Hans-Georg Maaßen will in den Bundestag: Der Kandidat
In Südthüringen will die CDU mit Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen in den Bundestagswahlkampf ziehen. Was verspricht man sich davon?
E s ist ein kühler Freitagabend im April und Hans-Georg Maaßen lächelt. Aus Berlin ist er in das 400 Kilometer entfernte Heldburg gekommen, um sich in dem kleinen Bürgerhaus im Stadtteil Hellingen vorzustellen. Ein Promi in der Provinz. Maaßen, in jägergrünem Jackett und beiger Hose, wird an diesem Abend viel beklatscht. Das kann man später in den Presseberichten nachlesen.
Der Medienrummel für den Termin ist größer, als ihn die kleine Stadt sonst kennt. Wenige Tage zuvor hatte die CDU in Südthüringen bekannt gegeben, dass Maaßen als ihr Bundestagskandidat für die Region ins Rennen gehen soll.
Südthüringen, der letzte Zipfel Ostdeutschlands vor Bayern, sieht ein bisschen aus wie ein Märchenland. Sanfte Hügel mit saftig grünen Wiesen, auf denen Kühe grasen; dichte Tannenwälder, malerische Täler, kleine Dörfer mit Fachwerkhäusern und Kopfsteinpflaster. Suhl ist mit knapp 35.000 Einwohner:innen die größte Stadt der Region.
Bei der Bundestagswahl werden die Landkreise Suhl, Schmalkalden-Meiningen, Hildburghausen und Sonneberg zum Wahlkreis 196 zusammengefasst. Die Gegend ist sehr konservativ. Bei der Bundestagswahl 2017 stimmten die Wähler:innen vor allem für CDU und AfD. Maaßen fügt sich da gut ein. Auch an dem Abend, an dem er sich in dem Bürgerhaus vorstellt.
Der CDU-Kreisverband Hildburghausen hat sich bemüht, ihm einen angemessenen Empfang zu bereiten: Vorstand und Delegierte tragen Jackett und Hemd, mit den FFP2-Masken nimmt man es nicht ganz so genau, wie Fotos des Abends zeigen. An der Decke baumeln runde Papierblumen, über dem Fenster hängt eine Girlande, auf den Tischen hat jemand Getränkeflaschen in Grüppchen zusammengestellt.
Kaum jemand in Heldburg hat Hans-Georg Maaßen zuvor persönlich getroffen. Auch deshalb, so erzählt es der CDU-Kreisvorsitzende Christopher Other ein paar Tage später, muss Maaßen erst einmal etwas klarstellen: Was war das damals mit den Hetzjagden in Chemnitz?
Im September 2018, wenige Tage nach den rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz, sagt Maaßen, damals Präsident des Bundesverfassungsschutzes: „Es liegen dem Verfassungsschutz keine belastbaren Informationen darüber vor, dass solche Hetzjagden stattgefunden haben.“
Zuvor hat die Kanzlerin von Hetzjagden gesprochen, auch viele Medien hatten das Wort verwendet. Die Empörung über Maaßens Äußerung ist groß, gibt es doch ein Video, das zeigt, wie nichtweiße Menschen gejagt werden. Maaßen jedoch zweifelt die Echtheit des Videos an, vermutet „gezielte Falschinformation“ – und spielt damit den Rechtsextremen in die Hände.
Für Maaßen ist es das Ende als Verfassungsschutzchef. Nicht aber für seine Karriere. Nach seiner Versetzung in den einstweiligen Ruhestand im November 2018 arbeitet er zunächst als beratender Jurist in der Kanzlei eines Kollegen aus der streng konservativen Werteunion, Anfang 2021 gründet er seine eigene Kanzlei. Immer wieder wird er in Talkshows eingeladen, Markus Lanz widmet ihm sogar einen eigenen Sendetermin. Titel: „Vom Spitzenbeamten zur politischen Reizfigur.“
Maaßen, seit seinem 16. Lebensjahr CDU-Mitglied, seit 2019 Mitglied der Werteunion, ist eine umstrittene Person. Sich selbst bezeichnet er als konservativ, andere sehen ihn als Rechten. Die damalige CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sagt 2019, sie sehe bei ihm „keine Haltung, die ihn mit der CDU noch wirklich verbindet“.
