Sahra Wagenknechts neue Partei: Zeit für Klimapopulismus
In seiner Jugend lernte unser Autor, beim Handball gezielt und wohldosiert zu foulen – so, dass sich niemand verletzt. Geht das auch beim Klimaschutz?
W ährend meiner glamourösen Vergangenheit als Handballspieler des erstklassigen VfL Lichtenrade gab es ab und zu eine besondere Trainingseinheit: Coach Dieter brachte uns B-Jugendlichen, die um die Berliner Meisterschaft spielten, etwas Wichtiges bei: richtig zu foulen. Das hieß: Du verstößt kontrolliert gegen die Regeln und akzeptierst den Pfiff des Schiedsrichters – aber du wehrst dich damit gegen übermächtige Gegner, manchmal gegen üble Prügelknaben, ohne dich oder sie dabei ernsthaft zu verletzen. „Ihr müsst wissen, was ihr tut“, war Dieters Devise. Kein schlechtes Motto, und das nicht nur beim Handball.
Meine Position damals war mal rechts- und mal linksaußen. Ich weiß auch nicht, warum mich das jetzt ausgerechnet an Sahra Wagenknecht denken lässt. Aber Coach Dieter fiel mir ein, als ich all diesen Unsinn las und hörte, den Wagenknechts Bündnis „für Vernunft und Gerechtigkeit“ zur Klimapolitik verzapft: Emissionshandel bringt nichts, tolle neue Technologie wird uns retten, Verbrenner können schön weiterbrummen, weil irgendwann CO2-freies Benzin vom Himmel fällt. Und Gas kann man ruhig wieder bei den Kriegsverbrechern in Russland kaufen.
Frage: Warum dürfen eigentlich immer nur die Bremser, Verhinderer und Schwachmaten in der Klimapolitik mit populistischen Parolen um sich werfen? So kämpfen bisher der gesunde Menschenverstand, die wissenschaftliche Genauigkeit und die ehrliche Abwägung von widerstreitenden Interessen ja häufig auf verlorenem Posten, wenn ihnen jemand gegenübertritt, der aus dem Bauch und gegen den Kopf argumentiert.
Könnten nicht auch die WeltretterInnen mal ganz einfache Lösungen für komplexe Fragen anbieten und sich einen Dreck darum scheren, ob diese dann einem Faktencheck standhalten, wenn sie damit „die Menschen abholen“?
Man könnte ja – nur mal so zum Beispiel – in der nächsten Debatte über den Klimaschutz diesen „Menschen draußen im Land“ zurufen: Wer gegen ernsthaften Klimaschutz Front macht, der will euch euren Urlaub wegnehmen! Fragen Sie mal alle Menschen, die in den letzten Jahren ihre Ferien vor brennenden Wäldern in Griechenland verbracht haben; denen die Nutzung der Pools in Spanien wegen Dürre verboten wird; denen in Italien ihr Gelato in einer Minute wegschmilzt. Wollt ihr alle in Nordnorwegen am felsigen Strand liegen?
Oder: Wer Verbrennerautos unterstützt und Solaranlagen beschränkt, der will euch vom fröhlichen Rasen abhalten! Denn nichts ist geizgeiler, als die unglaubliche Beschleunigung eines Elektroautos zu genießen, das billig mit dem Strom vom eigenen Dach fährt! Wer nichts gegen Plastikmüll unternimmt, der will euch nur die Kreuzfahrt und den romantischen Sonnenuntergang am Traumstrand in Bali vermiesen, der dann voller Shampooflaschen ist!
Wer wie wir 60 Milliarden Euro Steuergeld im Jahr für umweltschädliche Subventionen ausgibt, könnte stattdessen jeder und jedem in Deutschland sofort 750 Euro auszahlen! Das wäre mal eine Kindergrundsicherung! Wer gegen Wärmepumpen mobil macht, zieht euch das Geld für die teure Gasheizung aus der Tasche! Dieses Geld geht an die da oben, die in ihren protzigen Villen ihre Pools mit Champagner füllen und mit ihren Bentleys eure Parkplätze in der Fußgängerzone belegen!
Wen kümmern die Details, wenn man mal so richtig populistisch auf die Kacke hauen kann? Fair foulen zu lernen, und das als Selbst- und Weltverteidigung – warum nicht? Ich werde mal nach der Telefonnummer von Coach Dieter suchen. Danke für diese Idee, Sahra!
Und alle diese Öko-Populisten würden vielleicht auch die alte Benimmregel vergessen, keine dummen Witze mit Namen zu machen. Denn: Was ist die sozialistische Bezeichnung für Autosklave? Eben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag