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Diskussion über MindestlohnDer Bluff der SPD-Führung

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

CDU-Chef Merz hat recht: Ein höherer Mindestlohn steht nicht im Koalitionsvertrag. Der Ball liegt bei einer Kommission, die zuletzt pro Arbeitgeber agierte.

Merz hat Recht: Im Koalitionsvertrag ist ein höherer Mindestlohn nicht verbindlich festgeschrieben Foto: Kay Nietfeld / dpa

D ie Aufregung in der SPD-Spitze um die Äußerungen von Friedrich Merz zum Mindestlohn ist verständlich. Wer wird schon gerne bei einem Bluff erwischt – ausgerechnet zu Beginn des SPD-Mitgliederentscheids? „Wir sorgen für höhere Einkommen, indem wir die Tariftreue stärken und den Mindestlohn auf 15 Euro erhöhen“, sagte Saskia Esken wörtlich bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages. Das entspricht nicht der Wahrheit.

Merz hat leider recht, dass sich Union und SPD nur darauf verständigt haben, die Entscheidung der Mindestlohnkommission zu überlassen. Bis Ende Juni muss das paritätisch mit Ver­tre­te­r:in­nen der Ar­beit­ge­be­r:in­nen und der Gewerkschaften besetzte Gremium seinen Vorschlag für das kommende Jahr machen. Mal schauen, was dabei herauskommt – vielleicht sind es 15 Euro, wahrscheinlich aber weniger.

Es gibt keine bindende Formel, sondern nur Orientierungspunkte, die im Rahmen einer „Gesamtabwägung“ von der Kommission für die Festlegung des Mindestlohns zu berücksichtigen sind. Das ist ein Konstruktionsfehler, an dem auch die neue Koalition bedauerlicherweise nichts ändern will. Im schlimmsten Fall kann das zu so einem Debakel wie zu Ampelzeiten führen, als 2023 mit der Mehrheit der Ar­beit­ge­be­r:in­nen und der formal unabhängigen Kommissionsvorsitzenden gegen die Ge­werk­schafts­ver­tre­te­r:in­nen eine viel zu mickrige Anhebung der Lohnuntergrenze beschlossen wurde.

Dass Union und SPD vor zehn Jahren einen flächendeckend geltenden Mindestlohn eingeführten, beruhte auf der Erkenntnis, dass das deutsche Sozialpartnerschaftsmodell ausgerechnet im untersten Lohnbereich nicht mehr funktioniert. Das liegt vor allem in der Schwäche der Gewerkschaften hierzulande begründet. In Ländern mit starken Gewerkschaften braucht es keinen gesetzlich festgelegten Mindestlohn.

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Das Problem ist, dass sich diese Schwäche in der Mindestlohnkommission fortsetzt. Anders als in Tarifauseinandersetzungen fehlt den Gewerkschaften hier jegliches Druckmittel, während die Ar­beit­ge­be­r:in­nen­sei­te über eine Blockademacht verfügt. Ausgehend vom dem bereits damals von Union und SPD zu niedrig angelegten Ausgangspunkt von 8,50 Euro brutto pro Stunde führte das zu nicht ausreichenden Mindestlohnsteigerungen in der Folgezeit. Der von der Ampelkoalition nach der Bundestagswahl 2021 per Gesetz – und unter Umgehung der Mindestlohnkommission – beschlossene Sprung auf 12 Euro versuchte, das zu korrigieren, ohne jedoch eine grundsätzliche Lösung zu wagen.

