taz-Umfrage zu Klima und Energiekrise: So spart Deutschland Energie
Straßen dunkler, Schwimmbäder kälter, der Osten spart weniger, aber protestiert mehr: Die taz hat alle 400 Landkreise zum Umgang mit der Energiekrise befragt.
A uch Lloyd und Charlotte spüren die Energiekrise. Den beiden Eisbären im Karlsruher Zoo wurde das Wasser abgedreht – zumindest ein Teil. Normalerweise rauscht in ihrem Gehege ein Wasserfall. Der wurde diesen Winter reduziert. Lloyd und Charlotte dürfen also nur noch sparsam duschen, wie alle anderen auch.
Seit Russland die Ukraine angegriffen hatte, war klar, dass Deutschlands Energieversorgung auf der Kippe steht. Für den Winter drohten Horrorszenarien: Blackouts, großflächige Stromausfälle, die Industrie müsse runterfahren, wir würden alle frieren. Außenministerin Baerbock warnte vor „Volksaufständen“, Rechte mobilisierten für einen „Wutwinter“.
All das ist nicht passiert. Auch, weil die Regierung gegengesteuert hat: mit Entlastungspaketen, Gas- und Strompreisbremsen, Flüssiggas-Terminals. Der Plan, der Deutschland über den Winter bringen sollte, bekam den hoffnungsvollen Namen „Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung“, kurz: EnSikuMaV. Anfang September trat die Verordnung in Kraft, Mitte April läuft sie aus. Sie sieht vor, dass öffentliche Arbeitsräume nur noch maximal 19 Grad warm sein dürfen, es zum Händewaschen in öffentlichen Gebäuden kein warmes Wasser geben darf, Denkmäler nicht mehr beleuchtet werden.
Wie kam das an? Wer hat sich daran gehalten – und wer geht längst darüber hinaus? Die taz hat zwischen November und Januar alle 400 Landkreise einschließlich der kreisfreien Städte in Deutschland befragt. 339 von ihnen haben geantwortet. Daraus ergibt sich zum ersten Mal ein Bild über die öffentlichen Energiesparbemühungen in ganz Deutschland.
Nicht alles, was die Verordnung vorschreibt, oder was beim Energiesparen möglich ist, liegt in der Verantwortung der Landkreise. Einiges regeln die Gemeinden, einige Bereiche, wie Schwimmbäder oder die Müllabfuhr, sind oft privatisiert. Dennoch zeigen die Ergebnisse unserer Umfrage Tendenzen – und ein ziemlich unaufgeregtes Bild: Die meisten Landkreise geben an, sich an die Energiesparverordnung zu halten, Widerstand scheint es selten zu geben.
In den vergangenen Monaten war es daher auf Deutschlands Straßen dunkler, Schwimmbäder waren kälter, öffentliche Einrichtungen auch. Aber: Die Tiere im Zoo haben nicht gefroren, Schüler*innen auch nicht. Im Osten wurde weniger gespart als im Westen – allerdings offenbar auch mehr protestiert. Zwar gaben deutschlandweit die meisten Landkreise an, dass die Sparmaßnahmen die Bevölkerung nicht besonders einschränken würden. 87 Prozent der Ost-Landkreise allerdings erklärten, dass dort Proteste stattfanden oder geplant waren, in Westdeutschland war das nur bei acht Prozent der Kreise der Fall.
Für Markus Zipf von der Deutschen Umwelthilfe besteht ein grundsätzliches Problem: „Klimaschutz ist keine kommunale Pflichtaufgabe.“ Dabei hätten Städte, Gemeinden und Landkreise dafür eine zentrale Bedeutung. „Vor allem bei den CO2-Einsparungen hinken wir stark hinterher“, sagt Zipf.
In der taz-Umfrage wird deutlich: In Regionen, die schon länger gegen die Klimakrise kämpfen, fielen die Einsparungen der letzten Monate leichter.
Über unsere Umfrage: Chancen und Grenzen
DIE UMFRAGE Durch eine Umfrage der taz ergibt sich zum ersten Mal ein Bild über die öffentlichen Energiesparbemühungen in ganz Deutschland.
Von November 2022 bis Januar 2023 hat die taz alle 400 Landkreise einschließlich der kreisfreien Städte zum Umgang mit der Energiekrise befragt.
339 nahmen teil, davon 281 aus Westdeutschland, 58 aus Ostdeutschland.
219 Landkreise haben die Umfrage vollständig beendet, 120 zwischendurch abgebrochen.
DIE GESAMTAUSWERTUNG finden Sie als PDF zum Download unter taz.de/Umfrage-Energiekrise
DIE ÜBERLEGUNG In einer föderalen Republik kann die Berichterstattung an Grenzen kommen. Wo sich große gesellschaftliche Tendenzen konkret vor Ort realisieren, versuchen JournalistInnen oft einen Spagat zwischen der Betrachtung des Besonderen und der Analyse des Allgemeinen. Dadurch kann der abgebildete Diskurs in Schieflage geraten: Einzelfälle schaffen es vor allem dann in die Presse, wenn sie spannend genug oder krasse Ausreißer sind. Aber viele Einzelfälle ergeben eben nie das ganze Bild. Die Auswahl der Berichterstattung bleibt eine Ressourcenfrage der Redaktion.
DIE GRENZEN Die taz hat mit der Umfrage unter allen 400 deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten zum Umgang mit der Energiekrise einen anderen Ansatz gewählt: weg vom Einzelfall, in Erwartung einer verlässlicheren Übersicht. Auch dies hat seine Grenzen: Nicht überall waren Landkreise direkt zuständig für den Bereich, den wir abgefragt haben. Mal lag die Verantwortung bei den Gemeinden, mal waren Dienstleistungen wie Müllabfuhr oder Schwimmbäder, Eisbahnen, Zoos privatisiert, sodass eine detaillierte Auskunft aus der Verwaltung ausblieb. Wir wendeten uns an die Pressestellen, sehr viele antworteten, manche nur teilweise, andere holten Informationen mühsam für uns ein.
DIE ALTERNATIVE Eine Umfrage unter allen rund 11.000 Gemeinden in Deutschland könnte ein noch feineres Bild ergeben – allerdings würde der Betreuungsaufwand die Ressourcen unserer Redaktion übersteigen. Und: Auch auf Gemeindeebene wird nicht alles verhandelt, was vor Ort wichtig ist. Das föderale System der Bundesrepublik, mit Städten, Gemeinden, Landkreisen, Bundesländern, bleibt daher eine Herausforderung für die aktuelle Berichterstattung.
DAS ERGEBNIS Für unsere Umfrage unter den Landkreisen jedenfalls können wir festhalten: Durch die Nicht-Teilnahme einzelner Kreise ist keine systematische Verzerrung zu erkennen. Vielmehr sind im Ergebnis klare Tendenzen sichtbar, wo und wie in Deutschland gespart wurde. Wir sehen ein breites Bild der Auswirkungen der Energiekrise und der Anstrengungen hinsichtlich CO2- und Energiesparmaßnahmen in ganz Deutschland.
Hier zeigen wir einen Teil der Auswertung. Unter taz.de/umfrage-energiekrise haben wir alle Ergebnisse in einem Dokument veröffentlicht.
Verkehr
An den Hauptstraßen in Emden leuchtet nur noch jede dritte Straßenlaterne. 25 Prozent Energie spart die Stadt in Niedersachsen damit, ohne großen Aufwand, wie Eduard Dinkela, Sprecher der Stadt, auf taz-Anfrage schreibt. Anders lief das offenbar in Ludwigshafen: Dort wurde die Beleuchtung zweier Hochstraßen nahe des Hauptbahnhofs abgeschaltet. Das sei ein Prozess von zwei bis drei Tagen gewesen, ergibt die Umfrage. Kabel mussten abgeklemmt, überbrückt oder umgelegt werden.
Knapp die Hälfte der Landkreise (48 Prozent) gibt an, die Straßenbeleuchtung zu reduzieren, in Umfang, Helligkeit oder Dauer. Die Angaben unterscheiden sich je nach Region: im Westen reduzieren 50 Prozent der Landkreise, im Osten nur 38 Prozent. Mehr als die Hälfte (57 Prozent) der dicht besiedelten Kreise reduziert die Beleuchtung, aber nur gut ein Viertel der dünn besiedelten (27 Prozent).
Auch Parkplätze werden deutschlandweit weniger beleuchtet, Ampeln später ein- und früher abgeschaltet. Ein Problem, das mehrere Landkreise angeben: Die Sicherheit und das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung dürfen nicht beeinträchtigt werden. Arbeits- und Schulwege sollen beleuchtet bleiben. Die Kreise wollen nicht, dass Unfälle, Vandalismus und Einbrüche durch mehr Dunkelheit zunehmen. Deutschlandweite Zahlen dazu, ob bei weniger Beleuchtung wirklich die Zahl solcher Vorfälle steigt, liegen noch nicht vor. In Emden, wo nur jede dritte Laterne leuchtet, gab es jedenfalls über den Winter nicht mehr Unfälle oder Kriminalität, sagt Sprecher Dinkela. Und: Die Akzeptanz für die Maßnahmen in der Bevölkerung sei hoch. „Die Leute finden es gut, dass wir als Kommune mit gutem Beispiel vorangehen.“
Verwaltung
In zwei Dritteln der Landkreis-Verwaltungen (66 Prozent) gibt es klare Vorgaben, wie viel Energie gespart werden soll: meist rund 20 Prozent. Im Ravensburger Landratsamt gehen jeden Abend um 20 Uhr die Lichter aus. Und die Computer, die Drucker, die Kopierer, von ganz allein. Was wenig spektakulär klingt, ist – zumindest nach den Ergebnissen unserer Umfrage – eine kleine Sensation: Der Landkreis Ravensburg schaltet in seinen Landkreisgebäuden seit Oktober automatisiert alle Geräte aus. Wer abends noch am Computer sitzt, bekommt einen Hinweis auf den Bildschirm und kann das Runterfahren verzögern.
Zwei Landkreise haben ihren kompletten Fuhrpark elektrifiziert. Einer ist Pinneberg, wo das der Kreistag schon 2016 einstimmig beschlossen hat. Im Sommer 2020 hat Pinneberg seinen Elektro-Fuhrpark an den Start gebracht, schreibt eine Sprecherin auf taz-Nachfrage. Er besteht aus 33 rein elektrischen Kleinwagen und fünf Hybrid-Fahrzeugen für lange Strecken. Geladen werden die Autos unter anderem mit Hilfe einer Photovoltaikanlage auf dem Dach des kreiseigenen Carports.
Markus Zipf von der Deutschen Umwelthilfe sieht bei der Elektrifizierung der kommunalen Fuhrparks trotzdem noch technische Grenzen, vor allem bei Schwerlastfahrzeugen, zum Beispiel Müllautos. Die seien noch selten elektrisch. Auch in Pinneberg, wo das Abfallunternehmen zur Hälfte privatisiert ist, fährt noch kein E-Müllauto. Dafür seien kleinere Transportfahrzeuge elektrifiziert, so die Sprecherin der Stadt. Die Teamleitung der Tatortreinigung fahre zum Beispiel in einem E-Auto mit Strom aus eigener Produktion.
Schwimmbäder
Es gibt 3.195 Hallenbäder in Deutschland, 325 in Ost-, 2.819 in Westdeutschland und 51 in Berlin. So hat es die Deutsche Gesellschaft für Badewesen vermerkt. In vielen Bädern (68 Prozent) gab es Einschränkungen, meist wurden die Luft- und Wassertemperatur abgesenkt, durchschnittlich um zwei Grad.
In Westbädern passierte das häufiger als im Osten. Ludwigshafen am Rhein hat damit beispielsweise allein rund 20 Prozent Energie eingespart. Außerdem wurden in vielen Bädern die Öffnungszeiten verkürzt, Warmbadetage abgeschafft, Außenbecken geschlossen oder nicht mehr beheizt. Allerdings scheint es in den Bädern wieder wärmer zu werden: Nach Medienberichten heben die ersten ihre Wasser- und Lufttemperaturen wieder an.
Schulen
Fast die Hälfte (45 Prozent) der 232 antwortenden Landkreise meldete, dass auch in ihren Schulen Energie gespart wird. 88 Landkreise machten genauere Angaben: Mancherorts blieben die Luftreiniger aus, wurden Bewegungsmelder für die Beleuchtung oder zentrale Thermostate für die Heizungssteuerung installiert.
Über zwei Drittel der uns antwortenden Landkreise gab an, die Raumtemperatur in den Schulen zu reduzieren (66 Prozent), meist auf 19 oder 20 Grad. Noch häufiger (73 Prozent) betraf dies die ungenutzten Räume oder Flure und Treppenhäuser, die meist nicht wärmer als 15 Grad oder 16 Grad waren. In einem Fall wurden Flure gar nicht beheizt. Zwei Landkreise oder Städte erklärten, nicht über 10 Grad zu heizen. Einer davon ist Regensburg: „10 Grad ist recht frisch, das merkt man schon“, sagte Sprecherin Juliane von Roenne-Styra. Eine „Beschwerdewelle“ habe es deswegen nicht gegeben.
Klimaschutz-Manager
Klimaschutz-Manager*innen sind Mitarbeitende der Verwaltung, die bessere Fahrrad-Infrastruktur anstoßen können, Projekte in der Abfallwirtschaft oder energiesparende Straßenbeleuchtung. Sie haben eine beratende Funktion auf der Ebene des Landkreises oder der Gemeinden. Seit 2008 gibt es für Klima-Management Unterstützung vom Bund. Über 1.300 Klima-Manager*innen gibt es in Deutschland, in jeder achten Kommune. Uns antworteten dazu 220 Landkreise. Auch hier ergibt sich eine regionale Tendenz: Fast alle Westkreise (96 Prozent) und drei Viertel (76 Prozent) der Ostkreise gaben an, mindestens eine*n Zuständige*n für Klimaschutz zu haben. Viele Landkreise haben diese Stelle nach 2008 eingeführt, drei Landkreise schon in den 1990ern. Stormarn in Schleswig-Holstein war am frühesten dran: Dort gibt es seit 1995 einen Klimamanager.
CO2-Bilanzen
Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den CO2-Bilanzen. In Ostdeutschland gab weniger als die Hälfte (48 Prozent) der Landkreise an, dass Kreis oder Gemeinden eine CO2-Bilanz erstellen, in Westdeutschland war dies bei vier Fünftel (80 Prozent) der Fall. Auch hier ragen acht Landkreise heraus, die sich über ihre CO2-Emissionen seit den 1990er Jahren einen Überblick verschaffen.
Die Stadt Düsseldorf hat als erste angefangen. Auf Datenbasis von 1987 sei im Jahr 1992 eine erste Energie- und CO2-Bilanz erstellt worden, erklärte eine Sprecherin. Ausgangspunkt war die erste UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992. In der Broschüre zur ersten Düsseldorfer CO2-Bilanz vom Dezember 1992 lautet der erste Satz: „Die Diskussion um die drohende Klimakatastrophe ist weltweit in Gang gekommen.“ Verstärkte Bemühungen, das Weltklima zu stabilisieren, müssten gerade „von den Metropolen der westlichen Welt mit ihren hohen Pro-Kopf-Energieverbräuchen und entsprechendem Ausstoß klimarelevanter Gase ausgehen“. Diese Sätze sind über 30 Jahre alt und doch bedrückend aktuell.
Mitarbeit: Ruth Fuentes, Adefunmi Olanigan, David Muschenich
Auch interessant: Übersicht über Klimaschutz in den Landkreisen
Wie läuft der Klimaschutz in Deutschland? Dieser Frage widmete sich die taz in einem früheren Datenprojekt. Schauen Sie in unserer Online-Anwendung auf den Informations-Karten, wie es in Ihrem Landkreis aussieht.
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