Linke zu Bundeswehr in Afghanistan: „Rettung in höchster Not“
Kommende Woche berät der Bundestag über die Entsendung von Soldaten nach Afghanistan. Jan van Aken ist dafür, dass die Linke zustimmt – ein Novum.
taz: Herr van Aken, die Linkspartei hat im Bundestag 20 Jahre lang gegen die Entsendung von Bundeswehrsoldaten nach Afghanistan gestimmt. Soll Ihre Partei am Mittwoch zum ersten Mal dafür stimmen?
Jan van Aken: Ich bin dafür, dass wir unter zwei Bedingungen zustimmen. Wenn es Absprachen mit den Taliban gibt und wenn alle Ortskräfte und alle Menschenrechtsaktivist:innen mitgemeint sind. Das ist im Mandat der Bundesregierung, das am Mittwoch abgestimmt werden soll, total unklar. Momentan ist es so, dass Menschen, die keinen direkten Vertrag mit der Bundeswehr hatten, nicht mitgemeint sind und den Taliban zum Fraß vorgeworfen werden.
Also entweder die Bundeswehr rettet sie alle oder soll gar nicht fliegen?
Genau. Einer Evakuierung nur für Deutsche würde ich nicht zustimmen.
In dem Antrag der Bundesregierung für das Bundeswehrmandat ist von der „Evakuierung deutscher Staatsangehöriger, Personal der internationalen Gemeinschaft und designierter Personen aus Afghanistan“ die Rede. Sollte die Linke dieser Formulierung zustimmen?
Nein. „Designiert“ ist doch völlig unklar. Die Linke sollte nächste Woche im Bundestag beantragen, dass alle Ortskräfte, unabhängig vom Arbeitsvertrag, explizit im Mandat benannt werden. Und auch unsere Partner:innen, die in den vergangenen Jahren für ein gerechteres Afghanistan eingetreten sind. Und dann mal schauen, wie sich die Große Koalition dazu verhält.
Die Bundesregierung hat von 10.000 Menschen gesprochen, die evakuiert würden. Das sind durchaus mehr als ausschließlich Deutsche.
Ich traue der Bundesregierung nicht. Sie redet seit Monaten darüber, dass es eine Verantwortung für die afghanischen Ortskräfte gebe und hat es dennoch bis vor einigen Tagen immer abgelehnt, sie schnell nach Deutschland zu holen. Und ich glaube, sie wollen sie bis heute nicht wirklich hier haben, wegen des Bundestagswahlkampfes.
Im Wahlprogramm begrüßt die Linkspartei den Abzug aus Afghanistan und fordert, die Bundeswehr müsse aus allen Auslandseinsätzen zurückgeholt werden und dürfe nicht in neue entsendet werden. Das wäre ein neuer Einsatz. Wenn die Linkspartei zustimmt, dann gegen das eigene Programm, oder?
Ja, natürlich wird es Diskussionen geben, zu Recht. Ich als Pazifist tue mich da auch schwer. Hier geht's jetzt aber auch darum, unsere friedenspolitischen Positionen bis zu Ende zu denken. Wir fordern seit Jahren sichere Fluchtwege und haben deshalb im Juni auch einen Antrag in den Bundestag eingebracht und sichere Fluchtwege für Menschen aus Afghanistan gefordert. Der wurde abgelehnt. Und jetzt sind Fluchtwege eben nicht mehr mit zivilen Möglichkeiten zu sichern. Es geht um Rettung in höchster Not. Im Moment können wir keinen Lufthansa-Flug nach Afghanistan schicken. In diesem Dilemma stecken wir.
Sie stellen auch die Bedingung, dass die Taliban einverstanden sind. Und wenn nicht?
Die Evakuierungen dürfen nicht gegen den Willen der Taliban erfolgen. Sobald es zu Kampfhandlungen kommt, endet der Einsatz.
Es ist doch schon jemand angeschossen worden.
