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Nach Räumung von LützerathRWE fehlen noch Grundstücke

Der Ort Lützerath ist geräumt, aber RWE gehören noch nicht alle Grundstücke im geplanten Kohleabbaugebiet. Drohen weitere Enteignungen?

Lützerath wird für den Tagebau Garzweiler II schon mal abgerissen, 16. Januar 2023 Foto: Roberto Pfeil/dpa

Berlin taz | Was kommt nach der Räumung des massiven Antikohleprotests im nordrhein-westfälischen Lützerath? Die Landtagsabgeordnete Antje Grothus (Grüne) befürchtet: mehr Konflikte in der Region, in der der Energiekonzern RWE seinen Tagebau Garzweiler ausweiten will. Es gebe nämlich noch Grundstücke, die im geplanten Abbaugebiet liegen, aber nicht RWE gehören.

Laut Grothus wollen die Ei­gen­tü­me­r:in­nen nicht an den Konzern verkaufen, sie habe direkten Kontakt zu ihnen gehabt. Die Grüne warnt, es würden „langwierige und juristisch unsichere Enteignungen“ drohen. „Um den sozialen Frieden der Region in den nächsten Jahren zu wahren, ist eine Neuplanung des Tagebaus notwendig“, sagt die Politikerin. „Er muss so geführt werden, dass RWE niemandem mehr seinen Acker wegnimmt.“ Seit vielen Jahren ist sie selbst Teil des lokalen Protests gegen RWE.

Sie ist eine der wenigen Grünen, die den Kompromiss zu Lützerath öffentlich kritisiert. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (beide Grüne) hatten mit RWE eine Vereinbarung zur weiteren Kohlenutzung getroffen: Der Konzern stellt sein letztes Kohlekraftwerk 2030 statt erst 2038 vom Netz. Dafür darf er in der Energiekrise manche der klimaschädlichen Anlagen länger laufen lassen und unter anderem unter Lützerath Kohle fördern.

Das ist lange geplant, die ursprünglichen knapp über 100 Ein­woh­ne­r:in­nen sind längst umgesiedelt. Stattdessen siedelten sich Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen an, um die Kohle unter dem Ort vor der klimaschädlichen Verbrennung zu bewahren. Der Ort selbst gehört RWE.

Das gilt nicht für alle Grundstücke in der Umgebung, die der Energiekonzern abbaggern möchte. „Im Geltungsbereich des jüngst zugelassenen Hauptbetriebsplans 2023–25 des Tagebaus Garzweiler haben wir in der Tat noch nicht alle Flächen unter Vertrag“, räumte ein RWE-Sprecher gegenüber der taz ein. „Das ist aber normale Praxis.“ Es sei üblich, dass der Bergbau „die Inanspruchnahme von Ackerflächen“ nach und nach regele.

Der „letzte Lützerather“

Zur Größe der fraglichen Flächen und der Anzahl der Ei­gen­tü­me­r:in­nen machte RWE keine Angaben. Mit Enteignungen rechnet der Konzern nicht. „Grundabtretungsverfahren sind die absolute Ausnahme und enden in der Regel noch vor einem Urteil, doch mit der von RWE in allen Fällen angestrebten gütlichen Einigung“, sagte der RWE-Sprecher.

Das muss nicht so harmonisch ablaufen, wie es klingt: Der Landwirt Eckardt Heukamp etwa galt lange als letzter Lützerather, der seinen Hof nicht an RWE verkaufen wollte. Er war noch vor Ort, als Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen ihr Lager aufschlugen. Nach Jahren der Auseinandersetzung gab er im vergangenen Frühjahr auf und verkaufte – vor Erschöpfung.

David Dresen von der lokalen Initiative „Alle Dörfer bleiben“ sagt zur aktuellen Situation: „Der Konflikt um Lützerath ist wegen der gewaltvollen Räumung ohnehin stark aufgeladen.“ Komme es zu Enteignungen, verlören die Grünen „auch noch den letzten Rest Glaubwürdigkeit als Klimaschutzpartei“.

Sie hätten in ihrem Wahlprogramm vor der Bundestagswahl 2021 versprochen, keine Menschen mehr für Braunkohle zu enteignen, argumentiert Dresen. Im Wahlprogramm steht allerdings etwas anderes: „Den durch den Braunkohletagebau Garzweiler von Enteignung und Vertreibung bedrohten Menschen muss das Land Nordrhein-Westfalen endlich Planungs- und Rechtssicherheit für Erhalt und Zukunft ihrer Dörfer geben. Dies wollen wir im Bund mit den richtigen Rahmenbedingungen unterstützen.“

Man könnte mit Verweis auf den von vielen Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen ungeliebten RWE-Deal argumentieren, dass die Grünen ihr Versprechen schon erfüllt haben. Die Vereinbarung gab zwar Lützerath zur Abbaggerung frei, rettete aber fünf ursprünglich bedrohte Dörfer, die sogar noch bewohnt sind.

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14 Kommentare

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  • 6G
    666757 (Profil gelöscht)

    RWE-Boykott!



    Strom und Gas muss man von denen doch nicht beziehen, es gibt andere Anbieter. Punkt!

    Die RWE-Leitung + Mitarbeiter sollte umziehen nach Keyenberg oder in andere ausgestorbene Nester dort. Die haben schließlich nirgendwo mehr was verloren!



    Zaun drum und gut is’!

  • Enteignung? Wird niiiieee passieren.

    Aus Berlin habe ich gelernt, dass Enteignungen böse und kommunistisch sind.

  • Erkelenz kann doch auch weg.Fürs Klima ist dieser Deal akzeptabel OOODER?

  • „langwierige und juristisch unsichere Enteignungen“



    Am besten bis 2030.

  • 1G
    14397 (Profil gelöscht)

    „Die Grüne (Grothus) warnt, es würden „langwierige und juristisch unsichere Enteignungen“ drohen.“

    Aber da es ja laut der stellvertretenden Ministerpräsidentin Neubaur "Um die Energieversorgung Nordrhein-Westfalens und Deutschlands“ geht, wird die Enteignung schneller als der Bau von Flüssiggasterminals durchgepeitscht werden. Auf Bündnis RWE/Die Lügner ist Verlass.

    • @14397 (Profil gelöscht):

      Aber im Fall von Enteignungen müssen die Gerichte mitspielen, das ist dann zwar immer noch eine Lotterie, aber eben nicht so Ratzfatz von NRWE allein zu entscheiden. Kleine Hoffnung immerhin.

    • @14397 (Profil gelöscht):

      Zum Thema Lügner:

      Der Lügner ist nur erfolgreich, wenn seine Lügen von vielen geglaubt werden. Offenbar sind nicht "alternativ handelnde" Politiker das Hauptproblem, sondern die alternative Bildung von Großteilen der Bevölkerung. Ja, fürs Denken gibs halt keine App..

    • @14397 (Profil gelöscht):

      Sicherung der Energieversorgung ausgerechnet mit Braunkohle.. Diese Idee gabs schon mal in der DDR. Großartig geklappt hatte das damals alles.. Oja.

      • @Bunte Kuh:

        Wenn 1980 brauchbare Windräder lieferbar gewesen wären, hätte die DDR sie gebaut. Aber die wenigen aus Dänemark hatten zu wenig Leistung und kosteten Devisen.

  • Die Bundesgrünen mit ihrem Wahlprogramm 2021 sind für Enteignungen überhaupt nicht zuständig.

    Wenn der Hauptbetriebsplan zugelassen ist, dann sind Enteignungen auch zukünftig kaum zu vermeiden.

    • 6G
      666757 (Profil gelöscht)
      @DiMa:

      Ach ja? Armin Laschet war Kanzlerkandidat und mischte schön bei RWE mit …



      Noch Fragen?

  • Es braucht nicht enteignet werden, RWE und die Grünen haben sich vollkommen verzockt!

    Denn in der Pressekonferenz (siehe Phönix TV) mit Ricarda Lang, die vor einigen Minuten zuende ging, fragte ein Reporter von Frontal 21, ZDF:

    "Uns liegen vom ZDF Zahlen vor, zum 1,5 Gradziel, runtergerechnet auf die einzelnen Tagebaue. Nach jetzt aktualisierten Zahlen kommen Forscher zu dem Ergebnis, das uns in Bezug auf das Budget nur noch ganz wenige Jahre bleiben bei den Tagebauen. Wenn man das strenge Ziele einer 67-prozentigen Wahrscheinlichkeit ansetzen würde für das 1,5 Gradlimit, dann wäre in Garzweiler zu viel abgebaggert worden!

    Muss sich die Politik da ehrlich machen und wir müssen kommunizeren: wir können es nicht mehr schaffen das 1,5 Gradziel zu erreichen, oder muss man massiver umsteuern, wozu gehören würde, die Kohle unter Lützerath unter der Erde zu lassen?"



    Das ist der springende Punkt, auf den hier im Forum schon mehrmals hingewiesen wurde. Wenn die Kohle nicht im Boden bleibt, wird das 1,5 Gradziel mit ganz hoher Wahrscheinlichkeit gerissen, weil andere Bereiche wie Verkehr, aber auch Windräder das nicht schnell genug kompensieren können!

    Lang weicht aus, indem sie lapidar sagt, an Lützerath hänge nicht das 1,5 Gradziel, was eine absolute Nebelkerze ist. Sie weigert sich zuzugeben, dass der große grüne Deal mit RWE eine reine Luftnummer in Bezug auf das CO2-Budget im Tagebau Garzweiler ist, der wie ein Ballon nach Berechnungen einiger Wissenschaftler bereits geplatzt ist, weil schon zu viel Kohle abgebaggert wurde, wenn man das in Relation mit anderen Sektorzielen und dem zur Verfügung stehenden Budget setzt.

    RWE steht nackt wie ein Kaiser da, aber die Grünen sagen, warten wir mal ab und rechnen erst in einigen Jahren nochmal genau nach, denn wir schaffen das mit dem Klimaschutz schon!

    Klimaschutz in Deutschland scheitert immer wieder, weil Journalismus an dieser Stelle nicht seine Hausaufgaben macht. Hoffentlich nicht schon wieder!

    • 6G
      666757 (Profil gelöscht)
      @Lindenberg:

      Yes!



      Die 1,5° sind was für den knallroten Sack, und zwar jetzt schon!

  • Wieso hört man jetzt nichts davon, dass Enteignungen so schrecklich sind etc. Als es um Wohnraum in Berling ging, war der Aufschrei durch nahezu alle Parteien gross. Ein Schelm wer dabei denkt, man würde Konzerne und Bürger nicht gleich behandeln.