Deutschland und der Krieg in der Ukraine: Angst vor dem K-Wort
Sind wir im Krieg? Seit Monaten scheut die Bundesregierung ein eindeutiges Wording, nicht aber Waffenlieferungen. Ein Bluff.
W ir sind im Krieg. Nein, sind wir nicht. Doch! Nein! Doch! Nein! Doch!
Seit 7 Monaten herrscht Krieg in Europa und die deutsche Regierung benimmt sich als sei sie der britische Kellner im Sketch „The Germans“ von 1975, in dem der Monthy-Python-Gründer John Cleese seine Kollegin vor den deutschen Gästen warnt: „Don’t mention the war.“ Sonst eskaliere die Situation.
Seit dem 24. Februar heißt es seitens der Regierung: Bloß nicht eskalieren. Kühlen Kopf bewahren und alles tun, damit es so aussieht, als seien wir bloß unbeteiligte Passanten, die an dem Krieg in der Ukraine vorbeilaufen wie an einem Obdachlosen in der Innenstadt – mal mit, mal ohne ihm ein paar Cent in die Pappschachtel zu schmeißen. Also alles tun, damit Putin sich nicht über uns ärgert und die Atombombe schmeißt. Dazu gehört, dass die Bundesregierung nicht sagen darf, dass wir uns im Krieg mit Russland befinden. Vergangene Woche aber ist es passiert. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat „Krieg“ gesagt. Genauer: „Wir sind im Krieg mit Putin und nicht seine Psychotherapeuten.“ Und es gab ein Donnerwetter. Twitter eskalierte.
Ganz eindeutig
Gaspipelines werden in die Luft gejagt (Täter unklar), Atomkraftwerke werden beschossen (Täter ziemlich klar), man rät uns, sich an Worten zu wärmen statt an der Heizung (die Bundesregierung) – natürlich sind wir, ist Europa, und damit auch Deutschland, im Krieg. Kaum einem Bewohner dieses Kontinents, der regelmäßig seinen Briefkasten leert, dürfte das entgangen sei. Die Post vom Gasversorger ist eindeutig.
Gut, immerhin, anders als in Russland wandert man in Deutschland nicht 15 Jahre in den Knast, wenn man doch mal aus Versehen Krieg sagt. Lauterbach wurde von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht lediglich gerüffelt und nahm seine Aussage zurück: „Wir sind nicht im Krieg.“ Die Ministerin habe recht, korrigierte er sich: „Wir sind keine Kriegspartei.“
Dass sich die Nato darauf geeinigt habe, nicht „Kriegspartei“ zu werden, ist seit Beginn des Krieges der Carglass-Jingle der Bundesregierung. Mit der ständigen Debatte darum, wann und wann nicht man „Kriegspartei“ sei und es keinesfalls werden wolle, wird suggeriert, man halte sich an Gesetze. Was genau aber unter diesem Rechtsbegriff aus dem Völkerrecht zu verstehen ist, ist selbst unter Experten umstritten.
Unumstritten ist, dass nach dem Völkerrecht jeder Staat das Recht hat, einen angegriffenen Staat zu unterstützen. Die Frage allerdings ist: Wo endet Unterstützung, wo beginnt Angriff? Zwar ist nachvollziehbar, dass man in einem Krieg keine unnötigen Fehler machen möchte. Doch abgesehen davon, dass ein Krieg nie gerecht ist, jede Waffe auch gegen Unschuldige eingesetzt werden kann und unkalkulierbare Dynamiken entstehen – das Zögern Deutschlands konnte angesichts der Waffenlieferungen und Bekundungen („Putin muss verlieren“) anderer Nato-Staaten als russlandfreundlich gedeutet werden.
Flurschäden und Prüfungen
Wer als Deutsche in diesem Kriegssommer Urlaub in anderen Nato-Ländern von Lettland bis Kroatien machte, konnte die Frage: „Na, wann knickt Scholz gegenüber Putin ein?“ überall hören. Was allein dieses anfängliche deutsche Nichtparteiseinwollen an Flurschaden angerichtet hat, wird sich frühestens nach dem Ende dieses Krieges beziffern lassen.
