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Studie zu NS-GedenkenMehrheit in Deutschland will den „Schlussstrich“

Eine Mehrheit in Deutschland wünscht sich einen „Schlussstrich“ unter die NS-Zeit. Die neue Memo-Studie zeigt Wissenslücken und verzerrtes Erinnern.

Foto: US Army/Photo12/imago

Das Wissen über die NS-Zeit in Deutschland nimmt ab. Das ist ein zentrales Ergebnis der Studie „Multidimensionaler Erinnerungsmonitor“ (Memo), die am Dienstag veröffentlicht wurde. „In Deutschland zeigen sich besorgniserregende Wissenslücken und eine Verzerrung von Erinnerung, wenn es um den Nationalsozialismus geht“, sagt Studienleiter und Professor für Politische Psychologie an der Universität Bielefeld Jonas Rees der taz.

Seit 2017 erforscht die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) zusammen mit dem Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) in der Memo-Studie kontinuierlich, was und wie die Menschen in Deutschland die Zeit des Nationalsozialismus erinnern. Als Lernorte für die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte spielen Gedenkstätten laut der Studie eine zentrale Rolle.

So gaben 72 Prozent der knapp 4.000 Befragten mit Wohnsitz in Deutschland an, mindestens einmal eine Gedenkstätte besucht zu haben. Und, wie die repräsentative Online-Befragung zeigt, gibt es einen Zusammenhang zwischen Besuchen von Gedenkstätten, Wissen über die NS-Zeit und der Bereitschaft, sich mit der deutschen Vergangenheit, aber auch gegenwärtigen Entwicklung zu beschäftigen.

Dabei komme es vor allem auf die Freiwilligkeit an: „Je freiwilliger und je selbstständiger der Besuch wahrgenommen wurde, desto eher empfanden die Befragten ihn als emotional berührend und motivierend, sich mehr mit dem Thema NS zu beschäftigen, desto mehr Faktenwissen konnte vermittelt werden“, sagt Jonas Rees vom IKG.

Über die Hälfte der ersten Gedenkstättenbesuche finden im Rahmen von Schule statt. Schulbesuche wurden jedoch im Vergleich zu Besuchen mit Freun­d:in­nen oder der Familie als am wenigsten freiwillig und selbstbestimmt bewertet. Wie von dem Aufsuchen einer Gedenkstätte besonders profitiert werden könne, darüber lasse sich diskutieren, sagt Jonas Rees. „Aber so gut wie alle Befragten geben an, etwas von so einem Besuch mitgenommen zu haben.“

Nur ein Drittel der Befragten konnte erklären, was Euthanasie ist.

Jonas Rees, Studienleiter

Die Memo-Studie zeigt, Freiwilligkeit und Selbstbestimmtheit sind wichtige Faktoren dafür, ob Menschen ihren Besuch in einer Gedenkstätte positiv bewerten oder nicht. Das müssen Schulen bei der Planung mitdenken, findet Andrea Riedle, Direktorin der Stiftung Topographie des Terrors: „Im Idealfall werden Schülerinnen und Schüler in die Entscheidung, welche konkrete Einrichtung besucht wird, miteinbezogen.“

Wie wenig aus der Schulzeit hängen bleibt, belegt die Studie ebenfalls: „Nur ein Drittel der Befragten konnte erklären, was Euthanasie ist, die anderen beantworteten die Frage falsch oder gar nicht“, sagte Jonas Rees der taz. Nur wenige könnten zudem Schätzungen über Opfergruppen wie Sin­ti:­zze und Rom:­nja, Menschen mit Behinderung oder Zwangs­ar­bei­te­r:in­nen abgeben, die dem realistischen Ausmaß nahekommen.

Auch über Erinnerungsorte in der eigenen Region sind die meisten nicht informiert: 63 Prozent der Befragten gaben an, wenig bis gar nichts über Gedenkorte am eigenen Wohnort zu wissen. 40 Prozent der Befragten gaben an, viel bis sehr viel über den Nationalsozialismus in der Schule gelernt zu haben – in den Jahren zuvor waren es noch bis zu sieben Prozentpunkte mehr.

