Bodo Ramelow zum Coronagipfel: „Wir sind nicht im Showgeschäft“

Beherbergungsverbote hält Thüringens Ministerpräsident für Scheinlösungen. Die Leute müssten begreifen, dass es um ihre Gesundheit geht.

Ministerpräsident Ramelow mit Maske.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow von den Linken Foto: Martin Schutt/dpa/picture alliance

taz: Herr Ramelow, nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel. Die Ministerpräsidenten konnten sich beim Treffen im Bundeskanzleramt wieder nicht auf einheitliche Maßnahmen einigen. Warum ist es jetzt so schwierig, nachdem es im Frühjahr so schnell ging?

Bodo Ramelow: Ich widerspreche da ganz ausdrücklich. Es gibt ein einheitliches Paket. Der Alarmwert von 35 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner etwa gilt bundesweit. Der Alarmwert von 50 Neuinfektionen ist ebenfalls drin. Alle Maßnahmen, die wichtig sind für den Instrumentenkasten der Gesundheitsämter vor Ort, stehen in dem Beschluss. Das ist ein erheblicher Fortschritt.

Aber das Beherbergungsverbot für Menschen aus Risikogebieten ist nach wie vor umstritten.

Das Beherbergungsverbot haben wir lange diskutiert und nach einem besseren Weg gesucht. Die Irritationen zwischen den Ländern sind nach wie vor groß. Baden-Württemberg legte das Verbot beispielsweise so aus, dass auch gewerbliche Reisende nicht in Baden-Württemberg übernachten durften. Das führt dazu, dass Züge aus Berlin nach Stuttgart nicht mehr mit Berliner Lokführern besetzt werden konnten, weil sie nicht in Stuttgart übernachten durften. Also völlig irre Situationen. Wir müssen uns wieder auf die Infektionsabwehr konzentrieren. Und deswegen haben wir uns in der MPK vorgenommen, dass wir die Frage, wie gehen wir mit touristischem Reiseverkehr und mit Mobilität um, nächste Woche noch einmal fachlich bearbeiten, um zu einem besseren Vorschlag zu kommen.

Wie sind die Aussichten einer Einigung?

Die Mehrheit war am Mittwochabend für das Beherbergungsverbot nicht mehr gegeben. Aber es gibt Länder, die sind nach wie vor dafür, deshalb ist es pragmatisch, bis zum Ende der Herbstferien zu warten. Und bis dahin, darauf hat Manuela Schwesig gedrungen, brauchen wir eine Erweiterung des Instrumentenkastens für die Gesundheitsämter. Wir müssen Hotspots danach bewerten, ob ein diffuser Ausbruch vorliegt oder dieser vor Ort eindämmbar ist. Wenn es ein diffuser Ausbruch ist, kann es sogar Auflagen geben, den Landkreis nicht zu verlassen.

Was spricht aus Ihrer Sicht weiterhin gegen ein Beherbergungsverbot für touristische Reisen?

An meiner Position hat sich nichts geändert. Nicht ich will in Thüringen entscheiden, was in Berlin, Stuttgart oder Freiburg los ist, sondern das müssen die Gesundheitsämter dort entscheiden. Aber es kommt nicht auf meine Meinung an, sondern darauf, ob wir eine gemeinsame Position finden, die ich am Ende auch mittragen kann.

Der 64-jährige Politiker der Linkspartei ist mit kurzer Unterbrechung seit sechs Jahren Ministerpräsident Thüringens.

Ziel ist es, die Menschen aus Risikogebieten vom Reisen abzuhalten. Derzeit gibt es nur Appelle, die aber oft nicht gehört werden.

Wir haben in Thüringen in allen Hotels Hygienekonzepte erarbeitet. Da wird teilweise beim Check-in Temperatur gemessen oder man muss nachweisen, dass man nicht mit positiv getesteten Personen in Kontakt war. Unsere Hoteliers leisten hier harte Arbeit. Und die führt dazu, dass man beherbergen kann. Wir wollen doch keine Hotels bekämpfen, sondern das Virus.

Sprechen also wirtschaftliche Erwägungen dagegen?

Nein. Es geht um das Virus. Und wenn keine Viren da sind, wieso soll ich dann eine Maßnahme aufrechterhalten, die keine Wirkung hat? Wir sind doch nicht im Showgeschäft. Das Beherbergungsverbot ist keine Lösung, sondern eine Scheinlösung, über die mir zu viel geredet wird. Es geht nicht darum, ob Ministerpräsident A oder B gewonnen hat. Nein, wir müssen den Kampf gegen das Virus gewinnen.

Das Beherbergungsverbot soll bis 8. November auf seine Wirksamkeit überprüft werden. Welche Kriterien legt man an?

Welche die besten Mittel sind, um Virenausbreitung zu verhindern. Ich halte aber zwei andere Punkte für entscheidender, nämlich die neue Teststrategie und die Musterquarantäneverordnung. Diese helfen uns, die Eindämmung auf den Ort des Geschehens zu konzentrieren.

Laut Teststrategie können sich alle Personen mit Symptomen und deren Kontakte sowie Menschen in Einrichtungen, in denen Corona auftritt, kostenlos testen lassen. Die Musterquarantäneverordnung besagt, dass ausländische Reisende aus Risikogebieten sich nach der Einreise für 10 Tage in Quarantäne begeben müssen.

