Umgang mit Männlichkeitsbildern: Die Manosphere in der Schule
In sozialen Netzwerken gewinnen frauenfeindliche Influencer immer mehr Reichweite bei Jugendlichen. Wie Lehrkräfte dagegen ohne Muskeln kämpfen können.
In seinem Video beginnt der muskelbepackte Fitness-Influencer seinen Tag um 4 Uhr morgens mit Liegestützen auf seinem Balkon. Draußen ist es noch Nacht. Dann filmt er sich, wie er voller Inspiration schreibt, bevor er im Fitnessstudio joggt und in einem 50-Meter-Außenbecken taucht.
Die Bilder seiner „Morning Routine“ in einer modernen Wohnung folgen aufeinander. Darauf sind die Geräusche des Laufbandes, das fließende Wasser der Dusche und die Küchenschränke zu hören, als er sich um 8.36 Uhr eine Banane holt. Er isst das Obst und reibt sich die Schale über das Gesicht – als dritte Hautpflege seines getakteten Rituals.
„Ist das ernst gemeint?“, fragt eine Lehrerin lachend. An diesem Tag schauen sich etwa 15 Lehrkräfte und Sozialarbeiter:innen das Video des Fitness-Influencers auf dem Bildschirm im Konferenzraum im Haus der Kulturen der Welt an. Auf ihrem Schulungsprogramm steht eine Einführung in der „Manosphere“.
Vor den Augen der Fortbildungsteilnehmer:innen erklären männliche Influencer in knapp einminütigen Videos, wie man im Leben erfolgreich ist – und damit auch ein richtiger Mann wird. In solchen Inhalten lässt sich Männlichkeit in verschiedene Rollen und Subkategorien einteilen.
Alpha, Beta, Sigma
Pick-up-Artists – auch Dating-Coach genannt – lehren Verführungskunst bei Frauen und setzen auf einen besonders muskulösen Körper. Ähnlich wie sogenannte Männlichkeitscoaches verkörpern sie eine Alpha-Form der Männlichkeit, also eine starke und führende. Die Incels – unfreiwillige Singles und deshalb frauenfeindliche Männer – vertreten eine eher nerdige, „Beta“-Männlichkeit.
Als Neulinge in der Blase und durch ein russisches Poplied bekannt gemacht, zeigen sich die „Sigma“-Männer ungestört von sozialen Erwartungen und Führungsrollen – wobei sie dennoch jedes Mal gewinnen. In den sozialen Netzwerken präsentieren sich diese stereotypen Influencer als Motivations-, Fitness-, Finanz- oder Kryptowährungs-Coaches, Berater oder Unternehmer. Und erreichen damit Millionen von Views und Followern.
Die Zielgruppe ist vielleicht das Einzige, was „Menfluencer“ mit den Lehrkräften an diesem Nachmittag im Saal gemeinsam haben. Durch die Fitnessinhalte, die ihm der Algorithmus vorschlägt, habe er geglaubt, einen Teil der Manosphere schon zu kennen. „Ich hätte nicht gedacht, dass es in diesem Ausmaß ist …“, sagt Alex*, ein Sozialpädagoge. Immer wieder schüttelt er den Kopf über das streitsüchtige Verhalten und die homophoben Äußerungen der Jugendlichen, mit denen er arbeitet. „Aber ich weiß genau, woher sie das haben.“
Bei ihren Schülern falle auch Julia* oft sexistische Sprache und homophobe Sprüche auf. „Ich glaube, es ist einfach viel Unwissenheit, warum sie diese Sprache benutzen. Sie haben Fragen, die sie gar nicht stellen können“, so die Kunstlehrerin. „Und ich habe den Eindruck, dass sie sich gar nicht darüber austauschen, was sie in den sozialen Netzwerken sehen“, merkt die Lehrerin an, die eine Tendenz zur geschlechtlichen Polarisierung befürchtet. Bis zu 14 Stunden pro Tag würden ihre Mittelstufenschüler:innen vor Bildschirmen verbringen.
