AfD und CDU: Der Kulturkampf hat das höchste Gericht erreicht
Der Bundestag hat Frauke Brosius-Gersdorf nicht zur Verfassungsrichterin gewählt. Es ist ein Erfolg der Rechten. Ganz vorne dabei: die Union.

F rauke Brosius-Gersdorf ist am Freitag nicht vom Bundestag zur Verfassungsrichterin gewählt worden – ebenso wenig wie die anderen beiden von Union und SPD vorgeschlagenen Kandidat*innen. Formal begründet die Union das mit Plagiatsvorwürfen, die erst aufgeklärt werden müssten. Doch diese scheinen nur vorgeschoben: Es tobt ein Kulturkampf von ganz rechts – und die Union hat sich zur Erfüllungsgehilfin gemacht.
Schon seit Tagen brodelte es in der Unionsfraktion. Die Spitzen von SPD und Union hatten sich auf die Kandidat*innen verständigt. Doch die Abgeordneten verweigerten Jens Spahn und Friedrich Merz die Gefolgschaft. Der Grund: Brosius-Gersdorf war Mitglied der Kommission, die in der vergangenen Legislatur eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts angemahnt hatte.
Seit ihre Kandidatur bekannt wurde, läuft eine Kampagne organisierter Abtreibungsgegner*innen gegen die Juristin. Massenweise E-Mails fluteten die Posteingänge von Bundestagsabgeordneten, Unterschriften wurden gesammelt, eine Welle aufgebaut. Während die Union am Freitag im Bundestag daran arbeitete, die Wahl von Brosius-Gersdorf zu verhindern, demonstrierten vor dem Gebäude Abtreibungsgegner*innen mit Plakaten.
Auch die AfD mischte kräftig mit. Die in der Szene der Abtreibungsgegener*innen seit Jahren umtriebige Beatrix von Storch attackierte den Kanzler im Plenum und verbreitet nun, die Juristin sei für „straffreie Abtreibung bis zum 9. Monat“ – eine Position, die Brosius-Gersdorf überhaupt nicht vertritt, mit der sich aber prima Stimmung machen lässt – gegen die Juristin, aber auch ganz allgemein gegen Frauen und ihr Recht auf Selbstbestimmung.

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.
Der Angriff auf reproduktive Rechte, auf das Recht von Frauen, über ihren Körper und letztlich ihr Leben selbst zu bestimmen, ist zentrales Element rechter bis rechtsextremer Ideologie. Für die einen vermischt er sich mit christlichem Fundamentalismus, für die anderen mit rassistischen Ideen eines vermeintlich homogenen Volkskörpers. Ihnen allen gemein ist die reaktionäre und patriarchale Idee einer vermeintlich natürlichen, zweigeschlechtlichen Ordnung – in der die Frau dem Mann ganz klar untergeordnet ist.
Unionsspitze hat ihre Leute nicht im Griff
All das wäre gruselig, aber nicht weiter gefährlich – wenn die Union dem etwas entgegengesetzt hätte, statt es in Politik umzusetzen. Wenn sie im Sinne ihrer Koalition gehandelt und die Kandidatinnen der SPD gewählt hätte. Aber, und das wurde nun deutlich: Die Unionsspitze hat ihre Abgeordneten nicht im Griff, der Kulturkampf reicht bis weit in ihre Mitte.
In der Sache ist diese Polarisierung überhaupt nicht gerechtfertigt. 80 Prozent der Menschen in Deutschland befürworten ein Ende des Abtreibungsverbots in Deutschland. Selbst unter Katholik*innen sind es 65 Prozent. Umso wichtiger ist es für rechte Kräfte, die Posten von Richter*innen in ihrem Sinne zu besetzen: Um Liberalisierungen von oben zu verhindern oder gar Verschärfungen zu forcieren.
In Deutschland hat die Union dafür gesorgt, dass die Wahl gleich dreier Verfassungsrichter*innen wegen der Hetze gegen eine von ihnen zunächst verschoben wurde – dass Brosius-Gersdorf noch gewählt wird, ist nach diesem Eklat unwahrscheinlich.
CDU und CSU haben damit nicht nur alle drei Kandidati*innen, sondern auch das Verfassungsgericht beschädigt. In Ländern wie Polen und den USA kann man eindrücklich beobachten, wohin solche rechten Angriffe auf die Justiz führen – und welch weitreichende Folgen für die Demokratie das weit über das Thema Schwangerschaftsabbrüche hinaus haben kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahl der Bundesverfassungsrichter:innen
Spahns miese Tricks
Streit über Verfassungsrichter*innen
Bundestag verschiebt die Wahl
Kompromisse in der Politik
Aufeinander zugehen heißt zu oft Rechtsruck
Kruzifixe in bayrischen Schulen
Das Kruzifix ist ein Eingriff in die Freiheit
Nahostkonflikt
USA sanktionieren UN-Sonderberichterstatterin Albanese
Inhaftierte Aktivist*in in Ungarn
„Herr Wadephul muss Maja T. zurück nach Hause holen“