SPD-Jugendorganisation: Jusos lehnen Koalitionsvertrag ab
Vor allem der Asyl-Kurs und die Sozialpolitik stößt der Parteijugend sauer auf. Am Dienstag startet die Abstimmung der SPD-Basis über das Regierungsprogramm.
„Für uns reicht es nicht“, sagte Türmer dem Sender ntv. Der Koalitionsvertrag gehe „den falschen Weg“. Die Parteijugend stört vor allem der verschärfte Anti-Asyl-Kurs und die Abschaffung des Bürgergeldes. Die Finanz- und Steuerpolitik sei ambitionslos, so der Juso-Chef.
Der designierte Kanzler Friedrich Merz hatte auch Steuersenkungen für niedrige und mittlere Einkommen, die im Koalitionsvertrag angekündigt werden, infrage gestellt. Man müsse sehen, was finanzierbar sei. Der Finanzierungsvorbehalt, kritisiert Türmer, sei eine „tickende Zeitbombe“. Schon die Ampel sei daran gescheitert, dass es keinen tragfähigen, klar definierten Konsens gegeben hatte, wofür wie viel Geld da war.
Zu den Jusos zählen formal rund 70.000 Mitglieder. Einzelne Landesverbände wie Bayern hatten bereits Widerstand ankündigt. Als Jusos gelten alle GenossInnen unter 35 Jahren. Türmers Absage an den Koalitionsvertrag bedeutet jedoch nicht, dass alle Jüngeren mit Nein stimmen werden.
Kritik auch aus einer Partei-AG
Türmers Absage an eine neue Koalition mit der Union kommt pünktlich zum Beginn der Abstimmung der SPD-Basis über die Regierungsbeteiligung am Dienstag. 358.322 SPD-GenossInnen können bis zum 29. April über Schwarz-Rot und den Koalitionsvertrag entscheiden.
Dieses Verfahren ist in der SPD üblich. 2013 stimmten 76 Prozent für eine Groko, 2018 waren es 66 Prozent. Bündnisse mit der Union werden offenbar nicht beliebter.
Scharfe Kritik äußerte auch die Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD. Deren Chef Aziz Bozkurt, Staatssekretär für Soziales im Berliner Senat, klingt ähnlich wie die Jusos. Wenn eine von der SPD getragene Regierung „alles grundsätzlich unter Finanzierungsvorbehalt“ stelle, könne das ein Förderprogramm für die AfD für die Zukunft werden, so Bozkurt kürzlich im Berliner Tagesspiegel.
Die Gegner des Koalitionsvertrages fordern nicht den Ausstieg der SPD aus der kommenden Regierung. Denn was danach droht, kann nicht im Sinne der SPD-Linken sein. Schwarz-Rot ist die einzige mögliche Regierung in der Mitte. Alternativen wären eine Minderheitsregierung der Union, eine Zusammenarbeit mit der AfD oder Neuwahlen, an denen die SPD dann ein gehöriges Maß Mitschuld hätte.
Nachverhandlungen nicht realistisch
Angesichts dieser finsteren Alternativen fordern die Koalitionsgegner Nachverhandlungen mit der Union. Das ist jedoch unrealistisch. Zum einen wird Friedrich Merz, dem innerparteilich vorgehalten wird, der SPD zu weit entgegengekommen zu sein, sich kaum von den Jusos treiben lassen. Zudem stellt sich die Frage, was das SPD-Mitgliedervotum wert wäre, wenn der Vertrag verändert würde.
Die SPD-Spitze kontert den aufflackernden Widerstand mit zwei Argumenten: Wer mit Nein stimme, müsse die Alternativen bedenken, so Parteichef Lars Klingbeil. Auch der Aspekt Verantwortung sei wichtig: Deutschland könne sich angesichts von Trumps Zollpolitik, dem russischen Überfall auf die Ukraine und der zerfallenden Nato kein politisches Vakuum leisten. Deutschland brauche schnell eine stabile Regierung.
Beunruhigend für die SPD-Spitze ist, dass es in der schwarz-roten Regierung schon Stress gibt – noch bevor die Koalition überhaupt im Amt ist. Die SPD-Linke glaubt, der Vertrag fixiere eine Steigerung des Mindestlohns auf 15 Euro. Merz verkündete jedoch am Sonntag in der Bild am Sonntag, es gebe keinen Automatismus Richtung 15 Euro. Das bringt selbst gemäßigte SPD-Linke wie Wiebke Esdar, Co-Chefin der Parlamentarischen Linken, auf. Merz solle auch mit Blick auf das SPD-Mitgliedervotum aufhören „zu provozieren“. Esdar hat sich noch nicht entschieden, ob sie Ja zum Koalitionsvertrag sagen wird.
Michael Schrodi, SPD-Finanzpolitiker und Mitglied der parlamentarischen Linken, hat den schwarz-roten Vertrag mitverhandelt – und sieht die Sache anders. Die Juso-Forderung nach Nachverhandlungen gehe in die falsche Richtung. Es gebe „keinen Bedarf, den Vertrag wieder aufzuschnüren“ – die Forderung sei möglicherweise kontraproduktiv, weil aus der Union mit Gegenforderungen zu rechnen sei.
Merz stehe in der Union stärker unter Druck als die SPD-Führung in ihrer Partei. „Ich rate allen Seiten, den Koalitionsvertrag so zu akzeptieren, wie er ist“, so Schrodi zur taz. Schwarz-Rot sei keine Wunschkoalition, trotzdem gebe es in dem Vertrag progressive Elemente. Schrodi wird Ja zu dem Koalitionsvertrag sagen. Wie höchstwahrscheinlich die Mehrheit der 385.322 abstimmungsberechtigten GenossInnnen.
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