Ja, aber von wem. Im Moment ist die Lage unklar. Auch andere Länder machen klar, dass Evakuierungen bislang in Absprache mit den Taliban erfolgen. Denn sobald es zu Kampfhandlungen kommt, sind wir zurück im Krieg.
geboren 1961, saß von 2009 bis 2017 für die Linkspartei im Bundestag und erarbeitete sich in dieser Zeit einen parteiübergreifenden Ruf als Experte für Rüstungsexporte. Im Juni 2021 wurde er erneut in den Parteivorstand der Linken gewählt. Der Vorstand berät am Wochenende über das Thema Afghanistan und die Position der Partei zur militärischen Evakuierung von Ortskräften.
Das heißt, wenn die Taliban sich verweigern, soll man die Ortskräfte dort ihrem Schicksal überlassen?
Ja, das ist hart, aber in dem Moment ginge es nicht anders. Ich wäre dagegen, dass die Bundeswehr sich, um Leute zu retten, den Weg durch Kabul freischießt. Dann wären wir zurück im Krieg. Wir müssten dann andere Wege suchen, die Menschen bei der Flucht zu unterstützen.
Aber das Mandat soll doch genau solche möglichen Schusswechsel mit abdecken. Es geht um den „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Evakuierung aus Afghanistan“.
Aber wir sollten doch nie zustimmen, den 20 Jahre währenden Krieg fortzusetzen. Die Bundesregierung muss mit den Taliban sprechen, es muss eine diplomatische Lösung geben, die militärisch abgesichert wird.
Sie fordern also im konkreten Fall eine diplomatische Lösung auch militärisch abzusichern. Ihr Partei lehnt bislang jegliche Auslandseinsätze der Bundeswehr ab. Muss sie sich in Zukunft in diesem Punkt bewegen, um, wie Sie sagen, Friedenspolitik bis zum Ende zu denken?
Wir? Nein. Ich beschäftige mich seit 20 Jahren mit dem Thema und sehe keine Situation, in der ein militärisches Eingreifen wirklich nötig gewesen wäre. Gerade Afghanistan zeigt, wie richtig wir mit unseren Friedenspositionen lagen. Eher müssen SPD und Grüne ihre Positionen überdenken und nicht die Linke.
Die Außenpolitik war immer die Achillesferse der Linken, wenn es um mögliche Bündnisse mit Grünen oder SPD im Bund ging. Ändert sich das gerade?
Ja, jetzt ist sie die Achillesferse von SPD und Grünen. Wenn diese sich ernst nehmen, dann müssen sie nach Afghanistan ganz neu nachdenken. Man kann doch nicht ignorieren, dass man 20 Jahre lang Fehler gemacht hat. Und ich habe die Hoffnung, dass die beiden Parteien dazu in der Lage sind.
Die Linkspartei warnt in ihrem im Juni verabschiedeten Programm: Die Taliban sind stark wie lange nicht mehr, die soziale und die wirtschaftliche Situation im Land sind katastrophal. Welche Informationen hatten Sie, die die Bundesregierung nicht hatte?
Ich glaube, auch die Bundesregierung hat die Einschätzung geteilt, dass die Taliban nach Abzug der Nato das Land übernehmen würden. Das war allen Beteiligten klar. Das Tempo hat die Bundesregierung überrascht. Deshalb hätte die Regierung die Ortskräfte schon im Juni evakuieren müssen. Aber das haben sie verkackt. Heiko Maas ist schuld.
Muss Außenminister Heiko Maas zurücktreten?
Die Bundesregierung ist doch in vier Wochen eh Geschichte. Dann haben die Leute die Wahl.
Nützt oder schadet das Thema Afghanistan der Linken im Wahlkampf?
Das ist mir sowas von egal. Mir geht es tatsächlich um die Menschen. Wir haben eine Verantwortung, die müssen wir wahrnehmen und momentan geht es eben nur mit militärischem Geleit. Und wenn uns das schaden sollte, dann ist das so.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Übergriffe durch Hertha-BSC-Fans im Zug
Fan fatal
Öl-Konzern muss CO₂-Ausstoß nicht senken
Shell hat recht
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts