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Krieg in der UkraineKein Frieden mit Putin

Kommentar von Barbara Oertel

Wer glaubt, Moskau gäbe sich mit den bisherigen Gebietsvorstößen zufrieden, hat nicht kapiert, wer der Chef im Kreml ist. Und was Putin am Ende will.

An seiner Position hat sich seit Kriegsbeginn nichts geändert: Wladimir Putins Foto: Vyacheslav Prokofyev/sputnik/ap

S eit über 1.000 Tagen tobt nun der Krieg in der Ukraine und rückt in der Öffentlichkeit mehr und mehr in Vergessenheit. Bezeichnend ist, welche Themen in Deutschland die Debatte dominieren: Es sind nicht die persönlichen Tragödien so vieler Ukrainer*innen, nicht die täglich steigende Zahl von Toten und Verletzten, flächen­deckende Bombardements und die Aussicht darauf, angesichts einer fortschreitenden Zerstörung der kritischen Infrastruktur bei Minusgraden zu erfrieren.

Vielmehr geht es – wieder einmal – um Waffen. Die jüngst von einigen als „Abschiedsgeschenk“ titulierte Freigabe von ATACMS-Raketen für Angriffe auf russisches Territorium durch den scheidenden US-Präsidenten Joe Biden, die Lieferung international geächteter Antipersonenminen sowie den Einsatz britischer Storm-Shadow-Raketen.

Werden diese Waffen jetzt zum „Gamechanger“ und damit endgültig „rote Linien“ überschritten? Droht eine weitere Eskalation? Wird Kanzler Olaf Scholz, derzeit im Wahlkampf und erklärter Gegner von deutschen Alleingängen, jetzt doch noch sein kategorisches Nein zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern überdenken? Stehen die bisherigen westlichen Verbündeten wirklich fest an der Seite der Ukraine, solange es notwendig ist?

Ist das gebetsmühlenartig vorgetragene Credo, Russland dürfe diesen Krieg nicht gewinnen und die Ukrai­ne ihn nicht verlieren, noch Richtschnur politischen Handelns? Viele dieser Fragen beschäftigen uns seit dem Beginn von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukrai­ne am 24. Februar 2022 und harren bis heute einer Antwort. Aus gutem Grund. Denn die Zahl der Unbekannten, um diese komplizierten Gleichungen zu lösen, wächst stetig.

Putin bleibt sich treu

Und wir sollten in den vergangenen 1.000 Tagen dieses ­Grauens mitten in Europa gelernt haben, auch das Unvorstellbare zumindest zu denken. Dem zum Trotz gibt es sie: die Schlaufüchse, die uns weismachen wollen, sie wüssten, wie dieser Krieg zu beenden sei. Da geht allen voran Sahra Wagenknecht. Waffenlieferungen an Kyjiw einstellen und ab an den Verhandlungstisch, lautet ihre Forderung. Schließlich müsse das sinnlose Sterben endlich ein Ende haben. Wer möchte sich der Forderung nicht gleich anschließen.

Im Falle Wagenknechts zielt sie jedoch auf die eigene politische Dividende, ohne jede Empathie für die Ukrai­nie­r*in­nen. Hier lohnt sich ein Blick auf den Aggressor in Moskau. An Wladimir Putins Position hat sich seit Kriegsbeginn nichts geändert. Nur seine anfänglichen Auslöschungs- und Entnazifizierungsfantasien mit Blick auf die Ukraine sind derzeit seltener zu vernehmen. Moskaus Vorbedingungen für Verhandlungen sind unverrückbar.

Der Mindesteinsatz für Kyjiw, um zu Kreuze kriechen zu dürfen, ist die Anerkennung der aktuellen „territorialen Realitäten“, sprich: der Verzicht auf rund ein Fünftel des eigenen Landes. Dass Russland sich mächtig genug wähnt, um allen diesen Preis diktieren zu können, musste Olaf Scholz unlängst auch nach dem Telefonat mit Putin einsehen. Eine bittere Erkenntnis. Trotzdem ist es immer schön, mal miteinander zu sprechen.

Tatsächlich geht es längst nicht mehr nur um die Ukraine. So rüstet Moskau auch verbal weiter in Richtung „kollektiven Westen“ auf. Bidens ATACMS-Entscheidung quittierte der Kreml mit Drohgebärden. Die Anspielungen auf einen möglichen Einsatz von Atomwaffen waren unüberhörbar. Dazu passt auch die Atomdoktrin, die der starke Mann in Moskau diese Woche unterzeichnete. Die ist übrigens nicht neu – genauso wenig wie entsprechende Tiraden von Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.

Kein Zeichen der Stärke

Doch ist das ein Zeichen der Stärke, wie auch der Umstand, dass über 10.000 nordkoreanische Soldaten jetzt an der Seite Russlands kämpfen? Kaum. Und Wolodymyr Selenskyj? Den Machtwechsel im Weißen Haus, mit allen Unwägbarkeiten, vor Augen und militärisch am Limit, gibt sich der ukrainische Präsident verhandlungsbereit. Weil er muss. Von temporären Abtretungen völkerrechtswidrig russisch besetzter Gebiete ist da die Rede. Dabei weiß niemand besser als Selenskyj, was das bedeutet.

Dort schafft Russland Fakten: Repressionen, Gewalt, Deportationen, Zwangsumerziehung – das ganze Programm. Mit all dem könnte sich der Westen allenfalls abfinden, wenn doch nur die Waffen endlich schweigen würden. Aber wäre es wirklich so?

Der Angriff auf die Ukraine ist noch nicht das Ende. Georgien, die Republik Moldau, vielleicht Estland oder Lettland? Wer steht als Nächstes auf Putins Liste? Zumindest eine Erkenntnis sollte sich in den gut 1.000 Tagen durchgesetzt haben: Naivität, Wunschdenken und Illusionen im Umgang mit Russland – diese Zeiten sind endgültig vorbei.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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2 Kommentare

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  • Putin braucht die Bilder, die ihn als entschlossenen Staatsführer präsentieren. Denn schließlich muss er seinem Volk permanent die Bedrohung für Russland durch den Westen suggerieren um es bei der Stange zu halten. Denn das geht mittlerweile auf dem Zahnfleisch. Die Lebensmittelpreise sind teilweise höher als hierzulande und das bei einem Durschnittseinkommen von 700€. Die Inflation steigt weiter an und beträgt mittlerweile 8,5% und auch in anderen Bereichen herrscht Sparflamme, die massiven Kürzungen im Bereich der Kriegsinvaliden oder der Hinterbliebenenrente wirken sich besonders auf die finanzielle Lage der Bevölkerung aus.

    Der Druck entsteht im Inland und Putins Drohgebärden dienen dazu, diesen im Ausland abzulassen, in der Hoffnung den Westen hinsichtlich der Unterstützung der Ukraine zu spalten und die Bevölkerung dahingehend zu verunsichern, dass sie öffentlichen Druck ausübt. In Deutschland hat er sogar grossen Erfolg damit.

    Auch deshalb, weil wir an der Spitze einen Churchill bräuchten, aber nur einen Scholz haben. Da ist dann nichts mit Stärke, sondern nur mit Zaudern, welches der Bevölkerung auch noch als Besonnenheit verkauft wird.

  • 'Zumindest eine Erkenntnis sollte sich in den gut 1.000 Tagen durchgesetzt haben: Naivität, Wunschdenken und Illusionen im Umgang mit Russland – diese Zeiten sind endgültig vorbei.'

    Leider kann davon keine Rede sein. Ganz im Gegenteil: Insbesondere in der SPD mehren sich die Stimmen für eine Annäherung an den Aggressor Putin. Siehe Mützenich, Woidke, Stegner. Aber auch Scholz' Telefonat mit Putin geht in diese Richtung. Ein solches Telefonat könnte allenfalls dann Sinn machen, gäbe es eine Bereitschaft auf Seiten von Scholz, Druck auf Putin auszuüben, z.B. durch die Drohung, Taurus zu liefern und Einsatzbeschränkungen aufzuheben. Davon kann aber keine Rede sein, weswegen das Telefonat von Scholz nur ein Signal an Putin war, daß Deutschland schwankt und zögert, und nicht zuverlässig auf der Seiten der Ukraine und im westlichen Lager steht.