Übergewinnsteuer und die FDP: Hermetisch abgeriegelte Sekte
Die Kriegsfolgen verschärfen die soziale Ungleichheit im Land. Aber eine Verteilungsdebatte wird mit der Ampel nicht zu machen sein – wegen der FDP.
U nerwartete Worte von der FDP: „Das Recht auf freie Verfügung des Einzelnen über sein Eigentum und auf seinen persönlichen oder beruflichen Gebrauch muss … da seine Grenze finden, wo dies zu unangemessenen und unverhältnismäßigen Einschränkungen der Freiheit anderer oder zu einer Beeinträchtigung des Wohles der Allgemeinheit führt.“
Das könnte eine ziemlich treffende aktuelle Analyse sein: Reiche, die ihr Kapital in Fonds sogenannter Vermögensverwalter wie Blackrock anlegen, freuen sich derzeit über immens steigende Aktienkurse und hohe Ausschüttungen. Denn Blackrock und Co. halten große Anteile an Ölkonzernen wie Shell und BP, die derzeit noch höhere Gewinne als sonst einfahren. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die nicht nur unter steigenden Energiepreisen zu leiden haben: Menschen, die vor dem Krieg höchstens eine Null am Monatsende auf dem Konto stehen hatten und jetzt noch weniger.
Nein, natürlich ist das Zitat schon über 50 Jahre alt; es stammt aus den Freiburger Thesen von 1971, dem damaligen linksliberalen Grundsatzprogramm der Partei. Es war die Zeit, als FDP-Vordenker Ralf Dahrendorf (einer seiner Buchtitel: „Soziale Klassen und Klassengesellschaft in der Industriegesellschaft“) mit Rudi Dutschke am Rand eines Parteitags diskutierte und in der FDP der Begriff Freiheit mehr als seine hyperindividuelle Vulgärform bedeutete.
Heute ist die FDP die Lindner-FDP. Damit ist sie natürlich gegen eine derzeit diskutierte Übergewinnsteuer, die kriegsbedingte Gewinne von Ölunternehmen abschöpfen könnte, um Entlastungen für diejenigen zu finanzieren, die es nötig haben. Nebenbei: Lindners Argument, dass das Steuerrecht Gewinne gleichbehandeln muss, stimmt nicht – Unternehmen müssen zusätzlich Gewerbesteuer zahlen, Einzelpersonen nicht, und der Bundestag hat bei Steuern einen sehr weiten Gestaltungsspielraum. Sondersteuern müssen, das ist die Bedingung, „sachlich begründet“ sein, wie es in der Fachsprache heißt.
Mit Wucht ist durch den Krieg die Koalition mit der Umverteilungsfrage konfrontiert, aber sie ist wegen der FDP blockiert (wichtige Teile von SPD und Grüne können sich die Übergewinnsteuer vorstellen). Christian Lindner muss seine Klientel bei Laune halten. Das sind keineswegs nur die klischeehaften Porschefahrer. Es sind, so zeigen Wahlanalysen, überdurchschnittlich häufig junge Männer, die an den Börsenkapitalismus glauben: jene, die auf Lindners Aktienrente hoffen und ihr Aktiendepot schnell umschichten, wenn woanders gerade Gewinne locken.
Über die Widersprüche der FDP-Mantras kann man mit ihnen gar nicht erst diskutieren: Dass in diesem Land Reichtum allermeistens nicht durch Leistung entsteht (angeblich ein FDP-Wert), sondern durch Spekulation an der Börse oder durch Erbschaften. Dass Steuern nicht etwas Böses sind, sondern der Staat durch sie Krisen wie die Coronapandemie, die Klimaerhitzung oder eben Kriegsfolgen besser bewältigen kann.
Sinnlos ist in diesem Milieu die zaghafte Frage, ob die Gewinner der Krise nicht auch an den Kosten beteiligt werden sollten. Lindners Jünger sind die Kinder der neoliberalen Revolution, die seit den achtziger Jahren in die Gesellschaft eingesickert ist.
Geburtsfehler der Ampel
Die FDP ist eine intellektuell verkümmerte, soziologisch verengte Partei, eine hermetisch abgeriegelte Sekte mit einem Anführer an der Spitze, der seine hehren marktwirtschaftlichen Prinzipien nur dann umwirft, wenn es populistisch nützlich ist, wie etwa beim Tankrabatt.
Der Steuerstreit zeigt einen zentralen Geburtsfehler der Ampel: Diese Koalition kann Cannabis legalisieren und mehr Windräder aufstellen. Sogar ein höherer Mindestlohn ist möglich, weil die FDP weiß, dass er nur ein Trostpflaster für die Marginalisierten ist und die verteilungspolitische Machtfrage nicht stellt. Aber eine echte Verteilungsdebatte, die mehr umfasst als eine Übergewinnsteuer, wird mit dieser Koalition nicht zu machen sein.
Lindner sagte nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen 2017 bekanntlich: Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren. Heute scheint es umgekehrt zu sein: Es ist besser, falsch zu regieren, als gar nicht zu regieren.
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