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Verlängerung der LaufzeitenEs liegt am Atom-Bedarf im Süden

Macht nur der obskure Strommarkt die AKW-Reserve notwendig? Rufe nach Neuorganisierung werden laut.

Neckarwestheim: Der Kraftwerksbedarf in Süddeutschland“ sei „eine Schimäre“, so die Atomkraftgegner Foto: Michael Probst/ap

Freiburg taz | Die Energiekrise rückt ein altbekanntes Defizit des Strommarkts ins Blickfeld – nämlich den deutschlandweiten Einheitspreis im Großhandel. Die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern wollen diesen kippen und treten für eine regionale Auftrennung des Marktes ein. Damit würde der Strompreis in Regionen mit Stromüberschuss im Mittel sinken, in anderen Regionen steigen.

Niedersachsens Energieminister Olaf Lies (SPD) ließ sich jüngst mit den Worten zitieren: „Wenn ich da lebe oder produziere, wo auch die Energie produziert oder angelandet wird, muss diese Energie dort auch günstiger sein.“ Protest kam umgehend von der bayerischen Landesregierung, die kurzerhand die hohen Einzahlungen des Freistaats in den Länderfinanzausgleich gegenrechnete.

Aber der bayerische Einwand ändert nichts daran, dass die Organisation des Strommarkts etwas bizarr ist. Wenn im Norden viel Wind weht, fallen am Spotmarkt die Preise. Wegen des Einheitspreises kann dann auch ein Unternehmen in Bayern oder Baden-Württemberg billig Strom einkaufen, selbst wenn es keine entsprechenden Leitungen gibt. In der Branche vergleicht man den Aufbau des Strommarkts gerne mit einer Kupferplatte – als könnte jede Kilowattstunde jederzeit überallhin fließen.

So kommt es regelmäßig vor, dass der zuvor billig im ganzen Land und sogar ins Ausland verkaufte Strom von der Küste im betreffenden Moment gar nicht zu den Käufern gelangen kann. Dann müssen – als Wächter über die Netzstabilität – die Übertragungsnetzbetreiber durch den sogenannten Redispatch in den Markt eingreifen. Sie regeln dann Stromerzeuger im Norden herunter und fahren dafür solche im Süden hoch und kompensieren damit Netzengpässe. Dieses Manöver aber bezahlen nicht jene Stromverbraucher im Süden oder im Ausland, die billigen Strom aus dem Norden gekauft haben; vielmehr werden die Kosten auf die Netzentgelte umgelegt.

4 bis 5 Zonen

Regionale Preiszonen verhindern eine solche Fehlsteuerung. Ungewöhnlich sind mehrere Marktgebiete in einem Land nicht: Norwegen hat fünf Zonen, Schweden vier. Mit der Auftrennung von Marktgebieten gibt es zudem bereits Erfahrung; 2018 wurde die bisher einheitliche Strompreiszone von Deutschland und Österreich geteilt, nachdem sie zu immer stärkeren Verwerfungen im Marktgeschehen geführt hatte.

Seit Jahren schon wird eine Auftrennung Deutschlands zumindest in eine Nord- und eine Südzone diskutiert – aber nichts ist passiert. Nun gewinnt das Thema einerseits durch die Beschwerden jener Bundesländer an Brisanz, die über viel Windkraft verfügen und stärker von deren preissenkendem Effekt profitieren wollen. Zudem rückt auch die Anti-Atom-Organisation Ausgestrahlt den Reservebetrieb der beiden Atomkraftwerke Neckarwestheim 2 und Isar 2 in den Kontext der Strommärkte.

Die Reaktoren sollen, so hat es Wirtschaftsminister Robert Habeck angekündigt, den Winter über bereitstehen, um die Netzstabilität abzusichern. Nach Einschätzung von Ausgestrahlt wäre dies nicht nötig, wäre der Strommarkt anders organisiert. Der „angebliche Kraftwerksbedarf in Süddeutschland“ sei „eine Schimäre“, so die Atomkraftgegner. Er ließe sich „in Luft auflösen“ durch eine Neuordnung des Stromhandels – indem man die Verfügbarkeit von Leitungen zur Voraussetzung für jeden Stromeinkauf macht. Habeck solle, so Ausgestrahlt, „den Markt der Physik anpassen“.