„Dass viele Befragte angeben, sich intensiv mit der Geschichte des Nationalsozialismus beschäftigt zu haben und zugleich an Wissensfragen scheitern, deutet unter anderem auf Leerstellen in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit hin“, sagte Stephanie Bohra, Leiterin für Bildung der Stiftung Topographie des Terrors.

In vergangenen Memo-Studien habe sich gezeigt, dass neben Schulen und Gedenkstätten auch Filme zum Thema Nationalsozialismus eine wichtige Rolle in der Erinnerungsarbeit spielen. Diese würden als sehr prägend erlebt, sagt Rees.

Gedenken abseits von Täterschaft

Dass in der Memo-Studie von 2020 43 Prozent der Befragten – mit großem Abstand die meisten – angaben, ihnen sei der Film „Schindlers Liste“ besonders lange im Gedächtnis geblieben, findet Rees bezeichnend: „Das passt zur deutschen Erinnerungskultur, ein Film, in dem es ums Helfen geht und weniger um die Täterschaft“. Die NS-Erinnerung werde zunehmend zu Unpersönlichem, „etwas, was man aus dem Fernsehen kennt, das eventuell nach dem Tatort läuft“, kritisiert Rees.

Schon zwei Jahre zuvor gaben 54 Prozent der Befragten an, zu glauben, ihre Vorfahren seien Opfer des Nationalsozialismus gewesen. Darauf folgten Hel­fe­r:in­nen und Tä­te­r:in­nen mit jeweils 18 Prozent.

Auch in der aktuellen Studie zeigen sich ähnliche Ergebnisse: Der Aussage, der Wohlstand vieler Familien basiere bis heute auf Verbrechen aus der Zeit des NS, stimmten 19 Prozent der Befragten zu. Die gleiche Aussage über die eigene Familie bejahten jedoch nur 2,8 Prozent.

Bei der Wirtschaft zeigen sich vergleichbare Zahlen: Fast ein Drittel denkt, der Wohlstand vieler deutscher Unternehmen basiere bis heute auf NS-Verbrechen. Beim eigenen Arbeitgeber denken das nur acht Prozent der Befragten. In der kollektiven Erinnerung werden demnach systematisch Dinge verzerrt, für Jonas Rees vom IKG Bielefeld gibt es eine Erklärung: „Je näher es an die eigene Person geht, desto defensiver werden wir Menschen. Die Nazis waren immer die anderen.“

Mehrheit wünscht sich einen „Schlussstrich“

Diese systematische Verzerrung könne dort, wo Wissen verloren geht, auch den Diskurs beeinflussen, sagt Rees. Das zeigt sich auch an einem weiteren Ergebnis der Studie: Rund je­de:r zehnte Stu­di­en­teil­neh­me­r:in stimmt antisemitischen Aussagen zu, zum Beispiel, dass jüdische Menschen in Deutschland zu viel Einfluss hätten oder „üble Tricks“ nutzten. Rund ein Viertel der Befragten stimmte der Aussage zu, jüdische Menschen würden den Holocaust zum eigenen Vorteil ausnutzen.

Erstmals seit Beginn der Memo-Studienreihe 2017 forderte mit 38 Prozent eine Mehrheit der Teil­neh­me­r:in­nen einen „Schlussstrich“ unter die NS-Zeit. 37 Prozent lehnten dies zwar ab, jedoch waren sie zum ersten Mal in der Minderheit. „Manchmal macht man Studien und erwartet schon, dass bestimmte Dinge sich verschieben, aber wenn sich in der Haltung der deutschen Bevölkerung zur NS-Vergangenheit etwas so deutlich verschiebt, dann sollte uns das Sorgen machen“, so Studienleiter Rees.

Gleichzeitig zeigen die Studienergebnisse aber auch, dass eine Mehrheit (42 Prozent) es wichtig findet, an die Verbrechen des NS zu erinnern. Hier zeigt sich also auch ein Potenzial, Wissenslücken zu schließen. Der Ort, an dem laut Studie angesetzt werden muss, um Menschen zur Beschäftigung mit dem NS zu motivieren, ist die Schule. Freiwilligkeit und Selbstbestimmtheit seien hier die Stellschrauben.

Lehrkräften fehlt es an Fortbildung

Eine Idee, wie Gedenkstättenbesuche gelingen könnten, sind Schulprojekte. „In solchen könnte man über längere Zeit spezifisch zu bestimmten Opfergruppen arbeiten und die Schülerinnen und Schüler aktiv in die Planung mit einbeziehen“, sagt Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Im Anschluss an das Projekt stünde dann der Besuch einer Gedenkstätte an. Dafür brauche man aber auch den zeitlichen Freiraum an der Schule, der sei aber beschränkt: „Wir haben einen bestimmten Schulverlauf, der unabänderlich ist“, so Düll.

Letztlich liege es einerseits an den zeitlichen Zwängen, andererseits auch am Problem des Lehrkräftemangels, sagt Anja Bensinger-Stolze, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und dort Verantwortliche für den Bereich Schule. „Wir haben einen akuten Lehrkräftemangel und es fehlt ebenfalls an entsprechender Fortbildung.“ Eine intensive Projektarbeit mit ausreichend Freiraum für Leh­re­r:in­nen ist aber möglich, sagt sie. „Viele Initiativen von Jugendlichen, die für ihr Engagement ausgezeichnet werden, sind aus sehr motivierenden Unterrichtssequenzen entstanden“, so Bensinger-Stolze.

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34 Kommentare

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  • Käptn Blaubär , Moderator*in

    Danke für eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion nun geschlossen.

  • Ich dachte immer der Schlussstrich ist die Linie, die von Heinrich Gehlen, über Banderas Grab in München, zu den V-Männern in NPD und NSU führt,

    Dieser „Schlussstrich“ ist interessanterweise ein Dispositiv fuer etwas Unausgesprochenes aber allgemein Bekanntes.

  • Meine Antwort auf Schlussstrich: für 1000 Jahre wollten die Deutschen ihr Reich, für 1000 Jahre wird die Erinnerung daran wachgehalten.

  • Ich versuche es nochmal...

    Die Erinnerungsarbeit 80 Jahre nach Ende von Shoa/Holocaust/NS-Massenmord an vermeintlich "unwertem Leben" steckt ein bisschen in der Zwickmühle. Insbesondere für die jüngeren Alterskohorten ist es sehr weit weg, sie haben alters- und/oder zuwanderungsbedingt in vielen Fällen keinerlei persönlichen/familiären Bezug mehr dazu. Da ist es auch kein Wunder, wenn kuriose Ergebnisse wie bei der Frage zum familiären Wohlstand zustande kommen.



    Gerade für die Jüngeren kann eine Erinnerungsarbeit, die nicht nur als lästige Pflicht mitgemacht und dann wieder vergessen wird, nur durch die Verknüpfung/Bezugnahme auf aktuellere Ereignisse oder lebensweltliche Bezüge funktionieren. Und ich habe meine Zweifel, dass das alles so richtig auf dem Schirm ist bei Forschenden zu oder Betreibenden von Erinnerungsarbeit, wenn dabei noch Sinnbilder bemüht werden wie "im [linearen] Fernsehen nach dem Tatort".



    Insgesamt erscheint mir auch, angesichts der großen Unterschiede zwischen verschiedensten Gruppen innerhalb der Gesellschaft, die Befragungsmethodik etwas fragwürdig. Ebenso wie die Auswahl der Items und die Interpretation der Antworten...

  • "Nur wenige könnten zudem Schätzungen über Opfergruppen wie Sin­ti:­zze und Rom:­nja, Menschen mit Behinderung oder Zwangs­ar­bei­te­r:in­nen abgeben, die dem realistischen Ausmaß nahekommen." Das liegt, wenn ich von meinem eigenen Schulunterricht ausgehe, meiner Meinung auch daran, dass unsere sog. Erinnerungskultur schon immer selektiv war. Die hier genannten Opfergruppen tauchten in meinem (gymnasialen) Unterricht max. als Zahlen in Statistiken auf. Auch im pol. Diskurs wird kaum über diese Menschen geredet. Der Völkermord an Sin­ti:­zze und Rom:­nja wurde ja auch erst in den 80ern anerkannt, aber selbst danach kam dem kaum Aufmerksamkeit zu. Ich hab vor über 20 jahren meinen Schulabschluß gemacht und weis nicht wie der Geschichtsunterricht heute aussieht, aber für mich war der 2.WK in mehreren Jahren Thema aber leider fast immer konzentriert auf die gleichen Aspekte. Dabei gibt das Thema so viel mehr her und man könnte auch gut Parallelen zu heutigen Entwicklungen ziehen, gerade auch wenn man die Vorkriegszeit noch stärker beleuchtet, wie die Nazis an die Macht kamen, Propaganda, Indoktrination etc.! Da gibt es so viele Möglichkeiten, die leider nicht genutzt werden.

  • Ich bin Jahrgang 1952, und habe schon als Kind immer wieder hören dürfen, dass es doch endlich ein Ende haben müssen mit der "ewigen Erinnerung" an die deutsche Schuld.



    Im Gymnasium wurde im Geschichtsunterricht ab der Zeit der Antike alles sehr ausführlich gelehrt. Als es dann spannend wurde, endete das Thema im Jahr 1933 oder noch früher und die Ferien begannen. Im nächsten Schuljahr ging es dann wieder mit der Antike los. Das lag wohl auch daran, dass die Lehrer oft noch Überbleibsel aus der NS-Zeit waren. Ein Elend ...



    Die, die es interessierte, haben sich dann unabhängig informiert, waren ja - Gottseidank - die 68-er Jahre

  • Ein Schlußstrich unter dieses Kapitel wäre die schlechteste aller Lösungen. Das öffnet die Tür sperrangelweit für weitere derartige Verbrechen. Nein, wir MÜSSEN uns das immer wieder selbst sagen: jede Diskriminierung Anderer, jede abfällige Äußerung über Muslime, Juden, Behinderte und andere Menschen führt in letzter Konsequenz gradezu wieder in diese fatale Richtung. Wenn wir allenthalben fordern "Nie wieder ist jetzt" dann fängt das mit genau dieser Erinnerung an.

  • Die Fakten zu kennen, ist das Eine. Sie als wahrhaftig werten zu wollen, etwas ganz anderes. Aber nur da, wo das gelingt, wird die Beschäftigung mit dem Thema mehr auslösen, als nur eine kurze Wahrnehmung „alter Geschichten“. Gerade in Zeiten überbordender Informations- und Desinformationswellen. Nach meiner Erfahrung entsteht eher Betroffenheit ,wenn man nicht die individuelle Schuldfrage an den Anfang stellt, sondern mit denn Folgen anfängt, verdeutlicht wie „aus ganz normalen Nachbarn“ ruchlose Räuber und Mörder*innen wurden. Denn das in Zukunft zu verhindern ist ja die eigentliche Anspruch des „Nie wieder“.

  • Die Statistik zur Vermutung der Mittäterschaft in der eigenen Familie muss nicht unbedingt verzerrt sein.



    Selbst wenn ich davon ausgehe, dass "viele" Familien finanziell profitiert haben, muss das noch nicht die Mehrheit der Familien sein. Wenn aber eine relative Minderheit tatsächlich profitiert hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die jeweils eigene Familie eben tatsächlich nicht zu den Profiteuren zählte.



    Was natürlich trotzdem ermöglicht, dass viele Menschen bei der eigenen und bei fremden Familien unterschiedlich definieren, an welcher Stelle "profitieren" anfängt. Da spielt vermutlich auch mit rein, dass die Einschätzung der eigenen Position innerhalb der finanziellen Skala je nach Situation in beide Richtungen fehlschlägt. (Nach dem Motto: Meine Familie ist ja nicht reich, also können sie nicht profitiert haben)

  • Es wurden zufällige Wohnsitzende in D gefragt und als Verbesserungsansatz nur Schule diskutiert. Das passt nicht ganz zusammen. Zumal die NS Zeit früher nicht immer ausführlich in der Schule behandelt wurde, mit Gedenkstättenbesuch schon gar nicht. Trotzdem waren die Werte anscheinend früher höher.

    Aber so Fragen wie, dass der Wohlstand vieler Familien auf damalige Verbrechen beruht, sind doch befremdlich. Klar, gibt es die, aber wenn man sich so in den 10-20 Familien umschaut, die man kennt, ist das eindeutig zu verneinen. Wer kennt denn die Klattens oder irgendwelche „höheren“ Bürgerfamilien in manchen Städten, die vielleicht zweifelhafte Gemälde an den Wänden hängen haben?

    • @fly:

      Christoph Schlingensiefs »Ich war es nicht, Adolf Hitler ist es gewesen«.



      Mein Großvater war Architekt und hat Bunker in Frankreich gebaut, hat sich ein schönes Leben gemacht, weil er dem Krieg immer voraus war. Das nur als Beispiel.



      Von der massenhaften Zwangsarbeit hat doch nicht nur »die Industrie« profitiert und in die enteigneten Wohnungen sind auch nicht nur die Klattens eingezogen.

  • Das Wissen über die NS-Zeit in Deutschland nimmt ab.

    Wie kann das sein?

    Auch wenn ich jetzt von früher spreche, aber dort wurden die Verbrechen, in jeder Schulform, von der Hauptschule bis zum Gymnasium ausreichend besprochen. Es wurden Filme, die älteren erinnern sich bestimmt noch an die Projektoren, gezeigt, und in Geschichte waren die Verbrechen der Nazis, der Holocaust, Thema in Klassenarbeiten. Wer keine 6 wollte, musst sich mit dem Thema auseinandersetzten, wobei es die meisten auch darüber hinaus interessierte.

  • Wobei, Roma und Sintizze sind damals bei uns ebensowenig thematisiert worden wie Homosexuelle, Andersdenkende (Bonnhöfer ist mal erwähnt worden) oder Euthanasie. Schade eigentlich.

  • Was's das für eine merkwürdige Formulierung:

    "was und wie die Menschen in Deutschland die Zeit des Nationalsozialismus erinnern. "

    Schiller oder Goethe hätten sicher formuliert:

    Wie und Woran sich die Menschen in Deutschland an die Zeit des Nationalsozialismus erinnern..."



    Naja.

    Und bei der Gelegenheit muss ich feststellen, dass ich auch nur noch extrem schwache Erinnerungen an die Zeit habe.

    Vllt liegt es einfach daran, dass ich erst Anfang der Siebziger geboren wurde ...

  • "Dass in der Memo-Studie von 2020 43 Prozent der Befragten (...) angaben, ihnen sei der Film „Schindlers Liste“ besonders lange im Gedächtnis geblieben, findet Rees bezeichnend: „Das passt zur deutschen Erinnerungskultur, ein Film, in dem es ums Helfen geht und weniger um die Täterschaft“.



    Diese Behauptung ist in mehrfacher Hinsicht einfach falsch. "Schindlers Liste" ist der weltweit meistgesehene Film zum Holocaust - da macht eben auch Deutschland keine Ausnahme. Und mit dem KZ-Kommandanten Amon Göth wird prominent eine Täterfigur gezeigt. Nebenbei: Ausgerechnet dem jüdischen Regisseur Spielberg implizit eine Verharmlosung vorzuverwerfen - nun, da muss jeder selbst wissen, was davon zu halten ist.



    Denselben Vorwurf auch an die deutsche Erinnerungskultur insgesamt zu richten, ist vollends absurd. Das trifft nun weder auf die zahlreichen NS-Gedenkstätten zu noch auf die zu Tausenden verlegten Stolpersteine. Und was die Erinnerung an die Helfer angeht: diese stammten nicht zuletzt von jüdischer Seite, wie anlässlich des 100. Geb. von Hans Rosenthal wieder deutlich wurde. Deren didaktische Seite - dass man sich nämlich anders verhalten konnte - ist Rees indes völlig entgangen.

  • Die Frage ist, was mit Schlussstrich gemeint ist für die Menschen. Ich glaube nicht, dass die meisten meinen man solle alles vergessen und diesen Teil der deutschen Geschichte ignorieren. Viele in meiner Generation (73er Jahrgang) konnten mit den Verbrechen der Nazis nix mehr anfangen. Aber wir haben us darüber informiert, mal mehr mal weniger freiwillig.



    Keine meiner Freunde konnte mit dieser Schuldfrage etwas anfangen. Und das ist der Punkt. Viele politische Akteure beschrieben hier immer die Schuld Deutschlands. Deutschland ist aber die BRD mit allen aktuellen Einwohnern und die haben sicherlich nichts mehr mit den Taten zu tun. Ich möchte pauschal nicht als Teil eines Tätervolkes betitelt werden. Und das ist der Schlussstrich den sich die meisten Menschen wünschen. Meine Kinder können mit dem 3. Reich und den Gräuel noch weniger anfangen.

  • Es gibt nur eine Lösung:



    Bildung, Bildung, Bildung und Erziehung zur Empathie.

    Es kann und darf nie einen Schlussstrich über dieses in unseren Landen und von unseren Eltern/Großeltern/Urgroßeltern verübte Menschheitsverbrechen geben!

    KZ-Besuch in der Schule (mit 14), später nochmal mit etwa 17 im Geschichtsunterricht, Ansehen von Schindlers Liste, der Serie Holocaust etc etc, Anne Frank....



    Es gibt zig Möglichkeiten, Jugendlichen diesen Wahnsinn näherzubringen.

    Ein Schlussstrich hilft nur der AfD.

  • Auf der einen Seite erschreckend.



    Auf der anderen Seite wenig überraschend, so wie über die NS-Zeit berichtet wurde. Es wurde vor allem über Hitler und seine Helfer und andere konkrete Personen berichtet und weniger über die Verwicklung „normaler“ Menschen und Unternehmen.



    Und schon gar nicht wurde darüber berichtet, welche Wirkzusammenhönge bestanden, also wie z.B. die Weltwirtschaftskrise und die Sparpolitik Menschen dazu gebracht hat, rechtsextrem zu wählen und wie das Verhalten nicht nur einzelner Unternehmen sondern vieler Industrieunternehmen den Aufstieg von Hitler erst ermöglicht haben.



    Dadurch verstehen viele bis heute nicht, dass die Politik der etablierten Parteien in den letzten 30-40 Jahren quasi zwangsläufig zum Aufstieg der AfD geführt hat. Und dass nicht nur Antisemitismus ein Problem ist. Sondern generell, wenn Minderheiten zum Sündenbock gemacht werden für Probleme, an denen sie allenfalls eine kleine Mitschuld tragen. So wie auch heute Migranten und Bürgergeld-Empfängern zu Sündenböcken gemacht werden nicht nur durch die AfD, sondern auch durch die CDU, SPD und sogar Grünen.

  • Ein sehr guter Artikel, dass es sich negativ für die Erinnerungskultur auswirkt, wenn man etwas unter Zwang lernt ist aber auch nicht so neu.



    Für starke Nerven kann ich das Buch "KL Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager" von Nikolaus Wachsmann empfehlen.

  • Link 1 sollte zur Studie selbst gehen und nicht zu irgendeinem alten taz Artikel. Seltsame Fragen und Bewertungen. Wie viele der Befragten arbeiten z.b. bei Firmen, die es schon zu NS Zeiten gab? Die Einordnung von „Schindlers Liste“ ist im besten Fall fragwürdig. Wurden nur Biodeutsche befragt? Wie haben die Autoren selbst die Fragen für sich beantwortet? Wie kann die Schule der beste Platz sein, wenn am Anfang doch gezeigt wurde, wie wenig hängengeblieben ist? Euthanasie wurde maximal mal kurz am Rande erwähnt als ich in der Schule war.

  • Schlussstrich ziehen.



    Nichts anderes scheinen die Deutschen zu wollen, seit dem die Kapitulation im Mai 1945 verkündet worden war. Und die „hohe“ Politik scheint heute bereiter denn je, diesem Verlangen seine Absolution erteilen zu wollen.



    Was ist mit der Kürzung von Mitteln, die auch die Förderung der Erinnungsarbeit betreffen?



    Auf der anderen Seite wird von „Staatsräson“ schwadroniert, die einem israelischen Staat entgegengebracht und der weiterhin mit deutschen Waffen versorgt werden soll, der zunehmend in die Sackgasse einer völkisch-nationalistischen Ideologie gerät. Und gegenüber dem vor dem IGH der Vorwurf des Völkermordes anhängig hist.



    Freikauf von Schuld und Verantwortung.

  • "Auch über Erinnerungsorte in der eigenen Region sind die meisten nicht informiert: 63 Prozent der Befragten gaben an, wenig bis gar nichts über Gedenkorte am eigenen Wohnort zu wissen."



    Einige Gedenkstätten sind nicht mehr in vollem Umfang erhalten -wie Esterwegen- und viele wissen nicht, wo der Nobelpreisträger und Namensgeber für die Universität Oldenburg einsaß.



    www.ndr.de/geschic...nossietzky100.html



    In Zeiten der "Wiederbelebung" von Begriffen wie Kriegstüchtigkeit erscheint auch ein Rückblick auf deutsche Pazifist*innen sinnvoll.



    Ein Beispiel meiner Heimatstadt und weiterer Kommunen zeigt, dass das Interesse auch gefördert werden kann durch eine wache, sensibilisierte u. proaktive Zivilgesellschaft.



    Das Riga-Komitee



    Quelle wn.de 2015 v. 10 Jahren



    "Eine gemeinsame Erinnerung



    Münster Das Riga-Komitee wurde von den 13 deutschen Städten gegründet, aus denen Transporte nach Riga erfolgten. Mittlerweile gehören über 50 Städte dem Zusammenschluss an. Das Kriegsende vor 70 Jahren war jetzt Anlass für ein Symposium in Münster."



    Heute sind es 80 Städte



    Die Städte Brünn, Prag, Riga, Theresienstadt und Wien gehören auch dazu.

  • Kann mir jemand bitte einmal erklären, was genau dieser ominöse "Schlussstrich" sein soll?

  • Was genau soll eigentlich ein Schlussstrich sein?

    Darüber sollte man sich Gedanken machen, wenn man diese Frage stellt _und_ wenn man sie beantwortet, egal wie.

    Solange das nicht klar ist, ist das einfach eine Worthülse.

  • Es ist doch so: wenn man nicht mehr möchte, dann möchte man nicht mehr. Selbst beteiligt war inzwischen wohl niemand mehr. Und es gibt ja auch viele, die weiter die Schuld auf sich nehmen wollen. Vergessen wird alles jedenfalls nicht so schnell. Auch die Taten römischer Feldherren sind noch bekannt.

  • Dann könnten wir bei der Gelegenheit doch mal unsere Reparationen zahlen, das Gestohlene zurückgeben und die Nazis wieder einmal verbieten, oder?



    Geschichte kennt keine Schlusstriche. Politik kennt sie schon eher, doch Schlusstrich heißt zunächst, dass die Rechnung dann auch mal bezahlt wird.

  • Wurde der Schlussstrich nich durch Gehlen, von Braun, Krupp, Kiesinger und hundert tausende Nichtsgewussthabende und Nurbefehlausfuehrende, gestrichen?

    Der Schlussstrich der einen, ist die Kontinuitaet der Anderen.

    „Geschichte zerfaellt zu Bildern nicht zu Erzählungen.“ (Walter Benjamin)

    Das deutsche Selbstbild war nach den Bildern von Barbarossa und Auschwitz, nur noch durch Auslassungen vermittelbar.

    Schlussstriche sind Folklore.

    Der Lebenslauf eines Reinhard Gehlen‘s oder Krupp, ist der Dispositiv fuer den Schlussstrich. Das Nichterzaehlte produziert zwangslaeufig das Nichtwissen.

  • Grundsätzlich natürlich bedenklich... aber mir fällt etwas Nebensächliches auf, dieses Zitat bspw.:

    "Die NS-Erinnerung werde zunehmend zu Unpersönlichem, „etwas, was man aus dem Fernsehen kennt, das eventuell nach dem Tatort läuft“, kritisiert Rees."

    Nach dem Tatort? Wer von der jüngeren Bevölkerung guckt denn bitte noch den Tatort, oder generell lineares Fernsehen? Ich glaube, dass dies irgendwo auch bezeichnend für die Erinnerungsarbeit in Deutschland ist. Nationalsozialismus, Shoa und Massenvernichtung "unwerten Lebens" sind nun schon 80 Jahre her. Die entsprechende Erinnerungsarbeit muss mit der Zeit gehen, muss Bezüge zu modernen Krisen, modernem Leid herstellen, um Menschen noch zu erreichen und nicht als lästige Pflicht wahrgenommen (und möglichst bald wieder vergessen) zu werden. Ob das gelingt mit Leuten, die noch in Kategorien vom Tatort als Bezugspunkt denken, da habe ich so meine Zweifel...

