlichkeit nach 20 Jahren totalitärer Propaganda wirklich nicht zu wundern.

    • @Privatkundig:

      Das russische Volk kriegt diese Propaganda halt seit Jahrzehnten ohne große Gegenrede eingetrichtert.

      Und die die nicht dran glauben, haben sich zum Großteil von politischer Teilhabe verabschiedet. In Gesprächen spürt man ganz viel Resignation und unterschwelligen Galgenhumor. Was mit lautstarken Kritikern und Oppoitionellen



      passiert, haben sie ja oft gesehen.

      Man muss auch bedenken, dass es in Russland noch nie eine wirklich freie, demokratisch offene Gesellschaft gab, die über einen längeren Zeitraum die Möglichkeit hatte, das politische Geschehen aktiv mitzugestalten.

  • Wenn man sich das ansieht, was "Comical" Sergej Lawrow in den letzten Jahren so an geistigen Ergüssen produziert hat, frage ich mich, warum den Absurditäten, die der Mann regelmäßig von sich gibt, noch Beachtung geschenkt wird. Der Mann spielt mit Trump in einer Liga, mehr gibts darüber nicht zu sagen.

    • @Kaboom:

      "Der Mann spielt mit Trump in einer Liga..."



      Ich würde behaupten, dass er ihm deutlich den Rang abgelaufen hat.



      Ich mag Trump ja auch nicht, aber zu derartigen Holocaust-Unterstellungen hat er sich meines Wissens nicht verstiegen.

    • @Kaboom:

      Er übertrifft Trump deutlich und wird seinerseits deutlich nochmal von Medwedew übertroffen. Krasse Zeiten, und denen noch nicht einmal ein Trump das Extrem ist.

  • Dass in Russland der ganz banale Faschismus in den Köpfen Einzug gehalten hat, wurde und wird immer noch von einigen orthodoxen Linken hier geleugnet, nach dem Motto, was nicht sein kann, das nicht sein darf. Die russische Gemengelage aus Nationalismus, Massenbewegung, Diktatur, Imperialismus und Vernichtungswille gegenüber anderen Völkern ist aber sehr wohl als neue Form des Faschismus zu bezeichnen (ich empfehle zum Faschismusbegriff das Buch von Paul Mason: "Faschismus, Und wie man ihn stoppt"). Genauso wurde/wird behauptet, u.a.in der Vergangenheit von der TAZ, dass von einem russischen Vernichtungskrieg in der Ukraine nicht gesprochen werden dürfe, da dieser Begriff ausschließlich der Kriegsführung der Nazis vorbehalten sei. Dies ist natürlich Unsinn, da es allein in den letzten 30 Jahren der Geschichte alleine immer wieder Vernichtungskriege gegeben hat, wie z.B. in Ruanda, Srebrenica/Bosnien, Tschetschenien, Aleppo/Syrien, Rohingya/Myanmar, sowie jetzt in der Ukraine. Lawrows Aussage der "Endlösung der Russenfrage" ist, wie schon zuvor (www.rnd.de/politik...6WUC66LGJAC4.html), Zeichen eines Antisemitismus, der Teil des neuen russischen Faschismus ist.

    • @Rinaldo:

      Vielen Dank, dem kann ich nur zustimmen. Eine weitere Literaturempfehlung ist "The Road to Unfreedom" des renommierten Outeuropa-Historikers Timothy Snyder. Dort wird herausgearbeitet, wie sehr sich die russische Regierung in den letzten beiden Jahrzehnten am faschistischen Philosophen Ivan Iljin orientiert, und mit welchen Methoden die gesamte Bevölkerung auf den Faschismus gedrillt wird, ohne dass er freilich so bezeichnet wird.

      Russland heute ist faschistisch, imperialistisch und expansionistisch, und das nicht nur in der Regierung, sondern leider in weiten Teilen der Bevölkerung. Auch wenn man es dort wie gesagt anders nennt.

    • @Rinaldo:

      "Die russische Gemengelage aus Nationalismus, Massenbewegung, Diktatur, Imperialismus und Vernichtungswille gegenüber anderen Völkern ist aber sehr wohl als neue Form des Faschismus zu bezeichnen."



      Ich bin sicher, dass der Putinismus im Handbuch der totalitären -ismen sein eigenes Kapitel kriegen wird. Aber: Wo sehen sie die Massenbewegung?

      • @Barbara Falk:

        Ich stimme Ihnen zu … Totalitarismus als Zustandsbeschreibung der russischen Gesellschaft reicht völlig aus und sagt alles. Warum dann noch die Faschismuskeule schwingen, es sei denn, man möchte darüber hinaus noch gewisse ideologische Botschaften transportieren?

      • @Barbara Falk:

        Der russische Faschist Alexander Dugin gilt gemeinhin als ideologische Referenz von Putin. Die orthodoxe Kirche, ihrerseits das klerikales Macht Instrument Putins, spielt eine dominierende Rolle in der militaristischen Massenmobilisierung und Gleichschaltung der russischen Gesellschaft. Die Rolle des Opfers im Kampf mit dem Westen (=Bösen) wird nach Umfragen von einer Mehrheit der russischen Gesellschaft angenommen und in eine aktive und passive Tolerierung des Angriffs-und Vernichtungskrieges Russlands verwandelt. Auch wenn heute keine Horden von Schwarzhemden durch Moskau marschieren, so zeigt der Wahn, sich in einem ethnoreligiösen Bürgerkrieg zu befinden, klerikal- faschistische Tendenzen, zu denen Lawrows antisemitische Tiraden gut passen.

        • @Rinaldo:

          Passive Tolerierung ist aber eine komische Definition für eine „mobilisierte Masse“.



          Was soll „aktive Tolerierung“ sein?



          Zu einer mobilisierten Masse gehören ihre Manifestationen. Die fehlen im vorliegenden Falle so auffällig, das dies einer Erklärung bedarf.



          Aus den Umfragen (auf welche genau beziehen Sie sich?) sollte man nicht so weitreichende Schlüsse ziehen, die Fragen sind manipulativ und zielen auf Bestätigung dessen ab, was von oben vorgegeben wird. Und über 90 % der Befragten weigert sich mittlerweile, Fragen zum Krieg zu beantworten. In den wenigen (unabhängigen) Tiefeninterviews, die es gibt, wo nicht nur ja und nein gefragt wird, sondern nach den Motiven für die jeweilige Antwort, ist auch bei Kriegsbefürwortern von Hass auf Ukrainer wenig zu sehen.



          Ich gebe Ihnen absolut recht, dass die russische Führung es gern so hätte, wie Sie es beschreiben. Die hat sich mit Kriegsbeginn zweifellos noch einmal schubartig radikalisiert. Die Frage ist aber, ob sie es schaffen werden, das Volk mitzunehmen. Der bekannte Politologe Grigori Judin, der unmittelbar nach Kriegsbeginn vor einer Radikalisierung und Mobilisierung der atomisierten Gesellschaft gewarnt hat, sagt mittlerweile: Nein, das wird nicht gelingen.



          Der Faschismus der russischen Führung wirkt auf mich wie ein schlecht gemachtes polittechnologisches Konstrukt, und auch ein ziemlich improvisiertes - der Krieg war schließlich anders geplant, und hat (als einsame Entscheidung Putins) auch die Eliten überrascht. Der imitierte Faschismus hat die imitierte Demokratie abgelöst.

        • @Rinaldo:

          Vorsicht, klerikal-faschistische Tendenzen lassen sich auch unseren polnischen NATO- und EU-Bündnispartnern unterstellen.



          Ich bin immer dafür - auch aus historischen Gründen - es mit der Faschismusanalyse definitorisch sehr genau (und im Zweifelsfall) sehr eng zu fassen … um nicht alle möglichen ideologischen Intentionen mit zu transportieren.



          Das gilt im übrigen auch für Netanyahus Rechtskoalition in Israel … ich sehe jetzt schon die Elsässers, Jebsens, Sellners etc. hämisch grinsen, wenn es um die gesellschaftspolitische Entwicklung in Israel geht.