Es ist wichtig, dass die Teststrategie bundesweit durchgesetzt wird. Und bei der Musterquarantäneverordnung geht es um die Millionen von Menschen, die täglich die Bundesrepublik besuchen und wieder verlassen.

ine dreiköpfige Familie wartet mit ihrem Gepäck am Fährhafen von Harlesiel auf die Abfahrt der Wangerooge-Fähre

Geht das noch? Reisende auf dem Weg nach Wangerooge Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa

Die sollen die Bundesländer umsetzen. Aber eigentlich müsste es doch Grenzkontrollen bei der Einreise geben?

Nicht zwingend. Die Gesundheitsämter müssen wissen, wer aus welchem Flugzeug ausgestiegen ist. Für Reisende, die mit dem Auto kommen, muss es eine Pflicht geben, sich zu melden.

Wer mit dem Auto anreist, wird erst einmal nicht erfasst.

Richtig. Es sei denn, wir würden Stichproben machen. Aber es muss eine Pflicht eingeführt werden, dass alle sich melden.

Und wer dagegen verstößt, muss ein Bußgeld zahlen?

Die Verstöße sind für mich weniger das Thema, als die Frage, ob sie Corona mitbringen. Ich habe am Dienstag einen Tag mit dem schwedischen Botschafter verbracht und mir erklären lassen, wie es in Schweden funktioniert. Es gibt einen erstaunlichen Unterschied. In Schweden wird das, was die Volksgesundheitsbehörde empfiehlt, als Anweisung verstanden. Bei uns überlegt man sich, ob man es einhält oder nicht, und schreit ansonsten immer gleich nach Strafe. Die Leute müssen begreifen, dass es um ihre Gesundheit und die Gesundheit ihrer Nachbarn geht. Ich möchte daher, dass Leute sich von sich aus melden. Ich möchte eine Kultur, die es den Leuten ermöglicht, das zu tun, und sie muss so niedrigschwellig sein, dass es funktioniert.

Es gelten nun einheitliche Auflagen in Hotspots: eine verschärfte Maskenpflicht und Beschränkungen für private Feiern. Aber es gibt keinen einheitlichen Bußgeldkatalog. Warum nicht?

Ich weiß nicht, warum es ihn geben soll. Im Schnitt gelten 50 Euro für Verstöße.

In Thüringen muss man 60 Euro, in Berlin 50 bis 500 Euro, in Bayern 150 Euro zahlen.

Na und, ändert das etwas am Virus?

Es erhöht vielleicht die Akzeptanz von Auflagen

Entscheidend ist, dass diese kontrolliert werden. Es nützt gar nichts, ein Bußgeld von 500 Euro zu verhängen, wenn nicht kontrolliert wird. Alles andere ist Symbolpolitik. Wir haben uns gestern darauf geeinigt, Kontrollen zu verstärken, auch mit Unterstützung der Bundespolizei. Das hat Horst Seehofer ausdrücklich angekündigt. Und wir wollen in Thüringen die Gesundheitsämter stärken und möglicherweise Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus anderen Ämtern umsetzen.

Sie wollen auch Medizinstudent:innen einsetzen.

Na klar, warum denn nicht. Sie sollen bei der Nachverfolgung helfen, Kontaktpersonen erfassen und zum Test schicken. Die Nachverfolgung ist das entscheidende Kriterium bei der Bekämpfung der Pandemie. Wenn wir die Gesundheitsämter überlasten, bricht die Pandemie unkontrolliert wieder aus.

Was halten Sie von einer Verstärkung durch die Bundeswehr bei der Nachverfolgung von Kontakten?

Sehr gut. Machen wir. Wir könnten in Thüringen manches gar nicht aufrechterhalten, wenn wir die Bundeswehr nicht gehabt hätten. In Sonneberg gab es keinen anwesenden Amtsarzt, weil die Person schon länger krank ist. Eine Stabsärztin der Bundeswehr hat ausgeholfen, da kann ich der Bundeswehr nur herzlich danken.

Haben Sie Verständnis dafür, wenn Politiker:innen solch eine Verstärkung aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnen?

Nein. Die schönste Friedensarbeit, die ich mir vorstellen kann, ist ein Bundeswehrsoldat, der bei der Epidemieabwehr hilft.

Frankreich hat am Mittwoch erneut den Gesundheitsnotstand ausgerufen. Am Ende könnte ein neuer Lockdown stehen. Wie weit sind wir in Deutschland von einem solchen Szenario noch entfernt?

Ich schaue mir das aus einem Bundesland an, in dem wir sehr kleine Zahlen haben. Aber vor acht Wochen hatten wir nur 47 aktiv Infizierte, jetzt sind wir bei fast 500 aktiv Infizierten, also fast eine Verzehnfachung. Das finde ich besorgniserregend. Das Ziel ist, die Zahl der Neuinfektionen sofort zu reduzieren und Überlastungen der Gesundheitsämter zu vermeiden.

Wissen Sie, woher die Verzehnfachung kommt?

Das sind diffuse Ursachen. Wir kennen ja jeden einzelnen Infizierten. Die große Sorge, dass sich die Verbreitung in Schulen oder durch Kinder abspielt, hat sich aber nicht bewahrheitet. Eine größere Rolle spielen hingegen Reiserückkehrer und Familienfeiern. Familienfeiern sind derzeit der größte Hotspot bei uns.

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