Schuldenbremse: Lob des Opportunismus
Der Deal zwischen Union und SPD ist schmutzig und kostet Merz Glaubwürdigkeit. Aber um eine politische Blockade zu verhindern, war er unumgänglich.

J a, man kann den schwarz-roten Finanzdeal falsch, schräg, widersprüchlich finden. Friedrich Merz verrät sehr viel von dem, was er im Wahlkampf versprochen hatte. Und ja: Anstatt die Grünen mit einzubeziehen, scheint Merz die grüne Zustimmung dreist erpressen zu wollen. Noch schwerer wiegt: Diese Entscheidung wird die nächsten zehn Jahre prägen. Sie aus Not mit dem alten Bundestag durchzusetzen, ist für die Demokratie ein dreckiger Deal.
Und: Die Begründung von Merz, dass der Eklat zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskyj im Weißen Haus der Drehpunkt war, der alles veränderte, ist unglaubwürdig. Die zentrale Veränderung ist: Merz kann nicht mehr den Schuldenbremsen- und Steuersenkungsfundi geben, weil er eine Regierung bilden und einen Haushalt vorlegen muss.
All das ist wahr. Aber es nicht das Wesentliche, denn das Bild ist größer. Ob es die Nato weiter gibt, ist fraglich. Die Ukraine braucht mehr Unterstützung. Europa muss sich aus der vielfachen Sicherheitsabhängigkeit von den USA lösen. Für diesen Prozess gibt es keine Blaupause. Sicher ist, dass er teuer wird und nur mit Schulden finanzierbar ist. Das Geld für Verteidigung nach oben unbegrenzt zu lassen, ist nachvollziehbar. Wie schnell und abrupt die Nato zerfällt, wie massiv Deutschland reagieren muss, ist ja offen.
Kurzum: Ohne diesen Deal würde die Union-SPD-Regierung in einem weltpolitisch eher ungünstigen Moment höchstwahrscheinlich scheitern. Oder sie würde zu einer Art Ampel 2.0 werden und an unlösbarem Dauerzoff um Geld verenden. Dieser Deal ist schmutzig und ramponiert die Glaubwürdigkeit der Union. Aber er ist nötig, weil sonst eine politische Blockade droht. Oder Schlimmeres.
Trump befreit Merz aus der Schuldenbremsen-Doktrin
Es gibt in der Union Figuren wie Jens Spahn, die maliziös lächelnd mit der schwarzblauen Alternative zur Regierung mit der SPD liebäugeln. Die Union scheint aber doch gefeit gegen die Idee zu sein, ein neues transatlantisches Bündnis à la J. D. Vance einzugehen – als Mixtur von Unterwerfung unter Trump und antidemokratischem Rechtspopulismus.
Merz streift mit diesem Move das Kostüm des antilinken Kulturkämpfers aus dem Wahlkampf ab und scheint das Kokettieren mit dem Disruptiven zu beenden. Der Kanzler in spe folgt vielmehr zwei erprobten, ungeschriebenen Gesetzen der pragmatischen bundesdeutschen Kompromisskultur.
Erstens: In schwarz-roten Koalitionen darf die Union regieren, aber das Programm schreibt die SPD. Das Copyright auf die 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur hat die SPD. Es ist nötig, um die marode Infrastruktur zu retten. Und es ist eine Wachstumsinitiative aus dem Geist des Keynesianismus.
Und: Merz ist ein Schüler von Konrad Adenauer. Der soll mal präzise das Grundgesetz christdemokratischer Politikauffassung so zusammengefasst haben: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern. Nur mit dieser postideologischen Flexibilität lässt sich die Schuldenbremse, ein überflüssiger Klotz am Bein demokratischer Politik, beseitigen. Die Grünen werden dem zustimmen, nicht aus Anpassung, sondern weil viel von dem, was Merz jetzt vertritt, wie ein Zitat aus dem Wahlkampf von Robert Habeck klingt.
Zugespitzt kann man sagen: Donald Trump befreit die Union aus dem selbst gebauten Gefängnis ihrer Schuldenbremsen-Doktrin. Das ist, in einer an Seltsamkeiten nicht armen Lage, wirklich bizarr.
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