Entscheidung der Mindestlohnkommission: Fast 15 Euro für alle
Der Mindestlohn steigt schrittweise bis 2027 auf 14,60 Euro. Das hat die zuständige Kommission beschlossen. Die SPD-Wunschhöhe ist knapp verfehlt.

Die Lohnuntergrenze, die jetzt bei 12,82 Euro liegt, gilt mit wenigen Ausnahmen für alle Arbeitnehmer:innen in Deutschland. Laut Gesetz wird die Höhe durch die Kommission bestimmt, in der jeweils drei Mitglieder der Gewerkschaften und Arbeitgeber sowie die unabhängige Vorsitzende Christiane Schönefeld verhandeln. Manchmal grätscht aber auch die Politik rein – so findet sich das Ziel von 15 Euro im Koalitionsvertrag von Union und SPD.
Wenn diese Linie erreicht worden wäre, hätte es sich Parteichef und Vizekanzler Lars Klingbeil beim Parteitag der SPD an diesem Wochenende als Erfolg anrechnen können. SPD-Politiker Bernd Rützel bezeichnete den Beschluss dennoch als „annehmbares Ergebnis in wirtschaftlich angespannten Zeiten“.
„Sehr schwierige Gespräche“ in der Gemengelage räumte die Vorsitzende ein. Nachdem man zwei Tage fast durchverhandelt habe, einigte man sich am Freitagmorgen um 9.10 Uhr, sagte Stefan Körzell, einer der Vorstände des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Steffen Kampeter, Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), beklagte „den erheblichen medialen und politischen Druck“.
Die Entscheidung in Zahlen
Zum 1. Januar 2026 steigt der Mindestlohn um 8,4 Prozent, Anfang 2027 um weitere fünf Prozent. Insgesamt führt das zu einer Anhebung von knapp 14 Prozent. Laut Stefan Körzell können Vollzeitarbeiter:innen ab kommendem Jahr mit 190 Euro mehr Bruttolohn pro Monat rechnen, im Jahr darauf insgesamt mit 310 Euro. Das Jahresplus summiere sich dann auf rund 3.700 Euro, erklärte Körzell. Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) kündigte an, das Ergebnis möglichst bald durch eine Rechtsverordnung verbindlich zu machen.
Zusätzliche Ausnahmen vom Mindestlohn für alle beschloss die Kommission nicht. Bauernpräsident Joachim Rukwied hatte verlangt, dass ausländische Saisonarbeiter:innen in der hiesigen Spargel-, Wein- und Obsternte ein Fünftel weniger erhalten sollten. Eine solche Regelung erlaube das Gesetz aber nicht, argumentierte Kommissionsvorsitzende Schönefeld.
Zum guten Teil habe die Kommission nun die „hohen Tarifabschlüsse“ der vergangenen zwei Jahre nachvollzogen, sagte BDA-Geschäftsführer Kampeter. Das Gremium muss sich unter anderem an der allgemeinen Lohnentwicklung orientieren. Allerdings gibt es ein relativ neues, zusätzliches Kriterium, das aus der EU-Gesetzgebung stammt: Demnach soll die Lohnuntergrenze bei 60 Prozent der „mittleren“ Lohnhöhe liegen. Es „ist ein Erfolg für die Gewerkschaften, den Referenzwert als neues Kriterium durchgesetzt“ zu haben, sagte Malte Lübker von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
Wirtschaft warnt vor Stellenverlust
Heikel war die Entscheidung wegen der Stagnation, in der viele Unternehmen momentan feststecken. Deshalb könnten sich nicht alle Firmen höhere Mindestlöhne leisten, betonte Kampeter am Freitag. Er befürchtete, es werde zu „Verlagerungen“ und Stellenverlusten kommen. Das sehen auch einige Wirtschaftsverbände voraus, etwa der Einzelhandel oder das Taxigewerbe. „Die Entwicklung dürfte zu einem schleichenden Verlust von einfachen Jobs führen“, teilte das Institut der Deutschen Wirtschaft mit.
Gewerkschaftsvorstand Körzell argumentierte dagegen, Beschäftigte, die ihre Stelle verlören, könnten in produktivere Unternehmen wechseln. Schließlich herrsche ein verbreiteter Arbeitskräftemangel, und zahlreiche Firmen suchten Leute, auch zu höheren Mindestlöhnen. Laut Marcel Fratzscher, dem Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, könnte die Untergrenze ruhig stärker angehoben werden als jetzt beschlossen.
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