Rassistischer Angriff in Dresden: Unter Nachbarn

Ein Dresdner bedroht seinen libyschen Nachbarn mit einer Machete. Anwohner äußern Verständnis für den Angreifer statt den Angegriffenen.

Ein Handy vor zerstörter Tür

Der Tatort und das Handy, das die Attacke gefilmt hat. Man sieht die Spitze der Machete Foto: Tarek Khello

DRESDEN taz | Thomas F. steht mit seinem Fahrrad vor dem Wohnhaus, in den Turnschuhen stecken neongrüne Schnürsenkel, auf dem Rücken hat er einen militär­grünen Rucksack. Er trägt ein zu großes schwarzes T-Shirt mit dem Schriftzug „Das war Liebe!“, darunter prangt das Logo von Dynamo Dresden. Unter der Haut der Finger seiner linken Hand schimmert schwarze, leicht ausgeblichene Tinte. Das Tattoo bildet das Wort „Hass“, die letzten beiden Buchstaben sind SS-Runen. „Ich hab zwar die Tätowierungen noch auf dem Arm, die sollen mich aber auch daran erinnern, dass ich mal ein blödes Arschloch war“, sagt er und zeigt ein weiteres SS-Emblem unter seiner Haut.

Es ist Montag, der 22. Juli 2019, 27 Grad Außentemperatur, und eigentlich sollte Thomas F., 35, gar nicht hier sein, vor seinem Wohnhaus in Übigau, einem Viertel im Nordwesten Dresdens. Es gibt eine gerichtliche Auflage, dass er aus seiner Wohnung ausziehen muss. Nur vier Tage zuvor hatte er die Wohnung seiner libyschen Nachbarn mit einer Machete angegriffen. Viele Nachbarn werden später erzählen, dass Thomas F. nichts dafür könne, dass die Libyer selber schuld seien. Dass sie provoziert hätten.

Die Fenster in der Wohnung im zweiten Stockwerk sind verdunkelt. Hier wohnt Abad*, sein Freund Ibrahim* ist oft zu Besuch, auch an jenem Donnerstag letzter Woche. Sie erzählen, dass sie Krach im Treppenhaus gehört haben, sprechen von einer Explosion und einer zerbrochenen Flasche. Kurz darauf greift Thomas F. die Wohnung an. Ibrahim zeigt ein Video von dem Angriff, darin sieht man Scherben im Inneren der Wohnung, die Scheibe in der Tür ist zerbrochen. Vor der Tür steht Thomas F., der Mann, der später erzählt, wie er aus der rechtsradikalen Szene ausgestiegen ist.

„Du kommst aus Kanakenland“, sagt Thomas F., „ich mach dich kalt, Alter!“ Dann schiebt er die lange Klinge der Machete durch die zerbrochene Scheibe. In einem anderen Video hört man, wie Thomas F. etwas an die Tür sprüht. Kurz darauf sind Flammen zu sehen.

Dresden ist besser als Bautzen

Wenn man die Wohnung heute aufsucht, sind die Spuren des Angriffs noch deutlich zu erkennen. Von außen ist ein riesiges blaues Hakenkreuz über die Tür gesprüht, in der Mitte befinden sich schwarze Brandspuren, mehrere tiefe Löcher sind in das Holz geschlagen. Dort, wo früher die Glasscheibe war, klebt jetzt ersatzweise eine Plastiktüte vom Discounter um die Ecke. Im Treppenhaus sind einige Stellen frisch gestrichen, mehrere Nachbarn erzählen, dass sich auch dort Hakenkreuze befanden. Im Erdgeschoss steht der Schriftzug „HooNaRa“ an der Wand – für Hooligans, Nazis und Rassisten. Ob Thomas F. auch diesen zu verantworten hat, ist unklar.

Ibrahim*, großes Mickey-Mouse-Shirt, bunte Armbänder, wohnt eigentlich in Bautzen, ist aber lieber in Dresden – „weniger Rassismus“. Fragen von Reportern beantwortet er auf Arabisch, damit auch sein Gastgeber Abad alles versteht.

Eine ruhige Wohngegend. Das Haus in Übigau Foto: Pawel Sosnowski

Als er gefragt wird, ob er Angst hat, wechselt Ibrahim ins Deutsche. Die beiden Männer kennen sich schon aus Libyen, kamen unabhängig voneinander übers Mittelmeer, wollten ursprünglich nach Schweden. Sie trafen sich hier wieder. „Ich muss ehrlich sein“, sagt Ibrahim, „wir haben keine Angst. Wir kommen aus dem Krieg.“ Er erzählt von Raketen und kaputten Beinen, von Sterbenden auf den Straßen und davon, wie er als Ersthelfer im libyschen Bürgerkrieg gearbeitet hat. Ein Typ mit Machete mache ihm da nichts mehr aus, zumal niemand verletzt wurde.

