Flüchtlingsstreit in Union: Es wird einsam um die Kanzlerin

Explosive Lage in der Union: Der Innenminister paktiert mit Rechtspopulisten aus dem Ausland, fordert Merkel heraus – und gewinnt Unterstützer.

Angela Merkel

Bemerkenswerter Stoizismus: Kanzlerin Angela Merkel Foto: dpa

BERLIN taz | Angela Merkel tut an diesem Mittwoch das, was sie in Krisen gern tut. Sie suggeriert Normalität. Vormittags besucht sie erst mal den Berliner Fußballverein Rot-Weiss Viktoria Mitte 08. Sie plaudert mit den Mädchen, unterschreibt auf ihren roten Trikots, lächelt beim Gruppenbild. Horst Seehofer ist weit, weit weg.

Doch nichts ist normal an diesem Tag. Der Streit zwischen ihr und dem CSU-Innenminister schwebt über allem. Darf Deutschland bestimmte Flüchtlinge an seinen Grenzen abweisen – wie es der CSU-Innenminister will? Oder sollen die Grenzen offen bleiben und europäische Lösungen gesucht werden, worauf Merkel beharrt? Diese Frage spaltet die Union. Inzwischen ist die Lage hochexplosiv. Wie ein Kompromiss aus­sehen könnte, ist völlig offen.

Selbst wichtige Unions-Strategen sind ratlos. Allen ist klar: Dieser Konflikt kann dem Image Merkels nachhaltig schaden – und im schlimmsten Fall sogar ihre Kanzlerschaft beenden. Merkel tut alles, um zu deeskalieren.

Nach der Stippvisite bei den Fußballerinnen findet der Integrationsgipfel im Kanzleramt statt, ein Termin mit hohem Symbolwert für MigrantInnen. Merkel sitzt bei der Pressekonferenz zwischen Annette Widmann-Mauz, der Flüchtlingsbeauftragten der Bundesregierung, und MigrantenvertreterInnen. Nur einer fehlt: Horst Seehofer. Er sagte ab, weil er sich durch einen Kommentar einer Journalistin beleidigt fühlte, die auch eingeladen war. Sie hatte sich darin kritisch mit der Heimatdebatte auseinandergesetzt. Merkel nennt den Kommentar „sehr prononciert“ und verteidigt das Heimatministerium. Kein böses Wort über Seehofer.

Ihr Stoizismus ist bemerkenswert. Seehofer ist nicht nur Innen-, sondern auch Verfassungsminister – und sollte den Wert einer freien Presse kennen. Dass er einen wichtigen Termin wegen eines kritischen Kommentars absagt, ist ein Armutszeugnis. Und: Die Absage kann man auch als Seitenhieb auf Merkel deuten.

Christian von Stetten (CDU)

“Bei der entscheidenden Frage, ob wir an der deutschen Grenze einzelne Personengruppen zurückweisen, wird es keinen Kompromiss geben können, da gibt es nur Ja oder Nein“

Seehofer ist weniger diplomatisch. Er treibt am Mittwoch seine Agenda gegen Merkel voran. Der Innenminister trifft Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz. In der Pressekonferenz überrascht er mit einem Vorstoß. Seehofer zeigt sich offen für eine engere Zusammenarbeit mit den rechtspopulistischen Regierungen in Österreich und Italien.

Allianz mit Rechtspopulisten

Er habe, sagt er, am Dienstag mit Italiens Innenminister Matteo Salvini telefoniert, dessen Wunsch eine Kooperation der drei Regierungen bei Sicherheit, Bekämpfung des Terrorismus und in „Kernfragen der Zuwanderung“ sei. „Ich habe das angenommen“, sagt Seehofer. Kurz, der in Wien mit der rechten FPÖ koaliert, spricht von einer „Achse der Willigen“.

Salvini ist der Chef der rechtspopulistischen Partei Lega, er gilt als fremdenfeindlicher Scharfmacher. Der Ruf seines Wiener Kollegen Herbert Kickl ist nicht viel besser. Stützt sich die deutsche Flüchtlingspolitik neuerdings auf Rechte?

Merkel bleibt bei der Pressekonferenz cool. Zwar betont sie, es gehe um eine „gesamteuropäische Lösung“. Aber Seehofers Initiative umschifft sie. Es müsse „viele Kooperationsformen“ geben, nicht nur diese eine.

Die kühle Reaktion kann nicht da­rüber hinwegtäuschen, dass Seehofers Vorgehen eine erneute Provokation ist. Damit wildert er auf Merkels Territorium. Diese hatte schließlich die Flüchtlingspolitik 2015 zur Chefinnensache gemacht, indem sie den damaligen Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) zum Flüchtlings­koordinator machte. Altmaier gehört zum liberalen Flügel der CDU.

Richtlinienkompetenz

Merkel steckt in der Klemme. Eigentlich darf sie Seehofer nicht nachgeben. Seit Jahren vertritt sie die Linie, auf offenen Grenzen innerhalb der EU zu beharren. Selbst 2015 und 2016, auf dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise, war das ihr eisernes Prinzip. Falls Deutschland dicht macht, befürchtet Merkel einen Dominoeffekt. Andere Staaten würden nachziehen. Das Schengener Abkommen, eine Säule der EU, wäre hinfällig.

Dann wäre da die Richtlinienkompetenz. Die Kanzlerin, so regelt es das Grundgesetz, kann ihre MinisterInnen in entscheidenden Fragen überstimmen. Gäbe sie Seehofer nach, wäre das eine Kapitulation.

Doch um Merkel herum ist es erstaunlich einsam. Aus der Unionsfraktion kommt die Forderung, den Streit mit einer Kampfabstimmung in der Fraktion zu klären. „Bei der entscheidenden Frage, ob wir an der deutschen Grenze einzelne Personengruppen zurückweisen, wird es keinen Kompromiss geben können, da gibt es nur Ja oder Nein“, sagte der CDU-Abgeordnete Christian von Stetten der Augsburger Allgemeinen.

Bei der Fraktionssitzung am Dienstagabend meldeten sich 13 Abgeordnete zu Wort. 11 unterstützten Seehofer, nur 2 argumentierten neutral. Für die Seehofer-Fans soll es laut ­Teilnehmern viel Applaus gegeben ­haben. Nur 5 Redner seien von der CSU gewesen, die anderen von der CDU. Bleibt die Frage, wo der liberale Flügel der CDU war. Warum verteidigte kein wichtiger Abgeordneter Merkel? Entweder hatten die Merkel-Leute die Sitzung strategisch schlecht vorbereitet – oder die Stimmung ist eher gegen sie.

Merkels Unterstützer sind überschaubar. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer keilt gegen die Bayern. Das Thema dürfe nicht für einen Landtagswahlkampf instrumentalisiert werden. Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther, Chef einer Jamaika-Koalition, wirbt für die Position der Kanzlerin. „Wenn wir Asylbewerber an den Grenzen gleich wieder zurückschicken würden, würde das ja bedeuten, dass wir an allen Grenzen wieder Kontrollen aufwendig durchführen müssten.“

Dieses Argument dürfte die CSU wenig beeindrucken. Seehofer & Co sind von solchem Pragmatismus im Moment weit entfernt.

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