In den sozialen Medien und bei öffentlichen Auftritten fällt Maaßen zunehmend mit rechtspopulistischen und verschwörungsideologischen Äußerungen auf, teilt Beiträge rechtsextremer Websites, beschuldigt Medien der Vertuschung von Straftaten Asylsuchender. Als Donald Trump noch Anfang dieses Jahres versucht, den Wahlsieg von Joe Biden zu kippen, bekommt er von Maaßen dafür Zustimmung auf Twitter.
Im Jahr 2019 erklärt Maaßen bei einer Rede vor der Werteunion, er sei nicht der CDU beigetreten, „damit heute 1,8 Millionen Araber nach Deutschland kommen“. Seine Einstellung ist nicht neu: Schon 1997 promoviert er zum Asylrecht, schreibt in der Arbeit von „unkontrollierter Masseneinwanderung“ und „Asyltourismus“ – Schlagworte der AfD bereits 15 Jahre vor ihrer Gründung.
Deshalb ist die Nominierung Maaßens für die CDU-Führung auch ein Riesenproblem. Wie glaubwürdig ist die Abgrenzung zur AfD, wenn man mit einem Kandidaten wie Maaßen in den Wahlkampf zieht? Angesprochen auf die geplante Kandidatur verwies der CDU-Vorsitzende Armin Laschet auf die innerparteiliche Demokratie. Das entschieden die Kreisverbände. Soll heißen: Er kann da nichts machen.
Und genau so ist es auch gekommen: An diesem Freitagabend ist Maaßen offiziell als CDU-Kandidat für den Wahlkreis nominiert worden – von vier CDU-Kreisverbänden mit großer Mehrheit. Er erhielt 37 von insgesamt 43 Stimmen und setzte sich damit klar gegen einen Mitbewerber durch.
„Ich teile nicht jeden Ansatz von Herrn Maaßen“, sagt Christopher Other, CDU-Kreisvorsitzender von Hildburghausen. „Muss ich aber auch nicht.“ Fragt man ihn zu Maaßens Erklärungen bezüglich der Hetzjagddebatte, sagt er: „Ich kann seinen Standpunkt verstehen.“ Schließlich habe Maaßen nicht sagen wollen, dass es keine Hetzjagden gab, sondern nur, dass der Verfassungsschutz dazu keine Informationen hatte.
Auch die Delegierten in seinem Kreis hätten das größtenteils so aufgefasst. Die Resonanz nach der Vorstellung im Hellinger Bürgerhaus, sagt Other, sei „noch deutlicher pro Maaßen“ gewesen als zuvor.
Aber auch in Thüringen sind nicht alle Others Meinung. Thüringens CDU-Chef Christian Hirte sagte, die Kandidatur schade der CDU mehr, als sie nütze. Auch Marco Wanderwitz, der Ostbeauftragte der Bundesregierung, äußerte sich skeptisch zur Personalie Maaßen.
Christopher Other zuckt mit den Schultern, wenn man ihn darauf anspricht. Er vertraut Maaßen, setzt sich öffentlich für seine Kandidatur ein. Other, 31 Jahre alt, ist studierter Politikwissenschaftler und seit zwei Jahren hauptamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Hellingen. Er ist hier aufgewachsen. Läuft man mit ihm durch die Straßen der hübschen Stadt mit den alten Fachwerkhäuschen, dann grüßen ihn die Menschen, winken ihm aus den Autos zu, halten an zum Plausch.
Seine laute Stimme hallt in den Gassen wider, wenn er spricht. Other kennt noch die alten Gaststätten, an denen nach der Wende der Putz bröckelte, bis sie irgendwann schließen mussten. Er weiß um die Probleme der Überalterung hier in der Region, kennt die Sorgen der Bürger:innen.
Er repräsentiert das, was man „lokal fest verankert“ nennt. Und dennoch befürwortet er den Kandidaten, der von außen kommt, aus dem Westen, geboren in Mönchengladbach, Studium in Köln und Bonn, der mit ostdeutscher Identität so gar nichts zu tun hat, geschweige denn mit Südthüringen.
„Maaßen weiß, worum es geht“, sagt Other. Nämlich: „Strukturen halten, Wahlkreise unterstützen.“ Fragt man Other zur Kanzlerfrage Söder oder Laschet, sagt er: „Merz natürlich.“ Auch Friedrich Merz, der wirtschaftsliberale Konservative, der gern mal gegen „Gendersprache“ polemisiert, sei gefragt worden, ob er nicht für die Region kandidieren wolle. Er habe aber abgelehnt, erzählt Other. Merz wäre für viele Ostdeutsche in der Union der Kanzlerkandidat der Herzen gewesen. Die Entscheidung gegen ihn war auch eine Entscheidung gegen die ostdeutsche CDU-Basis, so sehen sie das hier.