Wahrscheinlicher aber als die Russlandfreundschaft der deutschen Regierung sind protestantischer Eifer und die schiere Angst, bloß nichts falsch zu machen und deswegen anfangs sogar wochenlang prüfen zu lassen, ob die Auslieferung von Helmen und Verbandskästen zu Problemen führen könnte. Hinzu kam ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, das sich auf den Völkerrechtler Pierre Thielbörger bezog und konstatierte, die Ausbildung der Konfliktpartei an Waffen mache Deutschland zur Kriegspartei.
Das hingegen bestritt der Völkerrechtler Stefan Talmon und betonte, dass selbst, wenn Deutschland dem Völkerrecht nach aus irgendwelchen Grünen als „Kriegspartei“ eingestuft werden könnte, aus diesem Status noch lange kein Recht auf Gewaltanwendung gegen Deutschland erwachse. Die Debatte um den Status Kriegspartei führe in die Irre, sagte Talmon schon im Mai. Es sei eine politische Entscheidung, ob und mit welchen Mitteln man die Ukraine unterstütze. Das Völkerrecht solle dafür nicht „missbraucht“ werden.
Angst vor dem Teufel
Sicher, auch Putin dürfte unterschiedliche Auslegungen des Völkerrechts vorgelegt bekommen und sich die Interpretation raussuchen, auf die er Bock hat. Ob er sich davon beeindrucken lässt, dass Herr Lauterbach öffentlich widerrufen hat, im Krieg mit Putin zu sein? Eher nicht. Putin dürfte genau wissen, dass so wie er selbst auch die Bundesregierung sowie die gesamte Nato blufft. Natürlich weiß er, dass man ihn am liebsten zum Teufel schicken würde. Allein aus Angst davor, er selbst könnte der Teufel sein, macht man es nicht.
Mit dieser Angst spielt er. Und sie verfängt. Je näher die Ukraine ihrem Ziel kommt, die Besatzer von ihrem Territorium zu vertreiben, umso heftiger werden die Absetzbewegungen. Aus Panik vor der Reaktion Putins im Falle einer Niederlage wird der Ruf nach Einfrieren des Krieges immer lauter. Ausgerechnet jetzt. Das ist bei allem Risiko absurd. Zwar lässt inzwischen auch US-Präsident Biden offen wissen, dass die Drohungen Putins ernst zu nehmen seien und dass alles getan werde, um Putin Möglichkeiten zu schaffen, gesichtswahrend aus der Scheiße zu kommen. Von einem Einfrieren des Krieges aber spricht Biden keineswegs.
Im Gegenteil. Während man hierzulande Angst hat, dass der Gesundheitsminister wegen eines Wortes den dritten Weltkrieg auslöst, lässt das Weiße Haus den ehemaligen CIA-Chef David Petraeus unwidersprochen sagen, dass die USA im Falle eines Einsatzes von atomaren Waffen die russische Armee wohl in Schutt und Asche ballern würde.
Man kann es auch als Good-Cop-bad-Cop-Spiel interpretieren: In Deutschland hält man sich nun mal an die Gesetze und spielt lieber Schiedsrichter als Säbelrassler. Die öffentlichen Aussagen der Bundesregierung kann man aber auch als Beweis dafür nehmen, dass von Zeitenwende trotz einiger Waffenlieferungen nichts zu merken ist. Justizminister Marco Buschmann erläuterte in einem Interview mit dem Westfalen-Blatt: „Wir dürfen keine Zeit verlieren, denn bei Kriegsverbrechen sind die Menschen in der Regel traumatisiert … Wichtige Informationen werden dann nicht mehr erinnert. Deswegen drängt die Zeit bei der Sammlung und Sicherung von Beweisen.“ Zeitenwende wäre, hätte der Minister gesagt: Wir dürfen keine Zeit verlieren, Kriegsverbrechen zu verhindern.
Wir sind im Krieg. Dass die deutsche Bundesregierung da mittels Wording bluffen will, fair enough. Neben der Kampfbereitschaft der Ukraine scheint der Bluff zur kriegsentscheidenden Frage geworden zu sein. Wer den längeren Atem beim Bluffen hat, gewinnt.
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