Ein Ausweg wäre, endlich den in der EU-Mindestlohnrichtlinie genannten Referenzwert von 60 Prozent des Bruttomedianlohns, also des mittleren Einkommens, als Mindestlohnuntergrenze verbindlich festzuschreiben. Die Daten des Statistischen Bundesamtes zur Grundlage genommen, würde das tatsächlich für 2026 einen Mindestlohn um die 15 Euro bedeuten. Dass die Ar­beit­ge­be­r:in­nen­lob­by eine solche Festschreibung auf keinen Fall will, verwundert nicht. Entsprechend gibt es sie denn auch nicht im Koalitionsvertrag. Da helfen auch keine nachträglichen verbalen Kraftmeiereien der SPD-Führung. Sie sollte ihre Parteibasis nicht für dumm verkaufen.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist Mitte vergangenen Jahres im Kohlhammer Verlag erschienen.
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46 Kommentare

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Kommentarpause ab 17. April 2025

Liebe Kommune,

wir machen Osterpause – die Kommentarfunktion bleibt für ein paar Tage geschlossen. Ab dem 22.04.2025 sind wir wieder für euch da und freuen uns auf spannende Diskussionen.

Genießt die Feiertage 🐣🌼
  • Die Schwäche der Gewerkschaften liegt u.a. darin begründet, dass die meisten prekären Arbeitsverhältnisse nicht in den Bereich eines Tarifvertrages fallen und sie für sich auch keine gesamtgesellschaftliche Verantwortung sahen/sehen: Das Los derer, de durch die Harzgesetzgebung in Zeitarbeit und/oder Niedriglohnsektor gepresst wurden, war ihnen gänzlich egal. Die Auswirkungen, die das auf die Tarifbeschäftigten in Zukunft haben könnte und hat, ließen sich in netten Runden mit Politiker:innen, Unternehmer:innen bei Bier, Wein und Ausflügen mit dem VW-Betriebsrat in Rio leider nicht vorhersehen.

    • @Ijon Tichy:

      Massiver Widerspruch - Gewerkschaftsmitglieder werden bei Durchsetzung ihrer Rechte gegenüber ihren Arbeitgebern, umfänglich unterstützt.



      Siehe gerne : www.verdi.de

      • @Alex_der_Wunderer:

        Mit welchen Arbeitgebern ist diese Verdi Gewerkschaft denn befasst? Wenn ich das richtig verstehe geht es da um Öffentlichen Dienst und die, ihm gleichgestellt Arbeitgeber wie Caritas und so.



        Diese sind aber eher nicht mit prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt.



        Die hatten auch in der Pandemie Sonderzahlungen die in der Verhandlung um den Mindestlohn elegant vernachlässigt wurden.

        Die 'Gewerkschaften' dauerhaft in der Zeitsbeitsbranche herumschwirren sind meiner Erfahrung nach eher unauffällig tätig.

      • @Alex_der_Wunderer:

        Die rein arbeitsrechtliche Seite, genau, eben für Mitglieder, ist das eine. Es ging bei meiner kleinen Tirade aber um die Auswirkungen auf die Verhandlungsmacht, auf den Druck, dem mensch durch eine sehr begrenzte Bezugsdauer von ALG und dann drohendes Bürgergeld ausgesetzt ist. Es geht um die Auswirkungen von Zeitarbeit, die dazu führt, dass viele Arbeitsplätze nicht mehr regulär besetzt werden. Und das trifft in den weiteren Auswirkungen so ziemlich alle. Auch die Mittelschicht, deren Arbeitsethik in Hartz I bis IV gerann, was durch die Gewerkschaften nicht im Ansatz zu verhindern versucht wurde. Das werfe ich ihnen vor.

  • Im Niedriglohnsektor gibt es praktisch keine Tarifverträge .



    Deshalb haben die für Niedriglohn Arbeitenden keine wirkliche Interessenvertretung in der Kommission. Die Gewerkschaftsvertreter sind weniger daran interessiert die Arbeitsbedingungen Nicht-Organisierter zu verbessern, als eher den Organisationsgrad der Arbeitnehmer zu erhöhen. Hinweis darauf gibt auch das Bestreben der Gewerkschaften in Tarifverhandlungen verstärkt Sonderkonditionen für Mitglieder auszuhandeln. M.E sollte in einer sozialen Marktwirtschaft der Mindeslohn eine Rahmenbedingung sein, die die Politik vorgibt.

