Klimaproteste in Lützerath: Forderung nach Aufarbeitung

Nach der Räumung verschärft sich die Kritik am Einsatz der Polizei. Innenminister Herbert Reul (CDU) verspricht schnelle Aufklärung.

Polizisten sprayen mit Pfefferspray auf eine Reihe Klimademonstrant*innen

Bilder wie dieses sorgen für Diskussionen: Polizei geht gegen Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen vor Foto: Christian Mang/reuters

BOCHUM/BERLIN taz | Klimabewegung und Umweltschutzorganisationen werfen Nordrhein-Westfalens CDU-Innenminister Herbert Reul vor, Polizeigewalt bei der Räumung der Siedlung Lützerath zu rechtfertigen. „Reul wird seiner Rolle als Scharfmacher gerecht“, sagt Dirk Jansen, in Nordrhein-Westfalen Geschäftsleiter des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND).

„Friedlicher Widerstand wird kriminalisiert, friedliche De­mons­tran­t:in­nen wurden in Lützerath nicht geschützt“, sagt Jansen, der bereits am Donnerstag selbst von der Polizei eingekesselt wurde und erleben musste, wie BUND-Mitglieder durch „völlig unverhältnismäßiges Vorgehen“ von Reuls Be­am­t:in­nen verletzt wurden. „Die Deeskalationsstrategie der Polizei“, bilanziert der Umweltschützer deshalb in aller Deutlichkeit, „hat nicht funktioniert.“

Ricarda Lang bewertet Polizeiarbeit kritisch

Reul selbst stellt sich seit Samstag dagegen immer wieder schützend vor seine Polizist:innen. „Hochprofessionell“ hätten die gearbeitet, erklärte der 70-Jährige nur wenige Stunden nach dem Ende der Räumung schon am Sonntagabend in der ARD-Talkshow von Anne Will – und legte am Montag in der Rheinischen Post nach: „Immer“ habe die Polizei „auf Dialog und Vernunft gesetzt“, glaubt der NRW-Innenminister. Einzelfälle unangemessener Polizeigewalt würden aber untersucht.

Kritischer bewertete am Montag in Berlin Grünen-Chefin Ricarda Lang die Arbeit der Polizei. Sie habe am Wochenende viele Telefonate geführt: mit Polizisten, Aktivistinnen und Abgeordneten, die als sogenannte Parlamentarische Beobachter vor Ort waren. Ihr Eindruck sei nach den Gesprächen zwar auch, dass „der Polizeieinsatz an vielen Stellen vor allem in der letzten Woche bei der Räumung sehr besonnen“ abgelaufen sei.

Gleichzeitig gebe es aber Videos vom Samstag, „die auch mich schockieren“. Die Frage, welche Verantwortung die Grünen für die Szenen tragen, beantwortete Lang nicht. Dafür forderte sie, den Polizeieinsatz „parlamentarisch aufzuarbeiten“. Wo es zu Polizeigewalt gekommen ist, müsse das Konsequenzen haben.

Die Initiative „Lützerath lebt“ berichtete, bei der Großdemo am Samstag habe es „zahlreiche Schwerverletzte durch Polizeigewalt“ gegeben. Mindestens eine Person sei „lebensgefährlich“ verletzt worden. Es habe „zahlreiche Knochenbrüche“ und „Verletzungen durch Pfefferspray“ gegeben. Eine Demo-Sanitäterin sagte, in einem Fall hätten Po­li­zis­t:in­nen trotz laufender Behandlung durch die Sa­ni­tä­te­r:in­nen weiter auf die verletzte Person eingeschlagen. Auch soll es am Samstag zu „zahlreichen gezielten Schlägen auf den Hals“ von De­mons­tran­t:in­nen gekommen sein. Von Seiten der Polizei hieß es dagegen, man wisse nichts von lebensgefährlich Verletzten. Der Einsatz eines Rettungswagens sei zehnmal nötig gewesen.

Wurden Unfälle in Kauf genommen?

„Leute, die sich am Samstag der Polizeikette im Vorfeld des Tagebaus angenähert haben, mussten massive Gewalt erfahren“, sagt auch Christopher Laumanns von der Initiative „Alle Dörfer bleiben“. Schlagstöcke und Pfefferspray seien wahllos eingesetzt worden, „scharfgemachte Hunde ohne Maulkorb“ hätten schon bereitgestanden. „Extrem überhastet und hochgefährlich“ sei auch die seit Mittwoch laufende Räumung Lützeraths selbst durchgeführt worden, sagte Laumanns der taz: Sicherungsseile von Baumhäusern und Tripods der Be­setz­e­r:in­nen seien durchgeschnitten, Menschen aus 2,5 Metern Höhe auf den Boden geworfen worden.

Christopher Laumanns von „Alle Dörfer bleiben“

Einsatz war „extrem überhastet und hochgefährlich“

Auf einem Video ist außerdem zu sehen, wie Polizeibeamte mit einer Kettensäge durch das Holz eines Heubodens sägen – obwohl sie wissen, dass sich darauf noch Ak­ti­vis­t:in­nen befinden. „Da wurde ganz bewusst Leben gefährdet“, sagt Laumanns dazu. Das sei offenbar auch Strategie gewesen: „Polizisten haben gesagt, dass es doch gut sei, wenn die Leute Todesangst haben“, sagt Laumanns. „Gerade am Mittwoch, am ersten Tag der Räumung Lützeraths, hat diese Polizeistrategie des Angstmachens, Demoralisierens, Unfälle-in-Kauf-Nehmens gut funktioniert.“

Auch Nicola Dichant, Landessprecherin der Grünen Jugend NRW, kritisierte, Bilder von Polizeieinsätzen, die Ak­ti­vis­t:in­nen massiv gefährden, Sanitäter:innen, die von der Polizei aus dem Dorf geschmissen werden, seien „das Gegenteil von einem deeskalativen Einsatz“. Eine negative Bilanz zog auch die in der Gewerkschaft Verdi organisierte Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju). Wiederholt sei Me­di­en­ver­tre­te­r:in­nen der Zugang zu Lützerath von der Polizei verwehrt worden. Außerdem habe es mindestens fünf körperliche Angriffe auf Jour­na­lis­t:in­nen durch die Polizei beziehungsweise durch von RWE beauftragte Security gegeben.

Im Landtag will die SPD dies im Medienausschuss zum Thema machen. Auch der Innenausschuss wird sich bei seiner Sitzung am Donnerstag mit Lützerath beschäftigen. Aber auch wenn sich Grünen-Chefin Ricarda Lang am Montag hinter die Aufarbeitung im Parlament stellte: Scharf kritisiert wird die Polizei in den Landtagsausschüssen wohl nicht. Die Regierungsfraktionen von Grünen und SPD dürften sich erfahrungsgemäß zurückhalten – und die innenpolitische Sprecherin der SPD, Christina Kampmann, sagt wie Innenminister Reul, „der Polizeieinsatz in Lützerath“ sei „professionell und deeskalierend verlaufen“.

„Wir haben im Landtag in dieser Frage eben keine wirkliche Opposition“, sagt Dirk Jansen vom BUND dazu. Einen Rücktritt von Innenminister Reul fordert in NRW nur die Linkspartei – doch die ist im Landtag nicht vertreten.

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