Umgangston im Spitzensport: „Jetzt halt die Fresse!“
Hockeybundestrainer Valentin Altenburg blafft in einer Auszeit eine Spielerin an. War das eine Grenzüberschreitung?
!["Jetzt reiß dich zusammen": Bundestrainer Valentin Altenburg mit klarer Ansage. "Jetzt reiß dich zusammen": Bundestrainer Valentin Altenburg mit klarer Ansage.](/picture/7154388/624/35977435-1.jpeg)
„Jetzt reiß dich zusammen“: Bundestrainer Valentin Altenburg mit klarer Ansage Foto: Federico Gambarini/dpa
Der Zuschauer rückt den Sportlern dicht auf den Pelz. Kameras halten das Geschehen aus allen Winkeln fest, Mikrofone schneiden mit, was gesprochen wird auf den Plätzen. Im US-Sport dürfen Journalisten sogar die Umkleide betreten. Sportler und Trainer haben sich mit der Distanzlosigkeit, die gern als Nahbarkeit verkauft wird, abgefunden. Es geht zum Beispiel in den Auszeiten überraschend nüchtern und zielorientiert zu.
Nur selten sind die Momente, in denen die Darsteller trotz zudringlicher Medien die Nerven verlieren: Man erinnert sich an den Basketballbundestrainer Gordon Herbert, der Dennis Schröder harsch zurechtwies. Nun wird über eine Szene aus dem Hockey der Frauen diskutiert.
„Anne, jetzt halt die Fresse und komm her“, fauchte Bundestrainer Valentin Altenburg in einer Auszeit nach dem ersten Viertel im Spiel gegen Frankreich, eine Partie, die das deutsche Team mit 5:1 gewann. „Das nervt mich, deine Körpersprache. Das ist genau das, was ich vor dem Spiel gesagt habe. Das ist schlecht von dir. Meine Güte. Jetzt reiß dich zusammen.“
Starker Tobak
In diesem Moment, der von der ARD eins zu eins in die Wohnzimmer transportiert wurde, horchten nicht nur die Experten für Mikroaggression und verbale Übergriffigkeiten im Lande auf, nein, das war so oder so starker Tobak. Was ist da los bei den Hockeyspielerinnen, fragte man sich. Ist dieser Altenburg ein autoritärer Knochen der alten Schule? Muss sich der Deutsche Olympische Sport-Bund einschalten wegen der Gefährdung des Sportlerinnenwohls? Und warum die Aufregung, wo das Hockeyteam doch so souverän aufspielte?
Nun, im Teamsport geht es mitunter robust zu. Der Trainer macht Ansagen, die im Arbeitsumfeld aus guten Gründen verpönt (und sanktionswürdig) wären. Im Sport gelten aber offenbar immer noch andere Maßstäbe. Sie kommen weiterhin zur Anwendung, weil, wie gesagt wird, sich das Blaffen und Bölken bewährt habe und schon immer so gesprochen worden ist. Das sei pragmatisch und bringe Disziplin in die Truppe.
Und dies scheint nun am Tag nach dem Vorfall auch die gescholtene Anne Schröder verstanden zu haben. Sie bagatellisiert die Szene: „Er hatte das Gefühl“, erklärt Schröder, „dass ich meine Schultern habe hängen lassen, und dann habe ich halt eine kurze Ansage gekriegt. Ist auch okay.“ Und weiter: „Ich kenne Vali super lang, wir haben ein sehr, sehr enges Vertrauensverhältnis, dementsprechend nehmen wir uns das gegenseitig nicht übel.“
Auch Altenburg versicherte, „es sei nichts auszuräumen“ – schon gar nicht mit Schröder, die sein „verlängertes Herz auf der Wiese“ sei. Aber selbst wenn das stimmt und man den kumpelhaft-deftigen Austausch ritualisiert hat: Muss das wirklich sein?
Leser*innenkommentare
Samvim
"Muss das wirklich sein?" - Geht die tazzis das wirklich was an?
Müller Christian
Gottes Willen. Die beiden haben kein Problem damit, die meisten Zuschauer auch nicht. Wie oft wir uns in meiner Fußballgruppe vollmeckern, und danach wird zusammen herzhaft darüber gelacht und gut ist.
Heideblüte
Mikroaggressionen? Ich habe den Eindruck, dass nicht wenige noch nie Mannschaftssport betrieben haben, weder als Spielerin noch als Trainerin.
Manchmal ist der Ton für Unbeteiligte sicher nicht schön und wäre im Alltag manchmal grenzwertig - aber auf dem Platz, solange nicht herabgewürdigt wird ist das nicht tragisch, denn in 99,9% der Fälle ist das Ganze bei den Beteiligten nach dem Spiel sofort vergessen.