    • @Oliver Wagner:

      Die Gewerkschaftsvertreter sind weniger daran interessiert die Arbeitsbedingungen Nicht-Organisierter zu verbessern, als eher den Organisationsgrad der Arbeitnehmer zu erhöhen.

      Sorry aber das stimmt so nicht. Gewerkschaften fordern den Mindestlohn.

      www.verdi.de/theme...-9ee8-001a4a16012a

      • @Whatever1984:

        aus www.verdi....



        "Die Anpassungen durch die Mindestlohnkommission haben über die vergangenen zehn Jahre hingegen zu keiner nennenswerten realen Erhöhung geführt. Sie haben laut dem WSI lediglich inflationsbedingte Kaufkraftverluste ausgeglichen."

        Unterstützt meine These, dass Gewerkschaftler in der Kommission nicht die Interessen der für Niedriglohnarbeitenden wahrnehmen



        Musste erst Olaf Scholz und die SPD einschreiten

  • "Arbeit muss sich wieder lohnen." DAS CDU -Credo. Für wen? Die Aktionäre der Konzerne, die ihr Geld in Steueroasen anlegen und in Niedriglohnländern - sprich Ausbeutung von dortigen Menschen - produzieren lassen, anstatt in D zu investieren? Die Politiker, die sich von eben jenen Konzernen mit Posten bestechen lassen und sich auf Kosten des Steuerzahlers ihre Hintern breitsitzen? Wann bitte hat von denen jemals im Supermarkt Sachen zurücklegen müssen, weil das Geld nicht reicht? An der Kasse beschämt das Kleingeld abgezählt? Deutschland gilt als reiches Land, aber wo ist dieser Reichtum, wenn es weder für Mindestlohn, bezahlbare Bahn und Grundversorgung nicht reicht?

    • @Minelle:

      Na klar, Aktionäre legen ihr Geld in Steueroasen an. Stereotype Vorurteile machen das Leben natürlich leichter, würden Sie in anderen Bereichen aber vermutlich strikt ablehnen...



      Zu den großen Aktionären gehören z. B. Pensionsfonds, aber egal, alle böse...



      Übrigens haben wir einen Mindestlohn, zu dem es ja angeblich nicht reicht. Und eine Grundversorgung, die zu den höchsten der Welt gehört. Und das Deutschlandticket bleibt auch (und wird massiv mit Steurmitteln subventioniert). Also eigentlich alles recht positiv.

      • @Desdur Nahe:

        Genau- wir finanzieren mit unseren Steuern die Unternehmen, die ihre Mitarbeiter so mies entlohnen, was wiederum zu Aufstocken durch Bürgergeld führt. Somit übernehmen wir alle die Bringschuld der Unternehmen.



        Ganz toll " positiv " ....

  • Kann mir bitte einmal erklären warum der Passus überhaupt im Koalitionsvertrag steht?

    Warum steht im Koalitionsvertrag überhaupt so viel unkonkretes?

    Rechtlich bindend ist es eh nicht...

    War das ernsthaft nur dazu gedacht, damit die SPD ihr Gesicht wahren kann? Hat jemand von den Verantwortlichen ernsthaft geglaubt, dass diese damit durchkommt? Für wie blöd halten diese Damen und Herren eigentlich die Bevölkerung????

    Was soll das Theater?

    • @sociajizzm:

      "... für wie blöd ..." Ziemlich blöd, denn sie sind ja mehrheitlich gewählt worden. 16 Jahre Groko und 7 Jahre Gerhard Schröder sind offenbar schnell vergessen worden.

  • Deutschland hat eine völlig verängstigte Binnennachfrage mit heftigen Konjunkturauswirkungen.



    WIR wollen Bürger aus dem Bürgerinnengeld rausholen?



    WIR wollen die Soz.versicherungen stabilisieren?