Till Dahlmüller, Fortbildungsleiter
Bundesweit liegt laut einer Studie der OECD die durchschnittliche Bildschirmzeit bei 15-Jährigen im Jahr 2024 bei 7 Stunden pro Tag. Unter den von 14- bis 19-Jährigen am häufigsten genutzten sozialen Netzwerken stehen Instagram, Tiktok und Youtube ganz oben auf der Liste. Auf diesen Plattformen erzielen „Gesundheits“- oder „Motivations“-Inhalte von Fitness-Influencern Millionen Aufrufe.
Im Dezember 2024 wurde der Tiktok-Kanal der „Finanz-Influencer“ Hoss und Hopf wegen der Verbreitung von Falschinformationen aus dem Netzwerk verbannt. Ihr Podcast verzeichnet weiterhin jeden Monat 150.000 Aufrufe und ihre jeweiligen Instagram-Konten haben fast 500.000 Follower.
Identitätskrücke Männlichkeit
Papierkügelchen fliegen durch den Saal des HKW von einem Stuhl zum anderen. Auf die Vorderseite der Blätter sollten die Lehrkräfte die Adjektive schreiben, die ihnen als Erstes einfallen, um einen „echten Mann“ zu beschreiben. Unter anderem also: cool, stark, brotverdienend, nicht an Emotionen interessiert, muskulös. Auf der Rückseite der Blätter stehen die Charakterzüge, die die Lehrkräfte an ihren männlichen Angehörigen schätzen. Das heißt: selbstreflektiert, loyal, privilegienbewusst und fähig, über Emotionen zu reden.
Wenn der Fortbildungsleiter und Sozialpädagoge Till Dahlmüller diese Übung mit Schulklassen durchführt, tauchen auf den Blättern der Jugendlichen meist Begriffe aus der „Manosphere“ auf. Oft würden sich die Kategorien dessen, was einen „echten Mann“ ausmacht, und dessen, was an männlichen Freunden geschätzt wird, überschneiden.
„Durch den Bilderstrom schleichen sich bestimmte Bilder und Gefühle bei vielen Jugendlichen unbewusst ein“, erklärt Dahlmüller. Seit 2022 arbeitet er beim Institut Dissens e. V. und leitet Workshops für Jugendliche sowie Fortbildungen für Lehrkräfte zum Thema Männlichkeit. Die besonders große Auffälligkeit junger Männer für solche antifeministischen und teilweise auch queerfeindlichen Inhalte müsse in einen globalen antifeministischen politischen und sozialen Wandel eingeordnet werden, so Dahlmüller. Die junge Generation sei auch von Klima-, Wirtschafts- und Gesundheitskrisen geprägt.
Hingegen versprechen maskulinistische Influencer ihnen eine Handlungsfähigkeit, die allein von der eigenen Selbstbestimmung abhängt und einfache Antworten auf komplexe Orientierungsfragen bietet. Zu Fragen der queeren Identität bieten Menfluencer, Orientierung, indem sie behaupten, es gebe nur zwei Geschlechter, fasst Dahlmüller zusammen. In einem Alter, in dem es darum geht, sich in jeder Hinsicht zu beweisen, um dazuzugehören und Anerkennung zu finden, sind diese Inhalte gefährlich.
Im Dialog mit den Schülern gehe es also darum, ihre Bedürfnisse zu verstehen und ihnen Alternativen anzubieten. „Wenn das Selbstwertgefühl auch aus Freundschaften, dem familiären Umfeld oder einem Hobby gezogen wird, dann wird die ‚Identitätskrücke‘ Männlichkeit weniger gebraucht“, so Dahlmüller.
Seit 2024 leitet er auch „Peers-to-Peers“-Workshops an Schulen. Dabei haben Schüler:innen – sowohl in reinen Jungen- als auch in gemischtgeschlechtlichen Gruppen – die Möglichkeit, sich mit 20-Jährigen über ihre Gefühle, ihre Wahrnehmung von Geschlechterstereotypen und die von ihnen konsumierten Inhalte auszutauschen.
Doch mit diesem Ansatz kommen geschulte Lehrkräfte und ihre Workshops an der Schule schon zu spät. „Meistens kommen wir eher als Feuerwehr, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“, sagt Dahlmüller. „Räume und pädagogische Konzepte, in denen diese Anforderungen entlastet werden und über sie gesprochen werden kann, sollten bereits ab der Kita erarbeitet werden.“
*alle Vornamen geändert
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert