Autonomes Hausprojekt in Berlin: Rigaer Straße 94 vor dem Aus
Erfolge der Eigentümer vor Gericht und Nahost-Streit: Alt-Mieter wollen sich nicht weiter gegen Räumungsklagen wehren – dem Projekt droht das Aus.
BERLIN taz | Seit 34 Jahren trotzt die Rigaer Straße 94 der Aufwertung im Friedrichshainer Nordkiez und den Auflösungserscheinungen der autonomen Szene. Nun aber steht das seit Jahren umkämpfte Hausprojekt, das als linksradikales Symbol weit über Berlin hinaus bekannt ist, vor dem Aus.
Nach Informationen der taz will eine Gruppe ehemaliger Bewohner:innen, die immer noch im Besitz von Mietverträgen sind, auf eine weitere juristische Gegenwehr gegen die Räumungsklagen des Eigentümers verzichten. Betroffen wäre ein Großteil der Wohnungen im Seitenflügel und Hinterhaus – der Kern des linksradikalen Projekts. Hintergrund sind sowohl juristische Risiken angesichts einer neuen Linie der Berliner Gerichte als auch ein Streit über den Nahostkonflikt.
Wie Alexander von Arentin, einer der beiden Anwälte der Eigentümerfirma Lafone Investments Limited, der taz sagte, sei man aktuell „in Gesprächen mit Mietern und deren Vertretern“. Dabei gehe es um die Unterzeichnung von „Aufhebungsverträgen“.
Die Alt-Mieter:innen, die seit 1992 im Besitz der Mietverträge sind, wollen demnach darauf verzichten, weiterhin gegen die gegen sie gerichteten Räumungsklagen vorzugehen. Die laufenden Berufungsverfahren vor dem Landgericht – in erster Instanz hatte das Amtsgericht Kreuzberg noch gegen die Räumungsklagen entschieden – würden damit beendet werden.
Juristischer Wind hat sich gedreht
Nach Jahren der juristischen Auseinandersetzungen, in denen die Briefkastenfirma Lafone viele Niederlagen einstecken musste, hätte sie die angestrebten Räumungstitel. „Wir hoffen, dass da ein Ende in Sicht ist“, sagt von Arentin, der die Eigentümer in öffentlich-rechtlichen Verfahren, aber nicht in den Räumungsverfahren vertritt. Eine endgültige Einigung der Parteien und eine Anerkennung des Landgerichts stehe aber noch aus. Doch von Arentin gibt sich zuversichtlich: „Wenn man da lange nicht mehr lebt, ist es nachvollziehbar, dass man das beenden will.“
Ende 2022 schien der Konflikt noch zugunsten des Hausprojekts beendet zu sein. Damals hatte das Kammergericht als höchstes Berliner Gericht eine Berufung der Eigentümer gegen eine vor dem Landgericht wiederholt verlorene Räumungsklage gegen die Rigaer 94-Kneipe Kadterschmiede zurückgewiesen.
Die Prozessfähigkeit der Lafone stand infrage: Weder die Beglaubigung des damaligen und inzwischen ausgetauschten Geschäftsführers, ein eingesetzter Strohmann, noch die Prozessvollmacht für den Anwalt Markus Bernau sei glaubhaft gemacht worden. Eine Beschwerde der Eigentümerseite vor dem Bundesgerichtshof blieb erfolglos. Das Konstrukt der Briefkastenfirma, hinter der der Berliner Geschäftsmann Leonid Medved stehen soll, war für die Eigentümerseite zum Problem geworden.
Inzwischen aber sieht dieselbe Kammer des Kammergerichts die Dinge anders. In einem Beschluss vom Juli wird die Unternehmenstätigkeit der britischen Firma und ihrer Geschäftsführung aufgrund neuer Glaubhaftmachungen erstmals nicht mehr angezweifelt.
Zudem heißt es: „Die Klägerin hat auch substantiiert dargelegt und nachgewiesen, ihren Prozessvertreter wirksam mit der Prozessführung beauftragt zu haben.“ Im Ergebnis entschied das Gericht, dass eine beklagte vermeintliche Bewohnerin eine Waschküche im Hinterhaus der Rigaer 94 herausgeben müsse. Von der Person waren bei einer polizeilichen Begehung des Hauses im Oktober 2021 persönlichen Unterlagen und Dokumente in dem Raum gefunden worden. Das Urteil ist rechtskräftig. Für alle weiteren Klagen bedeutet das eine erhöhte Gefahr, dass weitere Räumungsurteile ergehen.
Mehr als Kostenrisiko
Für die betroffenen Bewohner:innen wie Alt-Mieter:innen geht damit das Risiko einher, nicht nur Prozesse zu verlieren und Gerichtskosten tragen zu müssen, sondern auch schadensersatzpflichtig zu sein. Zuletzt zweifelte das Landgericht in zwei weiteren Verfahren gegen Mieter:innen des Vorderhauses die Rechtmäßigkeit der Lafone nicht an. Eine Mieterin wurde dazu verurteilt, 7.000 Euro Miete nachzuzahlen.
Auch gegen den Sportraum des Hauses gab es jüngst ein Räumungsurteil, wie die Rigaer 94 auf ihrer Website erklärte. Dort heißt es auch: „Seit einigen Monaten scheint die Justiz einen anderen Kurs einschlagen zu wollen.“ Gleichwohl gibt man sich kämpferisch, wie eh und je: „Auch wenn Richter:innen also entscheiden sollten, dass ein Briefkasten, irgendein:e Schlipsträger:in oder wer auch immer Eigentümer:in unseres Hauses sein sollen, wollen wir daran erinnern, dass wir uns nicht an ihre Spielregeln halten werden.“
Auf die Füße fällt der Rigaer 94 aber wohl etwas anderes. Am 1. November veröffentlichte das Haus auf seiner Website einen vor allem in der linskradikalen Szene vielfach scharf kritisierten Beitrag unter der Überschrift: „Einige Gedanken zum Ausbruch aus dem größten Gefängnis der Welt“, womit das Hamas-Massaker am 7. Oktober auf Israel gemeint war. Darin heißt es: „Der deutsche Staat, Politiker*innen und manchmal sogar unsere Mitstreiter*innen sorgen sich sehr darum, wie nah oder fern man sich zu den Ideen der Hamas positioniert.“
Dem Vernehmen nach hat die Haltung des Hauses, in dem auch der Livestream des abgebrochenen Palästina-Kongresses übertragen werden sollte, auch bei einigen Alt-Mieter:innen für Unmut gesorgt. Auch dies soll dazu beigetragen haben, nicht mehr den Kopf in juristisch hoch risikoreichen Verfahren für die aktuellen Bewohner:innen hinhalten zu wollen.
Leser*innenkommentare
Land of plenty
Doch, ich finde schon:
Mit mehr Antiimperialismus würde das Hausprojekt erhalten bleiben!
Janix
Man konnte den Gazastreifen schon als Gefängnis bezeichnen. Israels Militär als Wachleute am Zaun, und drinnen dann noch die Hamas, um es vollends unangenehm zu machen.
Man hätte beim Ausbruch aber halt den Gewaltausbruch unterlassen müssen. Besser Blumen verteilen mit der Bitte, wieder menschlicher zu werden
Zum Hauptthema: Haben die keinen Detektiv engagieren können, der die Geldquellen jenes Eigentümers mal aufblättert? Ist es Geldwäsche, Blutdiamanten, Öl, Wuchermiete, ... irgendetwas müsste doch zu finden sein.
Leider, leider müsste man es wahrscheinlich so machen.
Riga in Frieden!
Troll Eulenspiegel
Die Rigaer wird weiterleben. Sie ist das Symbol gegen Gentrifizierung, gegen Vertreibung von Menschen und gegen Kapitalismus.
Miethaien muss das Handwerk gelegt werden!
Und ja, gerne ohne Antisemitismus.
Jim Hawkins
" „Einige Gedanken zum Ausbruch aus dem größten Gefängnis der Welt“, womit das Hamas-Massaker am 7. Oktober auf Israel gemeint war. Darin heißt es: „Der deutsche Staat, Politiker*innen und manchmal sogar unsere Mitstreiter*innen sorgen sich sehr darum, wie nah oder fern man sich zu den Ideen der Hamas positioniert.“"
Ja, ja, die einen nah, die anderen fern. Im Text auf der Webseite ist noch die Rede von einer "künstlich geschaffenen Siedler*innengesellschaft".
Im Gegensatz wohl zur natürlichen, erdigen, palästinensischen Volksgemeinschaft.
Wer so einen Mist verzapft, ist nicht links, es handelt sich wohl eher um antisemitische Hausbesetzer.
Deren Wohlergehen ist mir so schnuppe wie das von Nazis.
Rudolf Fissner
@Jim Hawkins "natürlichen, erdigen, palästinensischen Volksgemeinschaft" ?
Was soll diese Vearchtung gegenüber der ürsprünglichen Bevölkerung, die dort vertrieben wurde und in deren gestohlenen Häuser und Wohnungen nun Zugewanderte aus anderen Regionen der Welt wohnen?
Man kämpft nicht gegen Antisemitismus indem man eine ganze Bevölkerung herab setzt.
Janix
@Jim Hawkins Alle Staaten sind künstlich: Deutschland offensichtlich, ... alle.
Unterschiedlich ist, ob sie durch Gewöhnung bereits als natürlich wahrgenommen werden. Portugal etwa ist schon so lange dabei, Südsudan kürzer.
Israel war 1948 eine künstliche Neuschöpfung, die den fehlenden Nationalstaat nachholen sollte, verständlich angesichts der Pogrome (und dem, was später kam) und doch klar auf Kosten Dritter, so nett-kolonialistisch Herzls Buch sich auch liest (lesen Sie's, er spinnt Morus Utopia-Idee vom angeblich wohltätigen Siedler weiter).
Anders als z.B. beim Südsudan waren vor hundert Jahre auf dem gesamten Gebiet fast nur christliche und muslimische Palästinenser ansässig.
Selbst die Buren waren dort deutlich länger im Land als fast alle jüdisch-israelischen Familien, die jetzt auch nicht wirklich eingeladen waren (gleichzeitig auch teils selbst vertrieben wie die Palästinenser; es ist ein weites Feld)
Dass man das auch einfach nur trocken konstatieren kann, statt überhöhen, das auch.
Rabenbote
@Jim Hawkins Ich kann ihnen bei diesem Thema nur zustimmen.
EffeJoSiebenZwo
@Jim Hawkins Was genau stört sie denn an dem Begriff '"künstlich geschaffenen Siedler*innengesellschaft"? Und warum ist er aus ihrer Sicht antisemitisch?
DieLottoFee
@EffeJoSiebenZwo Es gibt keine künstlich geschaffenen Gesellschaften. Was soll das sein?
Jim Hawkins
@EffeJoSiebenZwo Als "künstlicher" Staat wird immer nur der jüdische Staat wahrgenommen.
Andere Staaten sind demzufolge nicht künstlich, sondern irgendwie organisch und auf irgendeine natürliche Art und Weise zustande gekommen, was natürlich Käse ist.
Die meisten Staaten sind das Resultat oder auch mal das Abfallprodukt kriegerischer Auseinandersetzungen.
Der Topos des Künstlichen ist ein verbreiteter im Antisemitismus. So wird etwa auch die abstrakte Sphäre des Kapitalismus den Juden als "raffendes Kapital" angelastet, im Gegensatz zum "natürlichen", schweißigen "schaffenden" Kapital.
Juden werden im Antisemitismus als Kosmopoliten wahrgenommen, nicht verwurzelt, heimatlos, staatenlos, suspekt.
Den Staat, den sie nun haben, hassen die Antisemiten. Dort verorten sie alles, was ihrem Wahn entspringt. Deshalb soll er weg. Er ist eben "der Jude unter den Staaten" (Poliakov).
Rabenbote
@Jim Hawkins Gelungene Erklärung, die eigentlich jeder Person die sich ernsthaft mit Antisemtismus und seinen verschiedenen Erscheingungsform auseinandersetzt klar sein sollte.
Thomas O´Connolly
@Rabenbote Ich stimme ihnen und Jim zu. Erwarte allerdings nichts mehr das Antisemiten von alleine begreifen was sie da tun. Vermutlich nicht mal durch Intervention von außen.
Das liegt in der Natur der Antisemiterei.
Leider ...
Kritisches eigenständiges Denken ist den Antisemiten fremd, denn es gefährdet die Lebensgrundlage an die ihr kleiner überforderter Geist sich in dieser komplexen Welt verzweifelt klammert: Seine "Wahrheiten", "Antworten" und am wichtigsten seine "Schuldigen".
Ohne sie ist er nur das was W.Reich so trefflich "den kleinen Mann" genannt hat. (Selbstredend völlig unabhängig vom Geschlecht.)
Gegen Antisemiten hilft nur eine Gemeinschaft die die Antisemiten ächtet und anklagt.
Andere Vorgehensweisen hatten in der Vergangenheit gelinde gesagt keinen Erfolg.
Harmo-Nie
@EffeJoSiebenZwo Das ist nicht mehr so en vogue, wie zu der Zeit, als das Projekt begann.