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Aktuelles „Stern“-CoverIst Fraktur eine Nazischrift?

Unter Neo-Nazis und auch in der Popkultur erfreut sich die Fraktur großer Beliebtheit. Die Geschichte der „deutschen Schrift“ ist kompliziert.

Frakturschrift im Detail: Lettern aus Holz für den Buchdruck in einem Setzkasten Foto: imago

Die Behauptung: Fraktur ist eine Nazischrift.

Richtig ist:

Seit ein bekanntes deutsches Magazin auf seinem Cover abbildete und in der Schlagzeile das Wort „Hass“ in Fraktur setzte, wird einmal mehr über die „deutsche Schrift“ gesprochen, über die viele Mythen kursieren. Jan Böhmermann etwa glaubte vor ein paar Jahren zu wissen, das rote Logo deutscher Apotheken zeige ein in Fraktur gesetztes A. Die Fraktur hielt er für eine „alte Nazischrift“.

Weder das eine noch das andere stimmt: Das Apotheken-A ist keine Frakturtype. Die Fraktur wiederum ist fünfhundert Jahre alt und war in den 1930ern noch weit verbreitet. Für ihre Propaganda nutzten die Nazis in der Tat die Frakturschrift, etwa auf Werbeplakaten für Hitlers „Mein Kampf“. Die Werbung für den Bestseller („Auflage 4 Millionen“) suggerierte, es sei „Das Buch der Deutschen“.

Sowohl die PR-Botschaft als auch der Name des Autors und der Titel des Buchs waren in Fraktur gesetzt. Das galt auch einige Jahre für den Titelschriftzug des Völkischen Beobachters. Dessen Artikel wurden erst 1941 von Fraktur auf Antiqua umgestellt. Das war das Jahr, in dem die Nazis die lateinische Schrift zur „Normalschrift“ erklärten. Das Schrifttum des neuen deutschen Imperiums sollte zugänglich sein.

Hitler war ohnehin gegen die Fraktur und präsentierte sich als strammer Faschist: „Eure vermeintliche gotische Verinnerlichung passt schlecht in das Zeitalter von Stahl und Eisen, Glas, Beton.“ In der globalen Popkultur (Motörhead etc.) und auch bei Neo-Nazis erfreut sich die Fraktur schon lange wieder großer Beliebtheit.

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50 Kommentare

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  • Lest hierzu folgenden Artikel vom Verlag Hermann Schmidt:

    www.instagram.com/p/CuRwuFtMSV2/

    Textausschnitt:



    »[...] Richtig ist, dass in der Nazizeit erst sehr viel gebrochene Schriften eingesetzt wurden, aber durchaus nicht durchgehend, denn das waren die Schriften, die damals vornehmlich in den Setzkästen lagen, auch in der Weimarer Republik. Weiterentwickelt wurden einige besonders martialische sog. »Schaftstiefel-Frakturschriften« wie etwa die »Tannenberg«, die als besonders »Deutsch« empfunden wurden und gut zum Nazi-Image passten. [...] Den eigentlichen »Nazi-Anstrich« erhielten die unschuldigen, jahrhundertealten Schriftschnitte, mit denen Gutenberg seine 42-zeilige Bibel setzte und Luther seine Thesen ans Kirchentor schlug, aber erst im Zuge der 68er Nazizeit-Aufarbeitung. Denn medial, sei es bei Filmen oder Buchtiteln, wurde nun immer für diese Zeit die unterschiedlichsten Fraktur- oder andere gebrochene Schriften gewählt und setzten sich so in den Köpfen fest. [...] «

  • Bitte auch mal was über den Hass der Nazis auf schwarz rot gold bringen.

  • Wieso soll das Apotheken-A eigentlich keine Fraktur sein? Fachsprachlich gehört es zu den gebrochenen Grotesk-Schriften, und nein, es ist kein Zufall, dass Fraktur auch einen (Knochen-)Bruch bezeichnet. Das Apotheken-A wurde 1951 auf Grundlage eines Entwurfs von 1936 eingeführt –ursprünglich mit einem weißen Kreuz, bei der flächendeckenden Einführung 1937 mit einer „Lebensrune“, dann nach dem Krieg mit einer Äskulap-Schale belegt.



