NSU-2.0-Drohschreiben: Verdächtiger festgenommen

Seit gut zwei Jahren ermittelte die Polizei erfolglos zur rechtsextremen NSU-2.0-Drohschreibenserie. Nun wurde ein 53-Jähriger in Berlin festgenommen.

Eine Demonstrantin hält ein Plakt mit der Aufschrift "Solidarität mit den Betroffenen des NSU 2.0"

Am Montag wurde ein 53-Jähriger nach Durchsuchung seiner Wohnung in Berlin festgenommen (Symbolfoto) Foto: Paul Zinken/dpa

BERLIN taz | Seit August 2018 hatte er Drohschreiben unter dem Pseudonym „NSU 2.0“ verschickt: an die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız, an die heutige Linken-Chefin Janine Wissler, die Kabarettistin Idil Baydar, taz-Autor*in Hengameh Yaghoobifarah und andere – teils versehen mit Daten aus Polizeicomputern. Nun endlich haben die Ermittler einen Tatverdächtigen. Am Montag nahmen sie in Berlin einen 53-jährigen deutschen Erwerbslosen mit. Das teilte die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main am späten Montagabend mit.

Die Wohnung des Mannes sei demnach am Montag durchsucht und der 53-Jährige aufgrund eines bestehenden Haftbefehls festgenommen worden. Er sei bereits in der Vergangenheit wegen zahlreicher rechtsmotivierter Straftaten verurteilt worden. Und: Laut Staatsanwaltschaft war er „zu keinem Zeitpunkt Bediensteter einer hessischen oder sonstigen Polizeibehörde“.

Auf die Spur des Mannes sei man durch „sehr aufwändige und zeitintensive Ermittlungen“ gekommen, so die Staatsanwaltschaft. Sichergestellte Datenträger würden nun ausgewertet. Dem Beschuldigten werden Volksverhetzung, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Bedrohung und Beleidigung vorgeworfen.

Offen bleibt, wie der Mann an die Polizeidaten kam. In den NSU-2.0-Drohschreiben an Seda Başay-Yıldız wurden ihre Adresse und der Name ihrer Tochter und Eltern genannt – diese Daten waren kurz zuvor auf dem Frankfurter 1. Polizeirevier abgerufen worden. Auch nachdem Başay-Yıldız umzog, gelang es dem Drohschreiber, an die neue Adresse von Basay-Yildiz zu kommen. Die Anwältin vertrat Nebenkläger im NSU-Prozess, in anderen Verfahren auch Islamisten.

Mehr als 115 Drohschreiben

Auch in den Schreiben an Idil Baydar und Janine Wissler wurden Daten verwendet, die zuvor von Polizeicomputern abgerufen worden waren. In anderen Fällen wurden nichtöffentliche Daten der Betroffenen aufgeführt, die anderweitig beschafft worden sein sollen.

Porträt Kabarettistin Die Kabarettistin Idil Baydar

Die Kabarettistin Idil Baydar fragt sich, wie der Verhaftete an die Polizeidaten kam Foto: Thalia Engel/dpa

Laut hessischem Innenministerium wurden insgesamt mehr als 115 Drohschreiben des „NSU 2.0“ an 32 Personen und 60 Institutionen verschickt. Zu der Serie arbeitet eine eigene Ermittlungsgruppe des LKA Hessen unter Leitung eines Sonderermittlers. Der hessische Landespolizeipräsident Udo Münch musste im Juli 2020 wegen der Affäre um die Drohmails zurücktreten.

Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) sagte: „Sollte sich der dringende Tatverdacht gegen den 53-jährigen Berliner bestätigen, ist das ein ganz herausragender Ermittlungserfolg der hessischen Strafverfolgungsbehörden.“ Dutzende unschuldige Opfer sowie die gesamte hessische Polizei könnten dann aufatmen. „Nach allem was wir heute wissen, war nie ein hessischer Polizist für die ‚NSU-2.0‘-Drohmailserie verantwortlich.“

Auf ihren Social Media Accounts stellten Betroffene wie Baydar und Yaghoobifarah aber ebenfalls die Frage, wie der Verhaftete an die Polizeidaten kam. „Dass der mutmaßliche Täter alleine gehandelt hat, ist mehr als unglaubwürdig“, sagte die Linken-Politikerin Martina Renner, die ebenfalls Drohschreiben erhielt, der taz. „Weiterhin bleibt die Frage: Wie konnten Daten aus dem Polizeiapparat in Drohmails von Neonazis landen?“ Auch Linken-Vorsitzende Janine Wissler will das beantwortet wissen: „Wie soll dieser Mann aus Berlin ohne Bezug zur Polizei an sensible Daten gekommen sein?“, sagte sie der taz. Die Staatsanwaltschaft versprach „zeitnah“ weitere Informationen.

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