kohleabbau
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Unterm Schaufelrad
der Energiekrise

Das Dorf Lützerath im Garzweiler Braunkohlerevier wird nun doch abgegraben. In die Enttäuschung vor Ort mischt sich vor allem Wut auf die Grünen in der NRW-Regierung

Gelb war die Hoffnung: Rettungs­aktion für das Dorf Lüzerath im Januar 2022 Foto: David Klammer/laif

Aus Lützerath und Aachen Bernd Müllender

Was wird aus Lützerath, dem winzigen Ort und gleichzeitig riesigen Klimaschutz-Symbol? Die Vorhersagen waren über Monate unklar. Am Wochenende hat der Landwirt Eckhard Heukamp nach dem Zwangsverkauf seines Hofes dann die Schlüssel abgeben müssen. RWE ist jetzt Eigentümer des gesamten Ortes und hat ab sofort das Recht zur Inbesitznahme, wie das auf Jura­deutsch heißt.

Am Dienstagmorgen kam die Entscheidung der Politik: Kohleausstieg, wie vielfach erwartet, bis 2030 statt erst 2038, aber Lützerath muss dennoch weg, wegen Energiesicherheit und Gaskrise. RWE feiert sich dafür als eine Art Klimahelden: „Die langfristige CO2-Bilanz des Unternehmens wird sich so noch einmal erheblich verbessern“, schreibt Vorstandschef Markus Krebber. Die Kohle unter Lützerath werde benötigt, „um die Braunkohlenflotte in der Energiekrise mit hoher Auslastung zu betreiben“, ergänzt er. Dabei ist, Stand jetzt, gar nicht die klimakillende Kohle so wichtig, sondern der Abraum. Damit müssen viele Kilometer Böschungen abgeflacht werden.

Es sind Böschungen, die der Konzern in den vergangenen Monaten ohne erkennbare Not auffallend nah und steil von zwei Seiten um den Ort Lützerath herum gegraben hat. „Eine Machtdemonstration“, sagt Antikohleaktivist und Naturführer Michael Zobel, „von wegen: Es werden bis zur Entscheidung keine Fakten geschaffen, wie alle immer sagten. Das Gegenteil war der Fall.“

Die Mahnwache Lützerath twitterte umgehend, die Grünen Robert Habeck und Mona Neubaur, Wirtschaftsminister in Bund und -ministerin im Land, hätten „endgültig ihre Masken fallen gelassen und zusammen mit ihren NRWE-Buddy Krebber die Zerstörung von Lützerath verkündet“. NRWE ist die Szeneabkürzung für den Zusammenschluss von NRW und dem Essener Unternehmen. Andrea von der Mahnwache sagt der taz, man habe immer damit rechnen müssen, „aber in dem Moment, wo du die Entscheidung vorgesetzt bekommst, ist das schon ein Schlag ins Gesicht“. Die Stimmung sei „sehr bedrückt, mindestens“. Sie selbst habe, fügt sie mit ironischer Bitterkeit hinzu, „jetzt gleich die ehrenvolle Aufgabe, eine Schulklasse hier herumzuführen. Aber eigentlich hab ich dafür gar keinen Kopf.“

Dass grüne Amtsträger jetzt Lützeraths Ende mitverantworten, stößt besonders auf. Dass einige vereinzelte Höfe am hinteren Rand der Gemarkung Lützerath erhalten bleiben, „feiern die Grünen jetzt noch als Erfolg“, schimpft ein anderer vom Team Mahnwache, „dabei waren diese Höfe ohnehin nie im genehmigten Betriebsplan III“. Somit würden Habeck, Neubaur & Co sich etwas ohne Bedeutung gutschreiben. Michael Zobel sagt, er sei „maßlos enttäuscht“ und erwäge seine grüne Parteimitgliedschaft aufzukündigen. „Ich ringe noch mit mir.“ An dem „Ort, den Greta Thunberg heiliggesprochen hat“, so der Spiegel über den Besuch der schwedischen Klimakämpferin in Lützerath 2021, stünden jetzt „ausgerechnet die Grünen auf der anderen Seite“.

Wie nachhaltig wird ein Crash zwischen Grünen und der Kli­ma­bewe­gung? Buirer für Buir, jene Initiative, die 30 Kilometer südlich so aufopfernd und erfolgreich für den Hambacher Wald kämpfte, schreiben: Lützerath bleibe Gradmesser für grüne Glaubwürdigkeit. Halt, ist nicht Antje Grothus eine der Gründerinnen von Buirer für Buir und jetzt grüne Abgeordnete in Düsseldorf? „Wirklich kein einfacher Tag für mich. Das hat mich kalt erwischt. Der endlich gesicherte Kohleausstieg 2030 ist eine gute Nachricht. Für Lützerath haben wir immer gekämpft. Die Thematik bleibt unglaublich komplex, auch für mich selbst.“

Todde Kemmerich, lange Jahre im rheinischen Braunkohlekampf aktiv und Mitglied der Aachener Gruppe Artists for Future, ist empört vor allem über die grüne Wortwahl: „Das ist kein Meilenstein für den Klimaschutz, sondern ein Einknicken vor Großkonzernen wie RWE und Co. Dass Bundes- und Landesministerien mit Rechtslagen, Genehmigungen und Realitäten argumentieren, ist kaum auszuhalten.“

„Was bleibt, ist nun, den Staub von meinem Klettergurt zu pusten und weiterzumachen“

Kathrin Henneberger, Grüne

Auch Kathrin Henneberger, die junge Mönchengladbacher Grünen-Abgeordnete im Bundestag, früher Sprecherin des Aktionsbündnisses Ende Gelände, schimpft auf RWE. Dieses sei nicht wirklich verhandlungsbereit gewesen, schreibt sie auf Twitter. Es gelte weiter, um jede Tonne nicht verbrannte Kohle zu kämpfen. Und, klar sei sie enttäuscht: „Was bleibt, ist nun, den Staub von meinem Klettergurt zu pusten und weiterzumachen“ – vor allem auch in der internationalen Klimagerechtigkeitsbewegung.

Alle Dörfer Bleiben, der Zusammenschluss der verbliebenen Garzweiler-Gemeinden, hat derweil diese Rechnung aufgemacht: 570 Millionen Tonnen Kohle sind noch unter den Dörfern, 280 Millionen sollen nun bleiben. Und der Rest von 290? Das DIW Berlin hatte kürzlich ausgerechnet, dass für eine 50-Prozent-Chance auf Erreichen der Klimaziele höchstens noch 70 Tonnen davon verfeuert werden dürfen. „Die Grünen lächeln 220 Millionen Tonnen weg“, dieser „Hinterzimmerdeal“ sei ein Bruch „der Grünen mit der Wissenschaft und damit auch mit der Klimabewegung“.

Heukamps denkmalgeschützer Hof von 1763 steht seit dem Auszug des Landwirts nicht etwa leer. Umgehend sind am Wochenende einige Menschen vom Baumhaus-Camp auf den Hinterhofwiesen eingezogen und posieren kampfeslustig und teilvermummt in den Fenstern.

Sicher ist: Es wird teuer für Land und Konzern, das Gelände menschenfrei und abrissfähig zu bekommen. Zudem haben fast zehntausend SympathisanInnen der Region unterschrieben, sich am Tag X den Baggern entgegenzustellen. „Wir machen die Räumung zum Desaster“, schreibt Ende Gelände. Michael Zobel: „Ich mache mir große Sorgen, dass das eskaliert.“