Nun also Maaßen. Denn, sagt Other, man brauche kurz vor der Wahl jemand von außen, der mitbringt, was die Südthüringer Basis nicht bieten kann: Prominenz.
Die Thüringer CDU kränkelt. Wie auch in anderen ostdeutschen Regionen gibt es Grabenkämpfe, Rücktritte, sinkende Zustimmung. Am 11. März spitzte sich die Krise der Thüringer CDU noch weiter zu, als ihr Bundestagsabgeordneter Mark Hauptmann seinen Rücktritt bekannt gab. Hauptmann war einer der Unionspolitiker, die im Kontext der Enthüllungen über die Aserbaidschan-Affäre aufflogen. Er hatte sich sehr für das autokratische Regime engagiert, das Anzeigen in seiner Wahlkreiszeitung schaltete, für die Hauptmann teils fünfstellige Summen erhalten haben soll. Zudem soll er von der Vermittlung von Coronaschutzmasken profitiert haben.
Mit dem Skandal verlor die Südthüringer CDU ihr Gesicht. Viele Funktionäre waren eng mit Hauptmann verbandelt, so auch Christopher Other. Der beteuert, er habe von den Maskendeals nichts gewusst. Die Wahlkreiszeitung aber kannte wohl jedes Unionsmitglied der Region. Schwer vorstellbar, dass das einem Mitarbeiter nicht mindestens komisch aufstieß.
Die Affäre kostete die CDU in Thüringen laut aktuellen Umfragen 2,5 Prozentpunkte. Doch auch schon vorher waren die Konservativen im Sinkflug. Und da war ja auch noch der Februar 2020, in dem Teile der CDU im Erfurter Landtag zusammen mit der AfD den FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten wählten. Die Wahl erschütterte die Republik, es folgte eine Regierungskrise.
Nie zuvor hatten demokratische Parteien gemeinsam mit der AfD einen Ministerpräsidenten gewählt. In Thüringen war dieser Schritt umso verheerender, weil die AfD dort mit ihrem Vorsitzenden Björn Höcke als faschistische Rechtsaußenpartei auftritt. Die CDU zeigte damit ihre innerparteilichen Zerwürfnisse, ihr damaliger Vorsitzender Mike Mohring musste zurücktreten, nachdem sogar die Kanzlerin die Wahl Kemmerichs als „unverzeihlich“ bezeichnet hatte.
Seit dem Rücktritt Kemmerichs regiert in Thüringen eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung mit Linken-Politiker Bodo Ramelow an der Spitze – eine Koalition, die die CDU zähneknirschend hinnehmen muss.
Die Union steckt in einem Dilemma zwischen Annäherung an die AfD oder Duldung der Linkspartei. Eine Bewegung in Richtung Linkspartei ist für die konservative Basis nur schwer vermittelbar.
In Südthüringen sind die Zustimmungswerte zu rechten Aussagen besonders hoch, wie eine Studie der Universität Jena zeigt. Seit 2015 etablierten sich rassistische Proteste, „Südthüringen gegen die Islamisierung des Abendlandes“ demonstrierte wöchentlich in Suhl. Und während der Pandemie machen rechte Kräfte bei Coronaprotesten im Landkreis mobil. Erst am Montagabend dieser Woche eskalierte eine Anti-Corona-Demonstration in Schmalkalden. Demonstrant:innen umzingelten drei Polizisten, bedrohten und attackierten sie.
Im Landkreis Hildburghausen liegt auch Kloster Veßra, ein Ortsteil der Stadt Themar. Die Klosterruine ist ein Freilichtmuseum, umringt von Fachwerkhäusern. Hier hat der Neonazi Tommy Frenck vor sechs Jahren einen Gasthof gekauft, seitdem gibt sich die rechtsextreme Szene Thüringens dort die Klinke in die Hand.
Frenck und sein rechtsextremes Bündnis Zukunft Hildburghausen traten 2019 auch bei den Kommunalwahlen an und bekamen 8,6 Prozent der Stimmen. Immer wieder treffen sich Anhänger der Neonaziszene hier, unter anderem zum „Rock gegen Überfremdung“, einem Rechtsrockkonzert, das Frenck und seine Kameraden seit dem Jahr 2017 organisieren. Laut der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus finden in keinem Bundesland so viele dieser Szenetreffs statt wie in Thüringen.
