Streit um Unvereinbarkeitsliste: AfD streitet um Neonazis

Der AfD-Bundesvorstand hat die rechtsextreme Gruppe „Revolte Rheinland“ auf seine „Unvereinbarkeitsliste“ gesetzt. Das Lager um Höcke ist sauer.

Aktivisten der Identitären Bewegung bei einer Demo 2017

Die hier abgebildete Identitäre Bewegung gilt dem Verfassungsschutz als Vorgänger-Organisation der Revolte Rheinland Foto: Christian Mang

BERLIN taz | Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, hat sich gegen ein AfD-Verbotsverfahren ausgesprochen. Ein Parteiverbot sei sehr schwer durchzusetzen und die juristischen Erfolgschancen betrachte er als gering, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Damit widersprach Schneider seiner Parteichefin Saskia Esken, die sich unlängst für ein Parteiverbot der AfD ausgesprochen hatte.

Die wiederkehrenden Forderungen nach einem Verbot ihrer Partei bereiten der AfD durchaus Sorgen. Auch wenn führende Po­li­ti­ke­r*in­nen der extrem rechten Partei oft behaupten, der Verfassungsschutz werde dafür politisch instrumentalisiert – die Angst ist groß, gerichtliche Auseinandersetzungen mit der Behörde zu verlieren, etwa wenn es um die Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall geht.

Mit einer „Unvereinbarkeitsliste“ will sich die AfD zumindest auf dem Papier von neonazistischen Organisationen abgrenzen. Personen, die Mitglieder in Gruppen, Vereinen oder Organisationen aus dieser Liste sind, dürfen nicht in die AfD eintreten. Diese Liste sorgt in den völkisch-nationalistischen Netzwerken derzeit aber für extrem schlechte Laune.

Die Kreise um den Rechtsextremisten Björn Höcke sind in den letzten Jahren in der AfD kontinuierlich stärker geworden. Der Grund für ihren aktuellen Unmut: Nach einem Beschluss des Bundesvorstands um Alice Weidel und Timo Chrupalla ist die neonazistische Gruppe „Revolte Rheinland“, die nicht nur ästhetisch an den Nationalsozialismus anknüpft, am 18. Dezember auf der Unvereinbarkeitsliste der Partei gelandet.

Kein Weihnachtsfrieden in der AfD

Danach war nichts mehr mit Weihnachtsfrieden in der AfD. Die völkischen Kreise aus dem Umfeld des rechtsextremen Instituts für Staatspolitik von Götz Kubitschek in Schnellroda laufen Sturm gegen den Beschluss. Nur drei Tage vor Heiligabend äußerte sich schließlich auch der Kopf des völkischen Flügels, Höcke, dem selbst gerade eine Anklage am Landgericht Halle wegen der Verwendung einer SA-Parole bevorsteht: „Die von außen bestimmte Distanzeritis hat uns keinen taktischen Vorteil gebracht – im Gegenteil“, schimpfte er auf Telegram.

Auf keinen Fall dürften die Stichworte der Gegner dazu dienen, persönliche Rivalen im Wettstreit um Listenplätze und Mandate auszugrenzen. Wie zum Trotz empfahl Höcke dazu allen „Parteifreunden“ den neuesten ideologischen Umsturz-Schmachtfetzen aus Schnellroda, das Buch „Regime Change von rechts“ des langjährigen österreichischen Identitären-Chefs Martin Sellner, zu Weihnachten. Auch die Identitäre Bewegung steht auf der Unvereinbarkeitsliste.

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Roger Beckamp setzte an Heiligabend noch einen drauf und einen provokativen Instagram-Post ab, mit dem er ganz offen den Beschluss des Bundesvorstands unterlief: „Frohe Weihnachten auch an die mutigen Aktivisten der Gruppe ‚Revolte Rheinland‘!“, schrieb er zu einem Bild, das die Ak­ti­vis­t*in­nen mit extrem rechter Symbolik und einem „Defend-Europe“-Banner zeigt. Er wünsche, dass bei der AfD die Revolution nicht ihre Kinder fresse, schrieb er dazu.

Papier ist geduldig

Der Fall der Identitären Bewegung (IB) zeigt, dass die Unvereinbarkeitsliste in der Praxis häufig nicht viel mehr ist als ein Stück Papier, das keine große Wirkung entfaltet. Die IB steht zwar auf der Unvereinbarkeitsliste, der Einfluss von Kreisen aus dem rechtsextremen aktivistischen bis ideologisch-neurechten Parteivorfeld hat aber in letzter Zeit deutlich zugenommen. Langjährige Identitären-Kader wie Jonas Schick oder Schnellroda-Ideologen wie Benedikt Kaiser arbeiten mittlerweile in Bundestagsbüros für AfD-Abgeordnete, und kaum jemanden in der Partei stört das noch. Konsequenzen hat es keine.

Das rheinland-pfälzische Innenministerium betrachtet die neonazistische „Revolte Rheinland“ als Nachfolge-Organisation der Identitären Bewegung. Sie sei überwiegend im nördlichen Rheinland-Pfalz sowie im südlichen Nordrhein-Westfalen aktiv. Zuletzt sorgte die Gruppe mit White-Power-Gesten, Runenfahne und rassistischen Aktionen für Aufsehen.

Partei-Influencer wie der Kubitschek-Schützling Benedikt Kaiser laufen nun Sturm gegen den Beschluss: „Die Unvereinbarkeitsliste der AfD muss nicht erweitert, sondern eingedampft werden.“ Sie sei kein Zeichen souveräner Stärke, sondern ein Relikt vergangener Schwäche. Kaiser arbeitet für den AfD-Bundestagsabgeordneten Jürgen Pohl. Selbst der Chef-Identitäre Martin Sellner beklagt in einem selbstmitleidigen Ton im rechtsextremen Magazin Sezession, dass „dieses bizarre ‚Weihnachtsgeschenk‘ von Berufspolitikern“ eine „verheerende Signalwirkung“ habe und demoralisierend wirke. Es sei „geradezu eine Aufforderung von Seiten der AfD, den Aktivismus einzustellen“.

Anfeindungen gegenüber Vorstandsmitgliedern

Angefeindet werden dafür vor allem die Bundesvorstandsmitglieder Roman Reusch und der AfD-Landesvorsitzende Jan Bollinger aus Rheinland-Pfalz. Allerdings sollen aus dem Bundesvorstand auch Tino Chrupalla, Stephan Brandner, Marc Jongen, Peter Boehringer und Carsten Hütter für die Abgrenzung gestimmt haben. Im Bundesvorstand wurde das Thema kontrovers diskutiert – am Ende sprach sich jedoch eine Mehrheit dafür aus, die Organisation auf die Liste aufzunehmen.

Widersprochen haben sollen dem Vernehmen nach der ehemalige Chef der ebenfalls als gesichert rechtsextrem eingestuften Jungen Alternative, Carlo Clemens, der Spitzenkandidat zur EU-Wahl, Maximilian Krah, der selbst zuletzt ein antidemokratisches Manifest über den Verlag von Kubitschek veröffentlichte, sowie Martin Reichhardt, Chef des vor einigen Wochen als gesichert rechtsextrem eingestuften Landesverbands Sachsen-Anhalt.

Interessant: Schimpft die AfD aufgrund ihrer eigenen rechtsextremen Einstufung eigentlich ausdauernd auf den Verfassungsschutz (VS), dienen hier dessen Einschätzungen zur Begründung der Abgrenzung: So verweist der Antrag zur Aufnahme von Revolte Rheinland auf die Unvereinbarkeitsliste auf den VS-Bericht aus Rheinland-Pfalz von 2022. In der der taz vorliegenden Begründung heißt es: „Die Gruppierung Revolution (falsch im Original) Rheinland verwendet als Logo unter anderem die Odalrune, die aufgrund ihrer vielfachen Verwendung sowohl in der Nazizeit als auch von dem Nationalsozialismus nahestehenden Nachkriegsorganisationen Verwendung fand.“

Der Antrag kam dabei aus dem AfD-Landesverband Rheinland-Pfalz, wo sich der Vorstand einstimmig dafür ausgesprochen hatte, dass eine Zugehörigkeit zur Revolte Rheinland einer Mitgliedschaft in der AfD widerspräche. Tino Chrupalla und Alice Weidel wollten sich auf taz-Anfrage nicht dazu äußern – das Thema ist auch aufgrund des im Februar bevorstehenden Prozesses zur VS-Einstufung vor dem Oberverwaltungsgericht Münster ein Minenfeld für die Parteiführung.

Wie offen sich Teile der AfD mittlerweile zu Rassismus und rechtsextremer Ideologie bekennen, stellte kürzlich auch Franz Schmid zur Schau. Der bayerische Landtagsabgeordnete und Mitglied der Jungen Alternative erklärte die AfD kürzlich – im offenen Widerspruch zum Grundgesetz – zu einer „Partei der autochthonen Deutschen“. Das wiederum dürfte Be­für­wor­te­r*in­nen eines AfD-Verbots weitere Argumente liefern.

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