    WIR wollen Menschen menschenwürdig entlohnen und echte Teilhabe am Leben ermöglichen?

    Dann brauchen wir einen gesetzlich (!) festgelegten Mindestlohn plus Schwerarbeiterinnenzulage (z.B. für Gärtner, Dachdeckerinnen und Bauarbeiter und ja auch Spargelstecherinnen!)



    Arbeit muss sich lohnen und zwar NICHT durch Armutsandrohung.



    Wenn die spd den Knebelvertrag ablehnte und nur diese EINE Forderung durchsetzte ab sofort, dann spürten die Menschen Selbstwirksamkeit, Hoffnung und Zuversicht.



    Die positiven Effekte wären massiv.



    Ohne gesetzlich festgelegten Mindestlohn wünsche ich der spd "Viel Glück", aber nur aus Höflichkeit.

    • @So,so:

      Der "Genosse der Bosse" hat mit Münte und den Bertelsmännern die Richtung vorgegeben. Er war sowas von stolz über den Niedriglohnsektor sowie die miese Binnennachfrage. Und das gilt offenbar auch heute noch.

  • Am Ende werden Heil, Klingbeil und Esken die Achseln zucken und die Kommission verantwortlich machen. Einmal mehr richtig armselig, mir will schon seit vielen Jahren kein plausibler Grund mehr einfallen, diesen Verein zu wählen. Es wäre ein essentieller Punkt gewesen, den man dann auch mal durchdrücken muss als angeblich soziale Partei, wenn man schon diverse Sauereien der Konservativen mit abnickt.

  • Einfach einen Maximallohn einführen, welcher an den Mindestlohn gekoppelt ist. Dann wird letzterer schnell steigen, da die Manager ja ihre Millionen wollen für die "Leistung", die sie meinen zu erbringen.

    • @Okti:

      Die Leistung können sie dann aber nicht mehr schaffen, weil kein Gewinn übrig bleibt, obwohl die Preise steigen. Funktioniert nicht, weil die Nachfrage bei steigenden Preisen eher abnimmt...keine Millionen!



      Okti, haben Sie schon mal in einer Führugnsposition mit 12-14 Stunden und kaum Wochenende "geleistet"?



      Bei pauschalen "Verurteilungen" sollte man ja immer hellhörig werden. Ggf. fehlt Erfahrung? Ohne jetzt alle Mitmenschne mit völlig überhöhten Einkommen in Schutz nehmen zu wollen. Aber das ständige Gerede von "nicht Leistenden" geht auch völlig an der Realität vorbei. Auch das sind meistens nur Menschen, die Fehler machen, obwohl sie "ihr Bestes" geben wollen - oder? Reicht halt nicht immer.

    • @Okti:

      Sie wissen aber schon das Gehälter aber einer gewissen Höhe keiner Tarifbindung mehr unterliegen sondern frei ausgehandelt werden?

      • @Tom Tailor:

        Das will doch Okti gerade sinnvoll in Verbindung bringen 😉

        • @Alex_der_Wunderer:

          Das ist nicht möglich, denn es hieße die Tarifautonomie und Vertragsfreiheit aufzuheben.

          Der Staat kann gerne vorschreiben wie viel ein Unternehmer mindestens seinen Angestellten zahlen muss, aber bestimmt nicht bis zu welcher Höhe eine Vergütung erlaubt ist.

  • An der Kritik wird wieder das bequeme Leben der Linken deutlich: einfach Nichts machen müssen, aber Alles kritisieren dürfen.



    Das Gute dabei: es geht bequem von Sofa aus!



    Wenn die Demokratie bedroht wird, ist das auch völlig egal, denn dann ist man eben Sozialist. Eine gute Ausgangsposition um in diesem Leben keine Verantwortung mehr übernehmen zu müssen.



    Zum Thema:



    wie wir gerade erlebt haben, ist eine Koalition ein Bündnis auf Zeit.



    Merz hat sich gerade verschaltet und ist wieder im Wahlkampfmodus.