    • @Rinaldo:

      „… dass von einem russischen Vernichtungskrieg



      in der Ukraine nicht gesprochen werden dürfe, da dieser Begriff ausschließlich der Kriegsführung der Nazis vorbehalten sei.“



      Vermintes Gelände, diese Debatte. Ich werde immer stutzig, wenn ich Wortschöpfungen wie „Putler“ höre oder vom Genozid an den Ukrainern die Rede ist. Ginge es nur darum, seinen Abscheu gegen solche Mistkerle wie Putin und Lawrow zum Ausdruck zu bringen und das Entsetzen und die Wut angesichts von willkürlichen Hinrichtungen wehrloser Zivilisten, Massengräbern, Folterkammern, gezieltem Beschuss ziviler Infrastruktur wie Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Energieversorgung etc., wäre es noch okay.



      Die jeweilige Kontextualisisierung und Ideologisierung sowie der inflationäre Gebrauch solcher Vergleiche jedoch sind es, die mit Bauchschmerzen bereiten. Warum? Ich erinnere an den sog. Historikerstreit 1986/87.



      de.m.wikipedia.org...i/Historikerstreit



      Da ging es um die gezielte geschichtsrevisionistische Reinterpretation deutscher Geschichte, indem u.a. die These vertreten wurde, die NS-Gräuel seien als eine Art Reflex auf die (viel größeren) Gewaltverbrechen des Stalinismus in der Sowjetunion zu verstehen … eine Kontextualisierung, die im Grunde auf eine Relativierung der Singularität des Holocaust hinausläuft, wie die Kritiker der Debatte (u.a. Habermas) seinerzeit zurecht feststellten.



      Bei der Analyse des russischen Herrschafts- und Machtsystems - das Sie von mir aus ruhig als neuen Faschismus bezeichnen können (ich frage mich nur, welche Konnotationen das beispielsweise im Hinblick auf westliche Kriegsziele gegenüber Russland hervorruft) - sollten wir daher mit Vergleichen zum NS-System vorsichtig bleiben, gerade aus linker Perspektive.



      Was die politische Rechte mit solchen Gleichsetzungen/Vergleichen (z.B. Putin=Hitler) bezweckt, scheint mir dagegen eindeutig zu sein.

      • @Abdurchdiemitte:

        "Bei der Analyse des russischen Herrschafts- und Machtsystems....sollten wir daher mit Vergleichen zum NS-System vorsichtig bleiben, gerade aus linker Perspektive." Ich vergleiche aber Russland gar nicht mit dem NS-System (das wäre in der Tat unhistorisch) sondern mit faschistischen Bewegungen weltweit , wie sie z.B. in Spanien, Italien, den USA, Russland, etc. existiert haben und existieren.

        • @Rinaldo:

          Okay, da habe ich wohl übers Ziel hinausgeschossen, wollte Ihnen persönlich auch gar nichts in Richtung Geschichtsrevisionismus unterstellen … aber ich erinnere mich bei solchen Diskussionen immer an meinen damaligen angebräunten Geschichtslehrer, der sich vor die Klasse stellte, um händereibend und grinsend zu verkünden, dass Stalin ja wohl mehr Menschen auf dem Gewissen habe als Hitler.



          Hier war die Kontextualisierung eindeutig … und für mich Anlass, mein eigenes Geschichtsbild und meine politische Orientierung zu schärfen.



          Insofern kann ich dem Mann noch dankbar sein.



          Trotzdem bin ich nicht ganz überzeugt, wenn Sie z.B. den Faschismus in den USA erwähnen … Massenbewegung? Der Trumpismus oder auch der Bolsonarismus in Brasilien - die man in gewisser Weise als Massenbewegungen bezeichnen kann - würde ich zunächst einmal nur als rechtspopulistische Bewegungen bezeichnen, auch wenn sie in Teilen faschistische Züge aufweisen. Mal nebenbei: wie würden Sie denn die innenpolitische Entwicklung in Israel bewerten?