Das ist freilich bis Mitte April – so lange sollen die beiden Reaktoren laufen – nicht machbar. Aber später könnte eine Aufspaltung der Gebotszonen im Strommarkt tatsächlich kommen. Denn die EU macht Druck: Wenn die Engpässe im Übertragungsnetz nicht bis 2025 beseitigt werden, könnte sie eine Auftrennung des Marktes in zumindest eine Nord- und eine Südzone anordnen.

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16 Kommentare

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  • Es ist doch falsch zu behaupten, das die Strompreise in Deutschland einheitlich sind.



    Die Netzentgelte machen bereits 20% des Strompreises aus. Und die sind eben durchaus unterschiedlich.



    Die Netzbetreiber holen sich ja das Geld für die Übertragungsleitungen nicht bei denen, die am meisten davon profitiieren – Bayern und BW – sondern bei der Landbevölkerung der SH, die diese nicht benötigen würden.



    Wenn wenigstens diese Netzentgelte einheitlich erhoben werden würden, wäre es deutlich gerechter.

  • Der Atom-Bedarf im Süden ist nichts anderes als ein Kohlestrom-Mangel. Die momentan und in absehbarer Zukunft sehr begehrten Kohlekraftwerke stehen nunmal in NRW und Niedersachsen, aber nicht in Bayern oder BaWü.

    Wenn man nun aus der Kernenergie 20 Jahre vor der Kohle aussteigt, und dann auch noch plötzlich die Brücke Erdgas wegfällt, dann ist das nicht nur bzgl. Klimaschutz bescheuert, sondern führt auch zu einer Nord/Süd Schieflage, die mit Erneuerbaren wenig zu tun hat.

  • Ich finde die Zonen richtig.

    Hier in NRW ist jahrelang Windkraft lahmgelegt worden, damit man Braunkohle verstromeen kann ... muss...leiderleider.

    Und es würde die Trollen, die jedes Windrad bekämpfen mal den Gegenwind aus der Nachbarschaft spüren lassen.

  • Hat bei der TAZ schon jemand mitbekommen das in Niedersachsen Wahlkampf ist und die beiden SPD Ministerpräsidenten ihren Parteifreund unterstützen ??

  • Zwei Zonen:



    Die eine Zone nennen wir Aldi Nord, die andere Aldi Süd - Problem gelöst.

    • @Christoph Buck:

      Da sin aber die Preise IMMER gleich - außer bei Hirschgulasch. Den hat NORD nich. ;-)

  • Tja, wo soll ich anfangen, wo aufhören? Das Thema Strompreise ist komplex. Mindestens so komplex wie seine preislichen Grundbestandteile Stromentgelt und Netznutzungsentgelt mit ihren zugehörigen Umlagen. Mag mancher noch die EEG-Umlage kennen, werden die meisten privaten Endverbraucher bei den folgenden zu den Netzentgelten gehörenden Umlagen nur unwissend mit den Schultern zucken: Umlage nach §26 KWKG, nach §19 (2) StromNEV, nach §17f EnWG und nach §18 AbLaV.



    Was ich damit sagen möchte: man muss die ganze Energieregulierung nicht noch komplizierter machen, als sie ohnehin schon ist. Wichtiger ist doch die Beseitigung der Engpässe und nicht noch eine weitere Verkomplizierung der Energieregulierung durch neue Preiszonen.



    Die Auftrennung der Strompreiszonen zwischen D und A hat jedenfalls dazu geführt, dass die Preise in Österreich überall einheitlich höher wurden. Die waren stinksauer.



    Ist es daher unter den derzeitigen Energiepreisbedingungen politisch klug und solidarisch, die süddeutschen Strompreise noch weiter nach oben zu treiben?



    Wäre es nicht wichtiger, die regionalen Verteilnetzbetreiber in ihrem Bemühen um Netzausbau zu unterstützen (v.a. bei Finanzierbarkeit, Planungsrecht)? Und zeitgleich den Bau von Speichern zu stärken. Die Verteilnetzbetreiber, die am besten wissen, wo ihnen der "Schuh drückt", dürfen wg. der Energieregulierung selber keine netzdienlichen Speicher bauen. Das dürfen nur Energieerzeuger und -händler. Zumindest private sollten mehr & unbürokratisch gefördert werden.



