Palantir in Deutschland: Peter Thiel is watching you
Der Bundesrat fordert den Einsatz der Überwachungssoftware Palantir des US-Techoligarchen und Antidemokraten Peter Thiel. Kritiker sind empört.
Schon der Zauberer Gandalf sagte einst: „Ein Palantir ist ein gefährliches Werkzeug, Saruman.“ Im Herr-der-Ringe-Universum ist der Palantir ein sehender Stein – eine Glaskugel, durch die der Zauberer Saruman Mittelerde überwacht. Gandalf warnte: „Wir wissen nicht, wer vielleicht sonst noch zusieht!“ Er sollte recht behalten: Der einst gute Zauberer Saruman ließ sich durch den sehenden Stein auf die dunkle Seite ziehen – von Sauron, dem bösen Herrscher Mordors, dessen flammendes Auge nämlich ebenfalls durch den sehenden Stein lugte.
Hier stellen sich mehrere Fragen: Wie dreist muss man als Techmilliardär eigentlich sein, um seine Überwachungssoftware nach einem Fantasywerkzeug des Bösen zu benennen? Und: Wer sagt das jetzt den Innenministerien Deutschlands?
Die Software der US-amerikanischen Firma Palantir würfelt große Datenmengen von Sicherheitsbehörden zusammen und macht sie KI-gestützt durchsuchbar und analysierbar. Dabei können Daten nicht nur von verurteilten Kriminellen oder Verdächtigen einbezogen werden, sondern von allen, die schon mal aktenkundig geworden sind – sei es per Strafzettel oder Zeugenaussage. Die Sicherheitsbehörden erhalten damit einen einfach zu durchsuchenden Datenberg, von dem die Stasi nur hätte träumen können – sogar öffentliche Social-Media-Inhalte, biometrische oder Mautdaten lassen sich einspeisen und durchsuchbar machen.
Sicherheitsfachleute reagierten entsetzt
Verfassungsrechtlich ist das natürlich hoch bedenklich, wie etwa die Gesellschaft für Freiheitsrechte immer wieder anmahnt. Die Polizeien in Hessen, Bayern und NRW arbeiten dennoch längst mit den Palantir-Programmen, die sie in ihren Ländern allerdings in Hessendata, Vera oder DAR umbenannt haben. Die Länder bezahlen an den US-Konzern regelmäßig Millionenbeträge dafür.
Das Problem ist dabei nicht, dass die Behörden eine gute Software wollen, mit der sie ihre Daten besser sichten und aufbereiten können. Das Problem ist der Großaktionär und Gründer von Palantir: Peter Thiel ist einer der Techoligarchen in den USA, die den autoritären Umbau der liberalen Demokratie vorantreiben. Seine Programme laufen dort bereits bei Militär, Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden. Thiel ist gut verdrahtet in der Trump-Administration und fiel in der Vergangenheit mit Zitaten wie diesem auf: „Ich glaube nicht länger, dass Demokratie und Freiheit kompatibel sind.“
Dennoch drängt der Bundesrat nun darauf, die Überwachungssoftware von Palantir auch hierzulande flächendeckend einzusetzen. Der entsprechende Entschließungsantrag von Bayern und Sachsen-Anhalt wurde vor gut einer Woche im Bundesrat angenommen. Damit fordert er die Bundesregierung auf, den Weg für die Nutzung der Software freizumachen. Man wolle „zeitnah eine zentral betriebene, digital souveräne, wirtschaftlich tragbare und rechtlich zulässige automatisierte Datenanalyseplattform für alle Polizeien des Bundes und der Länder bereitstellen“, heißt es. Es ist kein Geheimnis, dass Palantir gemeint ist – auch wenn die Software nicht explizit genannt wird.
Sicherheitsfachleute reagierten entsetzt. Martin Thüne etwa, Professor für Kriminologie und Polizeiwissenschaften, hat eine dezidierte Meinung zur Palantir-Software. Aus seiner Sicht sei es überaus fraglich, ob sich das System datenschutzkonform in Deutschland implementieren lasse: „Niemand scheint so ganz genau zu wissen, wie die Software im Detail funktioniert und vor allem, wie sie abgesichert ist“, sagte er der taz. So werde immer wieder die Frage gestellt, ob es den Herstellern nicht doch möglich sei, auf sensible Daten zuzugreifen.
Sowohl Palantir als auch die Innenministerien der Länder, die die Software bereits einsetzen, behaupten, dass die Daten sicher in den Behörden lägen und kein externer Zugriff möglich sei. Thüne ist misstrauischer: „Thiel würde ich keinen Zentimeter über den Weg trauen“, sagt er, „bei dessen antidemokratischen Ambitionen ausgerechnet dort einzukaufen, ist nicht nur moralisch schwierig, sondern auch sicherheitspolitisch hochproblematisch.“
Datenschutzrechtlich höchst problematisch
Grundsätzlicher Vorteil der Palantir-Software sei, dass sie verschiedene und oft inkompatible behördliche Datensammlungen übergreifend durchsuchbar mache. Ähnlich einer Google-Suche ließen sich Daten analysieren, sodass Profile und Muster erkennbar würden und auch gewisse Prognosen ableitbar seien, erklärt Thüne. Offenbar sei Palantir technisch gut gemacht, sagt der Polizeiwissenschaftler, das liege aber ganz wesentlich daran, dass es aus einem Umfeld komme, in dem Datenschutz kaum eine Rolle spiele.
