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AfD und CDUDer Kulturkampf hat das höchste Gericht erreicht

Dinah Riese
Kommentar von Dinah Riese

Der Bundestag hat Frauke Brosius-Gersdorf nicht zur Verfassungsrichterin gewählt. Es ist ein Erfolg der Rechten. Ganz vorne dabei: die Union.

Ihre Wahl wurde von rechten Kul­tur­kämp­fe­r*in­nen und ihren Erfüllungsgehilfen, namentlich Merz, Spahn und die CDU/CSU, sabotiert: Frauke Brosius-Gersdorf Foto: teutopress GmbH/imago

F rauke Brosius-Gersdorf ist am Freitag nicht vom Bundestag zur Verfassungsrichterin gewählt worden – ebenso wenig wie die anderen beiden von Union und SPD vorgeschlagenen Kandidat*innen. Formal begründet die Union das mit Plagiatsvorwürfen, die erst aufgeklärt werden müssten. Doch diese scheinen nur vorgeschoben: Es tobt ein Kulturkampf von ganz rechts – und die Union hat sich zur Erfüllungsgehilfin gemacht.

Schon seit Tagen brodelte es in der Unionsfraktion. Die Spitzen von SPD und Union hatten sich auf die Kan­di­da­t*in­nen verständigt. Doch die Abgeordneten verweigerten Jens Spahn und Friedrich Merz die Gefolgschaft. Der Grund: Brosius-Gersdorf war Mitglied der Kommission, die in der vergangenen Legislatur eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts angemahnt hatte.

Seit ihre Kandidatur bekannt wurde, läuft eine Kampagne organisierter Ab­trei­bungs­geg­ne­r*in­nen gegen die Juristin. Massenweise E-Mails fluteten die Posteingänge von Bundestagsabgeordneten, Unterschriften wurden gesammelt, eine Welle aufgebaut. Während die Union am Freitag im Bundestag daran arbeitete, die Wahl von Brosius-Gersdorf zu verhindern, demonstrierten vor dem Gebäude Ab­trei­bungs­geg­ne­r*in­nen mit Plakaten.

Auch die AfD mischte kräftig mit. Die in der Szene der Ab­trei­bungs­ge­ge­ne­r*in­nen seit Jahren umtriebige Beatrix von Storch attackierte den Kanzler im Plenum und verbreitet nun, die Juristin sei für „straffreie Abtreibung bis zum 9. Monat“ – eine Position, die Brosius-Gersdorf überhaupt nicht vertritt, mit der sich aber prima Stimmung machen lässt – gegen die Juristin, aber auch ganz allgemein gegen Frauen und ihr Recht auf Selbstbestimmung.

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Der Angriff auf reproduktive Rechte, auf das Recht von Frauen, über ihren Körper und letztlich ihr Leben selbst zu bestimmen, ist zentrales Element rechter bis rechtsextremer Ideologie. Für die einen vermischt er sich mit christlichem Fundamentalismus, für die anderen mit rassistischen Ideen eines vermeintlich homogenen Volkskörpers. Ihnen allen gemein ist die reaktionäre und patriarchale Idee einer vermeintlich natürlichen, zweigeschlechtlichen Ordnung – in der die Frau dem Mann ganz klar untergeordnet ist.

Unionsspitze hat ihre Leute nicht im Griff

All das wäre gruselig, aber nicht weiter gefährlich – wenn die Union dem etwas entgegengesetzt hätte, statt es in Politik umzusetzen. Wenn sie im Sinne ihrer Koalition gehandelt und die Kandidatinnen der SPD gewählt hätte. Aber, und das wurde nun deutlich: Die Unionsspitze hat ihre Abgeordneten nicht im Griff, der Kulturkampf reicht bis weit in ihre Mitte.

In der Sache ist diese Polarisierung überhaupt nicht gerechtfertigt. 80 Prozent der Menschen in Deutschland befürworten ein Ende des Abtreibungsverbots in Deutschland. Selbst unter Ka­tho­li­k*in­nen sind es 65 Prozent. Umso wichtiger ist es für rechte Kräfte, die Posten von Rich­te­r*in­nen in ihrem Sinne zu besetzen: Um Liberalisierungen von oben zu verhindern oder gar Verschärfungen zu forcieren.

In Deutschland hat die Union dafür gesorgt, dass die Wahl gleich dreier Ver­fas­sungs­rich­te­r*in­nen wegen der Hetze gegen eine von ihnen zunächst verschoben wurde – dass Brosius-Gersdorf noch gewählt wird, ist nach diesem Eklat unwahrscheinlich.

