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Coronakrawalle in den NiederlandenGefährliche Entfremdung

Kommentar von Tobias Müller

Die gewalttätigen Anti-Corona-Ausschreitungen in Holland sind auch Ausdruck einer Entfremdung zwischen Bevölkerung und staatlichen Institutionen.

In Eindhoven kam es am 24. Januar zu gewaltsamen Anti-Corona-Ausschreitungen Foto: Hollandse Hoogte/anp/dpa

D iffus ist eines der Worte, das am Tag nach diesem historischen Wochenende in den Niederlanden häufig genannt wird. Der ersten nächtlichen Ausgangssperre seit der deutschen Besatzung folgten die am schwierigsten einzuordnenden Ausschreitungen der letzten Jahrzehnte.

In mehr als zehn Städten eskalierten Proteste gegen die Sperrstunde, inklusive gewaltsamer Demonstrationen in Eindhoven und Amsterdam. Läden wurden geplündert und verwüstet, Journalisten angegriffen, eine Coronateststraße wurde angezündet, ein Krankenhaus mit Steinen beworfen.

Die Reaktionen aus der Politik sind so geharnischt wie hilflos. Die Niederlande wirken derzeit wie eine Polder-Version des Films „Joker“: ein amorpher, reflexhafter Gewaltausbruch ohne klares Konzept, ein silhouettenhaftes Bild derer, die sie anwenden.

Doch es gibt zwischen all den Flammen und Scherben durchaus deutliche Entwicklungslinien: eine wachsende Entfremdung zwischen Bevölkerung und staatlichen Institutionen. Sie zeigte sich zuletzt im Kindergeld-Skandal, der zum Rücktritt der Regierung führte. Seit Jahren nehmen Angriffe auf Journalisten zu, die von einer Kampagne legitimiert werden, die den öffentlich-rechtlichen Sender NOS konsequent „Fake News“ nennt. Das verbale Zündeln der Rechtspopulisten in der brandgefährlichen Rhetorik eines Landes, das sich „im Widerstand“ befinde, nimmt stetig zu.

Anlass zur Schnellpolitisierung

Im Rahmen einer solchen Deutung der Realität haben sich immer mehr Gruppen in ihre Nischen zurückgezogen. Die Coronakrise als Anlass zur Schnellpolitisierung bringt sie zusammen. Dieser Trend ließ sich schon vor einer Woche beobachten, als sich in Amsterdam Esoteriker, Alternative, „Identitäre“ und Trump-Fans im vermeintlichen Freiheitskampf gegen die Coronamaßnahmen trafen.

All dies fällt nicht vom Himmel. Es ist eine Saat, die aufgeht. Dass im März in den Niederlanden gewählt wird, bringt sie nun auch international in den ­Fokus. Allerdings: Viele Elemente des ­„Jokers“ im Polder sind auch anderswo bekannt, nicht zuletzt in Deutschland.

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44 Kommentare

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  • Gesamtvermögen aller ca. 2200 Milliardäre Weltweit:



    ca. 9 Billionen USD = 9.000 Milliarden!!

    Allein die 8 reichsten Menschen besitzen so viel Vermögen wie die ärmere Hälfte aller Menschen.

    Gesamtvermögen aller ca 46.000.000 Millionäre Weltweit:



    ca. 160 Billionen USD = 160.000 Milliarden!!

    Die rund 46.002.200 reichsten Menschen besitzen folglich knapp 170 Billionen USD = 170.000 Milliarden USD.

    Das gesamte Weltvermögen aller 7,5 Milliarden Menschen wird auf ca. 360 Billionen USD geschätzt, wovon rund die Hälfte die reichsten 0,6 % Prozent der Menschen besitzen.

    Dies entspräche einem Check über ca. 23.000 USD für jeden einzelnen der 7,5 Mrd Menschen auf der Welt.

    Klar, das sind alles mutwillige Spinner, denen es sooo gut geht, dass sie aus lauter Langeweile randalieren...

  • Wenn angeordnet wird zu springen, fragt der Deutsche: "Wie hoch?"



    Der Niederländer jedoch fragt: "Warum?"

  • Richtig, die Demonstrationen sind Ausdruck einer Entfremdung zwischen Bevölkerung und staatlichen Institutionen: Ein sehr krasses Beispiel ist der Kindergeld-Skandal!



    Das habe ich mir so in den Niederlanden nicht vorstellen können.

  • Man muss jetzt auch nicht jeden Protest gleich mit Systemmängeln, mit rechten und sonstigen Coronaleugnern begründen und mit einer zwar vorhandenen, aber hier nicht zutreffenden Tendenz verknüpfen. Ein paar meiner Freunde sind Niederländer. Hier geht es vor allem darum, gegen eine zu Recht als völlig blödsinnig empfundene Massnahme zu protestieren, nämlich die Ausgangssperre.

  • "Wer Glut sät, wird Feuer ernten." - so will ich die Lage in den Niederlanden zusammenfassen. Sie ist keineswegs neu, nach 12 Wochen Lockdown haben ähnlich diffuse Gruppierungen auch schon Stuttgart und Frankfurt im Sommer verwüstet.



    In meinen Augen ist das eine besorgniserregende Auffälligkeit, die sich mit psychologischen Mustern jedoch leicht erklären lässt: Die daran Beteiligten suchen nach Möglichkeiten, ihre Wut loszuwerden. Und niemand soll sich vormachen, die Krawallmacher seien die Einzigen, die davon Schaden genommen haben. Es gibt vermutlich zwei Strömungen:



    - Eine deren, denen man unter genügend medialem Druck die Maßnahmen als "alternativlos" erklärt hat,



    - die andere deren, denen genau dieses Muster aufstößt und die sich dagegen wehren, manche mit Gewalt, andere aber auch - wie ich - mit Zeitungskommentaren.

  • Und wie immer wird der ausschlaggebende soziale Aspekt totgeschwiegen.



    Das Leben ist seit zig Jahren kaum noch zu bezahlen, Familien stehen unter großen Stress.



    Z.B. kostet eine 100m2-Whg in meiner Stadt mindestens 1.300 € kalt + NK + Energie, also mindestens 1.600 warm. Das können sich immer weniger Menschen leisten, so dass man schnell zu viert auf 70 m2 hausen muss, die Energiekosten so teuer sind wie früher eine Einzimmerwohnung, man sich kaum das Monatsticket leisten kann und sich mit Billigfutter zustopft. All diese Sorgen und dann noch Kurzarbeit, Lockdown + homeschooling + beengt aufeinander hocken etc. Natürlich explodiert irgendwann diese tickende Zeitbombe. Und nein, die Randalierer sind keine Menschen aus den Villenvierteln, wo pro Familienmitglied 80 m2 zur Verfügung stehen statt 15 m2.



    Der soziale Umverteilungsbogen von unten nach oben ist so dermaßen überspannt...



    Es muß sich sehr dringend ganz grundlegend etwas ändern, sonst...

    • 9G
      97760 (Profil gelöscht)
      @unterbezahlter Lohnsklave:

      Sie würden aber nicht eher eine Wohnung bekommen, wenn die Preise niedriger wären. Der Wohnungsbestand bleibt der gleiche. Fast könnte man zwischen den Zeilen lesen, daß die ganzen reichen Mieter die Preise, durch Zahlung, nach oben treiben.

      • @97760 (Profil gelöscht):

        @Ringo



        Wer dies zwischen den Zeilen liest hat vielleicht gänzlich am Kern der Aussage vorbei gelesen. Manchmal steht die Aussage einfach und offen mitten in den Zeilen.

      • @97760 (Profil gelöscht):

        "Mieten nach oben treiben": Das tun die reichen Mieter ja auch. Der Mietenspiegel bezieht nunmal leider auch die hohen Mieten mit ein.

  • Dies sind keine Demonstranten!