Offen ist, wie die künftige schwarz-rote Bundesregierung die Frage sieht. Eine Passage im sich abzeichnenden Koalitionsvertrag legt sich nicht eindeutig fest. Zwar ist zwischen SPD und Union unstrittig, dass man künftig „die automatisierte Datenrecherche und -analyse sowie den nachträglichen biometrischen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Internetdaten, auch mittels künstlicher Intelligenz, vornehmen“ will. Das muss aber nicht zwangsläufig auf Palantir hinauslaufen, zumal einschränkend noch von „digitaler Souveränität“ die Rede ist, die man dabei einhalten wolle.
In der Vergangenheit gab es im Bundesinnenministerium Ambitionen, selbst so ein System zu basteln – die Bundesländer wollen laut ihrem Beschluss aber nun zumindest als „Interimslösung“ zu Palantir greifen. In ihrem Antrag begründen sie das auch mit den Anschlägen von Magdeburg und Aschaffenburg – nur dass die bereits im Einsatz befindliche Palantir-Software in Bayern ja eben nicht geholfen hatte, den dortigen Anschlag zu verhindern.
Die Bundesländer wollen sogar, dass die Software Daten von Gesundheits- und Ausländerbehörden auswerten kann – eine generelle Stigmatisierung ist dabei offenbar eingepreist. Zumal die Polizeidaten ohnehin häufig aufgrund von Racial Profiling eine Schlagseite haben, wenn wie in Hamburg jeder vierte Polizeibeamte eher rechts einzuordnen ist. Die Psychiater-Verbände kritisieren das ebenso wie die Gesellschaft für Freiheitsrechte: „Es steht zu befürchten, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen ungerechtfertigterweise allein aufgrund ihrer Erkrankung verdächtigt werden. Das ist aus grundrechtlicher Perspektive nicht tragbar“, sagt Simone Ruf von der Gesellschaft für Freiheitsrechte.
Dass sich insbesondere die Union bei dem Thema über berechtigte Kritik und gesellschaftlichen Protest hinwegsetze, sei zudem letztlich schädlich für das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden, sagt Kriminologe Thüne. „Die demokratische Polizei ist abhängig von einem hohen Vertrauen in der Bevölkerung. Die meisten Fälle löse sie allein deshalb, weil Bürger sich vertrauensvoll an sie wenden und sie mit relevanten Hinweisen versorgen.“ Unter Palantir dürfte dieses Vertrauen auf die Probe gestellt werden, zumal auch Bürger*innen in die Analysen einbezogen werden könnten, die lediglich helfen wollten und bei der Polizei ausgesagt hätten.
Thüne plädiert dafür, lieber ein eigenes System zu entwickeln, statt teuer fragwürdige Software aus Übersee einzukaufen. Es sei nachhaltiger, Gelder in die Entwicklung eigener Kompetenzen zu stecken, um IT-Systeme zu entwickeln, die hiesigen rechtlichen und ethischen Anforderungen standhalten. Als positives Beispiel nennt Thüne etwa das Projekt Skala aus Nordrhein-Westfalen, bei dem die Polizei ein eigenes System zum sogenannten Predictive Policing entwickelt und den Entwicklungsprozess sowie die Funktionen transparent gemacht hat. „Mir ist schleierhaft, warum man daran nicht anknüpft, sondern stattdessen alte Fehler reproduziert“, sagt Thüne.
Thomas Feltes, Kriminologie und Polizeiwissenschaftler
Auch der bekannte Kriminologe Thomas Feltes nennt die Anschaffung von Palantir-Software einen „Skandal“ und wird grundsätzlich: „Wir haben 30 Jahre lang die digitale Aufbereitung von Daten verschlafen, um jetzt überhastet zu einer höchst problematischen Lösung zu greifen“, sagt Feltes. Man hätte viel früher anfangen müssen, vernünftige und juristisch zulässige Bahnen zu schaffen für ein umfängliches Erfassungssystem, kritisiert er. „Auf der einen Seite blockieren wir chinesische Firmen wie Huawei, aber öffnen dann einer Firma Tür und Tor, die fast noch schlimmer ist. Nicht zuletzt der Signal-Skandal in den USA hat gezeigt, dass die Personen dort an der Macht alle Möglichkeiten ausnutzen, um Demokratien zu destabilisieren und zu gefährden“, so Feltes.
Die Software sei datenschutzrechtlich höchst problematisch. Man habe jetzt schon mit Fehlerfassung zu kämpfen, wenn bei Ermittlungen wegen falscher namentlicher Zuordnungen unschuldige Menschen unter Verdacht gerieten – das werde mit der Palantir-Software noch schlimmer, befürchtet Feltes. Zudem würde das polizeiliche Grundprinzip ausgehebelt, dass erst bei Tatverdacht ermittelt werden dürfe.
Tobias Singelnstein, Rechtswissenschaftler und Hochschullehrer für Strafrecht und Kriminologie, sieht das ähnlich: „Eine umfassende Auswertung polizeilicher Datenbestände ist datenschutzrechtlich hochsensibel, gerade dann, wenn sie plattform- oder behördenübergreifend stattfinden soll. Gleichzeitig ist Palantir als Unternehmen hochumstritten und nur schwer zu kontrollieren.“
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat bereits 2023 beim Bundesverfassungsgericht ein Urteil gegen den Einsatz von Palantir in Hessen erwirkt. Das Bundesland musste die Gesetzesgrundlage danach nachbessern, eine erneute Verfassungsbeschwerde dagegen ist anhängig. Dennoch könnte die Software bald auch in anderen Bundesländern eingesetzt werden. Gandalf würde davon abraten.
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