Sein Freund Abad, 32, wartet derzeit auf die Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung. Er antwortet nicht auf die Frage, ob er Angst habe. Die Wohnung von Thomas F. liegt exakt unter seiner. Dass es mittlerweile eine gerichtliche Auflage gibt, dass F. dort nicht mehr wohnen soll, sagen ihm die Behörden nicht. Er wurde bisher im Gegensatz zu Ibrahim auch nicht als Zeuge vernommen, wie die Staatsanwaltschaft bestätigt.

Warum brauchte die Polizei so lange?

In den Videos von der Tat hört man, wie Ibrahim mit der Polizei telefoniert. Er zeigt die Anrufhistorie seines Telefons. Zweimal wählt er den Notruf, das erste Mal um 15.05 Uhr, kurz nachdem die Scheibe der Wohnungstür mit der Machete zerstört wird. Das zweite Mal um 15.31 Uhr. Thomas F. ist noch immer vor der Tür – und kein Streifenwagen in Sicht. Warum braucht die Polizei so lange, um auf einen Angriff mit einer Machete zu reagieren?

Ibrahim, 25, geflüchtet aus Libyen

„Ich muss ehrlich sein. Wir haben keine Angst. Wir kommen aus dem Krieg“

Aus der Pressestelle der Polizei heißt es, der erste Notruf sei um 15.12 Uhr eingegangen. „Der erste Notruf sprach nicht von einer Dringlichkeit“, sagt ein Sprecher der Polizei und verweist darauf, dass eine beschädigte Tür gemeldet wurde. Den zweiten Notruf konnte die Polizei im Nachhinein nicht mehr zeitlich bestimmen. Um 15.36 Uhr habe sich schließlich der erste Streifenwagen gemeldet. Seit etwa einer halben Stunde lief der Angriff schon zu dieser Zeit. Als die Einsatzkräfte eintrafen, bedrohte F. auch diese mit der Machete. So gibt es die Polizei in ihrer Meldung zu dem Vorfall an. Dort ist auch von Pyrotechnik die Rede.

Am Freitag nach dem Angriff wurde Thomas F. einem Richter vorgeführt. Die Staatsanwaltschaft stellte einen Haftantrag, den das Gericht beschloss und sogleich gegen Auflage außer Kraft setzte. F. muss sich nun in der Wohnung seiner Mutter amtlich anmelden und zweimal die Woche bei der Polizei vorstellig werden. Verstößt er gegen diese Auflagen, kann der Haftbefehl wieder in Kraft gesetzt werden. Der Staatsschutz ermittelt wegen Bedrohung, versuchter Brandstiftung, Sachbeschädigung und dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, wie das Hakenkreuz im Behördendeutsch heißt. Die Polizei geht von einem „eindeutigen, klaren politischen Hintergrund“ der Tat aus.

Die Liste von rechten Übergriffen auf Migranten, Linke und Menschen jüdischen Glaubens ist lang in Sachsen. Allein im letzten Jahr zählten die Opferberatungsstellen in Sachsen 317 rechtsmotivierte und rassistische Angriffe. Seit 1990 gab es der sächsischen Initiative „Support“ zufolge 17 Todesopfer. Zuletzt gab es am Dienstag einen Sprengstoffanschlag auf die Wohnung einer Linken-Stadträtin in Zittau.

F. präsentiert sich als Aussteiger

Als Thomas F. am Montag in Übigau vor dem Wohnhaus steht, aus dem er ausziehen muss, beschwert er sich, dass ihn die Medien in die rechte Ecke stellen würden. Die Bild-Zeitung beschreibt ihn als „Neonazi“ und „irren Amok-Mann“. Ja, sagt Thomas F., es gebe Rassismus in Deutschland, aber der werde oft übertrieben dargestellt. Er erzählt, dass er früher in der „rechtsradikalen Szene“ war, in einer Freien Kameradschaft in Dresden-Reick. Ausgestiegen sei er nach vier Jahren, als er merkte, dass die anderen nur „dumm schwatzen“, und dann „zum Döner gehen“.

Sechs Wochen im Osten: Vor der Landtagswahl in Sachsen am 1. September 2019 war die taz in Dresden. Seit dem 22. Juli waren wir mit einer eigenen Redaktion vor Ort. Auch in Brandenburg und Thüringen sind bzw. waren wir vor den Landtagswahlen mit unserem #tazost-Schwerpunkt ganz nah dran – auf taz.de, bei Instagram, Facebook und Periscope. Über ihre neuesten Erlebnisse schreiben und sprechen unsere Journalist*innen im Ostblog und im Ostcast. Begleitend zur Berichterstattung gibt es taz Gespräche in Frankfurt (Oder), Dresden, Wurzen und Grimma. Alle Infos zur taz Ost finden Sie auf taz.de/ost.