    Der Gestalter des „A“, Ernst Paul Weise, wurde in der NS-Zeit übrigens zeitweise noch mit einem Berufsverbot belegt, weil seine Frau keinen Ariernachweis hatte.

  • Dieses Thema hat ähnlich viel Substanz und gleichartige Argumentationslinien wie die Autobahnen.



    Statt sich an Symbolismen abzuarbeiten, wäre es sinnvoller sich zu besinnen, was Nazitum tatsächlich ausmacht: Ausgrenzung, Nationalismus, Konzentrationslager, Angriffskrieg, Genozid.



    Sollte doch eigentlich reichen.

  • Stern und Böhmermann haben eben viel Meinung und wenig Wissen. Danke für den schönen Artikel!

  • Die immer wieder aufkommende Debatte um die Fraktur als Nazi-Schrift scheint mir letztlich eher ein Symptom des Umstands zu sein, dass die NS-Ideologie nie dazu in der Lage war ihren inneren Widersprüche zwischen Tradition und Moderne auflösen zu können. Man stritt endlos um Flachdächer und Heimatschutzarchitektur, wollte den modernen, säkularen Staat und begeisterte sich gleichzeitig für Okkultes und germanische Mythologie, presste die Menschen in ultra-reaktionäre Rollenbilder und wollte damit den 'Neuen Menschen' schaffen, verordnete der Gesellschaft totalitären Kleingeist und betrieb dennoch jede Menge megallomaner Riesenprojekte, ...

    • @Ingo Bernable:

      Bei Franco war es noch klarer Monarchistisch-reaktionäre Requetes und revolutionär-faschistische Falange, dazu noch Konservative, Ressentiments etc. Der Nationalismus war und ist erfolgreich weil er es schafft die Feindschaft mit der Moderne mit dem Wunsch nach dem absoluten Radikalen Wandel zusammen zu bringen. Nationalistische Regimes schaffen es diese eigentlich widersprüchliche ideologische Klaviatur gut zu spielen.

  • Fraktur ist eine Nazi-Schrift, genauso wie die Verwendung von Runen Nazisymbolik sind.

    Die Verwendung dieser Schriftart im Journalismus ist absolut unangebracht. Was der Stern nicht weiß: Solche Symbolik zu verwenden wirft den Leser des 21. Jahrhunderts zurück in die Vergangenheit, als Menschenrechte so gut wie garnicht existierten. Von sowas hat sich der Stern fernzuhalten.

    • @Troll Eulenspiegel:

      "Unangebracht" isses -mal ganz themenunabhängig- falsche Behauptungen zu verbreiten, auch noch von Dingen, von denen man offensichtlich keinerlei Ahnung hat.

    • @Troll Eulenspiegel:

      "Fraktur ist eine Nazi-Schrift"



      Unsinn, und das wurde hier auch schon ausreichend erklärt. Frakturschriften werden übrigens auch sehr gerne bei Tattoos mexikanischer Drogengangs verwendet. Ziemlich "Nazi", oder?

    • @Troll Eulenspiegel:

      Was noch "nazi" ist:Vegetarische/vegane Ernährung,Schäferhunde,1. Mai als gesetzlicher Feiertag,Tierschutz,Autobahnen,...



      Die Ladenschlußzeiten wurden ja zum Glück schon in den 90ern entnazifiziert.



      PS:



      Beitrag kann Ironie enthalten

    • @Troll Eulenspiegel:

      Im Artikel steht aber richtig, dass die heute genutzte Antiqua von den Nazis zur deutschen Standardtype erklärt wurde. Als konsequenter Antifaschist müsste man also zur Fraktur zurück oder eine neue Schrift nutzen.

      Der Tierschutz war übrigens Teil des Markenkerns der Nationalsozialisten gewesen und hat sich seitdem gehalten. Sollte man da nicht auch Gegensteuern?

      • @Chris McZott:

        Comic Sans?

    • @Troll Eulenspiegel:

      Okay…waren Ihnen die im Artikel genannten Erklärungen nicht stichhaltig genug? Wie lange soll Fraktur also noch als „Nazi-Schrift“ gelten, trotz aller Widersprüche?

      Nur weil Sie das so sehen und hier womöglich die klischeehafte Darstellung der NS-Zeit für historische Realität halten?