    Man kann gegen die Corona-Politik sein und dafür auf die Straße gehen. Mich stört auch vieles an dieser Corona-Politik, aber niemals käme ich auf die Idee deshalb Gewalt auszuüben und sinnlos fremdes Eigentum zu beschädigen.



    Ergo:



    Dies sind in großen Teilen weder Demokraten, noch Demonstrant(inn)en. Man sollte sich gar nicht erst Linke oder Rechte nennen, sondern einfach Kriminelle.

    • @Rudi Hamm:

      Wie alt sind sie?

  • Meiner Meinung geht es bei den Krawallen um um reine Erlebnisschwäche und klare Entzugserscheinungen vom gängigen Befriedigungsmittel "Brot und Spiele", welches jahrzehntelang zur Verfügung gestellt wurde. Die ganzen "Demokratierettungsmumpizbehauptungen" sind klassisches Junkiegelaber, die den nächsten Fix in Form von Randale rechtfertigen sollen.

    • @Kuno Ratte:

      Verständlich, wenn bei der Jugend/Jungerwachsenen der Hunger nach "Brot und Spielen" nagt. Jugend will in Gemeinschaft/Gruppen und möglichst auch fröhlich sein. Unsere Gesellschaft bietet für dieses Grundbedürfnis auch ohne Corona nicht gerade viel Raum.



      Will man deshalb den Hunger nach Brot und Spielen verurteilen? Das ist glaube ich ein komplett falscher Ansatz. Vielleicht erstmal unkommerzielle Räume schaffen, und zwar auch und gerade für die Jugend, die oft GAR KEINE anderen Räume hat, nicht einmal Jugendzentren, ehe man sie verurteilt.

    • @Kuno Ratte:

      Exakt so sehe ich es auch.

  • 8G
    89598 (Profil gelöscht)

    @Jim Hawkins

    "Mittlerweile jedoch fühlen sie sich alle zusammen richtig wohl."



    Ich kenne zahlreiche Teilnehmende an den Demonstrationen im Spätsommer oder Herbst; keiner von diesen fühlt sich mit Nazis wohl, und auch die Untersuchung des Baseler Profs Nachtwey über die Politische Soziologie der Corona-Proteste kommt nicht zu dem Ergebnis, dass ein einhelliger Schulterschluss mit Nazis festgestellt werden könne. Das schließt Überschneidungen nicht aus, mit denen sich die demokratisch orientierte Protestbewegung auseinanderzusetzen hat.

    "Diese Leute suchen ja nicht das Gespräch."

    Das trifft, bezogen auf Deutschland, auf viele Menschen, die in der Corona-Politik Regierung und Medien kritisieren, ebenso wenig zu.

    Umgekehrt muss sich die Bundesregierung den Vorwurf gefallen lassen, sich einseitig beraten zu lassen. Mit zahlreichen WissenschaflterInnen, ÄrztInnen, PsychologInnen, JuristInnen, die die C-Maßnahmen kritisieren, sucht niemand das Gespräch. Man könnte ja in Verdacht geraten, "Corona-Leugner" zu hofieren.

    Inzwischen dürfte auch klar sein, dass die Gleichung Kritik = Querdenker = Corona-Leugner = Nazi nicht aufgeht. Wer das ernsthaft behauptet, möchte wohl nichts anderes gelten lassen als die von der BR, ihrem beratenden Chefvirologen und dem RKI betriebene Daten- , Informations- und Gesundheitspolitik.

    Aber viel leichter fällt es ja, z. B. gegenüber ganzheitlich orientierten MedizinerInnen und sonstige "EsoterikerInnen" oder "ImpfverweigerInnen" zu lachen oder sie gar per se als gefährlich hinzustellen, vielleicht weil sie es z. B. wagen, Menschen zu ermutigen, ihr Immunsystem zu stärken und sich mit Gefühlen wie Angst persönlich auseinanderzusetzen, statt diese ihr ganzes Denken bestimmen zu lassen. Auch sie - Leugner, Schwurbler? Wie weit ist es gekommen mit der Respektlosigkeit gegenüber anderen Meinungen, Haltungen, Lebensformen?