          Reicht es eigentlich nicht, Scheisskerle wie Putin, Trump, Bolsonaro, Erdogan, Netanyahu etc. erst einmal als solche zu benennen, als ihnen gleich immer das Faschismus-Etikett anzupappen?

  • Es ist eine Schande, dass die israelische Regierung hier nicht mindestens den russischen Botschafter einbestellt. Lawrow hat sich jetzt zum zweiten Mal eine widerwärtige, antisemitische Entgleisung gegönnt.

    • @Reisehank:

      Na, die neue rechtsextremistisch-ultrareligioese Regierung in Israel scheint ja eindeutig andere Interessen zu verfolgen … bestimmt ist es nicht den Kampf gegen den Antisemitismus.

  • Es erstaunt mich, dass Sergej Lawrow bereits jetzt so tief in der brachialrhetorischen Mottenkiste herumsuchen muss, der Krieg dauert noch nicht mal ein Jahr lang.

  • Viel Feind, viel Ehr. Bei Lawrow ist es Propaganda. Die Ukraine setzt es seit einem Jahr in der ganzen Welt in die Tat um. Man bemerke die Ironie.

  • Die traurige Ironie der Sache besteht darin, dass die neuen Nationalhelden der Ukraine Bandera, Stetsko, Konowalets, Schuchewytsch, Melnyk u.a. heißen.

    Also, das gesamte Pantheon der ukrainischen Nationalhelden besteht aus Nazi-Kollaborateuren und SS-mitglieder, die direkt oder indirekt in Dutzende von Pogromen und den Holocaust selbst verwickelt sind. Es zu leugnen oder so zu machen, als ob dies nicht Wahr wäre ist nicht nur heuchlerisch sondern auch eine Geschichtsfälschung.

    Letztes Ende ist das auch Treibstoff im Feuer dieses Krieges. Der Autor selbst fragt: "Wie soll man mit so jemandem Frieden schließen?" Also, noch mehr Krieg, noch mehr Waffen, noch mehr Töte, noch mehr Haß.

    • @Bescheidener Kunsthandwerker:

      Die heutigen "Nationalhelden" der Ukraine sind die Millionen Frauen und Männer, die an der Front und hinter der Front gegen die russischen Invasoren kämpfen, weil sie keine Russen sind und keine sein wollen.

      Für Lawrow & Co sind die alle Ukro-Nazis, Faschisten.

      Die Aggressoren beschimpfen ihre Opfer als Angreifer. Und Sie machen mit, Kunsthandwerker?

      Warum haben Sie zB Selenski nicht in Ihre Liste aufgenommen?

    • @Bescheidener Kunsthandwerker:

      Ich bin ja sonst jemand, der bei dem Vorwurf "Holocaustrelativierung" gerne mal genervt abschaltet, weil das zu einem selbstgefälligen Totschlagargument geworden ist und letztlich nunmal auch alles relativ ist.

      Lawrows Aussagen sind aber nicht nur falsch, unsagbar dumm und verantwortungslos, sondern auch wirklich gefährlich weil die russische Politik damit jegliche Gewalt gegen die Ukraine und mittelbar auch gegen "den Westen", als nicht nur notwendige sondern auch gerechte Notwehr legitimieren will. Solchen Irrsinn hatte man sonst nur aus Nord-Korea gehört.

    • @Bescheidener Kunsthandwerker:

      Inwieweit ist das hier von Bedeutung? Es gab genauso russische, baltische, skandinavische, ja sogar jüdische Kollaborateure. Glauben Sie wirklich, das delegitimiert die Ukraine?

      Das einzige Volk dass sich in Sachen Kollaboration besonders unrühmlich hervorgetan hat, waren die (Vichy-)Franzosen.

      Der bedeutendste und folgenreichste Kollaborateur war übrigens Stalin. Der hat 1939-41 freiwillig und ohne Not mitgemacht. Nicht mal aus Überzeugung, sondern aus purem Zynismus.



      Was sagt dessen (neuer) Nationalheldenstatus über Russland aus?

    • @Bescheidener Kunsthandwerker:

      Die Ukraine ist ein Nazistaat, war kurz davor, Russland anzugreifen und auszulöschen, hat Lawrow doch schon gesagt.