Auch wenn es doof klingt: manchmal ist das Leben kein Streichelzoo!
hierbamala
@Heideblüte Danke, ja!
Und ob der Streichelzoo für die Gestreichelten so fein ist...
Martin Rees
Lieber Herr Völker, Sie sitzen als Pressemitglied bestimmt immer unter sprachlich versierten KollegInnen im erlauchten Pressebereich, aber setzen Sie sich mal beispielsweise im Profi-Fußball inkognito hinter die Trainerbank.
Wenn das Adrenalin kocht, kommen komische Szenen zustande, das ist wie Comedy, kaum bezahlbar.
Auch Herr Tuchel sprach in Dortmund nicht französisch, sondern Tacheles.
Herr Assauer ist mir besonders in Erinnerung geblieben, trotz Gestik mit Kampfansage im Westfalenstadion souverän.
Christian Götz
Ja, er misshandelt mich, aber er liebt mich doch. Das sagt er mir immer wieder. Ich bin ja quasi sein Herz auf dem Platz.
Echt lustig und Daumen hoch?
Oder vielleicht doch etwas mehr Fantasie und Mühe für kurze, effektive Ansprachen, ohne Beleidigungen?
Dr. McSchreck
Das kommt mir vor wie die Oma, die fremden Leuten in der Bahn ungefragt Erziehungstipps gibt, vielleicht auch "Beziehungstipps"?
FancyBeard
Meine Position dazu ist, dass das nach dem Turnier diskutiert werden sollte (wenn das Verhalten des Trainers ein Problem für die Spielerinnen ist). Beim Turnier geht sonst Energie und Fokus verloren. Hinterher muss aber alles auf den Tisch, selbst bei Erfolg, denn der ist flüchtig.
poesietotal
Ja, das war eine klare Grenzüberschreitung!!! "halt die Fresse" ist eindeutig eine respektlose Verletzung. Umso schlimmer, wenn sich Trainer und Spielerin darauf 'geeinigt' haben, es sei eine zu vernachlässigende Bagatelle. Es ist keinesfalls eine Privatsache, was auf öffentlichen, olympischen Plätzen geschieht,sondern hat Vorbildcharakter für alle Sportler.
Leider hat dieser Vorfall mein Misstrauen bestärkt, dass hinter den Kulissen mehr von dieser Art Missbrauch geschieht nach dem Motto : ohne Fleiß und schmerzvollen Schweiß kein Preis. Kein Pluspunkt für den Leistungssport. Widerspricht vollkommen des olympischen sportlichen Geist.
sehr schade und absolut unangemessen.
Strolch
Ja, das muss sein, weil Zeit knapp ist und Sätze wie
„Liebste Anne, Du weisst, dass ich Dich respektiere, Deinen Stil schätze und für eine ausgesprochen gute Sportlerin halte. Ich würde gerne über Deine Körperhaltung sprechen - Du darfst dazu natürlich auch gerne was sagen, damit wir eine Lösung finden, die für Dich und das Team perfekt ist. Dafür wäre es total toll von Dir, wenn Du Deine eigene kommunikativen Bemühungen kurz einstellen könntest, damit wir reden können.“
einfach zu lang sind.
Michas World
@Strolch Treffend auf den Punkt gebracht.
Trabantus
@Strolch Punkt.
Vigoleis
@Strolch Exakt.
Ja, das muss wirklich sein. Dort an diesem Ort. In diesem Moment.
Opossum
@Strolch es gibt aber auch andere Ansagen für professionelle Trainer als halt die Fresse das muss nicht sein
HaKaU
@Strolch 👍😊
Kerstin Gehlkopf
@HaKaU genau so ist das im teamsport .
HanM
@Strolch Stimmt. „Anne, Konzentration! Fokus!“ wäre auch viel zu lang gewesen.
doofi
@Strolch nice. !!!
Janix
Das müssen wohl genau die zwei selbst entscheiden. Ist die Wertschätzung nach ihrer beider Gefühl da und drückt sie sich nur dermaßen rustikal in der Wettkampfzone aus, dann wäre das so.
Im Training wird man erklärender, im Wettkampf jedoch wird es direktiver, direkter, um auch im Adrenalinzustand durchzukommen und den Impuls zu setzen.
Kann so, kann so sein.
insLot
Ohne den Gesamtkontext und Kenntnis der zwischenmenschlichen Verhältnisse ist jede Bewertung des Vorgangs durch Dritte doch Blödsinn.
Wer nichts einstecken kann, hat im Spitzensport nichts verloren.
Der oder die macht dann einfach nach Bundesjugendspielen ohne Siegerurkunden einfach nix und gut ist!
Ahnungsloser
Um die Frage zu beantworten: Ja, muss sein
Šarru-kīnu
Experten für Mikroaggressionen sollten Sportvereine generell eher meiden.