    • @Troll Eulenspiegel:

      Damit überlassen sie den Rechten aber das Feld. Die benutzen irgendwas "für sich". Die anderen dürfen es dann nicht mehr benutzen, sonst gelten sie als rechts oder ignorant.



      Das ist doch Unsinn. Um so öfters z.B. eine solche Schrift in offensichtlich nicht rechtem Kontext verwendet wird, um so weniger können sich die Rechten damit identifizieren.

      • @Diana Klingelstein:

        @Stefan L.



        Ja, ziemlich nazi.



        Weil: Mexikanische Drogengangs werden mit hoher Wahrscheinlichkeit ausländerfeindlich sein.

        @Mustardmaster



        Vegan/Vegetarisch wird leider von Rechts eingenommen. Besonders Esoteriker, die gerne mit Runen hantieren. Vom Rechtsdrall ablenkend erzählen die dann, dass manche Runen ja auch Freiheit oder Friede bedeute.



        Aber Whataboutismus einzusetzen war ja irgendwie klar.

        @ChrisMcZott



        Nazis waren alles andere als Tier- oder Naturfreundlich.

        m.focus.de/wissen/...s_id_11751613.html

        Das wird von Nazis heute nur gerne so in die Welt getragen, um Anschluss an die bürgerliche Mitte zu finden.

        @Saile



        Wenn rechte Markenhersteller wie Thor Steinar mal aufhören würden, Kleidung mit Fraktur oder Runen herzustellen, könnte man vielleicht sagen, ja. Dann kann man das als Indiz, aber noch nicht als Beweis sehen.

        Doch an alle gerichtet: Fraktur bedeutet einen Schritt in die Vergangenheit! Als Menschenrechte noch mit Füßen getreten wurden! Ob mit oder ohne Nazibezug. Auch vor den Nazis war die Welt autoritär! Erinnerungen an diese Zeit gehören ins Museum aber nicht in eine Zeitung des 21. Jahrhunderts!

        • @Troll Eulenspiegel:

          Die Schrift, die Sie heute in Zeitungen lesen (und in der Ihr Beitrag erschienen ist) beruht auf der humanistischen Schrift, die wiederum durch ein Missverständnis aus der karolingischen Minuskel abgeleitet wurde; Sie ist also nicht nur älter als die Fraktur (frühgotische Schriften sind erst im 12. Jhd. entstanden), sondern verweist - wenn man Ihrer Argumentation folgt, auch auf zwei Epochen - die Karolingerzeit bzw. die Renaissance - in denen man mit Menschenrechten eher wenig am Hut hatte.

        • @Troll Eulenspiegel:

          "Vegan/Vegetarisch wird leider von Rechts eingenommen. Besonders Esoteriker, die gerne mit Runen hantieren." --> Vegan/Vegetarisch ist aber schon ziemlich lange rechts. Bereits der Führer war mindestens überzeugter Vegetarier, wenn nicht sogar Veganer.

          Nach der Logik "Die Nazis haben das gemacht, deswegen ist das für alle Zeiten ein Erkennungszeichen für Nazis!" müssten sich alle (vermeintlich) Linken Fleischberge reinstopfen, nur um nicht in den Verdacht zu geraten, man lasse sich vom GröFaZ beeinflussen oder stelle sich gar in dessen Tradition.

          Klingt dann doch ziemlich übertrieben, oder? Ist es auch, deswegen sollte man dieses "Die Nazis haben dies getan, deswegen darf man das nicht tun!" Generell einfach unterlassen.

          Man muss danach gehen, was freiheitsfeindlich (Bücherverbrennungen) oder menschenfeindlich (Lager) war und dies als Erkennungszeichen von Nazis sehen, nicht Alltägliches, wie Fraktur oder Vegetarismus/Veganismus.

        • @Troll Eulenspiegel:

          Mexikanische Drogengangs sind in erster Linie skrupellos und brutal. Ob sie auch ausländerfeindlich sind, kann ich nicht beurteilen. Sie sind aber auf jeden Fall das absolute Feindbild für weisse, deutschnationale Nazis.

          Runen und Frakturschrift sind zwei paar Schuhe und Frakturschriften werden auch in anderen Ländern (z.B. England) verwendet und gelten da eben als "gothic" und sind völlig unpolitisch.

          Richtig, Fraktur bedeutet ein Schritt in die Vergangenheit, weil sie altmodisch ist. Und es gibt eben Gestaltungsbereiche, wo das passt. Man kann auch sowas ironisch sehen oder eben im Design mit einem Kontrast arbeiten. Mit Ihrem Argument müssten Sie auch z.B. die Times Roman verbieten. Das ist eine Serifenschrift und die gab es schon bei den alten Römern, die ja nun auch nicht wirklich für Demokratie und Menschenrechte stehen.



          Wie schon von anderen erwähnt, wenn Sie Dinge nur den Nazis überlassen, können diese das für sich exklusiv vereinnahmen. Wenn Frakturschriften aber auch mal auf der Nudelpackung oder auf Technoalben (was es schon gab) vorkommt, ist die rechte Exklusivität dahin. Eigentlich müsste man Gestalter dazu aufrufen, möglichst oft und vielseitig Fraktur zu verwenden, damit sie den Nazi-Anstrich verliert. Dann wäre es auch wurscht, wenn Thor Steinar sie verwendet.

        • @Troll Eulenspiegel:

          Sie meinen also eine Schriftart die die Nazis abgeschafft haben ist problematischer als die Schrift die die Nazis eingeführt haben?

          Und wenn die Frakturschrift ein Schritt in die Vergangenheit bedeutet, was bedeutet dann die Verwendung der Lateinischen Schrift? Frakturschrift stammt aus dem 16. Jahrhundert, die Lateinische wird seit 700vC verwendet. Damit dürfte die Lateinische wesentlich mehr "Vergangenheit und autoritäre Systeme" verkörpern als die Frakturschrift.

          Nichts für ungut, aber für die Verwendung der Lateinischen Schrift gibt es genau zwei Gründe: Vereinfachung und Globalisierung/Normierung. Beide Gründe sind gut, keiner von ihnen ist faschistisch oder antifaschistisch.

          • @Questor:

            Die Fraktur ist - genauso wie die Antiqua, eine "Lateinschrift"; Sie ist eine Form der gotischen Schrift (d.h. älter als das 16. Jhd.) und diese hat sich aus der aus römischen Schriften hervorgegangen karolingischen Minuskel entwickelt und wurde zunächst überwiegend für lateinische Texte verwendet. Mit Ihrer Conclusio haben Sie natürlich vollkommen recht.

            • @O.F.:

              Danke für die konstruktive Korrektur

  • fraktur ist zwar keine nazi-schrift (historisch eindeutig unsinn), aber ein verbrechen an der lateinschrift (ästhetisch eindeutig hässlich).

    • @kipferl:

      Eine gut geschriebene spätgotische Minuskel ist etwas überaus ästhetisches. Für Schreiber*in und Leser*in. Für die nachfolgenden Drucke in Fraktur gilt dasselbe zumindest für Leser*in, die gelernt hat, diese Schrift zu lesen.

    • @kipferl:

      👍

    • @kipferl:

      Ich finde, dass Sie hier einen spannenden Punkt angesprochen haben, auch wenn ich Ihrem Urteil nicht zustimme: Die Fraktur folgt - wie alle Formen gotischer Schrift - einem anderen ästhetischen System, das mit der klassischen Formensprache, die in der karolingischen Minuskel noch einmal zu einer besonderen Blüte findet, bricht - analog zum Wechsel von der Romanik zur Gotik in der Architektur; "hässlich" ist das nur, wenn man klassizistische Ansprüche anlegt; insofern ist die Fraktur-Debatte vielleicht eine Übung, deren Bedeutung weit über den eigentlichen Gegenstand hinausreicht: man kann an ihr lernen, anders zu sehen - vielleicht ist das gar nicht schlecht für eine Zeit, in der interkulturelle Kompetenz so wichtig geworden ist.

      • @O.F.:

        gotik ist leider auch hässlich. man muss auch mal den mut haben nicht alles gleich gut, schön, richtig... zu finden

        • @kipferl:

          Barock ist hässlich.

        • @kipferl:

          Es hat nichts mit mit "Mut" zu tun, wenn man andere ästhetische Systeme nicht versteht. Schönheit ist keine absolute Kategorie, sondern eine - manchmal unausgesprochene - Konvention. Wenn man seine eigenen Sehgewohnten nicht transzendiert, versperrt man sich den Zugang nicht nur zur spätmittelalterlichen Kunst, sondern zu einem erheblichen Teil des menschlichen Kulturerbes. Das fände ich nicht mutig, sondern traurig.

          • @O.F.:

            dieses gekrakel ist eine unverschämte verschandelung der lateinschrift. auch wenn manche einem einreden wollen das mittelalter sei nicht so finster gewesen ist fraktur der beweis dafür dass man sich die jahrhunderte zwischen antike und renaissance gerne hätte sparen können.

            • @kipferl:

              Die "Lateinschrift" ist auch eine Erfindung des Mittelalters; nochmal: die humanistische Antiqua ist eine Variante der karolingischen Minuskel; mit längst widerlegten Epochen-Klischees würde ich mich (nicht nur deshalb) zurückhalten. Zumal es hier um Grundsätzliches geht: wenn man schon am Verstehen ästhetischer Systeme aus der eigenen Geschichte scheitert - wie will man sich dann anderen Kulturen annähern? Alles ignorieren, was nicht hellenistisch wirkt? Sie sehen: es geht hier um mehr als um eine Schrift.

              • @O.F.:

                1. die antiqua majuskeln sind, wie man an tausenden antiken inschriften sehen kann, die originale lateinschrift; die minuskeln sind eine karolingische erfindung (wenn auch mit spätantiken vorläufern).



                2. zweifellos sind epocheneinteilungen "künstlich" und in einem gewissen umfang willkürlich. das ändert nichts daran, dass sie notwendig sind um historische entwicklungen zu strukturieren, und es ändert auch nichts daran das frakturschriften ihren ursprung in der epoche haben die man üblicherweise "mittelalter" nennt, und deren produkte im vergleich zur vorhergehenden antike und zur folgenden, daran orientierten renaissance, ästhetisch ( und leider auch intellektuell) durchweg dürftig sind.



                3. in der tat geht es um mehr als schrift. es geht um die erkenntnis, dass "dinge" nicht nur (im deskriptiven sinne) unterschiedlich sind (eine eher banale erkenntnis) sondern auch qualitativ z.b. schön oder hässlich, wahr oder falsch. so ist z.b. die moderne naturwissenschaft in einem garnicht vergleichbaren sinne wahrer (weil eine kombination aus, aus mehr oder weniger exakter empirie und mathematischer formulierung), als ihre weitgehend zusammenphantasierten antiken und mittelalterlichen vorgänger.

                • @kipferl:

                  1. Es gibt keine "originale Lateinschrift"; schon das römische Altertum kannte verschiedene Schriften; die Antiqua beruht allerdings auf der karolingischen Minuskel (die auch Großbuchstaben umfasste - sie verwenden die Begriffe Minuskel/Majuskel unpräzise).



                  2. Die Fraktur hat ihre Wurzeln im MA, genauer gesagt in seiner zweiten Hälfte, aber eben nicht nur die Fraktur, sondern auch die karolingische Minuskel, was wieder zu 1. zurückführt; egal wie Sie schreiben, es ist immer "mittelalterlich". Das Klischee von der Dürftigkeit des Mittelalters ist hundertmal widerlegt; ich finde es fast belustigend, darüber 2023 noch diskutieren zu müssen.



                  3. Schönheit ist eine Qualität, aber eben keine objektive, sondern eine konventionelle; deshalb setzt jede Erweiterung des eigenen kulturellen Horizonts voraus, andere Ästhetiken nachzuvollziehen - egal ob es um die Gotik oder um außereuropäische Kulturen geht.

                  • @O.F.:

                    1. die grossbuchstaben nichtgebrochener lateinschriften, meinetwegen kann man sie auch versalien nennen, sind unübersehbar sehr nahe an den, natürlich nicht im heutigen sinne normiert, buchstaben die für römische inschriften jahrhundertelang verwendet wurden. wenig überraschend hat es in der frühzeit der lateinschrift verschiedene experimente gegeben von denen sich nicht alles durchgesetzt hat.