Für Thomas F. ist so was scheinheilig. „Ein reiner Rechtsradikaler, der wirklich seiner Meinung treu ist, der lebt auch wirklich so, wie er es gelernt hat“, sagt er. Wenn man Thomas F. fragt, was er macht, sagt er, dass er seine gehbehinderte Mutter pflegt. Seine letzte Arbeitsstelle sein ein Tierheim gewesen, er leistete dort Sozialstunden. Warum hat er seine libyschen Nachbarn angegriffen?

In der Wohnung von Abad sei es oft laut, meint Thomas F., „ich hab dann einfach an dem Donnerstag schwarz gesehen, es ging einfach nicht mehr. Ich war fix und fertig.“ Thomas F. hält kurz inne, fährt sich mit der Hand durch den Ziegenbart und sagt, er wollte Abad nie angreifen. „Es geht einfach nur darum, dass die Lautstärke wenigstens ein bisschen runtergeschraubt wird.“ Auf einmal klingt der Angriff mit Hakenkreuz und Machete wie ein ganz gewöhnlicher Nachbarschaftsstreit.

Verständnisvolle Nachbarn

Ein Mann mit Vokuhila und einem „Oldtimer“-Shirt kommt aus dem Wohnhaus und mischt sich ins Gespräch ein. Den Angriff von Thomas F. kann er nachvollziehen: „Nee, er kann gar nichts dafür, er hat das angekündigt.“ Der Name des Mannes ist Michael W., er wohnt in der Wohnung neben Abad. „Die dürfen machen, was sie wollen“, sagt er und schüttelt den Kopf.

Eine Nachbarin, Frau M., die sich aus dem Fenster im ersten Stock in das Gespräch einschaltet, beschwert sich: „Die dürfen hier wohnen bleiben, und Thomas muss raus.“ Ob sie mitbekommen habe, was Thomas F. gemacht habe? Ja, sagt Frau M., aber jeder müsse sich in Deutschland an die Regeln halten, auch die Libyer. Thomas F. sei immer nett zu allen gewesen.

Die attackierte Tür, auf die auch Hakenkreuze geschmiert wurden Foto: Pawel Sosnowski

Was hat Thomas F. denn gerufen? „Was man halt so schreit, was viele denken. Zum Beispiel gibt es ein Wort, das mit K. anfängt, mehr kann man dazu nicht sagen.“ Frau M. meint das rassistische Schimpfwort „Kanake“. Michael W. pflichtet ihr bei. Außerdem heiße das Wort „Kanake“ einfach nur Mensch. Frau M. findet, dass viel zu schnell von Rassismus gesprochen werde. „Man muss ja nur sagen, dass die alle nach Hause sollen.“

Es ist eine absurde Gesprächssituation. Ein deutscher und ein syrischer Reporter stehen in Dresden-Übigau und sprechen mit einem Mann mit SS-Tattoos, der seine libyschen Nachbarn mit einer Machete angegriffen und ihre Wohnungstür mit einem Hakenkreuz beschmiert hat. Zwei Nachbarn schalten sich ein und springen dem Täter zur Seite. Schließlich müsse sich jeder an die Regeln halten. Diese drei Übigauer wollen keine Rassisten sein. Für sie sind die Libyer die Ursache des Problems.

Ein linksalternatives Zentrum

Was ist da los, in Übigau? Hat sich Thomas F. etwa an die Regeln gehalten? Ist das ein normaler Nachbarschaftsstreit über Ruhestörung, der politisch ausgetragen wird? Sind hier einfach alle Rassisten? Warum wundert sich niemand, wenn jemand Ausländer angreift und eine Woche später nicht in die rechte Ecke gestellt werden will?

Eine Anwohnerin, 72, über Übigau

„Deutsche, Alkohol, Drogen. Die Schwarzen hier verhalten sich ruhig“

In den Straßenzügen um das Haus von Thomas F. gibt es große Einfamilienhäuser und Wohn­blöcke, „East Crew Dynamo“-Graffiti und Antifa-Sticker, eine Feuerwehr und einen Discounter, baufällige Gebäude und Baustellen. Übigau ist hier dörflich, man sieht Blumenkästen, alte Leute, Mittelklassewagen. In der Nähe ist eine Kläranlage, die die Mieten lange niedrig gehalten hat. Mittlerweile zieht es viele junge Familien hierher, ins ruhige Übigau.

Rund 150 Meter Luftlinie vom Tatort entfernt sitzen zwei junge Männer in einem Garten und rauchen. Die Hauswände sind bunt bemalt, Schubkarren stapeln sich, Banner verheißen Solidarität. Der Garten gehört zur „Mangelwirtschaft“, einem linken Wohnprojekt. Es ist das einzige Anzeichen für alternatives Leben in Übigau. Die Männer erzählen, dass sie sich hier nach dem Macheten-Angriff zusammengesetzt und überlegt hätten, wer der Täter sein könnte. Es gebe da diesen einen Nachbarn, der immer wieder mit dem T-Shirt einer Rechtsrock-Band auffalle. Ganz sicher waren sie sich zu dem Zeitpunkt nicht.

Jedenfalls hat sie der Angriff nicht überrascht. „Ist halt Übigau“, sagt einer und tippt an seiner Spezi-Flasche. Der andere erzählt, dass er sich oft nicht wohlfühlt, wenn er durch Übigau läuft. Die Leute hier würden die Mangelwirtschaft als Fremdkörper wahrnehmen. Im Oktober 2015 flogen von drei Seiten Steine, Böller und Flaschen mit Buttersäure auf das Haus. Die Polizei machte die „Gruppe Freital“ und die „Freie Kameradschaft Dresden“ als Täter aus. Rechtsextremisten.

Jede dritte Stimme für die AfD

In dieser Zeit wird auch die radikale Anti-Flüchtlings-Bewegung „Wir sind Übigau“ aktiv. Wochenlang hält sie eine Turnhalle besetzt, um zu verhindern, dass dort Flüchtlinge einziehen. Polizei und Kommunalpolitik ließen sie gewähren. Auch eine Bürgerwehr aus Anwohnern zog hier um die Häuser.

Bei der Bundestagswahl 2017 ging im Wahl­lokal um die Ecke jede dritte Stimme an die AfD. Es ist das Milieu, in dem Thomas F. lebt. Als er nach seiner Entlassung am Montag vor seinem Wohnhaus steht, geht eine junge Frau mit pinken Haaren auf ihn zu und fragt, wie es ihm geht. „Die feiern jetzt ihren Sieg“, vermutet sie und deutet hoch zur Wohnung der Libyer. Dort hat bislang niemand geklingelt und sich nach dem Wohlergehen der Angegriffenen erkundigt.

Vor dem Haus befindet sich ein großer Garten, Wäscheleinen sind über löchrigen Rasen gespannt, in der Mitte stehen zwei Parkbänke. Eine Rentnerin mit grauen Haaren und Einkaufstaschen erzählt, dass die Bänke „eigentlich für alle sind“. Aber da würden immer nur die „Asozialen“ rumsitzen, deshalb traue sie sich abends nicht mehr aus dem Haus. Wer, die Libyer? „Nee, unsre“, sagt sie, „Deutsche, Alkohol, Drogen. Die Schwarzen verhalten sich hier ruhig.“

„Die sind alle bekloppt“

Die 72-jährige Frau erzählt, dass sie 1973 hier eingezogen ist. Früher sei das eine „herrliche Gegend“ gewesen, doch mit der Wende kamen die ­sozialen Probleme. Mittlerweile bemerkt sie ständig Polizei und betrunkene Deutsche, Übigau sei mittlerweile eine „gefährliche Gegend“, sagt die Rentnerin. Wählen deshalb so viele Leute in der Gegend die AfD? „Die sind alle bekloppt “, sagt sie nur.

Und dann fügt sie noch hinzu, dass sie sich manchmal in ihrer Ruhe gestört fühle. Aber nicht von Ibrahim und Abad, sondern von Michael W., der Mann mit dem Vokuhila, der nicht findet, dass Thomas F. etwas falsch gemacht hat. Michael W. höre ständig laute Musik, sagt die Frau.

Thomas F., der Angreifer, gibt der taz ein Video, dass die Ruhestörungen der Libyer belegen soll. Man hört lauten Techno. Als Ibrahim und Abad das Video sehen, lachen sie. „Wir hören nie Elektro“, sagt Ibrahim, „nur afrikanische Musik.“ Abad ergänzt: „Und manchmal HipHop, aber nur im Park.“

Vielleicht ist der Rassismus in Übigau so ausgeprägt, dass sich kaum jemand vorstellen kann, dass es nicht die Libyer sind, die die Ruhe stören. Vielleicht stört man sich aber auch einfach mehr an lauten Libyern als an Deutschen, die Ausländer mit der Machete bedrohen.

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