piwik no script img

Politische Spiritualität?

Alte Antiimperialisten und neue Postkoloniale: Was Nan Goldin, Michel Foucault und Lenin verbindet

Spricht nicht mit „Zionisten“: Nan Goldin Foto: Stefan Boness/Ipon

Von Andreas Fanizadeh

Der Blick in den Rückspiegel kann helfen, einen Crash zu vermeiden. Gerade, wenn man vielleicht erst kürzlich einen überstanden hat. Manche fahren aber auch betrunken weiter. So wie der antiisraelische Teil der Linken. Der will nicht reflektieren, wohin eine Melange aus moralischer Überheblichkeit und Geringschätzung demokratischer Gepflogenheiten führen kann. Stattdessen werden Sprachen und Zielsetzungen des islamistischen Terrors häufig bagatellisiert, als handle es sich hier um die Taten unmündiger Minderjähriger. Für den selbstbezüglichen Glauben an die triumphale Stabilität des Westens besteht jedoch auch beim Blick auf dem Vormarsch der Russen in der Ukraine kein Anlass.

Verdrängt scheinen auch die großen Anschläge in Europa, in denen sich Islamisten wie aus dem Nichts gegen westliche Lebensart und Meinungsfreiheit richteten. Wie etwa im November 2015 in Paris gegen das Bataclan, Bars und das Stade de France. Oder wie kurz zuvor auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Oder wie in Berlin 2016 auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. Es ist kein Zufall, dass ein Schauplatz des von der Hamas am 7. 10. verübten Pogroms in Israel ausgerechnet ein Musikfestival war. Und immer noch verschanzt sich Hamas hinter der zivilen Struktur im Gazastreifen, gibt die vielleicht noch lebenden Geiseln nicht frei. Die zivilen Toten, die Zerstörung werfen sie hingegen als Opfer Israels vor die internationalen Kameras.

Der Iran steht hinter Hamas und Hisbollah. Mit dem Angriff auf Israel haben sie neben der Ukraine eine zweite Front eröffnet, um die demokratischen Staaten zu schwächen. Wie Putins Russland kann auch Irans Mullah-Regime sich nur durch Terror-Export an der Macht halten. Putin hat die Ukraine für faschistisch erklärt. Das gleiche Spiel der Verdrehung betreiben die Feinde Israels im Nahen Osten. Es funktioniert ja auch. Wer denkt schon noch an die iranische Opposition, „Frau – Leben – Freiheit“?

Die Sprache des islamistischen Terrors ist eliminatorisch. Seit 9/11, dem Großangriff auf und in den USA, ist dies vielen Menschen bewusst. Dennoch glauben immer noch einige, die Angriffe seien die Strafe für westliche Verfehlungen. Doch Islamisten und Rechtsextremisten wie Putin handeln aus eigenen Überlegungen. Man kann keine positiven Veränderungen herbeiführen, in dem man sich ihnen unterwirft oder aufgibt. Israel wurde am 7. 10. als Symbol dessen angegriffen, was seine Stärke ausmacht: als die einzige funktionierende Demokratie im Nahen Osten. Gefährlich für all jene, die es um­geben und diktatorisch regieren. Ganz ähnlich der auf Westkurs befindlichen Ukraine. Israel, der Westen, die Ausländer, sind das Ventil zur Triebabfuhr bei Unzufriedenheit von autokratisch Regierenden, nicht nur im islamischen Raum. Doch hier besonders. Mehr als ein kalter Frieden wie mit Ägypten und Jordanien war für Israel nie drin. Eine Kultur der Freundschaft, die das Existenzrecht Israels auch gesellschaftlich anerkennt und ein Ende der antijüdischen Predigten mit einschlösse, Fehlanzeige.

Der Allmachts- und Gemeinschaftsanspruch von Religionen qua Geburt und Abstammung widerspricht dem Recht des Individuums auf Selbstbestimmung, behindert zudem territorial emanzipatorische Nationenbildungen sowie gute nachbarschaftliche Beziehungen. Das müssten auch Künstlerinnen wie Nan Goldin verstehen, die anlässlich ihrer Ausstellungseröffnung in Berlin gegen Israel agitierte.

Dabei sollte beim Blick in den Rückspiegel besonders die antiimperialistische Linke gewarnt sein. Nicht weit entfernt von völkischer Schwärmerei sah auch der französische Philosoph Michel Foucault eine neue „politische Spiritualität“ im Iran 1978/79 erwachsen. Er war wie andere Neue Linke nach der ­gescheiterten kommunistischen Utopie auf der Suche nach einer neuen und traf auf ein „sozial­revolutionäres“ Schiitentum.

Die iranische Linke befand sich tatsächlich selber im fatalen Bündnis mit den Reli­giösen. Schiitenführer Chomeini hatte den regierenden Schah wirkmächtig als ausländische Mario­nette des Imperialismus markiert. Als wohlhabender Kleriker und Grundbesitzer wollte Chomeini selbst weder Landreform noch Frauenrechte akzeptieren. Zur Durchsetzung seiner Theokratie befeuerte er einen anti­westlichen und antiisraelischen Kulturkampf. „Israel ist dagegen, dass in Iran die Gesetze des Korans gelten“, behauptete Chomeini 1963. „Israel benutzt seine Agenten in diesem Land, um den gegen ­Israel gerichteten Widerstand zu beseitigen.“ Den Krieg gegen den Irak bezeichnete er in den 1980ern als Durchgangsstation auf dem Weg nach Jerusalem.

Suchte das revolutionäre Subjekt im Iran: Michel Foucault Foto: Fo­to:­ im­a­go

Wie Foucault begrüßte ein Großteil der antiimperialistischen Linken die iranische Revolution von 1979. Die Zeitschrift Autonomie.Neue Folge, Sprachrohr der militant-antiimperialistischen Szene, sprach davon, dass auch bei einer Niederlage der Linken in Iran, „selbst der Sieg des Khomeiny-Regimes ein offenes Wiederanknüpfen dieses Landes an die Dispositive der Weltmacht auf absehbare Zeit ausschließen“ würde. Mit bei Foucault entlehnter Rhetorik schrieb man, die kapitalistische „Logik des Weltmarktdispositivs“ sei damit entscheidend gestört. Und frohlockte, „das sich ohnedies terroristisch auf die Selbstvernichtung einstellende Israel wäre nicht mehr zu halten“.

In leicht modifiziertem Jargon reproduzierte die Neue Linke dabei Lenins Imperialismustheorie von 1916. In Kombination mit den völkisch-religiösen Mythen des sogenannten Befreiungsnationalismus der Anti- und Postkolonialen wird heute daraus ein besonders giftiger Cocktail, der die Propaganda gegen demokratische Verfassungen, Minderheiten und Menschenrechte naiv befördert.

Veranstaltungshinweis: Irina Scherbakowa/Anton Hofreiter: „Russlands Krieg – Europas Gegenwehr“. taz talk in der taz Kantine, Berlin, 3. 12., 19 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen