Tarif-Einigung zwischen Bahn und GDL: Es lohnt sich, zu kämpfen
Weniger Arbeit für mehr Geld – der neue Tarifvertrag ist ein wahrer Erfolg für die GDL. Davon sollten sich andere Gewerkschaften ein Scheibchen abschneiden.
![Claus Weselsky steht vor Mikrofonen während einer Pressekonferenz Claus Weselsky steht vor Mikrofonen während einer Pressekonferenz](https://taz.de/picture/6909249/14/34973494-1.jpeg)
N ein, eine Liebesbeziehung wird das nicht mehr. Claus Weselsky und Martin Seiler traten am Dienstag getrennt vor die Presse, um ungestört von dem anderen ihre jeweilige Sicht auf den endlich erreichten Kompromiss zu vermitteln. Aber das ist auch völlig egal. Der Bahn- und der Gewerkschaftsvorstand müssen sich nicht mögen. Es reicht, wenn sie es schaffen, sich auf gute Ergebnisse zu verständigen. Und das ist nun nach einer von beiden Seiten heftig geführten und von bösen Tönen begleiteten Tarifauseinandersetzung, die stolze fünf Monate und sechs Streikrunden gedauert hat, doch noch gelungen.
Für die Lokführer:innen und die Zugbegleiter:innen hat sich ihr Arbeitskampf gelohnt. Der Einstieg in die 35-Stunden-Woche ist gelungen, ab 2029 wird sie für die Schichtarbeiter:innen zur Regelarbeitszeit – und zwar ohne Lohnverlust. Das ist ohne jeden Zweifel ein riesiger Erfolg.
Zumal es lange so aussah, als sei die Deutsche Bahn zu keinerlei Arbeitszeitverkürzung zu bewegen, weil sie sich mit der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ja auch bloß auf eine Gehaltserhöhung verständigt hatte. Nun ist es der GDL gelungen, dieses Dogma zu durchbrechen. Dass sie auch noch eine zusätzliche Lohnsteigerung um insgesamt 420 Euro brutto pro Monat rausgeholt hat, sollte der EVG zu denken geben, die sich mit nur 410 Euro zufriedengegeben hatte – ohne Arbeitszeitverkürzung. Es bringt etwas, sich nicht unterkriegen zu lassen und zu kämpfen, lautet die Botschaft des GDL-Abschlusses.
Dass nun die Deutsche Bahn so tut, als hätte sie der GDL unheimlich viel abgerungen, weil der Tarifabschluss auch Abweichungen von der Regelarbeitszeit nach oben bis zu einer 40-Stunden-Woche zulässt, dann soll das der Gesichtswahrung dienen, ist jedoch lächerlich. Wenn Bahnmanager Seiler indessen davon schwärmt, dies gebe den Beschäftigten „den individuellen Freiraum, sich für das zu entscheiden, das am besten zu ihnen und ihrer Lebensphase passt“, dann stimmt das zwar – aber zur Wahrheit gehört, dass die GDL keineswegs eine „stumpfe Arbeitszeitverkürzung“ gefordert hatte, „die allen zwangsweise übergestülpt wird“, wie Seiler insinuiert.
Tatsächlich hat die GDL genau das Modell, das sie jetzt mit der Deutschen Bahn vereinbart hat, bereits zuvor mit 29 kleineren Verkehrsunternehmen abgeschlossen. Diese Flexibilität musste ihr also nicht mehr abgerungen werden. Entscheidend war für die GDL vielmehr das Ziel der 35 Stunden pro Woche als Regelarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich – wovon auch diejenigen etwas haben, die länger arbeiten wollen, weil sich der Arbeitgeber das etwas kosten lassen muss.
Die Kund:innen der Deutschen Bahn können aufatmen: In den kommenden knapp zwei Jahren werden die Züge nur noch wegen Sonne, Wind, Regen, Schnee und der zahlreichen Großbaustellen verspätet kommen oder ausfallen, nicht mehr wegen eines Streiks der GDL. Der Bahnvorstand sollte sich allerdings schon ein paar Gedanken machen, was er mit seiner allzu lang an den Tag gelegten Hartleibigkeit in dieser Tarifauseinandersetzung den Reisenden zugemutet hat. Auf ihrem Rücken eine renitente Gewerkschaft kleinkriegen zu wollen, war keine gute Idee. Zum Glück ist sie erfolglos geblieben.
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