  • Das ist eine bedenkliche Entwicklung.



    Es ist allerdings leichter, das Grauen nachzuempfinden, wenn man/frau Kontakt zu ZeitzeugInnen hatte.



    Insofern betrachte ich mich da als privilegiert.



    Erinnerungsarbeit ist angesichts der medialen Möglichkeiten heute aber weiterhin auf eindrückliche Art möglich.



    Neben der Schule muss aber auch Erwachsenenbildung stattfinden, bzw. in Erinnerung rufen.



    Kontraproduktiv empfinde ich Bestrebungen nach Umbenennungen von beispielsweise Bismarck Plätzen, oder Ähnlichem.



    Im Gegenteil zu Geschichtsklitterung und einem neuen Namen sollten solche Orte Informationen bieten.



    Namensänderungen sind schon kleine "Schlussstriche"...

  • Das wundert mich nicht, habe ich schon vor vielen Jahren von halbwegs gebildeten Bekannten den Wunsch nach einem „Schlussstrich“ gehört. Das liegt vielleicht auch daran, dass die Erinnerungskultur in Ritualen erstarrt ist, in denen die immer gleichen Geschichten erzählt werden. Ausstellungen und Events mit immersiven Erlebniswelten , die emotional berühren sollen, haben auch nichts mit dem Leben der BesucherInnen zu tun. Vielleicht bräuchte es mehr Aufarbeitung der lokalen Geschichte in (Volkshoch-)Schulen (Lokalredaktionen gibt es ja kaum noch), um die „große Geschichte im Kleinen“ zu verstehen und mit eigenen Alltagserfahrungen zu verbinden? Lebendiges Erinnern erfordert jedenfalls mehr eigene Arbeit, als nur Konsum.

  • Und was sagt uns das?Der Takt der "bedenklichen Entwicklungen in Teilen der Gesellschaft" ist eindeutig schneller geworden,und die Frage scheint nur noch zu lauten:Mitschwimmen oder Ausgrenzung.

  • Einen "Schlussstrich" wird es nicht geben, niemals. So viel ist klar.



    Auch wenn in nicht allzu ferner Zukunft keine Augenzeugen mehr von der systematischen, maschinellen, von staatlichen Bediensteten geplanten, organisierten und ausgeführten Tötung von Menschen berichten können, der viele Millionen unserer Mitmenschen zum Opfer gefallen sind, wird das Andenken an sie erhalten bleiben. Unsere Aufgabe und die unserer Nachkommen wird es sein, sicherzustellen, dass etwas Ähnliches nie wieder passieren kann.

  • Das wäre sehr schlimm, wenn das übelste Kapitel unserer Geschichte aus den Köpfen verschwindet!



    Ich bin als 1962 geborener mit Eltern großgeworden, die selbst Kriegskinder/Jugendliche waren. Und mit einer Oma, die voll unter dem Bann der NS-Zeit stand.

    Ich bekam als Kind einen Bildband über den 2. WK geschenkt, mit viel Bildmaterial und einem kritischen Blick auf diese Zeit.



    Deshalb bin ich oft geschockt, wenn mir Youngsters begegnen, die nicht nur die Mondlandung anzweifeln, sondern die KZ-Anlagen als "Nachbauten für Touristen" verkennen.



    Aber...



    in 500 Jahren wird es wohl so sein - schließlich interessiert uns heute ja auch kaum noch, was die römischen Feldherren so getrieben haben.

    • @Juhmandra:

      Ich fürchte, 500 Jahre müssen wir da nicht warten.



      Die Bedeutung des epochalen Zivilisationsbruchs der Shoa ist eigentlich kaum noch in den Köpfen verankert. Aber war er es je nach dem Ende der Katastrophe von NS und Shoa?



      Und sind immer die richtigen „Lehren“ aus dieser Geschichte gezogen worden? Meron Mendel und andere Autoren bezweifeln das, werfen einen kritischen Blick auf die bundesdeutsche Geschichte und Praxis dieser „Aufarbeitungs“-Kultur:



      www.akweb.de/polit...ehrlichen-begriff/



      www.nd-aktuell.de/...-staatsraeson.html