Zapfenstreich in Berlin: Eine Frage der Symbolik
Als militärisches Ritual lässt der Zapfenstreich kaum Raum für Ambivalenz. Die Kritik von Linken und Kirchen ist nicht falsch. Doch was ist die Alternative?
J etzt ist Deutschlands Afghanistan-Krieg richtig vorbei. Am Mittwoch haben ihn Bundeswehr und Politik in Berlin symbolisch noch einmal beendet. Fackeln, Märsche, Strammstehen: Mit militärischen Ritualen hat der Staat die beteiligten Soldat*innen geehrt. Fast schon rituell ist auch die dazugehörige Kritik von links, in der der Zapfenstreich als Relikt aus vordemokratischen Zeiten abgelehnt wird. Diese Kritik ist nicht falsch, wirft aber eine neue Frage auf: Was ist die Alternative?
Eine symbolische Würdigung eines solchen Einsatzes muss sein, egal, wie man ihn politisch bewertet. Die klare Mehrheit der Bundestagsparteien hat ihn beschlossen, die Bundeswehr war im Auftrag der deutschen Gesellschaft in Afghanistan. Sie hatte dort die größte Aufgabe ihrer Geschichte zu bewältigen. Die Soldat*innen haben Risiken auf sich genommen und Leid erfahren, auch wenn sie damit bei Weitem nicht die Einzigen waren.
Der Durst deutscher Soldat*innen nach Ehrerbietung wirkt oft befremdlich. Im konkreten Fall ist der Wunsch nach einer grundsätzlichen Anerkennung aber verständlich. Wichtig ist diese Anerkennung gerade auch wegen des Scheiterns des Einsatzes: Viele Soldat*innen fragen sich, wofür sie in Afghanistan eigentlich Opfer gebracht haben. Diese Sinnsuche birgt die Gefahr einer Abwendung von den demokratischen Parteien, die den Auftrag zum Krieg erteilt haben. Das Rechtsextremismusproblem der Armee könnte langfristig noch wachsen.
Das Problem am Zapfenstreich ist aber: Als militärisches Ritual lässt er kaum Raum für Diskurs und Ambivalenz. Er soll zusammenschweißen – neben Dank und Anerkennung bleibt in so einem Rahmen kaum Platz für Kritik und Selbstkritik.
Ein ziviler Festakt könnte das eher leisten. Und er würde den Soldat*innen vielleicht auch mehr von dem öffentlichen Interesse bescheren, das sie sich wünschen. Für die postmilitärische Gesellschaft wäre der Zugang zumindest leichter als zu einem Fackelmarsch, den sie am Ende doch eher als Kuriosum wahrnimmt – selbst wenn er vor dem Bundestag stattfindet und live in der ARD läuft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland