Antisemitismus in Deutschland: Neue Welle des Hasses
Das Lagebild Antisemitismus der Amadeu Antonio Stiftung zeichnet ein düsteres Bild: Die Zahl antisemitischer Vorfälle ist enorm gestiegen.
Als Folge der judenfeindlichen Vorfälle in Deutschland würden Kinder nicht mehr in jüdische Kindergärten geschickt, Mesusot – die jüdischen Türsegen – von den Türrahmen entfernt und Veranstaltungen aus Sicherheitsgründen abgesagt, berichtete dabei der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Felix Klein.
„Es schmerzt mich, diese Sätze nur zwei Tage vor dem 85. Jahrestag der sogenannten Reichskristallnacht von 1938 sagen zu müssen. Dennoch möchte ich hier versichern: Es ist nicht das Jahr 1938“, so Klein. Das Gift des Antisemitismus existiere immer noch, aber „im Jahr 2023 leben wir in einer gefestigten Demokratie mit einem Rechtsstaat, der uns schützt und verteidigt“. Die deutsche Regierung lasse nichts ungeschehen, damit Jüdinnen und Juden in Deutschland frei und sicher leben können, denn „nie wieder ist jetzt“, appellierte Klein.
Erst vergangene Woche hatte das Bundeskriminalamt bekannt gegeben, dass es in Deutschland seit dem Angriff der Hamas über 2.000 Straftaten mit Bezug zum Krieg registriert hat. Auf der Pressekonferenz am Dienstag wies Beate Küpper, Sozialpsychologin und Professorin für Soziale Arbeit, nun darauf hin, dass jüngere Menschen in Deutschland inzwischen „antisemitischer sind als ältere“.
Antisemitismus auch unter Muslimen weit verbreitet
Es gebe außerdem bislang kaum Studien, die Aussagen über einen spezifischen Antisemitismus der muslimischen Bevölkerung erlaubten. Doch die bisherigen Hinweise ließen den Schluss zu, dass Antisemitismus unter eingewanderten Muslimen weit verbreitet sei. Die Fokussierung auf muslimische und migrantisierte Personen in der aktuellen Lage sei wichtig, dürfe aber nicht dazu dienen, „vom Antisemitismus in der Mitte der Bevölkerung“ abzulenken.
„Die Bilanz der letzten Wochen lautet: Antisemitismus hat einen Platz in Deutschland“, sagte Nikolas Lelle, Projektleiter der Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus der Amadeu Antonio Stiftung. Rechtsextreme setzten „im Windschatten der Verherrlichung des Terrors“ ihre Angriffe auf die Erinnerung fort, fügte er hinzu und forderte, diese Entwicklungen nicht aus den Augen zu verlieren.
Lelle betonte zudem, dass „jede Variante des Antisemitismus“ in Deutschland auch zu „Schlussstrich-Rufen“ und Angriffen auf die Erinnerungskultur führe. Laut dem am Dienstag veröffentlichten Lagebild wird vor allem die Arbeit in Gedenkstätten und Erinnerungsorten seit dem vergangenen Sommer behindert und Antisemitismus zur Zerschlagung der Erinnerungskultur genutzt. Vor allem wiederholte Attacken wie jene der AfD in den vergangenen Jahren, die eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ forderte, führten zu mehr antisemitischen Vorfällen sowie „zur sukzessiven Verschiebung des Mach- und Sagbaren“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden