Querdenker und Coronaleugner: An Verschwörungsgläubige gewöhnt
Coronaleugner verbreiten Tag für Tag ihre antisemitischen Verschwörungsmythen. Doch die Empörung darüber hat abgenommen.
D ie Coronapandemie hat viele in dieser Gesellschaft tief verunsichert: Menschen, die durch die Pandemie in existenzielle Notlagen gerutscht sind; andere, die psychisch unter der Pandemie leiden; Menschen, die viel aufs Spiel gesetzt und bislang wenig zurückbekommen haben. Ich habe für sie und ihre Ängste Verständnis.
Zu Beginn der Pandemie gab es jedoch Versuche, die Masse aus Hippies, Neonazis, Esoterikern, Reichsbürgern und radikalen Impfkritikern zu verstehen, die bis heute gemeinsam gegen die Coronapolitik der Regierung auf die Straße gehen. „Wie passen diese Gruppen zusammen?“, wunderten sich viele.
Angst treibe sie auf die Straße, das war auch so eine angebliche Erklärung. Dabei ist es viel simpler: Coronaleugner und Anhänger der Querdenkerbewegung fühlen sich von „denen da oben“ unterdrückt. „Die da oben“ verkörpern für sie Macht und Macht wird gerne mit „den Juden“ gleichgesetzt. Coronaleugner kritisieren nicht einfach die Pandemiemaßnahmen der Regierung. All die Janas aus Kassel, die sich wie Sophie Scholl fühlen, all die Leute, die sich gelbe „Ungeimpft“-Sterne auf ihre Oberarme kleben, all diejenigen, die in der Coronapandemie das neue 1933 sehen und sich von einer „Weltelite“ kontrolliert fühlen, eint ihr antisemitisches Gedankengut.
Ideologisches Futter bekommen Anhänger unter anderem von Menschen wie Sucharit Bhakdi. Bhakdi, eigentlich Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie und ehemaliger Bundestagskandidat der Partei „die Basis“, hat, na ja, Zweifel an der Pandemiebekämpfung und teilt diese in Interviews, Videos oder seinen Büchern mit. Er gibt sich gerne tief betroffen und spricht mit ruhiger Stimme. In einem Videointerview, das im April dieses Jahres vom in der Coronaleugnerszene engagierten Fotografen Kai Stuht geführt wurde, wird Bhakdi dann doch mal etwas lauter und aufgeregt, da geht es nämlich um Israel.
Gefahr, die von Worten ausgeht
Die Juden hätten ihr eigenes Land in etwas verwandelt, das noch schlimmer war als das nationalsozialistische Deutschland, sagt Bhakdi sinngemäß. Aufgrund der Impfpolitik sei Israel jetzt „living hell – die lebende Hölle“. Das „Schlimme an den Juden“ sei, „dass sie sehr gut lernen“. „Es gibt kein Volk, das besser lernt als sie. Aber sie haben das Böse jetzt gelernt – und umgesetzt.“ Dann spricht Bhakdi noch eine Warnung aus, ernst blickt er in die Kamera: „Euer Land wird verwandelt in die lebende Hölle, wenn ihr nicht bald aufsteht.“
Der Antisemitismusbeauftragte der jüdischen Gemeinde zu Berlin, Sigmount Königsberg, hatte Strafanzeige wegen Volksverhetzung gestellt. Doch die Staatsanwaltschaft Kiel sieht darin keine strafbare Volksverhetzung, hieß es diese Woche. Die Begründung: „Die Äußerungen des Beschuldigten in dem Video richten sich vornehmlich gegen den Staat Israel als solchen, wobei er sich auf die dortige Politik im Zuge der Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie bezieht.“
Man könnte nun bemerken, dass dieser Ausgang vorhersehbar war. Antisemitismus wird oft nicht als solcher wahrgenommen. Weil gar nicht so wenige denken: Naja, Bhakdi hat schon irgendwie recht. Und andere sagen, wie es auch die Begründung der Staatsanwaltschaft nahelegt: So schlimm ist es nicht, war doch bloß legitime Kritik an Israel. Fast zwei Jahre leben wir in dieser Pandemie und die Empörung darüber, dass es unzählige Menschen wie Bhakdi gibt, die Tag für Tag ihre antisemitischen Verschwörungsfantasien verbreiten, nimmt ab. Gewöhnung setzt ein. Die Gefahr, die auch von Worten ausgehen kann, wird ausgeblendet.
Ein bisschen Hoffnung gibt es vielleicht. Nach einer Beschwerde der Werteinitiative hat der Oberstaatsanwalt das Verfahren gegen Sucharit Bhakdi am Donnerstag wieder aufgenommen.
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