    Ich kann mich daran erinnern, dass auch die taz einmal Imfp- und Gentechnik-Kritikerin war.

    • 2G
      2284 (Profil gelöscht)
      @89598 (Profil gelöscht):

      Hallo Jenny,

      sie schreiben von Querdenken als einer demokratisch orientierten Protestbewegung.

      Was ich mich dabei frage ist, wie sich denn die demokratische Orientierung genau in den Strukturen widerspiegelt, denn auch wenn ich mich recht ausführlich mit Querdenken auseindergesetzt habe, konnte ich wenig radikaler demokratisches als in der jetzigen repräsentativen Demokratie in den Bewegungen oder deren Forderungen finden.

      Was ich immer wieder sehe:

      1. Die Forderung nach Volksentscheiden

      2. Das stetige widerholen man sei (basis) demokratisch, welches sich jedoch irgendwie auf Punkt 1 beschränkt.

      Was ich nicht sehe ist ein basisdemokratischer Ansatz schon in den Strukturen, die mir eher straff auf einzelne Personen zugeschnitten zu sein scheinen, zum Beispiel Michael Ballweg, Rainer Füllmich etc. und wo ich wenig Basisdemokratie sehe, zum Beispiel dass offen über die Verwendung von Mitteln oder Aktionsformen entschieden wird. Und ich meine hier nicht die schrilleren Auswüche, wie die Forderung nach einer neuen Verfassung oder Militärgerichten, sondern wirklich langweilige Alltagsfragen (zum beispiel Querdenken Merchandise), die hier, zumindest nach meinem Endruck eher autoritär von einzelnen entschieden werden.

      Wie sehen sie das?

    • @89598 (Profil gelöscht):

      """die Bundesregierung den Vorwurf gefallen lassen, sich einseitig beraten zu lassen"""

      Man kann sich nur von Menschen beraten lassen die Ahnung haben,

      ganzheitlich orientierten MedizinerInnen und sonstige "EsoterikerInnen" oder "ImpfverweigerInnen"



      bringen weder bei Krebs noch bei einem Visus auch nur die kleineste Hilfe.

      Imfp- und Gentechnik-Kritikerin darf man sein, es sei denn man risikiert das Leben seiner Nachbarn.

    • @89598 (Profil gelöscht):

      Gentechnik-Kritikerin ist die taz (und nicht nur die) immer noch, wenn es nicht um Gentechnik in der Pharmazie geht, sondern um Gentechnik in der Lebensmittelproduktion. Nach dem Motto: Essen, das mithilfe von Gentechnik hergestellt wurde, ist gefährlich, das Einnehmen von Medikamenten, die mithilfe von Gentechnik hergestellt wurden, nicht. Das verstehe, wer will. Diese inkonsequente Haltung ist aber immer noch besser als die Ablehnung gentechnisch hergestellter Arzneimittel. Würde es die nämlich nicht geben, müssten Millionen von Kranken sterben. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie früher auch in linken Medien die Heilsversprechen der Gentechnik als Propagandalügen dargestellt wurden. Das ist vorbei. Denn ohne Gentechnik würde die medizinische Versorgung in weiten Bereichen schlicht plattgemacht. Wer an einer ernsthaften, potentiell lebensbedrohlichen Krankheit leidet, braucht meistens die chemische Keule. "Alternativmedizin" ist eher was für harmlose Wehwehchen.

      • @Budzylein:

        Ich möchte keinen gentechnisch veränderten Nahrungsmittel auf meinem Teller. Das erkläre ich nicht damit, dass es mir zu riskant ist oder ich Angst vor gesundheitlichen Schäden fürchte, sondern damit, dass sich mir der Sinn und der Mehrwert, der sich für mich daraus ergibt, nicht erschließt.