CDU und CSU haben damit nicht nur alle drei Kandidati*innen, sondern auch das Verfassungsgericht beschädigt. In Ländern wie Polen und den USA kann man eindrücklich beobachten, wohin solche rechten Angriffe auf die Justiz führen – und welch weitreichende Folgen für die Demokratie das weit über das Thema Schwangerschaftsabbrüche hinaus haben kann.

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Dinah Riese
Ressortleiterin Inland
leitet das Inlandsressort der taz. Davor war sie dort seit Oktober 2018 Redakteurin für Migration und Integration und davor von 2016-17 Volontärin der taz Panter Stiftung. Für ihre Recherche und Berichterstattung zum sogenannten Werbeverbot für Abtreibungen, Paragraf 219a StGB, wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Im März 2022 erschien von Gesine Agena, Patricia Hecht und ihr das Buch "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.
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11 Kommentare

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  • "CDU und CSU haben damit nicht nur alle drei Kandidati*innen, sondern auch das Verfassungsgericht beschädigt. In Ländern wie Polen und den USA kann man eindrücklich beobachten, wohin solche rechten Angriffe auf die Justiz führen"



    In den USA war das Problem, dass die politische Rechte über Jahrzehnte systematisch den Supreme Court mit Richtern besetzt hat, deren persönliche Ansicht zur Verfassungsmäßigkeit von Abtreibungen und einem "Abtreibungsrecht" von lange etablierten Standards der dortigen Rechtsprechung abweicht, was zu einer fundamentalen Neubewertung dieser Frage führte.

    Jetzt ist ein Versuch vorerst gescheitert, das Bundesverfassungsgericht mit einer Richterin zu besetzen, deren persönliche Ansicht zur Verfassungsmäßigkeit von Abtreibungen und einem "Abtreibungsrecht" von lange etablierten Standards der hiesigen Rechtsprechung abweicht, was zu einer fundamentalen Neubewertung dieser Frage führen soll.

    Frau Riese hat Recht, der Kulturkampf hat das Oberste Gericht erreicht. Nur halt eben nicht so, wie sie es darstellt. Wenn man den Kulturkampf aus dem Gericht halten will, sollte man Kandidat*innen benennen, die diesen nicht selbst verkörpern.

  • Kulturkampf in allen Ehren, aber diese ganze Aufwallung der Rechten scheint eher ein strategischer Move. Die Kandidatin für das Amt hat sich zum AfD-Verbot geäussert und zwar auf eine Weise, die der Union, die zumindest in Teilen (Spahn und co) sich diese Option nicht nehmen lassen will, nicht passt. Daraufhin aktiviert man seine ganzen nützlichen ähm Helfer und zieht die Lebensschützerkampagne durch... Merz hat offenbar nicht mitgekriegt, dass er in Augen grosser Teile (der AfD-nahen) Union eine Überbrückungsfigur gilt bis zu der Zeit ist, da die rechte Front steht. Was dem im Weg steht, räumt Spahn ab, selbst um den Preis Merz und die Koalition zu beschädigen...

  • Der Angriff auf reproduktive Rechte, auf das Recht von Frauen, über ihren Körper und letztlich ihr Leben selbst zu bestimmen, ist zentrales Element rechter bis rechtsextremer Ideologie.

    Es sind aber bei Schwangerschaftsabbrüchen mindestens zwei Körper mit jeweils eigenen gesetzlichen Rechten unmittelbar betroffen.



    Dadurch entsteht leider manchmal ein Interessenkonflikt, sodass der Staat die jeweiligen Interessen schützen muß.



    Laut Bundesverfassungsgericht hat der Staat aus Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetzes heraus die Pflicht , ungeborenes Leben zuschützen.



    Menschenwürde komme schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu.

    • @drafi:

      "Menschenwürde komme schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu."

      Das ist relativ unstrittig. Strittig ist hingegen, ab welchem Stadium man von "ungeborenem menschlichen Leben" ausgehen *sollte*. Zwischen befruchteter Eizelle oder einem Zellhaufen und einem *Kind* zwei Wochen vor der Geburt ist eine weite Spanne. Ihr Einwurf gilt erstmal einem Gemeinplatz und versucht durch Umgehen der eigentlichen Frage etwas zu bewirken.

  • Wenn man ehrlich ist, führen diesen "Kulturkampf" alle Seiten herzhaft, fundamental, kompromisslos, und er wird schnell laut und schrill.



    Was die kirchliche Seite betrifft, vertritt die kath. Kirche eine andere Auffassung über den Beginn menschlichen Lebens als die Befürworter des unbeschränkten Rechts auf Abtreibung. Diese Auffassung geht einher mit der Abwägung des Lebensschutzes sowohl des ungeborenen Lebens als auch des Lebens der Mutter.



