Böllerverbot zu Silvester: Linksbürgerlicher Kulturkampf
Wieder ist Feuerwerk verboten. Oberflächlich gesehen wegen Corona – doch in Wahrheit wollen Teile des Bürgertums die proletarische Sitte weghaben.
W er zu Silvester böllert, bekommt es mit der Polizei zu tun. Allein in Berlin gilt an mehr als 50 Orten ein Versammlungs- und Feuerwerksverbot. Auseinandersetzungen mit Bürgern über Feuerwerksbagatellen sind nicht nur in der Hauptstadt vorprogrammiert. Die Begründung für das Verbot: Weil die Notaufnahmen wegen der Coronapandemie ohnehin überlastet sind, sollen zusätzliche Unfälle mit Feuerwerk vermieden werden.
Zwar gab es etwa in Berlin 2020 – als bereits ein Böllerverbot bestand – einen Rückgang schwerer Verletzungen im Zusammenhang mit Feuerwerk, dennoch sprechen sich Experten gegen ein Verbot aus. Der Leiter der Notaufnahme im Dortmunder Klinikum Nord sagt etwa: „Diejenigen, die wirklich böllern wollen, besorgen sich dann beispielsweise illegale Böller aus dem Ausland.“
In der Tat: Statt rigoros reglementierte Feuerwerkskörper aus deutschen Supermärkten werden zu Silvester gefährlichere Knallkörper etwa aus Polen gezündet, in denen mehr „Nettoexplosivmasse“ enthalten sein darf. Und genau dieses Feuerwerk kann zu deutlich schwereren Verletzungen führen.
Vor allem die Grünen und Umweltverbände kämpfen seit einigen Jahren für ein generelles Böllerverbot für Privatpersonen. Die Deutsche Umwelthilfe begründete ihren Vorstoß vor Beginn der Coronakrise unter anderem mit den Umweltauswirkungen und Belastungen für Haustiere. Nun soll also die Pandemie als Rechtfertigung herhalten.
Der Verdacht liegt nahe, dass das großstädtische Öko-Milieu die Coronakrise dazu nutzen will, um sich eines Brauchs zu entledigen, den es kulturell ohnehin ablehnt. Böllern auf der Straße ist eine Bastion proletarischer Feierkultur, mit dem das gesittete Bürgertum schon immer wenig anfangen konnte. Um nicht mit dem Silvesterkrach belästigt zu werden, soll dann auch die sonst oft kritisierte Polizei einschreiten. Für die Akzeptanz notwendiger Coronamaßnahmen ist der linksbürgerliche Kulturkampf rund um das Böllern allerdings komplett kontraproduktiv.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“