    Seitens der Übertragungsnetzbetreiber hat man vor mehreren Jahren die Arbeiten zu den HGÜ-Leitungen wie Südlink aufgenommen. Doch hier gab es - uns nun fehlende Zeit - zeitraubend eben viele Hindernisse zu beseitigen, weil jeder sagte "NIMBY" (von Landespolitikern bis zu einfachen Bürgern).



    Die in Süddeutschland sitzende Industrie wird die 2 Preiszonen voraussichtlich nicht hinnehmen wollen (nota bene: VW hat mit Audi auch dort zwei Standorte).

    • @Alfonso el Sabio:

      Es sollten aus ökologischer Gründen eh sehr viel weniger Autos produziert werden. Motorisierter Individualverkehr und noch dazu neue Autos (Audi-Limousinen und SUVs sowieso) sind Energie- und Ressourcenverschwendung und sorgen durch Produktion und Nutzung für noch mehr Treibhausgasemissionen, da die Energiewende unzureichend vorangetrieben worden ist. Und das, wo die Klimakrise bereits weit vorangeschritten ist, wäre eine fatale Entwicklung.

  • Dem Argument und Vorschlag kann ich durchaus etwas abgewinnen. Dann bitte aber auch konsequent. Dann müssen Kunden von reinem "Ökostrom" bei nächtlicher Windstelle abgeschaltet werden und die ebenso beworbenen ICEs auf freier Strecke stehenbleiben.



    Die Kölner Rheinenergie verkauft angeblich nur noch "100 % zertifizierten Ökostrom", etwas anderes wird gar nicht mehr angeboten. Nach der gesetzlich vorgeschriebenen Aufteilung auf meiner letzten Rechnung stammen tatsächlich 54 % des gelieferten Stroms aus Gaskraftwerken. Das ist so nicht einfach passiert, das ist das über viele Jahre gewollte und gemachte Ergebnis der Politik unserer derzeitigen Regierungsparteien. Jeder, der das gewählt und gewollt hat, soll jetzt über die von ihm verursachten Kosten nicht jammern. "Sage keiner, er habe es nicht wissen können."

    • @Axel Berger:

      "Jeder, der das gewählt und gewollt hat, soll jetzt über die von ihm verursachten Kosten nicht jammern. "Sage keiner, er habe es nicht wissen können.""



      Das stimmt und wäre nur konsequent. Also liebe Wähler*innen von CDU, CSU, SPD, FDP, AFD ...

    • @Axel Berger:

      Ökostrom ist bei weitem nicht nur Wind und Solar, sondern auch Wasserkraft –und solche hat die Bahn schon 1918 angefangen zu bauen. Da nachts auch viel weniger ICE fahren, mag das durchaus über die Dunkelflauten reichen.

      • @o_aus_h:

        Die Bahn hat übrigens auch Pumpspeicherkraftwerke für solche Fälle ;-)

      • @o_aus_h:

        Zumal beim Betrieb vom ICE auch Strom gespart werden kann und sollte: da mensch weiß, dass aufgrund des Zusammenhangs, dass mit Anstieg der Geschwindigkeit (gar überproportional?!) der Energieverbrauch steigt, das Herabsetzen von Geschwindigkeiten Energieeeinsparungen bewirken würde.

  • Meinetwegen, aber dann schaffen wir auch den Länderfinanzausgleich ab.



    Es kann nicht sein dass BW und Bayern Milliarden an Läderfinanzaugleich zahlen, aber die Nehmerländer beim Strom nicht solidarisch sein wollen.

    • @Rudi Hamm:

      das ist dann aber auch wieder nur sehr kurz gedacht.



      Die Industrie wird sich sehr schnell in die Gegenden umorientieren in denen die benötigte Energie billiger ist.



      So könnte es passieren, dass Bayern, welches seinen Wirtschaftsaufschwung erst dem damaligen Finazausgleich aus den Ländern des alten Energiezentrums im Norden verdankt (Kohle und Stahlindustrie in NRW und im Saarland) wieder in die Rolle des Nehmerlandes hinabfällt.

      • @Friderike Graebert:

        Und dann treten die Franken aus (womit Söder im Hofgarten im Exil säße ... ) - welcher ehem. Landesteil wird dann wem nen Ausgleich zahlen müssen ? Unübersichtliche Zeiten.