                    2. ich habe nie in zweifel gezogen, dass die kleinbuchstaben aus dem mittelalter stammen (als weiterentwicklung der spätantiken schreibschrift/nicht der für inschriften verwendeten buchstaben). ansonsten ist die bilanz des mittelalters allerdings dürftig; spontan fällt mir nicht viel ein. auch wenn seit langem versucht wird hier positives zu finden ist der peinliche kulturelle absturz zur antike unübersehbar.



                    3. dinge zu kennen, ihre entstehung und funktion in den kulturellen kontext einordnen zu können heisst nicht sie nicht für hässlich, falsch und schädlich zu halten - übrigens unabhängig davon ob es sich um europäische oder aussereuropäische phänomene handelt.

                    • @kipferl:

                      Die karolingische Minuskel (und damit auch die Antiqua) - und zwar sowohl die Groß- als auch die Kleinbuchstaben - beruhen auf römischen Schriften (Plural!), das ändert aber nichts daran, dass es sich dabei in ihrer Gänze um eine mittelalterliche Schöpfung handelt; wenn Sie die mittelalterlichen Beiträge zur Kulturgeschichte nicht sehen wollen, rate ich zu aktuellen Studien über die Literatur, Philosophie und Kunst dieser Epoche; es ist einigermaßen grotesk, gegen solche Klischees noch argumentieren zu müssen.



                      Zu 3: Sie selbst haben das Wort "hässlich" gebraucht und als quai-absolute Kategorie verwendet; das historische Einordnen habe ich ja gerade gefordert - und das heisst eben auch Ästhetiken verstehen zu lernen, die uns zunächst fremd sind.

  • Bei Schriftarten gehts immer wild durcheinander. Die einzige Schriftart, die man "deutsche Schrift" oder "Nazischrift" nennen könnte ist die Tannenberg. Die wurde in den 30ern erfunden, im dritten Reich bis zum Normalschrifterlass von 1941 auf offiziellen Plakaten und Schildern verwendet. Dazu gabs wenig genutzte Abwandlungen wie die Gotenburg. Das sind gebrochene Grotesk Schriftarten, die lediglich Elemente der Fraktur aufweisen.



    Womit Böhmermann allerdings Recht hat, ist dass das heutige Apotheken Logo von den Nazis zur Vereinheitlichung der vorher vielfältigen Apothekenkennzeichen eingeführt wurde. Nur ist das eben kein Fraktur A.

  • Das Witzige ist, dass ungefähr keine Schrifttype so "nazi" aussieht wie die "Schaftstiefel"/"Koch"-Pseudofrakturen (bekannt als Lieblingstype der APPD), die aber unter das von JAN Ü erwähnte Verbot fielen.

  • Hitler hat auch gern die damals ganz neue Futura genutzt. Die Schrift nehme ich gar nicht gern wegen ihrer Nazi-Anmutung.

    • @Thing T. Thing:

      "Hitler hat auch gern die damals ganz neue Futura genutzt. "



      Ach, wo hat er sie denn genutzt?

      "Die Schrift nehme ich gar nicht gern wegen ihrer Nazi-Anmutung."



      Ich mache seit 35 Jahren Grafik-Design und höre hier zum ersten Mal, dass die Futura "Nazi" ist. Ganz ehrlich, weil die Schrift mal irgendwo und irgendwann im dritten Reich Verwendung gefunden hat, ist das kein Grund zur Verdammung. Abgesehen davon wurde Paul Renner, der Erfinder der Futura, 1933 von den Nazis verhaftet und konnte noch in die Schweiz emigrieren.



      Ausserdem hat die Futura als Designelement massgeblich das Bauhaus inspiriert. Alles schwer "Nazi". Man kann natürlich mit Typographie auch hysterisch umgehen.

    • @Thing T. Thing:

      Die Futura ist eine Bauhaus Schrift. Die wurde von den Nazis nur etwa 3 Jahre genutzt und ist ansonsten eine der weltweit meistgenutzten Antiqua Schriften überhaupt. Diese Hitler zuzuordnen ist ähnlich unsinnig, wie die Fraktur zur "Nazi-Schrift" zu machen.

    • @Thing T. Thing:

      Futura stammt aus dem Bauhaus und wurde aus mir unbekannten Gründen von den Nazis im Krieg als Ersatz für Fraktur eingeführt. Ansonsten ist Futura eine bis heute weltweit genutzte Schriftart, die keinerlei politische Bezüge hat.

      • @boidsen:

        Die Futura ist KEINE Bauhaus-Schrift, sie hat das Bauhaus aber massgeblich beinflusst.

        • @Stefan L.:

          Na ja, sie ist nicht am Bauhaus entwickelt worden, dass stimmt. Ich würd eher sagen die Schrift ist stark vom damals gegenwärtigen Bauhausstil beeinflusst und hat sich dann als eine der prägensten Schriften der Zeit entwickelt. Wie auch immer. Soweit ich weiß, ist der Entwickler sogar vor den Nazis ins Ausland geflohen.

  • Der interessanteste Aspekt fehlt hier leider? Die Fraktur wurde auch verboten, weil sie angeblich jüdischen Ursprungs wäre:



    "Die sogenannte gotische Schrift als eine deutsche Schrift anzusehen oder zu bezeichnen ist falsch. In Wirklichkeit besteht die sogenannte gotische Schrift aus Schwabacher Judenlettern. Genau wie sie sich später in den Besitz der Zeitungen setzten, setzten sich die in Deutschland ansässigen Juden bei Einführung des Buchdrucks in den Besitz der Buchdruckereien und dadurch kam es in Deutschland zu der starken Einführung der Schwabacher Judenlettern ....

    Die Verwendung der Schwabacher Judenlettern durch Behörden wird künftig unterbleiben; Ernennungsurkunden für Beamte, Strassenschilder u. dergl. werden künftig nur mehr in Normal-Schrift gefertigt werden." (Reichsminister Martin Bormann, 3.1.1941) Quelle: de.wikipedia.org/w...qua-Fraktur-Streit

    • @jan ü.:

      Danke. Nochmals nicht umsonst gelebt!



      Das reißt ja gar nicht ab.

      unterm—-



      Martin Bormann - dat hälste ja im Kopp nich aus -



      de.wikipedia.org/wiki/Martin_Bormann



      “Nach dem Krieg absolvierte er eine landwirtschaftliche Lehre auf einem Gutshof und wurde Mitglied im Verband gegen Überhebung des Judentums. Der dortige Gutsbesitzer beherbergte Mitglieder des Freikorps Roßbach, dem Bormann beitrat. Als Mitglied des Freikorps war er in rechtsradikale Umtriebe verwickelt und wurde 1924 wegen Fememordes angeklagt. Gemeinsam mit dem späteren SS-Obersturmbannführer und Kommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz Rudolf Höß, der eine zehnjährige Zuchthausstrafe erhielt, musste er sich für den Parchimer Fememord an dem Volksschullehrer Walter Kadow (1900–1923) verantworten. Bormann wurde zu einem Jahr Gefängnisstrafe verurteilt.…



      de.wikipedia.org/w...bung_des_Judentums

  • Die Frakturschrift wird englischen Sprachraum mehrdeutig auch als Gothic oder Old English oder auch als Blackletter bezeichnet.



    Für Zeitungsnamen finde ich’s ok. Ist bildlich einprägsam.

  • Fraktur wirkt martialisch, kantig, vielleicht auch abweisend und bombastisch. Wer auch immer dies ausdrücken möchte, der wählte und wählt diese Schriftart. So kann, aber muss keineswegs zwingend, eine rechte Gesinnung dahinter stehen.

    • @boidsen:

      "Fraktur wirkt martialisch, kantig, vielleicht auch abweisend und bombastisch."



      Das ist eine sehr subjektive Meinung.

  • Danke. Wieder nicht umsonst gelebt.

    Ich liebe diese pc-ler & Blockwarte-Vorlagen!



    Auch & gerade in der taz so schön entlarvend 🎭 - 🙀🙀😂 -



    Nix auf Tasche & schön bis zur Kenntlichkeit entstellt •

    Scheunen Sündach ook & jetzt mal etwas 🎶🎶🎶 🪈 🎷 & Co.

    • @Lowandorder:

      Das jst eine schöne Eingrenzung, der älteste (Ihr) und der neueste (Encantado) Artikel.



      Ich dachte immer, wenn ich ein altes Buch dieser Schreibart lese, sei es in Sütterlin. Aber nein, es war Fraktur.