        Für die Herstellung eines lebensrettenden Antibiotikums braucht es nun mal gelegentlich gentechnisch veränderte Schimmelpilze. Für die Herstellung einer schmackhaften Tomate aber nicht. Und Soja wird auch nicht gentechnisch verändert, um besser bekömmlich zu werden sondern um unverträglich gegen Pestizide und Fungizide zu werden, die dann höher dosiert eingesetzt werden können.



        Bestimmt sind die gesundheitlichen Risiken bei gentechnisch Veränderten Pflanzen in der Nahrungsmittel Produktion sehr klein, der Nutzen, für mich persönlich, ist aber auch noch viel kleiner. Daher ist das Verhältnis der beiden sehr ungünstig.



        Ach ja… und die Mär mit der Versorgung der immer weiter wachsenden Weltbevölkerung. Mal davon abgesehen, dass es jetzt eigentlich genug für alle gäbe und wir, zumindest für den Status Quo nur ein Verteilungsproblem haben. Ein unendliches Wachstum sowieso nicht möglich ist Agrar Gentechnologie hin oder her.

    • @89598 (Profil gelöscht):

      Nun, die Studie von Nachtwey hat vor allem eines gezeigt: Diese Leute haben ein riesiges Problem mit Fakten. Sie stehen mit der Wissenschaft auf Kriegsfuß, mit "traditionellen" Medien und mit unserem politischen System" (Demokratie sic!). Und das ist die Klammer all dieser "Bewegungen" weltweit, egal ob es die Trumpisten, die Flatearther, die Klimaskeptiker, Kreationisten oder Corona-Skeptiker sind.



      Achja, 25% der Teilnehmer an den Demos wollen lt. Nachtwey nächstes Mal AfD wählen. Die sind nicht rechts? LOL

    • @89598 (Profil gelöscht):

      Na gut, ich kenne niemanden, der auf diese Demonstrationen geht.

      Sicher sind das nicht alles Nazis, aber wer kein Problem damit hat, mit einem gerüttelt Maß an Nazis, Spinnern und Reichsbürgern zu demonstrieren, der hat ein ernstes Problem.

      Er wertet diese Gruppen auf, suggeriert, dass die eben eine andere Meinung haben, dass das aber egal ist.

      Und genau das ist es nicht. Besonders dann nicht, wenn wie in Leipzig die Nazis für die Demo die Straße frei prügeln.

      Warum läuft man da mit? Ist das immer noch besser als das, was die Regierung macht?

      Ich weiß jetzt nicht, wen Sie im Einzelnen mit den Kritikern meinen.Wenn Sie nicht die meinen, die in der Welt der Wissenschaft niemand ernst nimmt, sollte man mit denen diskutieren. Warum auch nicht?

      Die Sache ist nur die, die Lage ist ziemlich verworren, nichts funktioniert so richtig. Dennoch vertraue ich den Wissenschaftlern, die sich in der Welt der Wissenschaft ihres Gebietes bewegen. Da gibt es ja auch nicht nur eine Meinung.

      Zu Bedenken gebe ich noch, wir schreiben hier unter einem Artikel über sehr gewalttätige Proteste von wem jetzt auch immer.

      Mit diesen Leuten gibt es keinen Dialog, darf es nicht geben, kann es nicht geben.

      Und jeder, der sich nicht eindeutig von diesem Mob distanziert, hat kein Recht auf eine Debatte. Egal ob es diese Leute in Holland sind oder bei uns die Querdenker.

      • @Jim Hawkins:

        Nun ja, "keinen Dialog", "kein Recht auf eine Debatte" ist vielleicht ein wenig dick aufgetragen. Sie haben die Gewalt der Unterstützer des Liebig34-Projektes anlässlich der Räumung in diesem Forum eindeutig verurteilt, aber zugleich auch Solidarität mit denen vermisst (Siehe die Kommentare zu diesem Artikel: taz.de/Hausprojekt...bb_message_4022667 ), und ich glaube, dass Sie mit denen auch debattiert hätten (ich übrigens auch).

