Zum Kirchentag in Nürnberg: Die Kirche hat zu viele Privilegien

Über die Evangelische Kirche ist viel Gutes zu sagen. Doch bei Lichte betrachtet gibt es für ihre Alltagsmacht keine Begründung mehr.

Glaeubige sitzen auf der Wiese mit Kerzen in der Hand

Nachtsegen bei einem vergangenen Evangelischen Kirchentag Foto: Florian Gaertner/photothek/Imago

In dieser Woche findet in Nürnberg der Evangelische Kirchentag statt, und auch wer über keinen besonderen religiösen Draht zu protestantischen Glaubensauffassungen verfügt, wird mit gutem Herzen erkennen, dass dieses Laienfest mit über 100.000 überwiegend jungen Menschen auch eine politische Botschaft hat.

„Jetzt ist die Zeit“ lautet das Motto der Tage in der fränkischen Hauptstadt. Von diesem Kirchentag sollen Signale ausgehen, auf dass die Welt, wenigstens unser Land ökologisch orientierter werden muss, dass es sozial gerechter zugehen soll und dass die Solidarität besonders mit der kriegerisch durch Russland überfallenen Ukraine nicht vergessen wird.

Ich bin mit 14 aus der Evangelischen Kirche ausgetreten. Und doch wird mir diese Veranstaltung Freude bereiten – ich kenne Kirchentage seit 1979, damals wurde er auch in Nürnberg gegeben, von mir damals auch wahrgenommen als Ort mit Nazihinterlassenschaften (Reichsparteitagsgelände and all those voodoo landscapes …), der durch dieses Event mit einer antivölkischen Agenda überschrieben werden konnte. Kirchentage sind seit mehr als 50 Jahren quasi Feste einer später Rot-Grün genannten politischen Agenda.

Es ist einfach viel Gutes über diese Kirchen, die evangelischen, zu sagen. Ohne die christlichen Gemeinden und ihre Solidarität etwa mit den Flüchtlingsbewegungen seit vielen Jahrzehnten, besonders seit 2014, hätte es keine solche energische, respektvolle und tätige Unterstützung von schutzsuchenden Menschen in Deutschland gegeben.

Trutzburgen vor den Nazimobs

Ohne die christlichen Gemeinden stünde es gerade in ostdeutschen Gegenden um den Protest wider völkische Bewegungen wesentlich schlechter. Kirchengemeinden, etwa in Sachsen-Anhalt oder Brandenburg, sind Trutzburgen vor den Nazimobs, die kaum (bis gar nicht) von der Polizei eingehegt werden. Die Kirchen dort? Eben: Schutzräume schlechthin.

Was aber nichts daran ändert, dass die Mitgliederzahlen der Kirchen, der katholischen sowieso, aber auch der evangelischen, dies zur Aussage haben: Sie werden kleiner, die Amtskirchen, sie repräsentieren nicht mehr die Mehrheit in unserem Land.

Sie sind jedoch als Institutionen in Staat und Gesellschaft mit Privilegien ausgerüstet. Und zwar mit solchen, die ihnen bei Lichte besehen kaum mehr zustehen: Sie haben exklusive Sendezeiten in den öffentlich-rechtlichen Medien, mit dem „Wort zum Sonntag“ beispielsweise. Sie sprechen, zugegebenermaßen gelegentlich inspirierend, morgens Kommentare im Radio.

Finanziell aus allgemeinen Steuermitteln gepampert

Sie verfügen außerdem über faktisch übermächtige Positionen im sozialen Bereich, über Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, auch Schulen und Kitas. Sie werden finanziell aus den allgemeinen Steuermitteln gepampert. Sie bestimmen sogar das Leben von Nicht- oder Andersgläubigen – dass Geschäfte sonntags geschlossen haben oder dass an bestimmten Feiertagen nur „gedeckte“ Musik gespielt werden darf.

Sendezeiten im Radio, geschlossene Läden an den Sonntagen – die Kirchen müssen von ihrer Alltagsmacht lassen, Jesus* wäre das nur recht

Das ist nicht mehr gerechtfertigt, auch die Protestanten können schon qua Mitgliederzahl nicht mehr diese weltliche Macht ausüben. Mögen muslimische Prediger, und zwar nicht von der Türkei bezahlte, oder jüdische Inspiratorinnen* auch Radio- und TV-Zeit haben. Möge wie in Frankreich und Großbritannien sonntags keine Kirchenruhe mehr herrschen, vielleicht wäre Zeit für Familie und Freunde zu bevorzugen, die ja gern mal wie in anderen Ländern ausgeruht shoppen gehen wollen.

Kirchen müssen von ihrer Alltagsmacht lassen, Jesus* wäre das nur recht. Gläubige können beten und feiern, was sie wollen – doch die Kirchen dürfen anderen nichts aufzwingen. Kein Amen, aber: So sei es!

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Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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