    Dass er ein Amateur ist, wird daran leider wieder deutlich.



    Mit der Masche wird er aber nicht weit kommen.



    Als Meckermerzi konnte er Opposition machen, als Kanzler funktioniert das nicht.



    Dass es eine Mindestlohnkommission gibt, ist jetzt die Erkenntnis aus dem obigen Artikel!?

  • Die allererste Wählerveräppelung an dem Koalitionsvertrag ist der Titel.

    Denn gerade "Verantwortung für Deutschland" ist ja das, was seit den letzten Legislaturperioden gänzlich aus dem Blick geraten ist.

    • @Bolzkopf:

      Definitionsfrage. Wer ist Deutschland? Trump bekam das Mandat, die Frage für die USA eindeutig zu beantworten. Von Leuten, die sich jetzt wundern, nicht mehr dazuzugehören.

  • Wie wäre es denn, wenn sich die arbeitnehmer endlich mal wieder in Gewerkschaften organisieren statt sich auf eine staatliche Kommission zu verlassen?



    Wir brauchen in der Demokratie einfach mehr Einmischung in die eigenen Angelegenheiten. Rückzug und Unpolitischsein haben schon die Weimarer Republik zugrunde gerichtet.

    • @Carsten S.:

      👍👍

  • Schon faszinierend, wie die SPD sich selbst über der Tisch gezogen hat. Man muss schon blind sein wollen, um nicht zu verstehen was da wirklich im Koalitionsvertrag vereinbart wurde und was eben nicht. Und dabei war die Lösung so unfassbar einfach, die EU hat geliefert.

    • @Jan Röser:

      Über den Tisch gezogen hat man sich, wenn überhaupt, mit Abgabe der Entscheidungsmacht, aber nur anscheinend der wahltaktischen Verantwortung. Entweder entscheiden das Experten und man verkauft dem Wahlvolk, mit einem absehbar oder gar gewollt miesen Ergebnis nichts zu tun zu haben, dann sind damit auch die Lorbeersträucher gerodet. Esken will etwaige Katastrophen delegieren, aber immer noch die Orden abfassen. Sie begreift anscheinend noch nicht, daß sie jetzt wieder einen Senior-Koalitionspartner mit konträren Interessen hat, mit dem vor der Nase sie nicht mehr auf die Naivität der Wähler zählen kann.

  • Dass die SPD hier mal wieder von ihren Wünschen träumt, verwundert nicht wirklich. Sie arbeiten richtig gut um die stolze SPD unter 10% zu bringen.

  • "Der Ball liegt bei einer Kommission, die zuletzt pro Arbeitgeber agierte. "



    Die zuletzt pro-Arbeitgeber agierte, weil die SPD sich auf die Seite der Arbeitgeber gestellt hat. Insofern wird auch hier von der SPD nicht viel zu erwarten sein.

  • „Da helfen auch keine nachträglichen verbalen Kraftmeiereien der SPD-Führung. Sie sollte ihre Parteibasis nicht für dumm verkaufen.“



    Ganz genau. Und genau deshalb muss die SPD-Parteibasis es jetzt selbst in die Hand nehmen, will sie sich anschließend noch in den Spiegel schauen. Keine Zustimmung zu DIESEM Koalitionsvertrag!



    Und damit wäre auch die unter taz-Foristen heiß umstrittene Frage geklärt, wer sich mit diesem Koalitionsvertrag nun mehr durchgesetzt hat.



    Beide Koalitionäre werden jetzt Federn lassen - die SPD hat damit außerdem ein neues fettes Personalproblem am Hals -, aber für die SPD sind weitere Stimmenverluste existenziell bedrohlicher als für die Union: ihre Machtbasis in den Bundesländern ist schmal - und sie ist näher dran an der 5%-Hürde als die CDU und damit an der Bedeutungslosigkeit.