        Wobei ich Ihnen insofern Recht gebe, als man mit Reichsbürgern oder mit Leuten, die das Coronavirus für eine Erfindung halten oder die meinen, das Ganze sei eine perfide Strategie von Bill Gates, um die ganze Welt zu impfen, beim besten Willen nicht ernsthaft debattieren kann. Aber so "denken" bei weitem nicht alle, die die Corona-Maßnahmen ablehnen.

        Dummerweise gibt es offenbar keine Demos gegen die Corona-Maßnahmen, die nicht von Leuten dominiert werden, mit denen man nichts zu tun haben will, wenn man halbwegs bei Verstand ist. Wer (wie ich mit sicherem Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst) durch die Corona-Maßnahmen zumindest nicht in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht ist, kann es sich natürlich leisten, sich davon fernzuhalten, sich die Finger nicht schmutzig zu machen und ein gutes Gewissen zu haben. Aber es gibt eben auch viele, die infolge des sich immer länger hinziehenden Lockdowns vor dem Ruin stehen und wirklich verzweifelt sind. Wenn diese Leute bei der Wahl ihrer "Bündnispartner", nicht wählerisch sind, weil sie anders ihren Standpunkt nicht öffentlichkeitswirksam zum Ausdruck bringen können, ist das nun mal nicht völlig unverständlich. Erst kommt das Fressen...

        • @Budzylein:

          Danke für diese Worte. Tatsächlich kommt ja von eindeutig links überhaupt nichts an Widerstand, hab ich zumindest noch nicht mitbekommen. Allerdings hat der Protest ganz sicher vielfältigere Gründe, als nur das Geld. So sind die Suizid-Versuche von Jugendlichen in der Schweiz seit Corona stark angestiegen, das Sorgentelefon für Jugendliche ist um ich glaube 30% stärker frequentiert. Dabei geht es offenbar oft um unerfülltes Kontakt-Bedürfnis.

  • @JIM HAWKINS:

    Ja, aber auch.

    Wir sollten nicht aus dem Blick verlieren, wer bei dieser Pandemie gewinnt und wer verliert. Es sind durchweg die ärmeren Schichten, die härter betroffen sind (auch im internationalen Vergleich die ärmeren Länder).

    In UK, z.B., ist die Sterblichkeit von Schwarzen an Covid bis zu drei mal höher als im Durchschnitt [1].

    Es ist naheliegend, dass so eine Situation die Verteilungskonflikte verschärft, und dass entsprechende Gruppen mit ihren Verschwörungstheorien mit grosser Lust da einsteigen. Die werden von Verwesungsgeruch angezogen, wie die Fliegen.

    Das Problem sind jedoch nicht die Fliegen, das Problem ist die Verwesung.

    Die Fliegen sind lediglich ein Symptom.

    [1] www.independent.co...-ons-a9574796.html

    • @tomás zerolo:

      Diese Veranschaulichung (Fliegen/Verwesung) gefällt mir sehr gut. Ich würde mich gerne einem Protest anschließen, der genauso differenziert ist wie meine Kritik an der Politik. Aber wer nur provoziert, indem er Masken und Abstand verweigert, den kann ich nicht unterstützen, Gewalt schon gleich gar nicht. Dazu habe ich anscheinend keine Alternative. Ich kann nicht sehen, was sich an den Ecken der Demo zusammenbraut. Also wo die Fliegen herkommen. Erst recht nicht, wer den Verwesungsgeruch installiert hat.

    • @tomás zerolo:

      Mh. IMO sobald Menschen in erheblicher Anzahl sterben oder anderweitig kaputtgehen, ist so viel Macht von Menschen über Menschen im Spiel, dass die Problem-Symptom-Dichotomie kollabiert.

      BTW Serientipp: "The Watch". Auch: Mal Pratchetts "Jingo" lesen, wer es noch nicht getan hat.

      "It was much better to imagine men in some smokey room somewhere, made mad and cynical by privilege and power, plotting over brandy. You had to cling to this sort of image, because if you didn't then you might have to face the fact that bad things happened because ordinary people, the kind who brushed the dog and told the children bed time stories, were capable of then going out and doing horrible things to other ordinary people."

      • @Ajuga:

        Genau dieses Gefühl beschleicht mich oft. Wenn es eine echte Verschwörung gäbe, wäre das geradezu erleichternd. Man könnte die Drahtzieher einkassieren und Ruhe wärs.

        Aber es gibt keine "Geheimclique". Es gibt nur zahlreiche mächtige Menschen auf der ganzen Welt, die ihre Macht - finanziell oder gewaltbasiert ist egal - erhalten und ausbauen wollen. Man trifft sich in den gleichen Clubs, auf den gleichen Events und Konferenzen, eine Hand wäscht die andere, man tut sich einen Gefallen, schanzt einander einflussreiche Posten zu, schmiert Politiker...



        Nicht wegen einer Geheimsekte oder so, sondern aus schierem Eigennutz und "Stallgeruch". Und kein Staat und keine Gesetze kommen wirklich dagegen an. (Wirecard, Cum Ex als Beispiel)



        Das ist das wirklich Frustrierende. Die Randalierer fühlen irgendwie das Problem, und in ihrem Ohnmachtsgefühl schlagen sie blindlings um sich, der Hass richtet sich dann auf alles was ihnen vor die Finger kommt.

  • In einem System, das immer mehr Verlierer produziert b.z.w die Angst davor schürt und die Schuld beim einzelnen sucht und nicht im System selbst, muss man sich nicht wundern das die Menschen durchdrehen. Das Gefühl von Wehrlosigkeit und Unsicherheit schlägt bei manchen in Aggression um. Rendite steht über dem Gemeinwohl. Das Vertrauen in die Politik schwindet.

    • @Andreas J:

      Es lohnt sich gerade sehr, Arno Gruen zu lesen. Alles!

      • @Doris Echterbroch:

        Danke. Arno Gruen kannte ich nicht. Habe mir den Vortrag "Empathie versus Kognition" angeschaut, Sehr interessant!

    • @Andreas J:

      Sie glauben also, dass es keinerlei persönliche Verantwortung gibt, weil immer "das System schuld" ist? Das nannte man mal Vulgärmarxismus.

    • @Andreas J:

      Es gibt bisher keinen Beleg dafür, dass die Randalierer und Plünderer am und/oder "abgehängt" sind. Falls doch, bitte Quelle nennen. Ansonsten ist das reine Romantisierung a là "Les Misérables".

      • @Adam Weishaupt:

        Na dann erzählen sie mal ihre Interpretation der Ereignisse. ich bin gespannt.

  • Ich bezweifle, dass man die Ausschreitungen mit Entfremdung erklären kann. Wenn dem so wäre, müsste diese Entfremdung nur junge Männer betreffen, denn auf keinem der Videos konnte ich eine Frau ausmachen (oder auch ältere Personen). Es muss also erklärt werden, was das bedeutet. Sind junge Männer besonders Frustrationsintolerant? Haben sie nicht gelernt, empathisch zu sein? oder was ist das.

    • @resto:

      Auf gewalttätigen Demonstrationen finden sie fast nur Männer und zwar ganz unabhängig davon ob die Kulpriten jetzt aus dem linken oder dem rechten Lager kommen oder einfach nur Krawalltouristen sind.

      Es geht hier sicher nicht nur um etwas erlerntes. Ich weiß viele Leser der taz fremdeln mit den Naturwissenschaften, es gibt aber tatsächlich sowas wie Biologie und biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die hier neben der Sozialisierung eine erhebliche Rolle spielen dürften.



      Das kann man auch ganz gut an der deutschen "Partyszene" erkennen. Auch hier finden sich all diese Elemente wieder.

      "denn auf keinem der Videos konnte ich eine Frau ausmachen"

      Dann schauen Sie sich mal das Bild über dem Artikel an.

      • @Julius Anderson:

        Oh, oh, ganz dünnes Eis...

    • 8G
      83191 (Profil gelöscht)
      @resto:

      Das männliche Geschlecht war schon immer schneller mit dem Stein als das Weibliche. Gewissermaßen haben Sie also Recht @geschlechtsspezifische Gewaltursachen, wobei ich jedoch die Facette der Gewaltursachen noch um Gruppendynamik, Gesellschaftliche Bildung usw. ergänzen würde.

      Die Entfremdung sehe ich ebenfalls. Unter dem Vorwand der "Systemmedien" werden alle offiziellen Informationen angezweifelt. Die wachsende Spaltung Reich-Arm, steigende Preise, sich verschlechternde Lebensbedingungen, Fehler in Verwaltung/Politik usw. führen durch die Resonanz in den Filterblasen zunehmend zu einer Desinformiert, Desinteressierten und gleichzeitig Frustrierten Menschenmasse die alles hinterfragen und leicht durch Extremisten in eine schiefe Bahn gelenkt werden können.

      Endergebnis sind die Trump'schen Wähler oder die entsprechenden Kopien in anderen Staaten.

      • @83191 (Profil gelöscht):

        "Das männliche Geschlecht war schon immer schneller mit dem Stein als das Weibliche."



        Dann kennen Sie nicht die Steinigungsszene aus dem Monty-Pythons-Film "Das Leben des Brian"?



        "Kann es sein, dass Weibsvolk anwesend ist?"

      • @83191 (Profil gelöscht):

        Dem gibt es nichts hinzuzufügen.

  • Das ist so eine Sache mit der Entfremdung. Wie soll man sich nicht voneinander entfremden, wenn ein Teil der Bevölkerung glaubt, diese Corona-Geschichte wäre Teil eines großen Planes, bei dem es um ganz andere Dinge geht?

    Diese Leute suchen ja nicht gerade das Gespräch, gehen Medienvertreter aggressiv an und halten sich für Opfer.

    Zumindest in Deutschland war es dann ja so, dass diese schräge Mischung von Nazis instrumentalisiert wurde.

    Mittlerweile jedoch fühlen sie sich alle zusammen richtig wohl.

    Ich kann mich gar nicht genug von denen entfremden, was soll man auch sonst tun?

    Entfremden und bekämpfen.

    • @Jim Hawkins:

      Meine Rede! Wobei man aber in den Niederlanden grad haufenweise Hooligans oder sonstwelche Anomiker auf der Straße hat, die die Situation nutzen, um mal einen auf spontaner Gewalterlebnispark zu machen. Das ist dann keine "Entfremdung" vom Staat, denn dazu muss man erst mal mit dem Staat *nicht* gefremdelt haben. (Das auch als affirmierender Kommentar zu SENZA PAROLE)

      Zumindest deutsche NeofaschistInnen sprängen auf diesen Zug nicht auf, denn deren Strategie ist, sich mit plakativer Gewaltausübung bis nach der anvisierten "Machtergreifung" zurückzuhalten. Das macht sie aber um so gefährlicher.

  • Kann es nicht auch sein, dass Rechte und Hooligans jetzt ihr Ventil gefunden haben, das sie sonst beim Fußball ausleben, der ja zur Zeit nicht mit Zuschauern stattfindet?



    Ich habe mich schon länger gefragt, was solche Typen jetzt machen, außer auf Querdenker Demos zu gehen.

    • @Senza Parole:

      So wie es in den Berichterstattungen der Medien aussieht, sind es wohl eher Hooligans und die "Party und Eventszene", die wir noch aus dem Sommer kennen. Und die "Party und Eventszene" findet man nicht in den Fussballstadien, sondern eher in den Gaststätten mit den Pfeiffen....

      • @Vortex_Neu:

        Meinst du Shisha-Bars in deinem letzten Satz? Falls ja, nenne ich dich Rassist.