Die Ampelkoalition in der Krise: Der ohnmächtige Kanzler

Die Impfpflicht endete für Olaf Scholz in einem Desaster. Das kann sich beim 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr wiederholen. Und dann?

Olaf Scholz im Hintergrund

Erscheint eher als Chaos­kanzler, dem alles entgleitet: Olaf Scholz am Mittwoch im Kanzleramt Foto: John Maydougall/afp/dpa

Kanzler Scholz will keine schweren Waffen an Kiew liefern, Außenministerin Annalena Baerbock fordert genau das. Die Impfpflicht, die die Ampelmehrheit wollte, ist kläglich gescheitert. Es knarrt und knirscht, es rumpelt und ächzt in der Ampel. Die Zentrifugalkräfte nehmen zu, das Machtzentrum scheint gelähmt. Treuherzig, wer das noch für die üblichen Startschwierigkeiten einer neuen Regierung hält. Für die Krise gibt es einen erwartbaren Grund – und einen sehr verblüffenden.

Bestürzend, wie blindlings die SPD-Spitze in die Niederlage hineintaumelte

Wenig überraschend ist, dass die FDP der Problembär in dem Trio ist. Sie kann nur Nein sagen – zu Tempolimit, Steuererhöhungen, Impfpflicht. Die Liberalen agieren wie eine Oppositionspartei, die ein Zufall an die Macht katapuliert hat und die nun nicht weiß, was sie damit anfangen soll. Finanzminister Christian Lindner hat sich zwar zu der kreativen Buchführung durchgerungen, die nötig ist, um den klimaneutralen Umbau zu stemmen.

Aber das Schulterklopfen von SPD, Grünen und auch der Wirtschaft nutzt der FDP nichts auf dem Wählermarkt. Die Spitzen von SPD und Grünen behandeln die FDP wie einen neurotischen Jugendlichen, dem man manchmal geben muss, was er will – auch wenn es schädlicher Unfug ist. Deshalb durfte die FDP die Impfpflicht zerschießen. Deshalb bekam Lindner den Tankrabatt geschenkt, der teuer ist, SUV-Fahrer beglückt und ein Markteingriff ist, mit dem die Liberalen den Ordoliberalismus verraten.

Das Grundproblem ist: Die FDP hat kein eigenes, identitätsstiftendes Thema. Deshalb muss sie immer lauter Nein sagen. Deshalb ist mit der FDP nur betreutes Regieren möglich. Der zweite Grund für die Krise ist überraschend: Der Kanzler kann Machtpolitik nicht. Man konnte bei Scholz mit erratischen Entscheidungen oder unwirschen Ansagen rechnen. Aber kaum mit stolpernder Naivität in Machtfragen.

Das beste Angebot auf dem Markt

Scholz hatte die Impfpflicht selbstbewusst angekündigt und den Weg dorthin – ohne Fraktionszwang – gewiesen. Bestürzend war nicht nur die Niederlage, sondern auch, wie blindlings die SPD-Spitze in sie hineintaumelte. Sie hatte keine Ahnung, dass sie die Abstimmung verlieren würde. Baerbock wurde eigens vom Nato-Gipfel in den Bundestag beordert, nur um dort festzustellen, dass 80 Stimmen fehlten.

Scholz’ Strategie fußte auf dem Irrtum, dass die Union sich am Ende so verhalten würde, wie es die SPD tut – im Zweifel staatstragend und gegen das eigene Parteiinteresse. Faktisch hatte sich die SPD-Spitze somit abhängig von dem politischen Kalkül von Friedrich Merz gemacht – und schaute danach hilflos ihrem Untergang zu. Dieses Desaster kann sich bei dem 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr wiederholen.

Auch hier hat der Kanzler weitsichtig die Weichen gestellt – und braucht unbedingt eine wohlgesinnte Union. Mag sein, dass der Druck für Merz, Ja zu sagen, stärker ist als bei der Impfpflicht. Doch erst mal gab es für das 100-Milliarden-Paket im Bundesrat bei einer Testabstimmung keine Mehrheit, geschweige denn die für die Grundgesetzänderung nötige Zweidrittelmehrheit. Die Ampel ist wieder auf den guten Willen der Opposition angewiesen. Ein riskantes Spiel.

Wenn das Krisenmanagement der SPD wieder so „famos“ funktioniert wie bei der Impfpflicht, ahnt man, wie es ausgehen wird. Scholz sieht sich als Konsenskanzler, der präsidial den Überblick über das große Ganze hat. Jetzt erscheint er eher als Chaos­kanzler, dem alles entgleitet. Merkel regierte mit Macht durch Moderation, bei Scholz sieht das eher wie Ohnmacht durch Moderation aus. Machtpolitische Niederlagen sind für Scholz besonders gefährlich.

Denn er hat keine Reserven, um Erfolglosigkeit auf diesem Feld zu kompensieren. Er ist, so das Image, der Macher, der wortkarg wichtige Entscheidungen fällt. Versagt er dort, bleibt nicht viel. Wünschenswert wäre ein Ende der Ampel nicht. Sie ist auf dem Markt das beste Angebot. Ob die Linkspartei je wieder aufersteht, ist mehr als zweifelhaft. Sozialen Ausgleich, ökologischen Elan und liberale Gesellschaftspolitik kann man am ehesten von einer SPD-geführten Ampel erwarten. Macht sie so weiter, wird sie scheitern.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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