Tierfreie Landwirtschaft: Ohne Mist
Beim Pflanzenanbau werden tierische Produkte zum Düngen genutzt. Acht Antworten, wie eine tierfreie Landwirtschaft funktionieren könnte.
Warum braucht man für den Anbau von Gemüse, Obst und Getreide überhaupt Tiere?
Damit Getreide, Obstbäume und Gemüsepflanzen gut gedeihen, müssen sie mit Nährstoffen wie Stickstoff, Kalium und Phosphor versorgt sein. Das geht mit synthetisch hergestellten Düngern, die im Biolandbau allerdings verboten sind. Eine andere Möglichkeit sind tierische Exkremente wie Gülle oder Mist. Sie fallen massenweise in der Tierhaltung an und sind gute Nährstofflieferanten.
Zu den tierischen Düngern zählen auch Hornspäne und Horngries, das sind zermahlene Rinderhörner, Rinderhufe und Schweineklauen. Aber auch Blutmehl und getrocknete Tierhaare, die zu Pellets gepresst wurden, werden auf Obstplantagen und Gemüsefeldern eingesetzt.
Letztlich handelt es sich um Abfälle aus der Schlachtindustrie, die teilweise aus anderen Teilen der Welt importiert werden. Ihr Vorteil: Sie enthalten viel Stickstoff, sind als Dünger sehr effizient und kostengünstig. Das macht sie sowohl für den konventionellen als auch für den ökologischen Landbau attraktiv.
Was ist das Problem mit tierischem Dünger?
Auch viele Biolandwirte düngen auf diese Weise. Bio-Obst und Bio-Gemüse ist also letztlich mit Hilfe von Schlachtabfällen aus der konventionellen Massentierhaltung gewachsen. Das wirft ethisch-moralische Fragen auf, etwa für Veganerinnen und Veganer. Auch einige Biolandwirte und Agrarexperten sehen das kritisch: Einerseits setzt sich der Ökolandbau für eine Verbesserung des Tierwohls ein. Andererseits schafft er es aber nicht, unabhängig von der konventionellen Tierhaltung zu sein.
Der Grund dafür ist ein Mengenproblem. Weil nur etwa 10 Prozent der Biolandwirte auch Tiere halten, reichen ihre Exkremente, Hörner und Klauen nicht aus, um auch die restlichen 90 Prozent Biobetriebe damit zu versorgen.
Kann eine Landwirtschaft ganz ohne Tiere funktionieren?
Im Prinzip ja, sagen Agrarwissenschaftler. In der Praxis gibt es bereits eine kleine Entwicklung zur tierfreien Landwirtschaft. Ein Bauer, der früh damit begonnen hat, ist beispielsweise Clemens Hund, der Apfelplantagen in der Bodenseeregion bewirtschaftet. Er ist komplett auf pflanzliche Dünger umgestiegen.
Pflanzliche Düngeralternativen sind etwa getrocknete Algen, Pellets aus Kartoffelschalen, Trester aus Biobrauereien, Kleegraspellets oder Vinasse – eine Art Melasse aus der Zuckerindustrie. Clemens Hund düngt unter anderem mit Kleegras, das er zwischen die Baumreihen sät. Das Kleegras bindet den Stickstoff aus der Luft und reichert ihn im Boden an. „Pflanzliche Dünger bedeuten zwar mehr Aufwand, aber der Ertrag ist nicht weniger“, sagt Clemens Hund.
Die Arbeitszeit für Landwirt*innen erhöht sich, weil man noch genauer planen muss, was wann in welcher Menge bei welcher Pflanze eingesetzt wird. Manche pflanzliche Dünger setzen ihre Nährstoffe zum Beispiel nicht direkt frei, wenn sie auf das Feld aufgebracht werden, sondern erst etwas später. Das macht das Timing komplizierter.
Was sagt die Wissenschaft dazu?
Pflanzliche Düngung ist grundsätzlich machbar, nicht nur im Obst- und Gemüseanbau, sondern auch im Getreideanbau, sagt die Agrarexpertin Sabine Zikeli. Sie leitet das Zentrum für Ökologischen Landbau der agrarwissenschaftlichen Universität Hohenheim. Mit ihrem Team testet sie, welche pflanzlichen Dünger sich für welche Kultur am besten eignen. Dafür messen sie, wie viele Nährstoffe die Dünger liefern.
Bei den wissenschaftlichen Untersuchungen hat der Flüssigdünger Vinasse bislang am besten abgeschnitten. Er setzt den Stickstoff besonders gut und schnell frei, fanden die Hohenheimer Wissenschaftler heraus. Als weiteres Ergebnis ihrer Forschung sieht Sabine Zikeli, dass die pflanzliche Düngung auf lange Sicht die Tierhaltung und die gesamte Landwirtschaft verändern kann. „Wir müssen den Tierbesatz reduzieren“, sagt sie. Für diese Art der Landwirtschaft bräuchte es zumindest im Anbau der Lebensmittel keine Tierhaltung mehr.
Ist das massentauglich?
Generell ja, wie die bisherige Praxis zeigt. Erste Beispiele bioveganer Wirtschaftsweise gibt es in allen Betriebsgrößen, sagt Anja Bonzheim, Koordinatorin des Projektes Veganer Ökolandbau. „Die Betriebsformen reichen von kleinbäuerlichen Familienbetrieben in Griechenland, mittelgroßen Betrieben in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden bis hin zu großflächigen Ackerbaubetrieben mit bis zu 800 Hektar Fläche in Österreich und Ungarn.“
Biozyklisch-vegan nennt sich dieser Anbau. Hierzulande sind es aber erst ein Dutzend Höfe, die so wirtschaften und dabei zertifiziert sind. Was im Obstbau gut klappt, ist beim Gemüse- und Getreideanbau aufwendiger, weil hier größere Nährstoffmengen nötig sind.
Wenn alle Biobetriebe biovegan anbauen würden, stellt sich allerdings die Frage, woher die pflanzlichen Nährstoffe letztlich kommen sollen. Bei Stickstoff ist es unproblematisch, er stammt aus der Luft und kann mit Hilfe von Pflanzen gebunden werden. Schwieriger ist es bei Stoffen, die aus dem Boden stammen, etwa bei Phosphat und Kalium.
Wenn die Lebensmittel geerntet, verkauft und gegessen sind, fehlen diese Nährstoffe im Acker und müssen wieder zugeführt werden. Um den Kreislauf zu schließen, müssten die organischen Abfälle der Haushalte oder der Lebensmittelindustrie wieder auf die Felder gelangen.
Für den großen Maßstab sehen Agrarexperten die Möglichkeit, dass aufgearbeiteter Klärschlamm, also menschliche Gülle, wieder auf die Felder gebracht wird. Statt tierischem organischem Abfall bräuchte es also mehr menschlichen organischen Abfall.
Gibt es dann schon wieder ein neues Siegel?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Ja, es heißt „Biozyklisch-Veganer Anbau“. Das Siegel ist aber kaum verbreitet und so gut wie unbekannt. Dazu kommt, dass einige biovegan wirtschaftenden Landwirte Kosten und Aufwand für die Zertifizierung scheuen, weil von Seiten der Verbraucherinnen und Verbraucher noch keine Nachfrage besteht. Um das Siegel zu bekommen, ist kommerzielle Nutz- und Schlachttierhaltung ausgeschlossen, auch Dünger tierischen Ursprungs sind nicht erlaubt. So steht es in den Regeln, die seit 2017 festgelegt sind. Laut dem Verein für Biozyklisch-Veganen Anbau sind erst 50 Betriebe in Europa zertifiziert.
Was ändert sich noch, wenn keine Nutztiere mehr gehalten werden?
In einer Welt ohne Tierhaltung würde es keine Wiesen und Weiden mehr geben. Sie lassen sich nur mit Weidetieren erhalten. Ohne Rinder, Schafe und Ziegen würden mit den Wiesen auch wertvolle Biotope verschwinden. Sabine Zikeli hält eine Landwirtschaft ohne Tiere zwar für möglich, aber nicht für sinnvoll: „In Deutschland sind 30 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche Dauergrünland, das heißt Wiesen und Weiden, und ein Teil davon ist schlecht ackerbaulich nutzbar.“
Der größte Teil der Wiesen wird intensiv gedüngt und gemäht, um so Viehfutter herzustellen. Ein kleinerer Teil sind Weideflächen, die zu wertvollen Naturlandschaften geworden sind, wie die Lüneburger Heide, die Schwäbische Alb oder Almwiesen in den Alpen.
Über die Huftritte und Exkremente der Weidetiere haben sich hier Lebensräume gebildet, in denen sich seltene Pflanzen und Insekten angesiedelt haben. Diese Biotope sind oft sogar artenreicher als eine natürlich entstandene Vegetation. Mit dem richtigen Maß an Beweidung ist die Tierhaltung auf diesen Flächen auch Naturschutz.
Lars Krogmann, Insektenexperte und wissenschaftlicher Direktor des Naturkundemuseums Stuttgart, hält solche Weidebiotope für besonders schützenswert. Ein Drittel sei schon zerstört und von der Vernichtung bedroht. Wenn solche Flächen gemäht und gedüngt werden, statt Tiere auf ihnen weiden zu lassen, sehe man einen Rückgang der Pflanzen- und Insektenvielfalt. „Es wäre deshalb ein Fortschritt, wenn mehr Beweidung stattfindet“, sagt Krogmann.
Schaf- und Ziegenhaltung auf Moorweiden etwa kann auch dem Schutz von Mooren dienen, die wiederum ein wichtiges Instrument im Klimaschutz sind. Mehr Beweidung heißt aber nicht mehr Tierhaltung, da zum Beispiel viele Kühe bisher im Stall gehalten werden.
Ist eine Landwirtschaft ganz ohne Tierhaltung nun wünschenswert oder nicht?
Das kommt auf die Perspektive an. Wissenschaftlich besteht kein Zweifel daran, dass die Tierbestände in Deutschland stark reduziert werden müssen, um die Klimaziele zu erreichen. Aktuell werden 11 Millionen Rinder, 26 Millionen Schweine und 173 Millionen Geflügel in Deutschland gehalten. Experten haben berechnet, dass die Tierbestände mindestens halbiert werden müssen, um so viel Treibhausgas einzusparen, wie es das Pariser Klimaabkommen vorgibt.
„Landwirtschaft ohne Tiere“ war einer der Themenwünsche, die die Zukunftsredaktion von Leser*innen auf dem tazlab 2023 bekommen hat. Haben Sie auch ein Zukunftsthema, das Sie besonders interessiert? Schreiben Sie uns an zukunftsthemen@taz.de.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Russland droht mit „schärfsten Reaktionen“
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Diskussion um US-Raketen
Entscheidung mit kleiner Reichweite