Rechtsdrift der Union: Merz auf dem Sprung über die Brandmauer
Kanzlerkandidat Friedrich Merz verschärft deutlich seine Rhetorik in der Migrationspolitik. Setzt er auf die Stimmen der AfD?
Die mögliche Kehrtwende kommt rund zwei Tage, nachdem in Aschaffenburg bei einem Messerangriff ein Kleinkind und ein Mann getötet sowie ein weiteres Kind und zwei Erwachsene teils schwer verletzt wurden. Sie sind inzwischen außer Lebensgefahr. Tatverdächtig ist ein afghanischer Asylbewerber.
Merz hatte als Reaktion eine ganze Reihe drastischer Forderungen erhoben. Er verlangte etwa, unbegrenzte Abschiebehaft zu ermöglichen und Abschiebungen massiv auszuweiten. Kern seiner Forderungen waren aber Grenzschließungen für Geflüchtete. Bundespolizist*innen würden dann alle zurückweisen, die keine Einreisepapiere haben, explizit auch Personen, die Anrecht auf Asyl haben. Merz kündigte dies für den ersten Tag seiner möglichen Kanzlerschaft an.
Es sind diese Punkte, die die Union als Anträge in den Bundestag einbringen will. Und ab da wird es kompliziert. Offenbar will die CDU im Falle einer Abstimmung keine Rücksicht darauf nehmen, wer sonst noch zustimmt. Das gelte auch im Falle der AfD. Seit dem Ampelbruch galt unter den Fraktionen der demokratischen Parteien eine informelle Vereinbarung, keine Anträge zur Abstimmung zu bringen, die nur mit den Stimmen der AfD eine Mehrheit finden würden. Damit würde die Union dann brechen. Eine mögliche Mehrheit hätten sie zusammen mit der AfD jedenfalls, wenn auch FDP und die neun fraktionslosen Abgeordneten zustimmen, von denen viele einst zur AfD gehörten.
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„Ich gucke nicht rechts und nicht links“
Allerdings könnte es sich auch um einen Vorwand handeln, dann nämlich, wenn schlicht nicht mehr abgestimmt würde. Viel hängt deshalb daran, ob die Anträge tatsächlich noch im Plenum landen – oder in den Ausschüssen verschwinden und vor der Wahl am 23. Februar auch nicht mehr auftauchen. Merz sagt: „Ich gucke nicht rechts und nicht links. Ich gucke in diesen Fragen nur geradeaus.“ In Richtung AfD sagte er: „Wir gehen mit denen nicht zusammen in eine Regierung.“ Und: „Wir verhandeln mit denen im Deutschen Bundestag nicht über irgendwelche Anträge.“ Gemeinsam abstimmen wäre demnach aber drin.
Relevant ist all das vor allem wegen der Signale, die dies aussendet. Selbst wenn die Union die Forderungen als Gesetzentwurf einbringt, ist unwahrscheinlich, dass alle drei nötigen Lesungen noch vor den Wahlen zu schaffen sind. Die echte Wirkung der Anträge liegt in der Nachricht selbst: Die Konservativen sind bereit zum Schulterschluss mit den extrem Rechten. Die erste parlamentarische Geschäftsführerin der SPD im Bundestag, Katja Mast, sagte der taz: „Wenn Friedrich Merz diese Ankündigung wahr macht, ist das ein Freifahrtschein für eine Zusammenarbeit mit der AfD im Bundestag.“ Und weiter: „Das wäre der Dammbruch.“
Merz hatte noch vor wenigen Wochen seine persönliche Karriere mit der strikten Absage an die AfD verbunden. Seit Jahren beschwor er unablässig die „Brandmauer“ nach rechts. Allerdings hat er sich der AfD inhaltlich in Migrationsfragen weit genähert und seine Forderungen nach Grenzschließungen gar zur Bedingung für eine Koalition erklärt. „Kompromisse sind bei diesen Themen nicht möglich.“
Dabei unterschlug Merz, dass es schon seit Herbst 2024 Kontrollen an allen deutschen Grenzen gibt. Offiziell werden Personen, die einen Asylantrag stellen wollen, zwar noch ins Land gelassen, in der Praxis kommt es dabei laut Menschenrechtsorganisationen wohl schon jetzt zu vielen Zurückweisungen. Das verstößt höchstwahrscheinlich gegen Europarecht. Merz’ Vorschlag würde den Rechtsbruch dann zur offiziellen Linie machen. Am Ende könnte das europäische Asylsystem und der Schengenraum der freien Grenzen kollabieren.
„Weder europarechtskonform noch verfassungskonform“
Aus diesem Grund sperren sich SPD und Grüne gegen die Idee. Die zum Thema Migration wirklich nicht zimperliche Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wies Merz’ Vorschlag am Donnerstag zurück. Ihre Argumentation: Die Ampelkoalition habe das Asylrecht bereits massiv verschärft, die Länder müssten die neuen Möglichkeiten erst einmal umsetzen. Schwer vorstellbar auch, dass die Grünen komplett zustimmen. Parteichef Felix Banaszak nannte Merz’ Forderungen „weder europarechtskonform noch verfassungskonform“.
Indem er migrationspolitische Forderungen als unverhandelbar bezeichnet, hat Merz eine Sollbruchstelle in mögliche Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grünen eingebaut – den einzigen demokratischen Parteien, mit denen Mehrheiten nach der Bundestagswahl realistisch sind.
Die AfD springt in die Bresche. AfD-Chefin und Kanzlerkandidatin Alice Weidel veröffentlichte einen Brief an Merz auf ihrem X-Account: „Lassen Sie uns ohne weiteres Zögern die erforderlichen Beschlüsse fassen“, heißt es da. Und in einem anderen Post: „CDU & CSU müssen Farbe bekennen!“
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