Auch deswegen zeigen sich demokratische Bündnisse in der Region entsetzt über die Kandidatur Maaßens. Das Bündnis für Demokratie und Weltoffenheit Kloster Veßra wandte sich in einem offenen Brief an die CDU-Kreisvorsitzenden und den Landeschef Hirte. Sie werfen der Union vor, mit der Nominierung aktiv dazu beizutragen, Kräfte in der Region zu stärken, „die ähnlich wie Maaßen relativierend und verharmlosend auf rechte Probleme blicken“. Es brauche stattdessen engagierte Demokrat:innen in der Region.
Bislang gab es auf den Brief keine Resonanz aus der CDU.
Maaßen stoppen möchte auch Frank Ullrich. Er kandidiert im Wahlkreis 196 für die SPD – und er ist hier so etwas wie ein Nationalheld. In buntem Pullover und Jeans, mit Smartwatch am Arm und Fischbrötchen auf dem Tisch ist Ullrich das genaue Gegenteil von Maaßen. Ein lockerer Sozialdemokrat, lokal verankert, Stadtratsmitglied in Suhl, aber „kein Politiker“, wie er sagt. Fragt man ihn, was seine politische Agenda ist, dann geht es viel um Sport, um Bewegung, Teamgeist. Zu jeder Geschichte hat er eine Sportreferenz parat.
Als Biathlet hat Ullrich Olympiagold geholt und die deutsche Nationalmannschaft trainiert. Wenn Maaßen ein Promi unter den Konservativen ist, dann ist Ullrich ein Promi des Thüringer Walds.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Und genau das könnte der SPD helfen, sich gegen die anderen Parteien durchzusetzen. Hohe Chancen rechnet er sich in der konservativen Region zwar nicht aus, aber am Ende, so sieht Ullrich es, könnte genau das ihm helfen – so wie ein Außenseiter im Sport manchmal auf der Zielgeraden plötzlich alle überholt.
In Ullrichs Geburtsort Trusetal nahe dem Thüringer Rennsteig hat man ihm einen Weg gewidmet. Bei der Einweihung im Jahr 2019 habe er die ganze Nacht mit den Anwohner:innen gesprochen, Bier getrunken, diskutiert. „So, wie man es eben im Sport macht.“ Die meisten von ihnen seien AfD-Anhänger gewesen, sagt Ullrich, „Hardliner“. Aber, weil sie ihn kennen, weil sie wissen, er ist einer von ihnen und nicht jemand von irgendwo, hätten sie gesagt: „SPD wählen wir nicht, aber dich, dich wählen wir.“
Vielleicht ist es das, was die zerrissene Region braucht: einen Lokalhelden, der zwar den Bundestag noch nicht von innen gesehen hat, dafür aber viele Leute persönlich kennt.
Und was sagen die Menschen vor Ort zu dem Prominenzspektakel in ihrem Wahlkreis? In Gleichamberg, zwischen Heldburg und Suhl, im tiefsten Südthüringen, interessieren sich die Leute für all das nicht. Es ist Sonntag am frühen Abend, gerade so warm, dass man sich im Freien aufhalten kann. Einige Männer aus dem Dorf treffen sich zum Bier auf Holzbänken, die sie auf die kaum befahrene Straße gestellt haben, der Bierkasten steht in der Mitte. Fragt man sie, welche Partei sie denn bei der Bundestagswahl wählen wollen, zucken sie mit den Schultern.
„Das sind doch alles die gleichen Kasper, nur in unterschiedlichen Farben angemalt“, sagt ein Mann in Motorradkluft, seine Augen vom Alkohol schon leicht gerötet. „Egal ob rot, grün schwarz, blau, gelb oder braun.“
Ein Mann Mitte 50, in Jeans und Outdoorjacke, pflichtet ihm bei. Am Schlimmsten seien jedoch die Grünen – das sei eine Partei für Städter. Er müsse jeden Tag vierzig bis fünfzig Kilometer zu seiner Arbeitsstelle pendeln. Nicht auszumalen, was es bedeute, wenn die Spritpreise angehoben würden. „Ohne Auto geht hier auf dem Land gar nichts“, sagt er. „Aber das interessiert von denen niemand.“
Die Politik, da sind sich die Männer einig, werde nun einmal in Berlin gemacht – aber nicht für die Menschen in ihrem Dorf in Südthüringen.
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