Opposition gegen Putin-Regime: Ein langer Weg zum Frieden

Russlands Opposition ist noch zu schwach, um Putins Diktatur etwas entgegenzusetzen. Trotzdem leisten viele Widerstand. Denn Aufgeben ist keine Option.

Ein Plakat mit dem Gesicht Putins auf dem eine rote (blut-verschmierte) Hand über dem Gesicht prangt und das Wort: Killer

Protest gegen den russischen Einmarsch in der Ukraine Foto: Miguel Candela/dpa

Die russische Invasion in der Ukraine dauert nun schon fast ein Jahr. Sie hat bisher unvorstellbare Opfer gefordert: Zehntausende Tote, Millionen Flüchtlinge, zerstörte Städte und Infrastruktur, unsägliches Leid der Menschen, die diesen Winter ohne Strom und Wärme überleben müssen, und eine moralische Katastrophe des russländischen Volkes, das in einer Diktatur gefangen ist.

Putins kriminelle Macht verlangt von den Russen, dass sie ihre Menschenwürde aufgeben, aber viele von uns leisten weiterhin Widerstand – im Gefängnis, im Untergrund und im Exil. Von der russischen Gesellschaft wird gefordert, sich dem Krieg anzuschließen und ihn zu unterstützen.

Die Novaya Gazeta ist Russlands älteste unabhängige Publikation. Nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine wurde sie verboten. Das Team der Novaya Gazeta Europe hat das Land verlassen, um ihre Arbeit fortsetzen zu können und denjenigen eine Stimme zu geben, die die Invasion niemals akzeptieren werden. In diesem Dossier veröffentlicht die taz Texte russischer Jour­na­lis­t:in­nen über das erste Kriegsjahr und seine Folgen für die Welt und für Russland, über die Veränderungen in der russischen Bevölkerung, wofür das Adjektiv „russisch“ heute und in Zukunft steht, und berichten über Menschen, die Widerstand leisten. Die Texte sind auf Initiative der taz Panter Stiftung entstanden und geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Es ist bereits das zweite Dossier mit Texten der Novaya Gazeta Europe in der taz. Das erste ist im Mai 2022 erschienen. Die Texte des ersten Dossiers finden sich hier.

Diejenigen jedoch, die sich weigern, werden verfolgt und zerstört. Dies ist in der Geschichte unseres Kontinents bereits geschehen. Jetzt sind wir – Aktivisten, Journalisten, die russische Opposition gegen die blutige Diktatur – noch zu schwach. Aber wir können es uns nicht leisten aufzugeben.

Die deutsche Gesellschaft hat eine ähnliche Tragödie erlebt. Trotz einer Niederlage im Krieg und Besatzung gelang es ihr, sich wieder aufzurichten und nicht in einen neuen Revanchismus zu verfallen. Deutschland versucht heute zu Recht, vorsichtig zu sein, um nicht in einen neuen großen Krieg hineingezogen zu werden, der in Europa noch 2021 undenkbar schien.

Dem Untergang geweiht

Nichtsdestotrotz haben wir alle keine andere Wahl, als der Ukraine zu helfen, sich zu verteidigen. Es ist unmöglich, untätig zu bleiben, wenn Antischiffsraketen der russischen Armee Hochhäuser in der friedlichen ukrainischen Stadt Dnipro zerstören – so geschehen am 14. Januar 2023. Wenn Europa die Ukraine nicht rettet, ist es dem Untergang geweiht.

Aus der Erfahrung Deutschlands wissen wir, dass der einzige Weg, Russland zu erneuern und in die europäische Völkerfamilie zurückzuführen, eine militärische Niederlage Putins ist. Dieser Weg wird wahrscheinlich nicht weniger schwierig sein als der Weg, den Deutschland im 20. Jahrhundert gegangen ist.

Natürlich ist ein direkter Vergleich unserer Situation mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust undenkbar, da die Taten der Nazis und die Anzahl ihrer Verbrechen ihresgleichen suchen.

Aber Putin als ein Verbrecher hat mehrere Qualitäten, die man nur verstehen kann, wenn man sich an die Ereignisse von 1933 bis 1945 erinnert.

Biblischer Verrat

Im Gegensatz zu Putin hat Hitler allerdings nie behauptet, dass er die Brudervölker anderer Länder befreien wolle, indem er ihre Städte zerstört. Die Besatzer und Widerstandskämpfer während des Zweiten Weltkriegs verstanden die Sprache des anderen nicht und hatten keine Erfahrung damit, in einem (sowjetischen) Staat zu leben. Wir haben nicht länger das Recht, Ukrainer Brüder zu nennen, denn als Putin den Krieg entfesselte, beging er einen wahrhaft biblischen Verrat.

Das geschah bereits 2014: Die Krim wurde von der Ukraine kampflos übergeben, weil niemand glauben konnte, dass die ehemaligen Brüder dazu fähig wären, mit der Waffe in der Hand auf die Halbinsel zu kommen und dann die erste Phase des Kriegs im Donbass zu entfesseln.

Zudem konnte Hitler nicht die ganze Welt mit Atomwaffen erpressen. Das tut die russische Staatspropaganda heute täglich mit Erfolg. In TV-Talkshows werden mit sadistischem Vergnügen mögliche Ziele für einen Atomschlag aufgelistet: Berlin, Paris, London. Diesen staatlichen Sadismus machte Präsident Putin persönlich salonfähig. Viele Jahre lang wurde er während seiner offiziellen Reden nur in dem Moment munter, in dem er von einer Wunderwaffe sprach, die die ganze Welt zerstören könne.

Am 24. Februar schrieb ich eine Redaktionskolumne für die Novaya Gazeta in Moskau und beendete sie mit den Worten: „Der Krieg wurde von einer Person in wenigen Stunden entfesselt, der Weg zum Frieden wird für jeden von uns lang sein.“

Menschenwürde und Berufsethos

Es scheint, dass wir heute erst am Anfang dieser Reise stehen. Wir unabhängigen Journalisten aus Russland können nur versprechen, dass wir nicht lügen oder unser Handwerk verraten werden.

Sie halten die erste deutschsprachige Ausgabe der Novaya Gazeta Europe in Ihren Händen, in der wir über die Geschehnisse in Russland und Osteuropa berichten. Ich danke meinen Kollegen, die sich entschieden haben, im Exil für Menschenwürde und Berufsethos zu kämpfen, und deren Arbeit diese Publikation ermöglicht hat.

Ich danke der Redaktion der taz für ihre Solidarität und Freundschaft in diesem Kriegsjahr. Und ich bin dem von Reporter ohne Grenzen gegründeten European Fund for Journalism in Exile (JX Fund) dankbar, dass wir unseren Beruf immer noch ausüben können.

Die Novaya Gazeta ist Russlands älteste unabhängige Publikation, die nach Beginn des Kriegs verboten wurde. Am 1. April 2023 wird sie 30 Jahre alt. Wir, Journalisten dieser Zeitung im Exil, werden dafür sorgen, das sie nicht dem Vergessen anheimfällt.

Aus dem Russischen Barbara Oertel

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▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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