Putins Atomdrohungen: Angst auf allen Seiten
Die einen werden als „Putinknechte“ beschimpft, die anderen als „Kriegstreiber“. Aber die Furcht vor einem dritten Weltkrieg treibt beide Seiten um.
W er in den 80er Jahren politisiert wurde, kennt sie noch zur Genüge: die Angst vor dem Dritten und mutmaßlich atomaren Weltkrieg. Jetzt ist sie wieder da, und sie wird täglich lauter geschürt. Vor allem, aber nicht nur von Putin und seinen immer neuen Nukleardoktrinen.
Obwohl allen sonnenklar ist, dass Putin aus taktischem Kalkül mit voller Absicht auf diese tief sitzenden Ängste setzt, um den Westen einzuschüchtern, fällt es den meisten Menschen schwer, damit rational umzugehen. Wie auch? Da es sich bei Angst um ein Gefühl handelt, lässt sie sich nur sehr begrenzt vom Kopf steuern. Und da niemand wissen kann, was noch passieren wird, lassen sich Ängste nicht einfach ausräumen. Die einen sind weniger anfällig für Sorgen, die anderen mehr.
Ob sie berechtigt sind, lässt sich nicht mit Fakten widerlegen, da über die Zukunft leider keine Fakten vorliegen. Was aber folgt daraus? Zunächst einmal vielleicht die Einsicht, dass in den Debatten über die möglichen Risiken im Kampf gegen Russland keine Seite eindeutig recht hat. Die Befürworter und Gegner von verstärkten Waffenlieferungen an die Ukraine können höchstens Wahrscheinlichkeitsrechnungen versuchen.
Schwierige Abwägungsfragen
Die einen befürchten, dass Putin mit einem Atomschlag reagieren werde, wenn ihn der Westen zu sehr in Bedrängnis bringt. Die anderen halten das für übertrieben ängstlich und beschuldigen die Besorgten, vor Putins Drohgebärden einzuknicken und die Ukraine damit im Stich zu lassen. Aus ihrer Sicht sind sogar Landminen legitim, um Putins Aggression abzuwehren. Wenn sie ehrlich wären, müssten allerdings auch die härtesten Verteidiger der Ukraine zugeben, dass auch sie nicht ganz ohne Angst vor einer Eskalation agieren. Sonst hätte die Nato längst direkt eingegriffen oder Kyjiw erlaubt, Moskau zu bombardieren. Wann genau das Risiko zu groß wird, weiß und sagt deshalb niemand.
Auch die Aufrüstungsbefürworter appellieren selbst an Ängste – vor Angriffen Putins auf Nato-Länder, wenn er nicht in der Ukraine aufgehalten wird. Die Aufrüstungsgegner wiederum halten diese Angst für übertrieben, haben aber keine Antwort auf die Frage, wie Putin ohne militärische Mittel abgeschreckt und wie die Ukraine sonst vor der totalen Besetzung geschützt werden kann.
All das sind schwierige Abwägungsfragen. Nur eins ist sicher: Um gegen Putin bestehen zu können, müssen die Demokratien demokratisch bleiben, unterschiedliche Einschätzungen zulassen und respektieren. Kampfbegriffe wie „Kriegstreiber“ und „Putinknechte“ tragen nur zur Spaltung bei, die sich der Aggressor Putin wünscht.
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