    Auch die EKG hat dazu in 2024 folgendermaßen Stellung genommen: "Im Fall eines Schwangerschaftskonflikts ist die Schwangere mit unvereinbaren Ansprüchen konfrontiert: Dem Anspruch des ungeborenen Lebens, zur Welt gebracht zu werden, stehen die Ansprüche und Verpflichtungen, die die eigene Lebensführung an sie stellt, gegenüber. Die evangelische Kirche erkennt diesen ethischen Konflikt als unauflösbar an."



    Da die Frage eine ethische Grenzfrage ist und naturwissenschaftlich nicht eindeutig geklärt werden kann, muss die Gesellschaft dort einen Ausgleich finden.



    Art. 1 des GG darf und kann nicht einer Mehrheitsentscheidung unterworfen werden. Deshalb hat das BVerfG dazu eine Kompromissformel gefunden, die den gesell. Frieden auch gewahrt hatte.

    • @Vigoleis:

      Korrektur: Es muss "EKD" heißen.

  • Vielen Dank für Ihren Artikel. Es hat mir die Tragweite dieses Vorgangs sehr eindrücklich aufgezeigt. Auch die Parallelen zur USA sind (mal wieder) sehr interessant.

    Es reiht sich ein ... am ersten Tag werden die Grenzen geschlossen, wir haben einen Migrations-Notstand, Gerichtsentscheidungen die nicht passen sind Einzelfälle, alles mit LGBTQ+-Bezug hat in staatlichen Strukturen nichts zu suchen, NGO's sind staatsfinanzierte Linke, humanitäre Hilfe sind sinnlose Gender-Ausgaben die zu kürzen sind, Klimaschutz ist sinnlos, Angriffe auf Länder sind notwendige Drecksarbeit, jetzt Abtreibung und überpolitisierte Personalentscheidungen für Richter:innenposten. Wahrscheinlich ließe sich die Liste lange weiterführen.

    Die Frage ist was kommt als nächstes über den Ozean? Bücherverbote? Ein deutsches ICE? Vielleicht schenkt uns die USA die alte Air Force One?

  • "Am Freitagvormittag geht eine vergnügte Alice Weidel durch den Bundestag. Die AfD-Chefin frohlockt:



    Hach, ist das schön."

    Wie unintelligent darf man als CDU-Abgeordneter eigentlich sein? Die Häme der AFD war doch vorhersehbar. Und die Linke hat sich im Gesamtgemenge dieser Angelegenheit auch nicht mit Ruhm bekleckert.





    Alice Weidel, AfD

  • Was ist denn nun dran an den Vorwürfen? Es kursieren ja durchaus überzeugende Bilder, nur ist unklar wer von wem abgeschrieben haben könnte. Natürlich immer praktisch so was in der Hinterhand zu haben, wenn jemand politisch unliebsames gewählt werden soll…



    Und das die Partei nicht macht, was die Spitze ihr diktiert, wo kommen wir dahin, wenn die wichtigste Kontrollinstanz demokratisch gewählt wird.



    Einflussnahme von irgendwelchen undurchsichtigen Organisationen, die ihre Agenda pushen? Zivilgesellschaft par excellence, die Wirtschaft darf‘s doch auch.

  • Seid neusten tritt die CDU bei der gesellschaftlichen Veränderungen nicht nur auf die Bremse, jetzt gibts auch wieder die Rolle rückwärts.

    Wenn die vermeindlichen Christen soweiter machen, dann diskutieren wir bald wieder darüber ob Vergewaltigung in der Ehe weiterhin strafbar bleiben sollte

    "Die Unionsspitze hat ihre Abgeordneten nicht im Griff, der Kulturkampf reicht bis weit in ihre Mitte." Wenn man an dieses Schmierentheater mit der Regenboogenflagge denkt, hat auch die CDU Spitze ihr Hinterwädlertum nicht im Griff.

    "In der Sache ist diese Polarisierung überhaupt nicht gerechtfertigt. 80 Prozent der Menschen in Deutschland befürworten ein Ende des Abtreibungsverbots in Deutschland. Selbst unter Ka­tho­li­k*in­nen sind es 65 Prozent." Für eine selbsternannte Volkspartei wäre die Aufgabe also ganz klar, seid wann nimmt die CDU auch schon Rücksicht auf gesellschaftliche Minderheiten ... scheinbar nur wenns sie ins rückwärtsgerichtete Weltbild passen.

  • "CDU und CSU haben damit nicht nur alle drei Kandidati*innen, sondern auch das Verfassungsgericht beschädigt"

    Kann man auch komplett andersrum sehen. Obwohl es keine Paus-Kommission ist, hat die SPD mehrfach auf ihrer Kandidatin bestanden.

    Selber schuld liebe SPD.