    • @Abdurchdiemitte:

      16 Prozent sind 16 (in Worten: "sechzehn") Prozent. Die SPD hat also das Mandat von einem von SECHS Wählern (AfD: immerhin Einer von fünf). Ich finde es eine Frechheit gegenüber ihren Politikern, jetzt zu erwarten, sie könnten den Schwanz mit dem Hund wackeln lassen. Natülich denkt jeder Wähler, SEINE Stimme müsste die allentscheidende sein, aber so läuft es halt nicht.

      Dass dann eine Esken sich nicht entblödet, ein Vorhaben in den Koalitionsvertrag zu dichten, das da - so - ganz klar nicht drinsteht, und Merz letztlich zwingt, sie damit krachend vor die Wand laufen zu lassen, ist persönliches Versagen einer Einzelperson. Die SPD-Mitglieder sollten eher darüber nachdenken, inwieweit sie ihrer staatspolitischen Verantwortung gerecht werden, wenn sie diese Person als Vorsitzende behalten: Entweder sie hat wirklich nicht kapiert, was vereinbart ist (bzw. sich das Verhandlungsergebnis autosuggestiv zurechtgelegt), oder sie macht gleich da weiter, wo die Ampel sich in den Morast gerfahren hat, und versucht, interne Meinungsverschiedenheiten der Koalition zu adressieren, indem sie sie zu öffentlichen Zankäpfeln macht. Beides wäre in der aktuellen Situation eine klare Disqualifikation.

      • @Normalo:

        Stimmt. Esken mußte, anstatt die Argumentationskette derart unhaltbar zu verkürzen (wenn die Kommission sich an die Vorgaben der EU hält, muß eine 15 rauskommen, also behaupten wir, das so durchgesetzt zu haben), lieber darauf dringen, daß es im Beratungsprozedere der Kommission auch so kommt.

        Wie auch immer sie das anstellen könnte; den Kommissionsmitgliedern faktische Überflüssigkeit vor Augen zu führen, ist taktisch unklug. Die Ansage dürfte bei vielen Menschen das Bedürfnis wecken, ihr das Gegenteil zu beweisen.

      • @Normalo:

        Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Sie verstanden haben, was Koalitionsverhandlungen sind und wie diese funktionieren. Wie groß der Gesamtanteil der Stimmen war, spielt in diesem Fall keine Rolle. Fun fact: die gesamte Regierungskoalition hat weder 50% der abgegebenen Stimmen noch der Wahlberechtigten hinter sich – und trotzdem darf sie Deutschland regieren, weil eine parlamentarische Demokratie eben auf parlamentarischen Mehrheiten beruht. Und um eine solche zu gewinnen, ist Fritzchen Merz eben auf die SPD angewiesen, die sich folglich ein bisschen teurer (nicht einmal so teuer wie möglich verkauft). Willkommen in der Realität des deutschen Politikbetriebes.

    • @Abdurchdiemitte:

      Das Wahlergebnis nicht mehr im Blick? Da gibt es eine Truppe mit 150 Abgeordneten, die nur darauf wartet, daß die Verhandlungen platzen. Daß Merz selbst mit denen eher weniger Freude hätte ...

      • @dtx:

        Die Verhandlungen müssten ja nicht platzen - die Union könnte sich in der Mindestlohnfrage auch bewegen. Das Argument, dass alles was jetzt nochmal Sand ins Getriebe streut der AfD "hilft", finde ich nicht gut. Was ist denn zu erwarten, wenn die Schere zw. arm und reich noch weiter auf geht? Letztlich ist die AfD ein Sammelbecken für "Unzufriedenheit". Wenn immer mehr Abgehängte (die fühlen sich nicht nur so, sie sind es tatsächlich) produziert werden, ist das doch genau der Nektar von dem die AfD saugt. Ich glaube auch, dass sich die großen Zustimmungswerte ggüber der AfD weniger über die grundsätzliche Ablehnung ggüber Zuwanderung speist, als über die Probleme, die für viele Leute dadurch entstehen. Wohnen ist zu teuer -- weil es Konkurrenz gerade im neuralgischen Wohungssegment gibt. Die Löhne steigen -insgesamt- zu schelcht. Und das hat -auch- damit zu tun, dass es nie Mangel an Leuten gibt, die am Ende für jeden Lohn arbeiten. Ich habe das selbst oft genug erlebt. Wer gerade aus Somalia kommt, der kennt nicht mal seine Rechte hier zu Lande (Arbeitsschutz, Arbeitszeit, Lohn). Das hilft beim Lohndumping ungemein. Es gäbe mehr zu sagen, aber hier sind 1200 Zeichen wieder am Ende.

      • @dtx:

        An den worst case habe ich natürlich auch gedacht … und glauben Sie mir, ich habe da durchaus zwei widerstreitende Herzen in meiner Brust.



        Ohnehin bin ich davon überzeugt, dass in vier Jahren eine Machtübernahme der AfD nicht mehr zu verhindern sein wird - nicht, dass ich mir das wünsche! -, wenn die etablierte Politik so weiter macht wie in den vier Ampeljahren und wie es sich jetzt mit dem Koalitionsvertrag abzeichnet.



        Es fehlt einfach die grundlegende Zäsur, die wenigstens ansatzweise anzeigt, dass man den Aufstieg des Faschismus wirklich stoppen will. Das ist der Punkt, auf den ich hinaus wollte.



        Die SPD-Basis könnte da ein Zeichen setzen (habe aber keine große Hoffnung, dass das passiert). Merz müsste dann entweder auf die AfD zugehen - viel Spaß dabei, liebe CDU! -, oder zusehen, im Parlament eine breitere Mehrheit (unter Einschluss von Grünen und Linken für anstehende Zweidrittelmehrheiten) zu finden.



        Letzteres halte ich ohnehin für geboten angesichts des Demokratie-Notstandes hierzulande. Weiter so ist keine Option mehr. Offenbar ist der Ernst der Situation bei Union und SPD noch nicht angekommen.

    • @Abdurchdiemitte:

      "Keine Zustimmung zu DIESEM Koalitionsvertrag! "

      Lieber Abdurchdiemitte :), Sie sprechen von der SPD!^^ Mit den Sozen verhält es sich exakt wie mit den Grünen. Die CDU, der versammelte Journalismus sowie die Parteigranden werden jetzt 2 Wochen auf die Parteibasis einreden - und die wird, aus staatspolitischer Verantwortung, mit Magenknurren zustimmen. So verhält es sich jedes Mal. Wenn Koalitionspartner der Union etwas nur unter Aufgabe ihres eigenen Profils gutheißen könnten, wird jedes Mal aufs Neue diese Zauberformel aus der Kiste gekramt (umgekehrt gilt das übrigens nie). Geschmückt immer mit etwas anderen Girlanden, aber letztlich geht es immer darum: Wenn ihr jetzt nicht dabei seid, seid ihr am Untergang des Landes schuld! Dieses Mal wird die Einfallschneise ein drohend schlimmes AfD-Wahlergebnis sein. Ich würde mich extrem wundern, wenn die SPD Basis am Ende nicht zustimmt. Ich schätze es werden letztlich um die 60% sein; alle werden durchpusten, der Journalismus wird die Basis kurz loben und dann gilt business as usual und die SPD kann ihren fallenden Zustimmungswerten hinterherschauen... ich lass mich aber gern eines Besseren belehren.

      • @Einfach-Jemand:

        Nun ja, Merz ist nicht Scholz und Klingbeil nicht Lindner. Interessanterweise findet man jetzt, bevor die Koalition auch nur überhaut etwas angeefangen hat, überall Bilder wie dieses www.t-online.de/na...igen-kanzlers.html die die Richtlinienkompettenz überall deutlich machen: Die SPD hängt an den Lippen der CDU, muß sich bedanken, dabeisein zu dürfen. Genauso wie man die Ampel drei Jahre kaputtgeschrieben hat, bis es die Leute und letztlich auch deren Akteure geglaubt haben, wird jetzt schon Druck auf den Zustimmungswert der SPD gemacht, wohl wissend, daß davon nahezu zwangsläufig die AfD profitieren muß. Keine Ahnung, ob und wenn ja, was man sich dabei denkt ...

  • Ich habe heute in einem Verband einen Vortrag zum Koalitionsvertrag gehalten. Bei den Vorarbeiten hatte ich mich zuerst nur auf die auf der CDU-Homepage veröffentlichte Kurzfassung bezogen. Ich musste allerdings feststellen, dass diese Kurzfassung zahlreiche Punkte nicht enthält, nämlich die, die überwiegend von der SPD in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt wurden. Wer - zum Beispiel als CDU-/CSU-Mitglied - nur diese Kurzfassung liest, wird von ihrer*seinen eigenen Partei ebenfalls nicht vollständig und richtig informiert. Bewusste lückenhafte Information und Manipulation also von allen Seiten!

    • @Sabine Hofmann-Stadtländer:

      Rechtsverbindlich ist diese Vereinbarung/ Absprache, die sich Koalitionsvertrag schimpft - doch eh nicht.

      • @Alex_der_Wunderer:

        Man darf aber wohl annehmen, daß die Union keine Kröte schlucken wird, die da nicht avisiert ist.

      • @Alex_der_Wunderer:

        Und dennoch wird es von der SPD und CDU genutzt, um die Menschen an der Nase herumzuführen.



        Tja, die Afd wirds freuen.

  • Der Artikel geht schon mal in die richtige Richtung. Wenn jetzt noch drin stehen würde, dass die SPD nicht mal den Versuch unternommen hat, die 60 Prozent, in ihrem Schreiben an die EU, bezüglich der Umsetzung der Mindestlohnrichtlinie hineinzuschreiben versucht hat. Dann wäre es richtig.

    Meine Vermutung ist dass es nicht gemacht wurde, um sich das Wahlkampfthema zu erhalten. Mit anderen Worten, bewusst über 10 Millionen Arbeitnehmer zu opfern.

    Man mag vllt auch noch die Interviews raussuchen, bei denen sich verschiedene SPDler gewunden haben und so getan haben als hätten sie die 60 Prozent hineinschreiben lassen.

    Alles was jetzt aus der SPD kommt zu dem Thema erinnert stark an die Demenz des Kanzlers, nur noch unwürdiger und unglaubwürdiger.

    Wer mit dem Fingerzeig auf die FDP verweist, kann gerne mal erläutern, warum es die SPD nicht für nötig hielt dafür zu kämpfen, bzw. Den Anschein zu erwecken und es lieber so still und heimlich durchgedrückt. Argument FDP ist mir zu billig und wird für alles verwendet.

    • @Hitchhiker:

      Hubertus Heil hat sogar in seinem Ministerium eine Stellungnahme für die europäische Kommission verfassen lassen, die begründen soll, warum der Mindestlohn in Deutschland das 60%-Kriterium seiner Meinung nach nicht erfüllen müsse, obwohl man die europäische Richtlinie so verstehen könnte .

      • @Wonko the Sane:

        Wann war das? Hat man wieder bis zur letzten Minute zugewartet, um plötzlich fetzustellen, daß dazu nichts mehr durchs Parlament käme?

        www.hensche.de/eu-...en-21.01.2023.html

        • @dtx:

          Ne, das war noch als die Regierung existierte. Ende Oktober Anfang November 2024. Ich glaub unter anderem Tilo Jung ist es aufgefallen.



          Und Medial war ein so wichtiges Thema, dass die SPD sogar als Wahlkampfthema nutzte, zu der Zeit leider nicht wirklich zu vernehmen.... Tja, das zeigt auch warum der SPD das Thema so wichtig war...zur richtigen Zeit.