Regierungsbildung in Berlin: Es fehlt ein kühner Schachzug

Die rot-grün-rote Koalition leidet weniger am Wahlergebnis als an Franziska Giffey. Für die Nachfolge drängt sich ein Kandidat förmlich auf.

Franziska Giffey mit einem Blumenbukett, umringt von ihren Parteikolleg:innen Scholz, Klingbeil, Esken und Kühnert

Wer in der SPD könnte Giffey nicht nur Blumen reichen, sondern einen Ausweg zeigen? Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Im Nachwahlberlin geht einiges durcheinander. Da ist zum Beispiel die CDU, die nicht müde wird, den Wahlausgang als Regierungsauftrag für sich zu reklamieren. Dass die Union das so macht – geschenkt. Doch wie viele in der Stadt da mitziehen, irritiert schon.

Klar, die CDU hat zehn Prozentpunkte hinzugewonnen. Das liegt aber vor allem daran, dass sie in den letzten 20 Jahren so tief gesackt war, dass es kaum noch weiter runtergehen konnte. Von ihren glorreichen Zeiten bis zur Jahrtausendwende, als die Partei über Jahrzehnte hinweg in Berlin stabil um die 40 Prozent holte und daraus tatsächlich einen Regierungsanspruch ableiten konnte, bleibt sie meilenweit entfernt. Die Union ist ein Scheinriese.

Tatsächlich weiterhin groß hingegen wäre eine rot-grün-rote Koalition. Klar, sie hat ein paar Prozentpunkte verloren. Aber insgesamt stimmten immer noch 49 Prozent der Ber­li­ne­r:in­nen für das amtierende Regierungsbündnis. Im Abgeordnetenhaus hätte es weiter eine stabile Mehrheit.

Dass sie nicht automatisch als erneute Regierung gesehen wird, sondern als Verliererin, liegt aber nicht nur daran, dass sie 2021 noch stärker war. Es liegt vor allem an dem Bild, das Rot-Grün-Rot in den letzten anderthalb Jahren abgegeben hat.

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Und damit wären wir bei Franziska Giffey. Die SPD-Politikerin wäre die perfekte Regierende Bürgermeisterin – wenn sie denn eine Große Koalition führen würde. Als Chefin des linken Dreierbündnisses ist sie jedoch eine Fehlbesetzung. Sie steht für vieles, für eines aber bestimmt nicht: für eine progressive Politik, die die Probleme der Stadt mit links erledigt.

Nun könnte der eigentlich als links geltende und somit für Rot-Grün-Rot stehende SPD-Landesverband ja das Wahlergebnis nutzen, um Giffey aus dem Fokus zu nehmen. Doch dafür müsste die SPD als kleine Partnerin der CDU ins Rote Rathaus verhelfen. Und was daran gut sein soll für Berlin, bleibt schleierhaft.

Das wäre noch abstruser als eine schwarz-grüne Koalition, die von vielen Rechenkünstlern nun als logische Brücke zwischen Innenstadt und Außenbezirken gepriesen wird. Was bitte sollte diese Koalition der Gegensätze denn zustande bringen? Ein paar Radwege für die Innenstadt und Autobahnen für den Rest? Die Preisgabe der Stadt an die Immobilienverwerter, solange wenigstens hier und da eine Solarzelle auf den Dächern thront? Und als Gemeinschaftsprojekt kippen sie mit großem Elan soziale Errungenschaften wie die kostenlosen Kitas?

Also doch weiter so mit Rot-Grün-Rot? Das ist, so absurd das klingt, die einzige Machtoption für Franziska Giffey – weil ihre SPD gut hundert Stimmen mehr als die Grünen bekommen hat. Aber wäre es gut, ein Bündnis fortsetzen, das offensichtlich so nicht harmoniert? Dann kann man die Idee R2G spätestens bei der nächsten Wahl im Jahr 2026 endgültig in die Tonne treten.

Franziska Giffey wäre die perfekte Regierende Bürgermeisterin – wenn sie denn eine große Koalition führen würde.

Wenn es jedoch mehr als berechtigte Kritik an der Performance von Rot-Grün-Rot gibt, aber auch die sich rechnerisch anbietenden Alternativen alles andere als Besserung versprechen, was dann? Dann bleibt immer noch der Versuch, Rot-Grün-Rot mal als inspirierenden Pakt ernst zu nehmen. Mit einer Regierungschef:in, die nicht wie Giffey sichtlich mit dem Projekt fremdelt, sondern mit einer Person, die den Esprit eines solchen Trios ausstrahlen würde, weil Haltung und Projekt im Einklang sind. Der man abnimmt, dass sie rote Socken als Auszeichnung sieht.

Der Witz daran ist: So jemand wäre gar nicht so schwer zu finden. Es gibt ihn sogar in der Berliner SPD. Er heißt: Kevin Kühnert.

Einziges Problem: Der aktuelle SPD-Generalsekretär dürfte sich nicht mehr demonstrativ hinter Giffey stellen, sich nicht mehr hinter ihrem Rücken verstecken. Er müsste mit der Chuzpe, die er einst als Juso-Chef an den Tag legte, die Chance beim Schopfe ergreifen und sich vor Giffey drängen.

Kühnert hätte, anders als Giffey, keinen Amtsmalus. Er hätte auch nicht den Makel eines Wahlverlierers. Er könnte ein Bündnis führen, in dem Linke tatsächlich linke Politik machen könnten, Grüne mit grünen Fortschrittsprojekten punkten und Sozialdemokraten sozialdemokratische Akzente setzen könnten, ohne sich gegenseitig zu belauern.

Selbstverständlich wäre der Kühnert-Move ein Wagnis. Nicht weil der Kevin zu unerfahren oder zu jung wäre. In anderen Staaten führen Menschen seines Alters längst Landesregierungen. Aber ein Rot-Grün-Rot unter Kühnert könnte scheitern, weil es tatsächlich etwas Neues wäre in Deutschland. Eine linke Regierung, die von einem Linken geführt wird, um linke Politik zu machen. Das könnte sogar Strahlkraft entwickeln, deutlich über Berlin hinaus.

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Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters

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