Bundestags-Sondersitzung zur Ukraine: Deutschland rüstet auf

Kanzler Scholz will nun doch Waffen in die Ukraine liefern. Zudem soll die Bundeswehr mehr Geld bekommen. Nicht alle im Bundestag finden das gut.

Ein Soldat der Bundeswehr hält ein Panzerfaust hoch

Debatte im Bundestag: Deutschland rüstet auf und liefert Waffen in die Ukraine Foto: Philipp Schulze/dpa

BERLIN taz | Zeitenwende. Gleich mehrmals redete Bundeskanzler Olaf Scholz davon, als er am Sonntag zu den Abgeordneten des Deutschen Bundestags sprach. Und tatsächlich trifft kaum ein Wort besser, was sich da gerade vollzieht: eine grundlegende Wende in der Außen- und Sicherheitspolitik.

Vor dem Hintergrund des russischen Überfalls auf die Ukraine legten die Abgeordneten am Sonntag im Bundestag die ersten Hebel um. Sie sprachen sich mehrheitlich für Waffenlieferungen an die Ukraine aus und für deutlich steigende Verteidigungsausgaben. 100 Milliarden Euro soll die Bundeswehr als Sondervermögen erhalten, kündigte Scholz an.

Das ist mehr als das Doppelte dessen, was der Haushalt des Jahres 2021 an Ausgaben für Hartz-IV-Empfänger:innen vorsieht und mehr als dreimal so viel wie für Bildung und Forschung vorgesehen ist. Zudem kündigte Scholz an, Jahr für Jahr mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in den Verteidigungshaushalt zu stecken. Aktuell entspräche das mehr als 70 Milliarden Euro. Angesetzt waren bislang 50 Milliarden. In normalen Zeiten wäre ein solcher Vorstoß als verrückt zurückgewiesen worden. Doch die Zeiten sind nicht normal.

Die Abgeordneten waren zu einer Sondersitzung zusammengekommen, viele in schwarzer Garderobe, einige in Blau-Gelb, den Farben der Ukrai­ne. Auch der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, hatte auf der Besuchertribüne Platz genommen – er wurde mit stehenden Ovationen begrüßt. Im Verlauf der Sitzung twitterte Melnyk über diesen „wahrhaft historischen Moment“: Das deutsche Parlament habe den Kampf der Ukraine für Freiheit geehrt. Man freue sich nun auf weitere politische Entscheidungen: Die Aufnahme in die EU und in die Nato.

Linke räumt Fehleinschätzung ein

Unberührt ließen die Raketenangriffe auf die ukrainischen Großstädte Kiew und Charkiw, die Bilder von Kindern und Frauen, die in Metro-Stationen Schutz suchten, keine der Abgeordneten. Dass Putin der Angreifer ist, dass der Überfall auf die Ukraine durch nichts und niemanden gerechtfertigt ist, darin herrschte weitgehend Einigkeit. Einzig die Fraktionsvorsitzende der AfD, Alice Weidel, wies dem Westen eine Mitverantwortung zu: Die Ukraine sei mit der Aussicht auf Nato-Beitritt zum Zankapfel gemacht worden, damit sei für Putin eine rote Linie überschritten worden. Eine Argumentationslinie, die lange auch von vielen Linken vertreten worden war.

Doch Linken-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali räumte am Sonntag ein, ihre Partei habe die Absichten der russischen Regierung falsch eingeschätzt. Dafür bekam sie Applaus von SPD und Grünen. Als sie jedoch verkündigte, die Linke werde weder Waffenlieferungen noch Militarisierung unterstützen, klatschten nur noch die eigenen Genoss:innen. Es war im gut gefüllten Plenarsaal ein sehr leises Klatschen.

Die Linksfraktion war von der Ankündigung des 100-Milliarden-Sondertopfes ziemlich überrumpelt worden. Das sei überraschend gekommen, sagte Parteivorsitzende Janine Wissler der taz. „Auf keinen Fall werden wir der größten Aufrüstung in der Geschichte der Bundesrepublik zustimmen.“ Auch bei den Grünen schienen den Gesichtern nach zu urteilen, viele überrascht. Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann sagte anschließend, ja man werde auch über den Verteidigungsetat reden: „Aber der Ort der Entscheidung ist hier im Parlament.“ Es klang so, als hätten die Grünen noch Diskussionsbedarf.

Unklar wie 100-Milliarden-Topf finanziert wird

Für die Union sprach Fraktionschef Friedrich Merz von einem „Scherbenhaufen in der Außen- und Sicherheitspolitik“. Da die Union 16 Jahre lang das Verteidigungsministerium geführt hatte, konnte das eigentlich nur als Selbstkritik gemeint gewesen sein. Doch die war Merz ansonsten ziemlich fremd. Kein Wort über die über Jahre gepflegte Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, nichts sagte er dazu, wie diese verringert werden kann. Wie ein Lehrmeister lobte er Scholz für dessen Regierungserklärung und stellte der Ampelregierung Unterstützung vor allem hinsichtlich der steigenden Verteidigungsausgaben in Aussicht. Aber nicht ohne Bedingungen.

Bei dem Sondervermögen handele es sich genau genommen um neue Schulden. „Wir müssen darüber reden, wie wir das in der Verfassung verankern, das machen wir aber gemeinsam“, sagte Merz. Die Union werde nicht für unangenehme Dinge den Kopf hinhalten, während die Ampel Wohltaten verteile.

In der Verfassung soll festgeschrieben werden, dass der Sondertopf für die Bundeswehr nur für Verteidigungsausgaben und zur Herstellung der Bündnisfähigkeit genutzt wird. Für eine solche Verfassungsänderung brauche die Ampelregierung die Stimmen der Union und die Zustimmung der Länder, wie Finanzminister Christian Lindner (FDP) erläuterte. Unklar ist, wie die neuen Schulden finanziert werden. An der Schuldenbremse will die FDP jedenfalls nicht rütteln: „Die Schuldenbremse gilt“, so Lindner.

Merz versetzte der neuen Einigkeit im Bundestag auch gleich noch einen weiteren Dämpfer, als er zu Putins Netzwerk auch deutsche Interessenvertreter zählte, die sich in ihrer Rolle als Stiftungsvertreter wie „nützliche Idioten“ verhalten hätten. Namen nannte er nicht, aber das war ein deutlicher Seitenhieb auf Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), die lange auf wirtschaftliche Beziehungen zu Russland gesetzt und eigens eine Stiftung „Klima- und Umweltschutz MV“ gründen ließ, deren eigentlicher Zweck die Finanzierung der Fertigstellung der Gaspipeline Nord Stream 2 war.

Bundeswehrmilliarden nicht zu Lasten Energiewende

Die ist inzwischen gestoppt. Da die Pipeline bislang nicht in Betrieb war, eher ein symbolischer Akt. Dennoch bezieht Deutschland 55 Prozent seines Erdgases aus Russland, und zwar über andere Trassen.

Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck stellte klar, dass nicht nur die Verteidigung, sondern auch die Energiepolitik eine Frage der nationalen Sicherheit sei. Daher wolle man den Ausstieg von Kohle und Gas deutlich beschleunigen.

Habeck machte ebenfalls deutlich, dass die Milliarden für die Bundeswehr nicht zu Lasten der Energiewende gehen dürften – auch dafür seien Investition nötig. Auch Habeck sprach sich für Waffenlieferungen an die Ukraine aus, schlug aber nachdenklichere Töne an: „Die Entscheidung ist richtig, ob sie gut ist, weiß niemand.“ Womöglich liefere man in Zukunft weiter Waffen für einen dauerhaften Krieg.

Währenddessen versammelten sich nicht weit vom Reichstag eine halbe Million Menschen, um gegen diesen Krieg zu demonstrieren. Ein Mädchen trug eine Tafel mit durchgestrichenen Atomwaffen. „Wir haben schon genug andere Probleme“, hatte sie dazu geschrieben. Für ihre Generation ist das Zeitalter der neuen Aufrüstung Gegenwart und Zukunft.

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