      Aber Danke für Ihr großes Verständnis für Putins Friedensmission!

    • @Bescheidener Kunsthandwerker:

      Mal abgesehen davon, dass es für ein angegriffenes Land im Kriegsrecht der denkbar ungünstigste Moment ist, nationalistische Narrative zu begraben, hier hoffnungsvollere Zeilen von Omer Bartov: www.berliner-zeitu...laechter-li.219678

    • @Bescheidener Kunsthandwerker:

      Sie habe Recht, dass es diese Strömungen und Gruppierungen sowohl auf russischer, als auch auf ukrainischer Seite gibt bzw. gab, nach dem Sprichwort " In jedem Gerücht steckt auch ein Funken Wahrheit"



      Das Nazithema ist für Russland hingegen ein konstruiertes propagandistisches Reizthema, weil gerade diese Nazi-Strömungen zur Souverän-Werdung und Herauslösung der Ukraine von Russland beigetragen haben.



      Desshalb wird gerade dieses Thema propagandistisch genutzt, um den Krieg innenpolitisch zu rechtfertigen.

  • "Wer so argumentiert, weiß, dass er die Brücken zur zivilisierten Welt einreißt."



    Mit "zivilisierter Welt" sind wahrscheinlich diejenigen Länder gemeint, die Irak, Libyen, Syrien etc. auf dem Gewissen haben.

    • @Christoph Meyer:

      Wenn sie sich ein wenig mit der Politik von Assad (Junior und Senior),Saddam und Gaddaffi beschäftigen werden sie feststellen das diese Länder heute da sind wo sie sind weil diese Diktatoren des eigenen Machterhals twegen ihre Länder zur Unregierbarkeit gespalten haben. Die Konfliktlinien in Syrien verlaufen primär zwischen den Regimegewinnern und den Opfern des Regimes, nur das die Opfer angefangen haben zurückzuschlagen. Im Irak hat die US Invasion die Jahrhundertelange sunnitische Mknderheitenherrschaft über die Mehrheit der Schiiten beendet. Der sunnitische Terror rekrutieren sich vorallem aus den Reihen der ehemaligen Saddam Terrortruppen insbesondere Fedayin Saddam und Baathist Geheimdienst. Die wollen ihre alte Herrschaft zurück.



      Die Menschen im Nahen und Mittleren Osten sind keine Schafe und haben und was vor Ort passiert wird primär von Akteuren vor Ort bestimmt.

  • Warum macht ihr kein Tazlab mit Doschd? Ich kann nicht glauben, dass in Russland nur Verrückte leben.

  • [...] Beitrag entfernt. Bitte beachten Sie die Netiquette. Vielen Dank! Die Moderation

  • Lawrow ist kein Außenpolitiker oder Diplomat, er ist Propagandist. Das Russland sich selbst als Opfer eines geplanten Völkermordes sieht während es selber Genozid in der Ukraine verübt ist halt Propaganda.

  • Was Außenminister Lawrow sagt ist keinen Pfifferling wert.



    Die höchste Form der Verachtung ist es, gar nicht auf ihn zu reagieren.

  • "Wie soll man mit so jemandem Frieden schließen?"



    Zumal Putin einerseits ständig und immerzu seine Gesprächsbereitschaft betont, Außenminister Lawrow und Pressesprecher Peskow dann aber immer hinterherschieben, dass der Präsident von seinen „gesetzten Zielen“ nicht abweichen will - seinen Kriegszielen nämlich.



    Und weil die Ukraine nicht auf dieses vergiftete Angebot hereinfällt, gibt es auch keine Verhandlungen.



    Und so beschuldigt Putin die Ukraine der Gesprächsverweigerung. Wie lange soll dieses Kasperletheater noch weitergehen?

    • @Pfanni:

      "Wie lange soll dieses Kasperletheater noch weitergehen?"



      Ad infinitum. Bis zum (bitteren) Ende.



      Die Ausdauer von notorischen Propagandisten dieser Art sollte nicht unterschätzt werden.